Solingen: Deutschlands „gefährliche Lage“ und Reuls Bitte um Ruhe

Nach dem Solinger Messeranschlag mit drei Toten und zahlreichen Verletzten ist guter Rat teuer. Innenminister Reul eilt zwar noch am gleichen Abend zum Tatort, lehnt aber das tiefere Nachdenken ab. Er will nur für die Verletzten beten und hoffen. Der Pastoralton ersetzt die Politik. Psychogramm eines auf dem falschen Fuß Erwischten.

picture alliance/dpa | Thomas Banneyer

Da stand er nun, der aus dem Wochenende herbeigeeilte Herbert Reul, CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, und gab ein ziemlich ausführliches Statement ab, zu dem ihn niemand verpflichtet hatte. Gewiss ist es ehrenvoll, dass Reul in solcher Lage an den Ort des Geschehens eilt, dass er sich nicht wegduckt und sich zumindest für sein NRW-Innenressort verantwortet. Er wird damit aber auch zu einer Art harmlosem Hau-den-Lukas, auf den man sich nicht einmal traut, drauf zu hauen, weil er ja nicht schuld sein soll an der Situation. Denn er hat ja nur den Job übernommen, die Scherben wegzukehren.

Ja, als Innenminister ist das Reuls Arbeit, aber als hochrangiges CDU-Mitglied trüge er Mitverantwortung, sobald sich herausstellen sollte, dass die Themen Zuwanderung und „Vielfalt“ – besser: Parallelgesellschaft – eine Rolle auch bei diesem Verbrechen gespielt haben. Laut Zeugenaussagen war der Täter von arabischem Aussehen. Doch Reul taugt zumindest als Pegelmesser, um zu erfahren: Wie weit ist diese Realität, die man in Bad Oeynhausen und Mannheim (im Mai und Juni), in Brokstedt (2023), noch früher in Illerkirchberg (2022) und Würzburg (2016 und 2021) erleben musste, schon in das Politikmilieu vorgedrungen?

Und nur zur Erinnerung: Auch in Reuls Wahlkreis flossen einst Spenden an die CDU aus undurchsichtigen Luxus-Schleuserkreisen. Ebenso hat die Solinger SPD „von Personen aus diesem Umfeld Spenden erhalten“. 48 illegale Aufenthaltsgenehmigungen wurden mutmaßlich von der Solinger Stadtverwaltung an Zuwanderer erteilt.

Der Minister beginnt in seiner hemdsärmeligen Rhetorik damit, dass er schon „im Kopf“ habe, „in welcher gefährlichen Lage wir leben“. Aber es ist offenbar schwer für ihn, sein inneres Lagebild „im Kopf“ mit der äußeren Lage zu verbinden, mit der konkreten Messertat von Solingen. Dieses „ganz schlimme Ereignis“ hat Reul daher „voll aus den Schuhen gehauen“.

Auf dem falschen Fuß erwischt

Reul wohnt „einmal um die Ecke“ vom Anschlagsort. Was er dort dann gesehen habe, das „bringt einen schwer ins Grübeln“, sagte Reul. Dass ein Messermörder plötzlich auf der weitgehend ungeschützten 650-Jahr-Feier einer Nachbarstadt auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden kann, scheint noch am gestrigen Freitagabend irgendwie undenkbar für den CDU-Politiker gewesen zu sein. Die Tat in seinem nächsten Umfeld hat ihn erkennbar überrascht und auf dem falschen Fuß erwischt, ja – so darf man vermuten – erschüttert. Am Ende seines Statements gibt Reul zu, dass er es „im ersten Moment … gar nicht so richtig wahr haben“ wollte. Unglaube als erste Reaktion mag verständlich sein, in der deutschen Migrationspolitik ist er gewissermaßen auf Dauer gestellt.

„Aus dem Nichts“ sei der Täter gekommen, habe „wahllos“ mit dem Messer auf Menschen eingestochen und sie umgebracht. Die Gründe seien unklar. Man könne nichts zu Motiv oder Person sagen. Der Täter sei weiter unbekannt. „Der war ja dann auch relativ zügig weg“, fügt Reul wieder einmal etwas zu harmlos an. Zügig? So erledigt man eine gut gelungene Arbeit, nicht ein Schlachterhandwerk wie dies. Ein großes Nichts umgibt diese so konkrete Tat aus Reuls Sicht. Es ist ein schmaler Grat zwischen der Vorsicht der Ministers und der Verschleierung der Realität für die Bürger, die zudem dafür gelobt werden, wie ruhig sie den Festplatz im Herzen von Solingen verlassen haben.

Musste es unbedingt die „Klingenstadt“ Solingen treffen? Und musste es unbedingt auf einem „Festival der Vielfalt geschehen? Das sind schon zwei Fragen, die sich nach dem Geschehen vom Freitagabend stellen. Des weiteren: Warum geschah es kurz vor Landtagswahlen in drei Bundesländern? All diese Fragen darf man stellen und muss sie dann sorgfältig wägen. Vielleicht tragen sie zur Aufklärung der Motive des Täters bei.

Seelsorge statt politischer Führung: Reul ohne Lust auf Konsequenzen

Reul versichert: Die nordrhein-westfälische Polizei arbeite „hochprofessionell“ und „auf Hochtouren“ an der Aufklärung. Dennoch seien drei Menschen tot und sechs schwer verletzt. Das „Allerwichtigste im Moment“ ist laut Reul – der hier in manifesten Pfarrerston verfällt –, an die betroffenen Familien zu denken, „zu hoffen, dass die Verletzten das schaffen“. Kluge Worte würden ihnen und den Angehörigen auch nicht weiterhelfen. Warum aber eigentlich nicht? Was ist gegen kluge Worte einzuwenden? Gilt nun ein Schweigegebot für Beobachter und Medien?

Die Polizei solle ihre Arbeit tun, und alle, auch und vor allem die Medien, dürften nicht spekulieren, auch nicht darüber, was passieren hätte können, wenn die Voraussetzungen für diesen Abend andere gewesen wären. Ja, Reul geht noch weiter: „In der jetzigen Lage“ habe er keine Lust, darüber nachzudenken, wie solche Vorfälle in der Zukunft verhindert werden können. Da scheinen Beobachter – wie auch der fragende Journalist – weiter zu sein. Für sie passt das Geschehnis in einen gut bekannten Ablauf, es gehört von selbst in eine Kategorie, die man bereits kennt. Und daraus folgen legitime Fragen. Sicher muss ein Innenminister seine Worte zu allen Zeiten wägen. Aber das entbindet ihn nicht von seiner vordringlichen Pflicht, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen – auch „in dieser Lage“.

Immerhin: Ein „Anschlag“ ist die Tat auch für den Minister. Das sei zwar nur eine Arbeitshypothese, aber „das Vorgehen spricht nicht dafür, dass da einer verrückt durch die Gegend gelaufen ist“. Also nicht der Amoklauf eines Irren. In dem Fall wäre der „ja auch weitergelaufen“, hätte sich also nicht gezielt entzogen. Außerdem habe der Täter „gezielt Menschen angegriffen und auch auf die Körperteile gezielt, wo das Wirkung zeigt, und ist ja dann auch verschwunden“.

Reuls Innen-Dienst ist nur das Pflaster nach dem Desaster

Ein Reporter fragt vorsichtig: „Wann spricht man von Terror?“ Reul wiegt bedächtig den Kopf, scheint ihn zu schütteln. Ein Anschlag könne ja Terror sein, aber hier verfängt wieder das Spekulierverbot. Man wisse nur, „es war ein Mensch, ein Mann, der das gemacht hat“, aber nicht, „woher er kommt, was er gesagt hat, warum er’s gemacht hat“. Alle Varianten seien denkbar. Reul ist zuversichtlich: „Wir kriegen es schon schnell genug raus.“ Die Arbeit (der Polizei) werde am Ende erfolgreich sein. Die Polizei immerhin wird es schaffen.

Reul zur eigenen Rechtfertigung: „Wir machen in der Polizei, im Verfassungsschutz unendlich viel, um solche Taten zu verhindern.“ Das Wichtigste sei, „frühzeitig mitzubekommen, wenn sich irgendwo was zusammenbraut oder bei einem Menschen sich irgendwas verändert oder irgendeiner auffällig wird oder Taten geplant werden“. Einen Wahrsagedienst besitze er nicht, aber eine Prophezeiung macht er dann merkwürdigerweise doch: „Es wird immer solche Situationen auch weiter geben, befürchte ich.“ Taten, bei denen einer „warum auch immer“, meint, „er müsste sich heute so benehmen“.

In der Tat ist Reuls Innen-Dienst nur das Pflaster, nachdem die Wunde schon geschlagen ist. Auch die NRW-Polizeiarbeit ist nur die Schmerztablette, nachdem der blaue Fleck, die Prellung oder der Bruch schon sitzen. Und hier gilt: Im Zweifel kann so ein Mittel sogar die richtige Diagnose verhindern. Es stellt die Schmerzen ab, die dem Verletzten sagen, wo sein Problem liegt. Der Behandelte wird ein Stück weit orientierungslos und indolent. Er weiß nicht mehr, was ihm wehgetan hat und warum. Das ist das Pflaster nach dem Desaster.

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Kommentare ( 167 )

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Freigeist63
2 Monate her

In den letzten Jahren hat/haben die Regierung(en) alles unternommen, und unterlassen unser Rechtssystem oder Gesellschaft zu stärken. Das Gegenteil ist der Fall. Unser Rechtssystem wird ausgehöhlt, die Gesellschaft ideologisch umgeschult. Unsere Gerichte funktionieren noch in der dritten und oberen Instanz. Wer es sich entsprechend leisten kann. In den letzten Jahren wurden Viele Menschen ermordet, die verhindert hätten werden können. Aktuell besteht in der Bevölkerung das „gesicherte“ Wissen, das unsere Politik die Kontrolle verloren hat. Ich habe, selbst zu Bader-Meinhoff Zeiten, nie einen solchen selbstherbeigeführten Zustand erlebt. M.E. sind wir an dem Artikel 20 Abs. 4 GG noch nie so nah… Mehr

A.G.
2 Monate her

Erstmal, sollte alles echt sein, herzliches Beileid an alle Hinterbliebenden und den Opfern gute Besserung und vollständige Genesung! Was könnte sich zugetragen haben? 1. Alles ist so, wie man uns sagt. 2. Der Attentäter ist vom System und hat es im Auftrag des Systems gemacht oder wurde vom System missbraucht und instrumentalisiert. 3. Es ist alles vom System und den Diensten inszeniert. Was macht mich stutzig? – Ich vermisse zahlreiche Handyvideos, die die Tat zeigen, wo so viele Menschen waren, die alle mit dem Handy filmten. – Auf so einem Fest ist überall Polizei aber niemand hat eingegriffen und der… Mehr

Teiresias
2 Monate her

Sie spielen wie immer erst auf Zeit – diesmal mindestens bis nach den Wahlen – dann wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben.
Vielleicht haben sie Glück und es passiert etwas spektakuläres wie ein Flugzeugabsturz oder der Krieg gegen den Iran geht los.
Passiert nichts, denkt man sich was aus. Vielleicht irgendwas mit Affenpocken.
In spätestens 10 Tagen ist der Täter dann traumatisiert, psychisch krank und wurde nur gewalttätig wegen unterlassener Hilfeleistung seitens der rassistischen deutschen Gesellschaft, die sich gefälligst schämen soll.
Schuldumkehr gehört zum Spiel.

Nibelung
2 Monate her
Antworten an  Teiresias

Eigentlich ein armer Wicht, wenn man das Bild betrachtet und sie haben sich zu Gefangenen der Merkel`schen Idiologie und Unsicherheit gemacht, wo sie derzeit nicht mehr in der Lage sind sich davon zu trennen und neue Wege zu beschreiten, denn machen sie es nicht werden sie vom Zug der neuen Zeit überfahren, denn der Schein trügt gewaltig und noch bleibt die Faust in der Tasche, was sich ändern wird, je mehr sie sich über ihrer Handlungen am Bürger versündigen.

EinBuerger
2 Monate her

Reul ist auch so ein Typ wie Kauder und andere alte CDU-Typen. Die mitmachen und dem einfachen Publikum irgendeine alte BRD vorgaukeln.
Ich finde einen Lauterbach, eine Fäser, eine Baerbock, etc wesentlich besser. Die sind wie die Politik, die sie verkörpern. Das ist ehrlicher.

Kassandra
2 Monate her
Antworten an  EinBuerger

Tja. Schade, dass man deren wachsenden Reichtum über die Jahre nicht mitverfolgen kann. Und auch nicht, aus welchen Quellen der stammt.

Peter62
2 Monate her

Tja, der Verfassungsschutz. Der beobachtet zum Glück die Messerstecher von der AFD, weswegen die auch nicht mehr zum Zuge kommen.

abel
2 Monate her

1-Woche vor den Wahlen im Osten wird bestimmt nicht viel von den MSM kommen wegen der gestrigen Bluttat.

Anne W
2 Monate her

„Ruhe halten und bewahren“, ist das übliche Beruhigungsmittel für Duckmäuser und ängstliche Mitläufer.

Bewährt hat sich : Laut sein! Schreien.
Auf sich aufmerksam machen.

Auch wenn keiner sofort, spontan hilft, stehen Täter und Opfer im Mittelpunkt.

Hat sich bereits zweimal in einem U Bahnhof für mich bewährt!

Nicht ruhig sein. Reul, halte die Kl… .
Sondern laut und lauter! Überall, bitte.

Last edited 2 Monate her by Anne W
verblichene Rose
2 Monate her
Antworten an  Anne W

Ich will ehrlich sein.
Ich weiss nicht, ob ich Ihnen hätte helfen können.
Aber laut zu sein hilft vielleicht dabei, dass ich nicht nur eine große Klappe habe 😉
Ihnen daher weiterhin alles Gute. Und hoffentlich kommen wir beide niemals mehr in solch eine Situation.

abel
2 Monate her

Von Herrn Reul hatte ich früher einmal Respekt, aber vielleicht liegt es ja an seinem Boss daß da nur heiße Luft abgesondert wird wenn es um die Verbrechensbekämpfung in NRW geht.

Privat
2 Monate her

Meine Meinung – macht dem endlosen wie fürchterlichen Zustand ein Ende und wählt die A F D
Damit Deutschland wieder normal wird.

abel
2 Monate her
Antworten an  Privat

Kann ich nur unterstützen und wird auch sicherlich noch so kommen. Die Frage lautet nur: Dauert es noch Monate, 1-Jahr oder mehr als 1-Jahr. Am Ende werden die Bürger die innere Sicherheit von der Regierung einfordern.

Kermit
2 Monate her

Acht Jahre liegen zwischen dem Breitscheidplatz und Solingen. Acht lange Jahre, in denen sich Morde und Gruppenvergewaltigungen wie an einer Perlenschnur aneinander reihen. Immer ist das polit-mediale Komplott zutiefst betroffen und … Blablablupp. Ich mag Herrn Reul und seinen Helfershelfern das aufgesetzte Mitgefühl, diese ekelerregende Wiederholung der immer gleichen Satzbausteine, nicht mehr abnehmen, mag dieses an Zynismus grenzende Gewäsch nicht mehr hören. Ich frage mich aber schon länger, was sich all die Faesers davon versprechen, wenn sie die offensichtlich zu Tage liegenden Ursachen für die zunehmende Gewalt im öffentlichen Raum verdrängen. Ist es die Angst vor der Einsicht, völlig versagt… Mehr