Norbert Bolz zur „Haltungs-Demokratie“: „Das ist ein typisches Sektenverhalten“

Die heutige politische Elite zeichnet sich durch „erschütternde geistige Hilflosigkeit“ aus – Der „komplett ungebildete Bundespräsident“ hält Verhinderung von Kontroversen für das Bild einer „guten Gesellschaft“, sagt Norbert Bolz.

picture alliance/dpa | Horst Galuschka

Berlin. Der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz vergleicht die Forderung der meisten Parteien nach gleicher Haltung und Einigkeit und das Ausgrenzen von Kritikern mit dem Verhalten Sekten. „Was immer jemand gegen ihre Abirrungen vorbringt, jeder Widerspruch wird dort als Bestätigung aufgefasst, alles richtig zu machen“, sagt Bolz im Interview mit der August-Ausgabe des Monatsmagazins Tichys Einblick. „Die übliche Formel, was die wirtschaftliche Transformation angeht, lautet: Die Welt ist eben noch nicht so weit wie Deutschland und muss deshalb von Deutschland belehrt werden. Das ist eigentlich ein typisches Sektenverhalten.“

Dabei sei für eine Demokratie Debatte und Streit konstituierend. Sogar im deutschen Kaiserreich habe es mehr gepflegte Debatte und Streit gegeben als heute. „Es gab in keiner Zeit so viel Kontroverse auf hochgelehrtem Niveau wie in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik“, so Bolz. „Das war eine intellektuell extrem fruchtbare Zeit. Und diese Kontroversen wurden unglaublich anspruchsvoll geführt – wenn Sie an Personen wie Carl Schmitt, Hermann Heller, Walter Benjamin denken.“ Das politische Spektrum reichte damals von weit links bis weit rechts.

Dieses Niveau habe es auch noch zu Beginn der Bundesrepublik gegeben. „Man erblasst geradezu, wenn man sieht, mit welcher Bildung, auf welcher hohen Ebene die Schöpfer des Grundgesetzes damals argumentierten. Vor diesem Hintergrund fällt der gewaltige Unterschied zur Gegenwart erst wirklich auf, die erschütternde geistige Hilflosigkeit der politisch Handelnden“, so Bolz. „Die heutige Elite zeichnet sich durch eine unglaubliche Charakter- und Geistesschwäche aus, verglichen mit der Zeit vor 100 oder auch vor 75 Jahren.“

Bolz erinnert an den Philosophen Georg Simmel, nach dessen Worten der ausgetragene Dissens die Gesellschaft zusammenhält und nicht der Konsens. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sehe das inzwischen umgekehrt. Bolz: „Wir sind heute genau an dem Gegenpol angelangt – bei dem „Wir“, dem Titel des Buchs von Steinmeier. Für diesen komplett ungebildeten Bundespräsidenten ist das Zusammenstehen, die Verhinderung echter Kontroversen ernsthaft das Bild von einer „guten Gesellschaft“. Das Verständnis, dass es sich genau umgekehrt verhält, ist uns in dramatischer Weise weggebrochen.“


Das ganze Interview in Tichys Einblick 08-2024 >>>

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Kommentare ( 42 )

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Simplicissimus
1 Monat her

Das kommt davon, wenn Bildungsverlierer die Spitzenpolitik als Spielplatz kapern und die Versorgungsoptionen locken.
Ihre Unterstützer, die irgend etwas mit Medien machen wollen sitzen in den grün unterwanderten Medien.
Der ÖRR tut sich hier besonders hervor, und wer nicht zum „Wir“ gehört wird vogelfrei erklärt.
Haltungspolizei inklusive, dafür steht der Behördenleiter Haltungszwang, äh Haldenwang, an der Spitze der Behörde, dieser neuen politischen Hilfspolizei.

In der DDR wurde das Stasi genannt, die Dissidenten wurden entsprechend drangsaliert und verfolgt.
Ähnlichkeiten in der Gegenwart sind nur rein zufällig

Ungebildeter Wutbuerger
1 Monat her

„Für diesen komplett ungebildeten Bundespräsidenten ist das Zusammenstehen, die Verhinderung echter Kontroversen ernsthaft das Bild von einer „guten Gesellschaft“.“ Nicht nur für den. Ich erinnere nur daran, wie vor 10 Jahren, auf dem Höhepunkt der Ära Merkel, Positionen rechts der Mitte im Parlament praktisch komplett vakant waren (was halt so passiert, wenn eine Merkel-Union sich nur Rot-Rot-Grün gegenübersieht) und das Overton-Fenster sich dermaßen nach links verschoben hatte, dass Positionen unter Rechtsextremismusverdacht standen, die nur 15 Jahre zuvor noch banaler Mainstream waren – und dass dann von den Hamburger Medien immer wieder als „das beste Deutschland, das es je gab“ bezeichnet… Mehr

Klaus D
1 Monat her

Die heutige Elite zeichnet sich durch eine unglaubliche Charakter- und Geistesschwäche aus…..herr Bolz gehört doch auch zur elite! Wen hat er denn immer gewält? Was hat er gegen das ganze selber getan als bürger? Eins kann unsere elite wie herr Bolz auch ganz schlecht oder gar nicht und das ist selbskritik üben.

luxlimbus
1 Monat her

Der innovative Ansatz, das rational Unerklärbare, als Wirkkraft einer Sekte zu verorten, hat viel für sich!

Waren die Christen im alten Rom nicht auch eine Sekte? Und – massakrierten sie nach ihrem Sieg („Wir haben gewonnen!“ Claudius Rothus) die „Altgläubigen“ nicht in einer unerbittlichen Art und Weise, dessen Ausmaß selbst nach 1500 Jahren noch nicht von der Kirche aufgearbeitet worden ist?!?

Martin Mueller
1 Monat her

Konsens ist das Merkmal der Autokratie und Diktatur. Das Merkmal der Demokratie ist die Diskussion…….. In der Demokratie muss man auch nicht mitmachen und Mitlaufen. In der Demokratie kann man das…. Und in der Demokratie schließt man Andersdenker auch nicht vom öffentlichen Diskurs aus oder ächtet Menschen wegen ihrer politischen und gesellschaftlichen kontroversen Meinung sozial oder moralisch, sanktioniert sie gar finanziell und beruflich.ö Und beim Verfassungsschutz gibt es komplette Fehlentwicklungen hin zu einem Inlandsgeheimdienst, der Bürger und Parteien auf politisch korrektes Verhalten überwacht, beschnüffelt, einschüchtert und mittlerweile auch politisch unliebsame Statements bei der Exekutive zwecks Strafverfolgung vorträgt. Das erinnert mich… Mehr

teanopos
1 Monat her

Die Ökosozialisten sowie große etablierte Teile der CDU/CSU und generell über 80% aus dem politmedialen Establishment bzw. an den Trögen verweigern sich dem offenen Diskurs weil sie keine tragende Argumente haben, daher die ganze verlogenen Taschenspielertricks zuletzt mit dem Abschalten der Atomkraftwerke. Aber das Geld der Deutschen Bürger, der Bürger des Landes dass es nach deren Meinung eigentlich nicht mehr geben soll und darf, das nehmen diese politmedialen Verbrecher(und ihre vermögenden Kumpels) alle gerne um der Welt und den Bürgern den übergriffigen, „progressiv“-geisteskranken Ideologie-Müll des politmedialen Establisments(und ihrer subventionsgestützten Glückritter) aufzuzwingen, während sie sich zugleich mit der Brandmauer „gegen rechts“… Mehr

Last edited 1 Monat her by teanopos
murphy
1 Monat her

Eine Ursache der von Bolz beklagten Zustände ist in den Mängeln unseres Verfassungsersatzes, dem GG zu sehen: Es nennt Gewaltenteilung, fordert diese aber nicht, geschweige denn eine personelle Gewaltenteilung. Es kennt auch keine Sanktionen für Verfassungsverstöße, auch nicht für den Missbrauch des GGs. Diese dürfen/sollten sogar konkret genannt werden. Das GG wurde auch nie dem Volk zur Genehmigung vorgelegt, dessen Akzeptanz durch Bürger wird stets nur behauptet. Wenn das Volk der Souverän sein soll, müssen ihm auch die Mittel dazu gegeben werden. Jederzeitige Abwahlen wäre ein Vorschlag. Koalitonsverbote ein weiterer … Unser Verfassungsersatz ist im Kern und Absicht gut, aber… Mehr

Last edited 1 Monat her by murphy
Martin Mueller
1 Monat her
Antworten an  murphy

Es fängt schon damit an, dass Staatsanwälte politisch weisungsgebunde Beamte sind. Und auch die Judikative ist nicht so unabhängig, wie man denkt. Wer als Richter Karriere machen will, der sollte nicht mit Urteilen gegen den politischen Zeitgeist auffällig werden. Und nach welchen Kriterien wurden Richter im letzten Jahrzehnt ans Verfassungsgericht berufen, ist das wirklich dominate Kriterium die juristische Kapazität?

thinkSelf
1 Monat her

Weshalb wir uns ja auch in einer Phase der Degeneration und der Dekadenz befinden. Allerdings liegen deren Ursachen viel tiefer und auch bereits weiter in der Vergangenheit als angenommen, wie Dr. Jobst Landgrebe kürzlich in einem sehr hörenswerten Vortrag auf Kontrafunk (Themenblog Gesellschaft 3.0) kürzlich dargelegt hat. Und eben deshalb auch nicht kurzfristig korrigiert werden kann.

Lizzard04
1 Monat her

Der Kernpunkt des Textes und damit unseres gegenwärtigen Elends ist in der Tat das unterirdische, intellektuelle Niveau der regierenden Politkaste und da ist der Bundespräsident noch gar nicht ganz vorne dabei, wenn man nur an die grünen und anderen SPD Vortänzer denkt. Aber der Wahlbürger glaubt noch immer, dass diese geistig und moralisch limitierten Gestalten, wüssten was gut für sie ist. Was für ein Drama!

Giovanni
1 Monat her

Diese Ampel verfährt nach der Methode „Verbrannte Erde“. Sie will bis zur nächsten Bundestagswahl in 2025 viel zerstören. Möglichst unumkehrbar!! Sie weiß, daß nach der Wahl vieles anders sein könnte,.
Dies ist von den Öko-Sozialisten und von den Sektierern nicht überraschend.
Die machtbesessene FDP könnte dies verhindern. Nein, sie verhält sich wie ein Wurmfortsatz in der Ampel und maschiert mit. Sie tut dies auch im Bewustsein, daß sie nach der nächsten Wahl von der politischen Bühne verschwunden sein wird

Don Didi
1 Monat her
Antworten an  Giovanni

Die Ampel will gar nichts, die Ampel besteht aus YGL-dressierten Marionetten.
Deshalb helfen auch Rücktritte, Entlassungen oder gar Neuwahlen nicht, weil die Personen einfach durch andere YGL-dressierte Personen beliebiger Parteizugehörigkeit (rot, gelb, schwarz, grün, andere Parteien haben keine YGL-Mitglieder) ersetzt werden.
Die Strippen werden woanders gezogen.