Silvester-Randalierer – Politik und Medien pflegen den blinden Fleck
Matthias Nikolaidis
Video-Dokumente belegen und Anwohner wissen es: Die Neujahrsrandalierer in vielen Städten, vor allem den multikulturell überformten Vierteln der Hauptstadt, gehören einer sehr speziellen Klientel an. Viele Politiker und Meinungsmacher fordern lieber ein Böller- oder Alkoholverbot, statt das eigentliche Problem anzugehen.
Nach dem subjektiven Empfinden – objektive Daten gibt es dazu kaum – ist das Böllern in der deutschen Hauptstadt nicht mehr das gleiche wie noch vor einigen Jahren. Insgesamt ist es weniger geworden, vor allem die schönen Lichtspiele scheinen rückläufig. Gleich geblieben ist die Knallerei und alles, was erschrecken kann. Man könnte jetzt folgern, das deutsche Bildungsbürgertum ziehe sich aus dem Brauch zurück, setze in vorauseilendem Gehorsam das immer öfter geforderte „Böllerverbot“ um, während andere Unruhestifter die Feuerwerkskörper – aber auch alles andere, dessen sie habhaft werden – zur Waffe umfunktionieren.
Das bezeugen Erlebnisse, Bilder, O-Töne und Meinungen, die in den sozialen Medien geteilt und geäußert werden. So meint der Islam- und Integrationsexperte Ahmad Mansour, man solle nicht über ein Böllerverbot diskutieren, sondern „über den zunehmend respektlosen, ja, sogar feindlichen Umgang mancher Jugendgruppen mit Uniformierten“ – vor allem in der Hauptstadt, die die radikalsten Bilder der neuen Realität lieferte. Da brannten Mülltonnen und ein ganzer Reisebus, die Kräfte der Feuerwehr und Rettungswagen waren weniger im Einsatz als auf der Flucht, etwa in dieser emblematischen Szene.
Da brannten Mülltonnen und ein ganzer Reisebus (in der berüchtigten High-Deck-Siedlung in Neukölln), die Kräfte der Feuerwehr und Rettungswagen waren weniger im Einsatz als auf der Flucht, etwa in dieser emblematischen Szene, in der der Innenraum eines Rettungswagens wahllos mit Gegenständen beworfen wird. Dass ein Böllerverbot wie seit einiger Zeit in der Diskussion – vielleicht angereichert durch ein grünes Alkoholverbot, bei gleichzeitiger Cannabis-Legalisierung – das Problem dieser gewaltvollen Silvesternacht vermieden hätte, bezweifeln indes auch viele.
Die vermiedene Zuwanderungsdebatte sucht die Eliten heim
Mit Pistolenschüssen (Schreckschuss oder Ernsteres?) wird nicht gespart. In manchen Videos hört man die enthusiastischen Kommentare der enthemmten „Partymacher“: „Alles brennt.“ In einem von vielen Medien versendeten Ausschnitt, zertrümmert ein Jugendlicher in weißer Kapuzenjacke eine Berliner Bushaltestelle – komplett unter Einsatz eines Feuerlöschers.
Sogar Polizeiwagen passen in das Angriffsschema der Partymacher.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) witterte prompt Staatsdelegitimierung hinter den „Chaoten und Gewalttätern“ und kündigte ein „hartes Durchgreifen“ an. Es sei eine „bittere Bilanz“, ein Ausmaß an Gewalt, das die Ministerin „fassungslos und wütend macht“. Die verschärften Strafvorschriften zum Schutz von Polizei- und Rettungskräften will Faeser konsequent angewandt wissen. Aber lenkt die Polizeiministerin Faeser damit nicht von der Destabilisierung des Gemeinwesens ab, die sie und ihresgleichen jahrelang in Gestalt einer grenzenlos laxen Zuwanderungspolitik zugelassen hat?
„Partyszene“ gibt sich ein Stelldichein – in Berlin und NRW
In Berlin gab es mehr als 100 Festnahmen, aber auch aus Nordrhein-Westfalen berichtet der WDR von 42 verletzten Polizeibeamten im gesamten Bundesland (Vorjahr: 23). Hier wurden 233 Menschen in Gewahrsam genommen: auch in dieser Hinsicht fast ein Anwachsen auf das Anderthalbfache der Vorjahreszahl. Zur offenen Randale kam es in Essen, Hagen, Duisburg und Bonn.
In Berlin wurden teils auch die Hoheitszeichen fremder Staaten (hier wohl der albanische Doppeladler) mit Pistolenschüssen verbunden. Der interviewte Fachmann dürfte sich fragen lassen, ob all das noch normal sei.
Besonders betroffen: Die von jahrzehntelanger Zuwanderung – vor allem aus Ländern Westasiens – betroffenen Berliner Stadtteile Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg. Immer wieder sieht man die typische Klientel dieser Straßenzüge (Sonnenallee und andere), hört sie teils in ihrer Muttersprache reden. Manchmal begann es mit dem normalen Böllern, vielleicht in engen Gassen – doch am Ende wurden auch in Schöneberg „Pyros“ auf Passanten und Einsatzkräfte geworfen. Für die neuen sozialen Medien werden besonders spektakuläre Angriffe sorgfältig dokumentiert – von den Tätern oder ihren Genossen.
Allen, die es episch mögen, sei ein Video empfohlen, in dem auch migrantische Anwohner das Geschehen nicht mehr für normal halten. „Meiner Meinung nach ist Politik scheiße, immer hier. Warum so? Hier ist Deutschland. Lebst du hier – bisschen aufpassen, oder?“, sagt ein Mann mittleren Alters dem Reporter (Minute 9:30).
Das Normale endet für jeden offenkundig, wenn nicht mehr nur der Raketenschweif brennt, sondern auch das „Stadtmobiliar“ samt privaten Autos. Da geht Party in „Partyszene“ über. Durch die Mischstruktur der Berliner Bezirke kam es aber auch im zentralen Charlottenburg zu Wagenbränden.
In Neukölln wurden Feuerwehrkräfte mit Feuerwerkskörpern angegriffen. Sie konnten nur dank Polizeischutz weiterarbeiten. „Wir sichern die Brandbekämpfung jetzt mit zusätzlichen Einsatzkräften“, berichtet die Berliner Polizei dazu. Laut Landesbranddirektor Carsten Homrighausen wurden Feuerwehrwagen in 14 Fällen zum Opfer von massiven Angriffen und Plünderungsversuchen durch „vermummte Personen“. 15 Einsatzkräfte seien verletzt worden. Durch wen, sagt auch Homrighausen nicht so genau.
Wie immer nach Silvester gibt es auch Berichte von Feuerwerkskörpern, mit denen unvorsichtig und fahrlässig umgegangen wurde, wodurch Menschen sich verletzten oder Gliedmaßen einbüßten. Auch zu höchst bedauerlichen Todesfällen. Diese Unfälle fallen aber eindeutig in die Verantwortung des Einzelnen und der Erziehungsberechtigten. Was aber nicht dazu passt, sind Angriffe auf die Rettungsinfrastruktur wie in diesem Fall: Einem Rettungswagen in vollem Einsatz wird mit einem Feuerlöscher die Frontscheibe eingeworfen.
Lauterbachs gelöschter Tweet und aufschlussreiche Bilder
Die von Ahmad Mansour angestoßene Debatte über „manche Jugendgruppen“ wird auch von anderen geführt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) zitiert in einem Tweet aus Medienberichten: „Polizisten und Feuerwehrleute ‚unter Beschuss genommen‘ – erschreckend und nicht hinnehmbar! Ein solches Ausmaß an Gewalt sollte Politik mehr interessieren als ein ‚diskriminierungssensibler Sprachgebrauch‘!“
Teils zeigte sich eine wirklich bunte Mischung von Jugendlichen enthemmt – und hinderte so auch die Berichtskräfte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an der Ausübung ihrer Pflichten. Vielleicht wirkten hier auch die Corona-Einschränkungen noch mit, die ausgelassenes Feiern der Jugend in den letzten beiden Jahren erschwert haben.
Auch die (durch welche Umstände auch immer verursachte) Löschung eines kritisch-repressiven Tweets von Gesundheitsminister Karl Lauterbach könnte tief blicken lassen. Die „Partyszene“ dieses Jahreswechsels sollte vielleicht nicht zu sehr ins Visier der Öffentlichkeit geraten. Wörtlich schrieb Lauterbach: „Eine Schande, dass eine kleine Gruppe von Chaoten gerade die Rettungskräfte angreift. Ich danke allen, die Verletzten und Kranken in dieser Nacht geholfen haben. Rücksichtslose Gefährdung der Rettungskräfte sollte ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein.“
Eine „kleine Gruppe von Chaoten“? Das man könnte man freilich für eine Verharmlosung halten. Jedenfalls ist es eine wachsende Gruppe. Daneben fragt sich, wo die gekündigten Chaoten danach eigentlich leben sollen? Sollte man sie am Ende des Landes verweisen? Die Neujahrsrandalen bringen damit schon den zweiten SPD-Minister in sanfte Bedrängnis. Aber noch funktioniert die Realitätsverdrängung. Sie nimmt nur immer absurdere Formen an.
Aufschlussreich könnte dieses friedliche Bild von den Hamburger Landungsbrücken kurz vor Mitternacht sein. So sehen inzwischen viele deutsche Innenstädte und Bahnhöfe an Silvester aus. Die Polizei reagiert vielerorts mit einer massiv gesteigerten Präsenz. Aber sobald die Neuankömmlinge unter sich sind, entsteht leicht eine eigene Dynamik, die sich in den einschlägigen Vierteln schon seit Jahren aufbauen konnte.
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