Aus Putins Überfall ist ein festgefahrener Krieg geworden. Die Russen leiden unter Organisationsschwächen, weil sie Wehrdienstleistende nicht einsetzen wollen oder können. Der 1. April dürfte ein entscheidendes Datum werden.
Seit vielen Tagen ähneln sich die Nachrichten und Analysen über den militärischen Kampf in der Ukraine. Sie beginnen meist mit einem Satz wie diesem vom britischen Verteidigungsministerium am heutigen 18. März: „Die russischen Streitkräfte haben minimale Fortschritte gemacht in dieser Woche.“ Den ukrainischen Kräften gelingt es weiterhin, die vollständige Umzingelung der Hauptstadt Kiew zu verhindern. Kharkiv, Chernihiv, Sumy and Mariupol bleiben eingekesselt, werden beschossen.
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— Ministry of Defence ?? (@DefenceHQ) March 18, 2022
Aus dem russischen Überfall ist ein festgefahrener Krieg geworden, in dem sich die Positionen der gegnerischen Streitkräfte nur noch wenig bewegen, weil dem Angreifer ganz offensichtlich die militärische Kraft, vermutlich sowohl materiell und personell, fehlt für große raumgreifende Offensiven.
Vieles spricht mittlerweile dafür, dass die Vorteile der angegriffenen Ukraine in diesem Krieg mittlerweile an Bedeutung zunehmen: Dazu gehört nicht zuletzt der große Kampfeswille ihrer Soldaten. Die Ukraine kann womöglich auf mittlere Sicht sogar mehr Soldaten einsetzen als der russische Aggressor. Die Bevölkerung steht in erstaunlicher Geschlossenheit zu ihrem Präsidenten Selenskyj und die Armee kann auf Wehrpflichtige und Freiwillige zählen – im Gegensatz zu Putin.
Eine volle Mobilmachung Russlands, also auch der unbeschränkte Einsatz von Wehrdienstleistenden würde zwar zu einer erdrückenden Übermacht Russlands auf dem Schlachtfeld führen und, so der österreichische Ex-Offizier und Militärexperte Gustav C. Gressel, „den Krieg zuungunsten der Ukraine entscheiden, aber womöglich auf Kosten der Regimestabilität in Moskau“. Ob Putin es darauf anlegt, ist fraglich.
Gressel analysiert für die Stiftung Liberale Moderne (des Grünenvordenkers Ralf Fücks) die Schwierigkeiten der russischen Armee, die sich daraus ergeben, dass Wehrdienstleister aus den Kämpfen herausgehalten werden sollen. Die Tatsache, dass von jedem russischen Regiment nur eine Bataillonskampfgruppe eingesetzt wird, weil nur je ein Bataillon und Teile der Unterstützungseinheiten (Artillerie, Pioniere usw.) keine Wehrdienstleister hat, macht die Führung größerer Einheiten kompliziert. Und sie erklärt, warum die Russen sich so schwer tun, Angriffe durchzuführen, die über die Bataillonsebene hinausgehen.
Mit dem russischen System der Bataillonskampfgruppen lässt sich rasch eine Drohkulisse an der Grenze aufbauen oder kurze, handstreichartige Schläge führen – wie 2008 in Georgien, aber nicht so leicht ein umfassender Krieg, in dem große Einheiten in Divisionsstärke ausgedehnte Landgebiete und ganze Städte gegen einen gut organisierten Gegner einnehmen müssen. Die jetzt verfügbare Truppe, so folgert Gressel, „reicht zur Fortsetzung des Krieges, aber nicht, um unmittelbar eine strategische Entscheidung zu erzwingen“.
In dem Krieg, wie er sich nun entwickelt, kann Putins Russland deswegen immer weniger Hoffnung haben, mit schnellen Offensiven entscheidende Orte einzunehmen und der ukrainischen Armee schnell entscheidende Niederlagen beizubringen, die die Ukraine zum Aufgeben zwingen würde. Stattdessen geht es nun für beide Seiten darum, den Gegner zu ermatten und zu demotivieren, indem man ihm empfindliche Verluste zufügt und demonstriert, dass man selbst den längeren Atem hat. Auf russischer Seite geschieht dies auch durch Raketenangriffe auf zivile Ziele in den belagerten Städten und teilweise auch auf Ziele weit weg von der Front, wie zuletzt mehrfach im Raum Lemberg (Lwiw).
Je länger der Krieg dauert und je mehr junge Russen in ihm sterben, desto schwerer dürfte es dem Moskauer Regime fallen, die eigenen Soldaten zum Kämpfen zu motivieren. Sehr viele Indizien weisen darauf hin, dass das schon jetzt sehr schwer fällt – nicht zuletzt die Tatsache, dass nun schon mehrere russische Generalmajore gefallen sind. Sie sahen sich offenbar in der Pflicht, „von vorne“ zu führen, um ihre Soldaten anzutreiben. Auch das ist offensichtlich gescheitert.
Für Russland sei, so Gressel, der 1. April ein entscheidendes Datum: „An diesem Einrückungstermin rücken nicht nur hunderttausende Wehrpflichtige in die Armee ein, sondern scheiden auch ebenso viele wieder aus (im preußischen Militärjargon ‚ausmustern‘ genannt). Diese werden für Vertragsverhältnisse in der Armee angeworben, um sie in den Krieg schicken zu können.“ Gressel rechnet nach diesem Datum mit einer „qualitativen und quantitativen Verbesserung der russischen Lage“. Allerdings könnte es auch zunehmend schwerfallen, ausreichend Wehrdienstleister zu gewinnen, die bereit sind, sich als Zeitsoldaten zu verpflichten. Dafür wird es darauf ankommen, wie glaubwürdig die russische Propaganda wirkt.
Für die ukrainische Seite ist es nicht nur operativ wichtig, den Russen Verluste zuzufügen, sondern vor allem, dass diese öffentlich werden. Deren Dokumentierung, etwa durch die Internetseite oryx, ist darum von großer Bedeutung. Die Zahlen sind erschütternd und die Bilder dazu zu sehen noch mehr: Die Russen verloren – Stand 18. März 14 Uhr – demnach mindestens 1520 Fahrzeuge, 703 davon zerstört. Da die meisten Besatzungsmitglieder zerstörter Fahrzeuge zumindest verwundet, in vielen Fällen auch gefallen sein werden, kann man also allein daraus eine mittlere vierstellige Zahl Gefallener und Verwundeter folgern. Und da geht es nur um in Bildern dokumentierte Verluste. Je mehr von diesen Zahlen und Bildern zur russischen Bevölkerung durchdringt, desto schwächer dürfte der Rückhalt für Putins Krieg unter den Russen und erst recht russischen Soldaten werden.
Dass bei oryx „nur“ 379 Fahrzeugverluste der Ukrainer dokumentiert sind, muss nicht unbedingt bedeuten, dass die Ukrainer weniger Tote und Verwundete zu beklagen haben als die Russen, sondern dürfte auch damit zusammenhängen, dass die ukrainische Armee sehr viel weniger motorisiert und gepanzert ist und ihre Soldaten daher zu einem größeren Teil abgesessen infanteristisch kämpfen.
Wie auch andere Militärexperten kommt Gressel zu einem für die Ukraine relativ optimistischen Fazit. Sie habe „die Chance, Russland in einen Ermattungsfrieden zu zwingen, ähnlich wie das Finnland 1939/40 im Winterkrieg gelang“. Doch dazu brauche sie „dringend westliche Unterstützung“. Er rät vor allem zur Lieferung von Waffen und Ausrüstung sowjetischer Bauart aus Beständen der mittelosteuropäischen Nato-Länder, da die ukrainischen Soldaten an diesen bereits ausgebildet seien. Es müsse mit Blick auf den 1. April das Ziel des Westens sein, „ in der noch verbliebenen Zeit die ukrainische Armee soweit zu unterstützen, dass die diesem neuen Angriff standhalten kann und durch schnelle, harte und breite Sanktionen die russische Wirtschaft vor diesem Datum lahmzulegen“.
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Ich vermag über die Moral und Motivation der russischen Truppen nicht zu urteilen -generell wirken auf mich mindestens in Video- und Fernsehaufnahmen die Kombattanten beider Seiten wie eine nur dürftig disziplinierte, in Räuberzivil uniformierte und auch nicht professionell ausgebildete Zotteltruppe-, doch wird der angebliche „Kampfesmut“ des „wie ein Mann hinter Zelenskij“ stehenden „ukrainischen Volkes“ durch die Bilder von den Grenzen zu Polen, Weißrußland, der Slowakei, Ungarn und Rumänien und aus den Tiefgaragen in Kiew und Charkow konterkariert, auf denen offenbar tausende wehrpflichtige Männer im „besten Alter“ entweder aus dem Land zu flüchten trachten oder aber sich als Zivilisten vor dem… Mehr
“ Gressel (lt. Artikelverfasser österreichischer Ex-Offizier und Militärexperte -noch nie gehört von Ihnen, Herr Gressel) analysiert für die Stiftung Liberale Moderne (des Grünenvordenkers Ralf Fücks)“ Des Grünenvordenkers Ralf Fücks. Nee is klar. Rußland- und Putinkenner ist der natürlich auch? Eigentlich sollte die seriöse Debatte damit beendet sein. Aber um mal etwas mehr Fakten herein zu bringen: „die Schwierigkeiten der russischen Armee, die sich daraus ergeben, dass Wehrdienstleister aus den Kämpfen herausgehalten werden sollen.“ „herausgehalten werden KÖNNEN“ müßte es heißen. Denn tatsächlich besteht die gesamte aktive russische Armee in einer Stärke von ca. 900.000 Mann zu zwei Dritteln aus Berufs- bzw. freiwillig länger… Mehr
„Seit vielen Tagen ähneln sich die Nachrichten und Analysen über den militärischen Kampf in der Ukraine. Sie beginnen meist mit einem Satz wie diesem vom britischen Verteidigungsministerium am heutigen 18. März: „Die russischen Streitkräfte haben minimale Fortschritte gemacht in dieser Woche.““ Lieber Herr Redaktion-Spahn (oder habe ich gar die Ehre, es beim anonymen Artikelverfasser mit jenem bei TE inzwischen gern zitierten legendären polnischen General Skrzypczak zu tun zu haben, der immer wieder – leider im Ruhestand befindlich – glasklar den unmittelbar bevorstehenden Sieg der ukrainischen Truppen über den russischen Aggressor voraussagt): Wenn Sie immer nur sich selbst sprich die eigene… Mehr
Was will Putin auch machen? Er hatte ja gewiss nicht vor, einen Haufen Asche zu erobern, der wirtschaftlich nichts wert ist. Er muss ja für den Wiederaufbau sorgen und die Bevölkerung hasst ihn, wenn das Land verwüstet ist. Das wollte er vermeiden, hat leider nicht geklappt, also kommt jetzt die Brechstange, weil eine Niederlage für ihn noch problematischer ist. In meinen Augen ist das der Anfang vom Ende von Putin. Er wird geschwächt an der Macht bleiben, Russland international isoliert und wirtschaftlich am Boden und vollends abhängig von Chinas Gnaden. Das Volk wird das eine Weile mitmachen, aber der Teller… Mehr
„Was will Putin auch machen? Er hatte ja gewiss nicht vor, einen Haufen Asche zu erobern, der wirtschaftlich nichts wert ist. „ Und was machen wir, wenn der überhaupt nicht vor hat, irgendetwas in der Ukraine zu „erobern“? Wenn der ganz einfach nur das wollte, was er immer wieder laut und deutlich gesagt hat, nämlich die Festschreibung des Neutralitätsstatus der Ukraine, die eine Absage an die NATO-Mitgliedschaft des Landes beinhaltet inklusive der Stationierung von Angriffsraketen an den russischen Grenzen? Also Sicherheitsgarantien für Rußland? Sowie vor allem, das Ende des militärischen Vorgehens der ukrainischen Regierung gegen die eigene Bevölkerung in den Ostukraine,… Mehr
Das die Generäle von vorne führen hat weniger mit der Moral der Truppe als mit dem Umstand zu tun, dass für die Größe der zu erobernden Gebiete die personellen Ressourcen zu knapp sind. Daher gibt es keine zusammenhängende Front, sondern auf sich selbst gestellte Kampfgruppen, die sich wiederum nicht zu weit von ihren Versorgungslinien entfernen können, da diese extrem anfällig sind. Die Generäle können daher gar nicht von hinten führen, weil es ein hinter der Front nicht gibt. Im Übrigen zeigen die Russen ähnliche Videos wie die Ukrainer. Nur halt mit umgekehrten Vorzeichen. Was also wirklich passiert, ist aus der… Mehr
„…weil dem Angreifer ganz offensichtlich die militärische Kraft, vermutlich sowohl materiell und personell, fehlt für große raumgreifende Offensiven.“ Auch wenn ich mich zum aktuellen Geschehen aufgrund der kompletten Desinformation auf beiden Seiten nicht äußern möchte, zeigt sich natürlich ganz klar: Russland kann fehlende militärstrategische Qualität nicht wie in den Kriegen des 20. Jahrhunderts mit Quantität mehr versuchen auszugleichen. Mit nur einer um 40 Millionen größeren Bevölkerung als Dtld. lassen sich nirgendwoher mehr die Massen an Soldaten an die Front werfen, wie wir das „bisher“ gewohnt waren. Das kann aber in diesem Krieg bewirken, dass eine schnellere Eskalationskaskade entsteht und angesichts… Mehr
Putins Überfall oder Putins Rettungsaktion, das ist hier die Frage. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Und da nun ganz anders berichtet wird, wie von Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien .. wo der Wertewesten „Rettungsaktionen“, sprich nation bombing und regime change, praktizierte, ist eigentlich alles klar: Quod licet Iovi, non licet bovi … Nichts Neues unter der Sonne. Was war übrigens die Strafe für My Lai, hunderte aus nächster Nähe ohne Not abgeschlachteter Zivilisten, Frauen, Männer, Kinder, Alte? Zwei Wochen Hausarrest für den Kommandierenden vor Ort. Augustinus wie Nietzsche hatten Recht: Staaten ohne Gerechtigkeit sind Räuberbanden und Staat nennt sich… Mehr
Hätte, könnte, wäre, offensichtlich … nichts genaues weiss man nicht. Aber man weiß, dass die Ukrainer das schaffen. Und die Russen verlieren werden. Und das sagen Leute, die aus ihren warmen Stuben, 1000de km weit weg, die Sache „analysieren“. Klar, aber nur der Russe macht Propaganda. Wir, die Guten, sind immer ehrlich. Und wieso in aller Welt glauben wir, dass der Krieg schnell sein muss? Vielleicht wollen es die Russen langsam? Und was haben die denn zu verlieren wenn’s länger dauert? Wer meint, dass das zu Problemen in der russ. Bevölkerung führt, der versteht Russland überhaupt nicht. Hat WWKII nicht… Mehr
Zitat:
„Wer meint, dass das zu Problemen in der russ. Bevölkerung führt, der versteht Russland überhaupt nicht. Hat WWKII nicht deren Opferbereitschaft gezeigt?“
Die damaligen Russen hatten viel mehr Angst vor der Grausamkeit Stalins als vor allem Anderen.
Offensichtlich scheint es so, dass sich die russischen Streitkräfte als ziemlich inkompetent erweisen. Ihre Ziele sind nicht erreichbar, der „Blitzkrieg“ – so er vorgesehen war – ist gründlich gescheitert. Auf der andren Seite „… der große Kampfeswille [der ukrainischen] Soldaten. Die Ukraine kann womöglich auf mittlere Sicht sogar mehr Soldaten einsetzen als der russische Aggressor. Die Bevölkerung steht in erstaunlicher Geschlossenheit zu ihrem Präsidenten …“ wird der Grund für das Scheitern der Russen angeführt. Für mich erscheint hier ein Widerspruch. Die ukrainische Armee verfügt über 209.000 Soldaten und 900.000 Reservisten. Die Luftwaffe hat 98 Kampfflugzeuge nebst 59 Transportflugzeugen, 15 Hubschraubern… Mehr
Der beginnende Terrorkrieg gegen die Zivilbevölkerung ist Indiz, dass der russische Feldzug gescheitert ist (vergleichbar serbischen Einkesselung Sarajevos) . Der russische Wehrpflichtige versteht Putins geopolitischen Sorgen nicht, aber der ukrainische Soldat versteht sofort, dass seine Heimat angegriffen worden ist.
Gefährlich wird mit der Zeit die russische Heimatfront. Wird es einen Putsch geben, in der Art des Berija Coups, der Chrustschow an die Macht brachte?
Hinsichtlich der vermeintlichen Greultaten der Russen sollte man berücksichtigen, dass die Russen mit der klaren Order einmarschiert sind, die Zivilbevölkerung zu schonen. Dies ist auch verständlich, da es sich bei einem erheblichen Teil der Bewohner in der östlichen Ukraine um ethnische Russen handelt, die von der nationalistischen Regierung der Ukraine massiv diskriminiert wurden. Dies geschah insbesondere deshalb, da in vielen Städten der Ostukraine die Einwohner gegen den von der Obama – Administration inszenierten Regime Change 2014 auf die Straße gegangen sind. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist Mariopol. Dort haben die Menschen im Mai 2014 friedlich protestiert, wurden aber von Poroschenkos… Mehr