Trotz befürchteter Mangellage: Stromproduktion aus Gas ist im Sommer gestiegen

Während Millionen Deutsche fürchten, demnächst nicht genug Gas für ihre Heizungen zu bekommen, wurde im Sommer überdurchschnittlich viel Gas zur Produktion von Strom verwendet, der dann exportiert wurde.

IMAGO / Rupert Oberhäuser
Gaskraftwerk von RWE in Werne

Erdgas ist in Deutschland bekanntlich ein knappes und teures Gut und der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein prominenter Mann geworden. Millionen Menschen in rund der Hälfte der Privathaushalte fürchten, dass sie im Winter nicht genug Gas für ihre Heizungen bekommen und es jedenfalls mit extrem gestiegenen Preisen bezahlen werden. Dennoch ist im Juli deutlich mehr Strom aus der Verbrennung von Gas produziert worden als im Vorjahresmonat (Juli 2021: 3558 Gigawattstunden, Juli 2022: 4036 Gigawattstunden). Das zeigen Daten des Strommarktportals Smard der Bundesnetzagentur. Auch im Mai lag die in Gaskraftwerken erzeugte Strommenge deutlich über der des Vorjahres, im Juni etwas darunter. 

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Diese Tatsache steht ganz offensichtlich dem politischen Ziel entgegen, in diesem Sommer die Speicher zu füllen, damit im Winter geheizt werden kann. Müller bestätigte in der Talkshow „Markus Lanz“, was Experten schon vermuteten. Er sprach von „nachbarschaftlicher Solidarität“. Es gab offenbar eine stark erhöhte Stromnachfrage aus Frankreich, wo derzeit zahlreiche Atomkraftwerke nicht am Netz sind, und aus der Schweiz, wo wegen wetterbedingtem Wassermangel Wasserkraftwerke nur reduziert produzieren können. 

Ein Sprecher des Branchenverbands Zukunft Gas sagte der Deutschen Presse-Agentur laut Presseberichten, bereits im zweiten Quartal habe sich der Stromexport aus Deutschland nach Frankreich gegenüber dem Vorjahr fast und der nach der Schweiz mehr als versechsfacht: „Diese Strommengen wurden zum Teil wohl mit Gaskraftwerken produziert und exportiert“, sagte ein Sprecher der DPA. 

Eine bemerkenswerte Solidaritätsleistung, die laut Müller „unter Gas-Gesichtspunkten nicht wünschenswert ist“. Die fast vollständige Befüllung der Speicher vor diesem Winter hält Müller in einem Gespräch mit t-online für unwahrscheinlich: „Einen durchschnittlichen Füllstand von 95 Prozent zum 1. November verfehlen wir in all unseren Szenarien. Das werden wir kaum hinkriegen, weil einzelne Speicher von einem sehr niedrigen Füllstand gestartet sind.“ 

Auch diese Ansage ist erstaunlich, da sie dem angesichts eines Füllstandes von derzeit 75 Prozent von der Bundesregierung verbreiteten Optimismus, das 95-Prozent-Ziel zu erreichen, glatt widerspricht. 

Statt Beruhigung hat Müller eher Besorgniserregendes zu bieten: Der Gasmarkt sei „außer Rand und Band“ und Müller hält im Winter zumindest regional einen Gasmangel für wahrscheinlich. „Vermutlich wären die Einschränkungen erst einmal temporär und können auch wieder enden oder mehrfach auftreten.“ Bundesweite Gaszuteilungen seien nicht zwingend nötig, jedenfalls unter der optimistischen Annahme, dass weiter so viel Gas wie aktuell aus Russland kommt und die Deutschen mindestens 20 Prozent Gas einsparten, aber „regional könnte es durchaus Gasmangellagen geben“. 

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Jedenfalls macht Müller klar, dass das Problem nicht nur diesen Winter betreffen wird („und der folgende Winter könnte noch einmal härter werden“). Da die Speicher vermutlich besonders stark geleert würden, müssten die Gasimporte im nächsten Jahr größer sein. Er erwähnte dabei die zwei zusätzlichen privaten Flüssiggas-Terminals an der Nordseeküste, die schnell fertig werden müssten. Und er sprach sich nicht zufällig auch über „zusätzliches Gas aus Frankreich“ aus. Europäische Solidarität könnte in diesem Winter ein Notanker Deutschlands werden. 

Was Müller nicht ansprach, ist politisch umso entscheidender: Es sollte alles dafür getan werden, die Stromproduktion auf andere Quellen als Gas zu stützen. Die Sturheit der Bundesregierung, vor allem der in ihr Agenda-setzenden Grünen, gegen die Laufzeitstreckung der verbleibenden Atomkraftwerke ist angesichts der drohenden Gasmangellage völlig verantwortungslos. Für die Aufrechterhaltung des grünen Atomkraft-Nein-Danke-Dogmas sollen die Deutschen also im Zweifel frieren und jedenfalls kräftig bezahlen müssen, obwohl sie längst ihre frühere Ablehnung aufgegeben haben. 

Aber auch die Kohlekraft wird längst nicht ausreichend forciert. Wirtschaftsminister Robert Habeck rühmt sich zwar dafür, dass die Grünen hier über ihren Klima-Schatten gesprungen wären. Aber de facto wird eben statt mehr Kohle derzeit mehr Gas verstromt. Die Kraftwerksbetreiber haben jedenfalls kaum von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, wohl auch, weil die Erlaubnis zur Kohleverstromung vom Habeck-Ministerium befristet und an strenge Bedingungen geknüpft ist.

Im Winter wird die Bundesregierung ihre Atom- und Kohlebremsmanöver womöglich noch bereuen. Jeder Kubikmeter Gas, der im Hitze-Sommer zu Strom gemacht wurde, wird dann womöglich in den Heizungen der Bürger fehlen. 


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Kommentare ( 37 )

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Rolling_Stone
2 Jahre her

DUNKELDEUTSCHLAND Wir sollen eisern jede kWh sparen und sogar die Beleuchtung weitgehend abschalten. Gleichzeitig erreicht aus Gas erzeugter Strom absolute Rekordmengen, die dann nach Frankreich (ver-6-facht) und in die Schweiz verkauft werden. Die Stromerzeuger verdienen sich dusslig, indem sie UNSERE GASVORRÄTE verstromen und zum Knappheits-Höchstpreis exportieren. Die hohe Auslandsnachfrage verteuert an den Börsen den Strom für uns zusätzlich – und HABECK lehnt Lindner Vorschlag ab, die Gas Verstromung zu limitieren. Die Gasspeicher könnten schon lange voll sein, wenn HABECK endlich seine Arbeit machen würde, anstatt als Erklärbär durch die Lande zu ziehen um uns mit schönen Worten den Untergang unserer… Mehr

Eberhard
2 Jahre her

So widersprüchlich wie die von linksgrün entfachte Klimapolitik schon in sich selber ist, so wird auch jetzt in Regierungsverantwortung mit unserer lebenswichtigen Energie umgegangen. Da wurde nicht nur die Energie zum reinen Spekulationsobjekt gemacht, sondern sogar noch ein lebenswichtiger Bestandteil unserer Atmosphäre (CO₂). Aber trotz aller versprochenen Ergebnisse hat, dieses nicht das Klima im Sinne der Ideologie beeinflussen können. Milliarden über Milliarden wurden daher bisher sinnlos verbrannt und der bereits vorwiegend dem weniger vermögenden Teil unserer Gesellschaft entzogen, statt sie auf die zunehmende Erwärmung einzurichten. Ein dummes Volk wählt sich auch die dazu passenden Politiker und Regierung. Anders lässt sich… Mehr

Jan des Bisschop
2 Jahre her

Das Problem der Grünen und ihrer Anhänger ist, sie haben keinerlei praktischen Verstand, sie haben keinerlei Verstand um Zusammenhänge zu erkennen. sie haben beständig Angst, wenn etwas ungewöhnliches Aufkommt. Beispiel es ist zu trocken da es zu wenig geregnet hat. Die Lösung der Grünen ist, wir müssen CO2 reduzieren. Frage: Wann wird diesese Maßnahme helfen und welche Nebenwirkungen hat diese? Da haben die Grünen keine Antwort. Weniger ideologisch gefestigte Menschen, hätten sich über die kurz und mittelfrisitge Wasserversorgung Gedanken gemacht. Aber analytische Ansätze sind in dieser Haltungsstarken Zeit nicht gefragt. Unter der der Panik die Menschen sterben aus, machen es… Mehr

Alf
2 Jahre her

Im Winter wird die Bundesregierung ihre Atom- und Kohlebremsmanöver womöglich noch bereuen?

Gehen wir davon aus, daß die Bürger spätestens im Herbst bereuen, eine Regierung zu haben, die nichts auf die Reihe bringt. Viele Bürger haben diese Erkenntnis bereits jetzt (Neuruppin ist nur der Anfang). Und auch der Kanzler wird auf Schitt und Tritt erfahren, wie erfolglos seine Politik ist.
„Was Scholz sich geleistet hat, würde vor keinem Strafgericht durchgehen“https://www.cicero.de/innenpolitik/gerhard-strates-anzeige-gegen-scholz-und-tschentscher-cumex-warburg-steuerhinterziehung

Der Winzer
2 Jahre her

Liebe Redaktion, Den Protagonisten der Ampel geht es um die De-Industrialisierung dieses Landes. Sie wissen, dass für die Umstellung bspw. von Gasheizungen auf Wärmepumpen oder Verbrennungsmotoren auf E-Autos nie genug sog. „regenerativer“ Strom zur Verfügung stehen wird. Darauf bereiten „Vordenker“ wie die „Energieökonomin“ Kemfert die Bevölkerung mit dem „Narrativ“ der Umstellung von der ’nachfrageorientierten Energieerzeugung‘ hin zur ‚angebotsorientierten Energienachfrage‘ vor. Es geht nicht darum, mehr Energie (aus was auch immer) zu erzeugen, sondern darum, „Energie zu sparen“ und den Ressourcenverbrauch zu vermindern – in Industrie/Handel, Verkehr & in den Haushalten. Die Verknappung & Verteuerung fossiler Energiequellen sind Teil des Spiels:… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Der Winzer
AnSi
2 Jahre her

Hahaha, heute morgen hat sich doch tatsächlich so ein „Atomkraft-Nein-Danke!“-Typ bei mir ausgeheult, dass sie ihm den Gasliefervertrag gekündigt haben und einen neuen anbieten mit 36 Cent (!!!) pro kWh. Ja, wie ge*l ist das denn bitte? Geschieht ihm ganz recht! Grünwähler brauchen die Keule, damit sie merken, was sie für eine braune Masse gewählt haben! Mehr davon bitte, „liebe“ reGIERung!

Kassandra
2 Jahre her

Ich frag nur mal – aber ist dieser grüne Müller von der Bundesnetzagentur nicht eigentlich dazu da, dafür Sorge zu tragen, dass der Energiemarkt eben nicht „außer Rand und Band“ gerät? Müller scheint mir viel zu sehr in der grünen Agenda, als dass man hoffen könnte, dass der Mann für eine allzeit sichere Energieversorgung gerade steht. Und: so lange er nicht alle konkreten Daten über die Belieferung wie über Exporte, auch über Kosten auf den Tisch legt fehlt hinsichtlich seiner Aussagen jeglicher Beweis. Wer hat denn da eigentlich alles die Finger im und zieht Gewinn aus dem schnöden Spiel uns… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Kassandra
Biskaborn
2 Jahre her

Ob die Schweizer und Franzosen auch mit uns solidarisch sind, wenn hier im Winter die tatsächliche Mangellage eintritt? Ich habe Zweifel. Aber auch das wird den gemeinen Deutschen nicht aus der Reserve locken, er wird sparen, sparen, sparen und wenn das nicht reicht kennen wir ja den Alleinschuldigen. Die Wahlen in Niedersachsen werden es bestätigen, an Scholz, Habeck und Co. liegt alles Übel, Preise, Mangellage an Energie, definitiv nicht, denen spricht man das volle Vertrauen aus. Da lässt sich wohl nichts mehr ändern!

Landdrost
2 Jahre her

Ja, ja. Der grüne Toni möchte gerne schmutziges Fracking-Gas, oder Gas der schmutzigen Golfstaaten anlanden, dass natürlich noch mit Ressourcenverbrauch überhaupt erstmal hier hin geschifft werden muss, damit wir das saubere Gas vom schmutzigen Putin aus der frisch gebauten Pipeline nicht nehmen müssen. Das ist die Nachhaltigkeit der Grünen. Oder für 3 Mrd. EUR ein hochmodernes Kohlekraftwerk hinsetzen und dann wieder stilllegen. Auch sehr nachhaltig. Wie ich diese grüne Bigotterie verachte…

alter weisser Mann
2 Jahre her

Mehr Gas verstromt, Kohlekraftwerke hochgefahren und der Strom geht nach Frankreich (versechsfachter Export dahin im Verlauf 2022) und in die Schweiz (Export mehr als versechsfacht).
Und damit das Ersatzgas für die Gasverstromung fließt, nachdem die Grünen die alte Quelle mit großem Ansagen abgestellt haben, zahlen wir Umlage. Sonst wär der Export auch nicht so profitabel.
Kosten der grünen Blödheit vergesellschaftet, Profite wie gehabt und irgendwann findet man wieder Bargeld in Schließfächern.