Stromkosten in Deutschland steigen auf Rekordhoch

Die langfristigen Preise für Elektroenergie verzehnfachen sich im Vergleich zur Vergangenheit. Dahinter steckt noch kein wirklicher Mangel – sondern eher eine aktuelle politische Debatte.

IMAGO / Steinach

Anfang August durchbrach der langfristige Börsenstrompreis für Deutschland zum ersten Mal die Grenze von 400 Euro pro Megawattstunde. Der sogenannte Year-Ahead-Preis gilt für den Großhandelsbezug von elektrischer Energie im Zeitraum der nächsten 12 Monate – also bis August 2023. Das bedeutet: eine Verzehnfachung der Stromkosten im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Der Durchschnittspreis für eine Megawattstunde lag zwischen 2010 und 2020 bei 41,1 Euro. Die mittelfristigen Börsenstrompreise besitzen eine große wirtschaftliche Bedeutung nicht nur für Privatverbraucher. Industrieunternehmen kalkulieren damit ihre Energiekosten für die nähere Zukunft.

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„Bei vielen Unternehmen herrscht blanke Existenzangst“, kommentiert der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW) die Situation gegenüber TE: „Nach zwei entbehrungsreichen Pandemiejahren und nie dagewesenen wirtschaftlichen Herausforderungen mit Lockdowns und bis heute nicht behobenen Lieferkettenstörungen sind Energiepreisexplosionen, nicht nur bei Gas, echte Rentabilitätskiller. Für viele ist es der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nicht wenige stellen Berechnungen an, ob eine Stilllegung der Produktion einer Aufrechterhaltung vorzuziehen ist. Und immer mehr kommen dabei zu dem Ergebnis, dass eine Produktionsverlagerung an kostengünstigere Standorte ein Ausweg ist.“

Die extrem hohen Strompreise werden noch nicht durch einen echten Mangel verursacht. Es handelt sich zum einen um ein Marktsignal – also die Befürchtung, es könnte tatsächlich zu Engpässen in der Stromversorgung kommen, wenn zum Jahresende 2022 tatsächlich die verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet würden. Für diesen Fall sichern sich offenbar viele Versorger und Unternehmen jetzt schon langfristig Stromkontingente. Zum anderen verheizt Deutschland zur Stromerzeugung derzeit so viel Kohle wie schon lange nicht mehr, da die Erdgaspreise stark angestiegen sind, aber auch wegen der Unsicherheit, ob die Gasversorgung aus Russland weitergeführt wird.

Schon im ersten Quartal 2022 lieferte Kohle mit 31,5 Prozent so viel Strom wie kein anderer Energieträger – und 12,5 Prozent mehr als noch im ersten Quartal 2021. Derzeit gehen weitere Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz, etwa das Steinkohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln. Auch über eine Rückkehr des stillgelegten Hamburger Steinkohlekraftwerks Moorburg debattieren zurzeit Politiker in der Hansestadt – Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) zeigte sich dafür offen.

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Allerdings stiegen auch die Preise für Steinkohle wegen der erhöhten Nachfrage stark an. Im August 2021 kostete eine Tonne Anthrazitkohle noch 89 Dollar – im Juni 2022 schon 143 Dollar. Die stark erhöhten Brennstoffkosten gehen in den Börsenstrompreis ein. Denn offenbar rechnen die Marktteilnehmer damit, dass Kohle weiter teuer bleibt oder im Preis noch weiter steigt, sollte Gas tatsächlich knapp werden, und Strom aus Atomkraftwerken, der gegenwärtig noch gut 5 bis 6 Prozent des Bedarfs deckt, zusätzlich wegfallen.

Bis jetzt gibt es innerhalb der Ampelkoalition zwar eine heftige Debatte darüber, die verbliebenen drei Atommeiler über den 31. Dezember 2022 hinaus am Netz zu halten. Bei seinem Besuch im Werk von Siemens Energy in Erlangen sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, er sei „offen“ für einen Weiterbetrieb der Anlagen. Konkrete Schritte dazu fehlen allerdings noch. Um die Laufzeit der drei Kraftwerke zu verlängern, müsste das Atomgesetz geändert und die Stromerzeugungsgenehmigung für die Zeit nach Jahresende 2022 erteilt werden.

Bis jetzt erklärt sich ein Teil der Grünen nur mit einem sogenannten Streckbetrieb der Anlagen einverstanden, also einer langsameren Verwertung der Brennelemente – was aber gleichzeitig die Stromproduktion der Kernkraftwerke drosseln würde. Den Einsatz neuer Brennstäbe, der dann spätestens im Frühjahr 2023 nötig würde, schließt die Führung der Grünen nach wie vor kategorisch aus.

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Kommentare ( 46 )

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Il Jolly
2 Jahre her

Die Grünen sind Dogmatiker.
Schaut man in der Geschichte zurück, erkennt man, das Dogmatiker stets bereit waren, zur alternativlosen Durchsetzung ihres Dogmas, völlig skrupellos, alles und jedes in Scherben fallen zu lassen.
Und wer dabei stört, wurde beseitigt oder , wenn er Glück hatte, nur weggesperrt.

Tja,…und jetzt schauen wir ruhig und weiterhin tatenlos dem Treiben der Grünen zu. Wir sind hier nämlich in Deutschland und die Deutschen waren in ihrer Masse noch nie bereit, die Worte und Taten ihrer Regierung in Zweifel zu stellen.

Contra Merkl
2 Jahre her

Man schaltet ab und Sanktioniert ohne Sinn und Verstand, es werden Milliarden verbrannt. Ist doch blos Geld sagt der Märchenonkel, der für so einen Spruch in jeder Firma umgehend rausgeworfen würde. Hier wird die Wirtschaft sabotiert und die Bürger ruiniert. Wir haben einen Wärmeproblem und kein Stromproblem ist da nur Ablenkung. Der Kanzler stellt sich vor die Turbine und grinst : Die Turbine ist hier, die Turbine funktioniert und kann geliefert werden. Damit ist das Problem für ihn abgehakt, in der Laufbandschrift läuft grade dass das für Deutschland bestimmte Gas jetzt in Sgt. Petersburg abgefackelt wird. Gibt auch ein Video… Mehr

Sonny
2 Jahre her

Ich hätte niemals gedacht, dass ich das jemals schreibe. Aber ich fühle mich hier nicht mehr zugehörig. Ein Land, dass politisch motiviert die Menschen ruinieren will.
Dieses Deutschland kotzt mich an. Nun bin ich anscheinend doch in der DDR geboren worden, obwohl mein Geburtsort westlich der Mauer lag.
Unsere Listen zur Auswanderung nehmen Gestalt an. Es dauert nur alles so lange.

Siggi
2 Jahre her

Warum eigentlich. Hat diese Regierung, insbesondere dei Grünen, nicht die ganze Zeit behauptet, es fehle allein am Gas, Strom sei satt da, so satt, dass ein Weitrebetrieb der KKWs nur Populismus sei? Oder geht es in Wirklichkeit um ganz etwas anders. So langsam habe ich den Eindruck, als laufen bestimmte Kostenstellen aus dem Ruder. Würde man die Kosten und Aufwendungen der Migration einmal darstellen, wäre die Erklärung da. Aber das darf auf keinen Fall geschehen, dafür wird alles getan, würde das nämlich das Komplettversagen und die Sinnlosigkeit dieser landeszersetzenden Aktion offenlegen.

Hans_Bethe
2 Jahre her

Typischer Fall von Wohlstandsverwahrlosung: Mein Vater erzählt nocht, wie er sich mit seinem Bruder gestritten hat, wer jetzt die Kohlen aus dem Keller in den 3. Stock schleppen soll. Selbst Zentralheizungen gibt es noch nicht so lange.
Es war völlig klar, dass die Energiewende nicht funktionieren wird. In jedem Projekt plant man erst einmal sämtliche Aktivitäten durch: Ich errichte etwas Neues und schalte dann das Alte ab! Wir machen es umgekehrt!

Speicher, Smardgrid, Übertragungsnetze, Wasserstoffwirtschaft gibt es noch nicht, aber wir machen die bestehende Infrastruktur schon einmal kaputt.

axel58
2 Jahre her

Wenn Scholz auch nur noch den geringsten Rest von Selbstachtung hat,würde er der die Richtlinien der Politik bestimmt,die Weiterbetreibung der AKW`s verfügen,auch gegen die Grünen.Mal sehen wie die reagieren würden.Wahrscheinlich mit ein paar Protesten,aber mit Sicherheit nicht mit dem Bruch der Ampel.Die Lindner-Truppe spielt sowieso keine Rolle mehr.

Richy
2 Jahre her

Die Verlagerung der Industrie wird extrem weiter fortschreiten. Das hat für die Grünen natürlich einen großen Vorteil. Dann könnte Deutschland sogar mit erneuerbaren Energien (ein besch…. und auch noch falsches Wort) überleben. Denn wenn es keine Industrie mehr gibt, dann ist der Stromverbrauch natürlich auch geringer. Allerdings geht es dann den Bürgern auch viel schlechter, aber was solls. Als Grüner in der Regierung, als Staatssekretär oder Anteilseigner an WKSs oder PV-Anlagen hat man ausgesorgt. Nur der gemeine Bürger halt nicht. Positiv wäre dann vielleicht auch noch zu erwähnen, dass dann Deutschland auch kein Anziehungsmagnet für die vielen vornehmlich muslimischen Flüchtlinge… Mehr

Eberhard
2 Jahre her

Was waren das noch für Zeiten ohne Grüne? Als sich Stromversorger um Kunden rissen und ihnen, je mehr sie verbrauchten, noch Rabatte dafür anboten. Wir hatten das sicherste Netz und das noch zu Preisen für die Endverbraucher, die den heutigen Politkern der ideologischen sozialistischen und angeblich grünen Energieverknappung und zusätzlich staatlich sanktionierter Preistreiberei die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. Alles um angeblich eine Welt zu retten, die zu großen Teilen, das gar nicht will, noch kann und ganz andere Sorgen hat. Hunderte Milliarden wurden bereits einer fast religiösen Ideologie wegen in den Sand gesetzt. Mit einer die Wirtschaft schädigen und… Mehr

Deti
2 Jahre her

Lese heute in einer Fachzeitschrift 5 Artikel untereinander: Neue Projekte für Chemie- und Kunststoffproduktionsanlagrn ausschließlich in Texas – dort wo Energie günstig und verfügbar ist.

Jerry
2 Jahre her

Es ist eigentlich egal woher die Kohle kommt. Da die Flusspegel im Moment ziemlich niedrig sind, kann die Kohle sowieso nicht zu den Kraftwerken transportiert werden, jedenfalls nicht in der notwendigen Größenordnung. Läuft…