Siemens-Chef Joe Kaeser: Schmeichler der Machthaber

Wenn sich Siemens-Chef Joe Kaeser politisch äußert - und das tut er bekanntlich oft - brauchen sich die Regierenden keine Sorgen zu machen. Nicht nur die in Berlin nicht - auch nicht die in Peking.

A. Hosbas/Anadolu Agency/Getty Images

Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser gibt sich gerne als Mann mit moralischen Prinzipien. Als er erfuhr, dass zwei Siemens-Mitarbeiter in Karlsruhe vor seinem dortigen Besuch einen Untergebenen mit blau gefärbten Haaren angewiesen hatten, ihm – also Kaeser – lieber nicht unter die Augen zu kommen, hat der Konzernlenker per Tweet ein öffentliches Exempel statuiert. Die beiden Vorgesetzten müssen zum Nachsitzen („diversity training“). Sie sind womöglich noch Relikte aus prä-kaeserianischen, weniger diversen Siemens-Zeiten.  

Zu Kaesers persönlichen „guiding principles“ gehört offenbar auch, was Berliner Politiker „klare Kante gegen rechts“ nennen. Das beliebte Diskurs-Spielchen, dem anderen etwas Abscheuliches in den Mund zu legen, was der gar nicht gesagt hat („Bund deutscher Mädel“), exerzierte Kaeser im Mai an der AfD-Politikerin Alice Weidel vor:  

Geht es allerdings nicht um blaue Haare in Karlsruhe oder eine Oppositionspolitikerin in Berlin, sondern um Demokratie und Freiheit in China, scheint Kaeser sehr viel weniger prinzipienfest zu sein. Nach der gemeinsamen China-Reise mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die von den Demokratie-Protesten in Hongkong überschattet wurden, äußerste sich Kaeser in einem Interview jetzt ausgesprochen rücksichtsvoll gegen die Herrscher in Peking. 

„Wenn Arbeitsplätze in Deutschland davon abhängen, wie wir mit brisanten Themen umgehen, dann sollte man nicht die allgemeine Empörung verstärken, sondern überlegt die Positionen und Maßnahmen in allen Facetten abwägen“, sagte Kaeser in einem Interview dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Man solle doch bitteschön unterschiedliche Positionen „überlegt und respektvoll“ vorbringen. „Wir können deshalb gegenseitig auch klar Positionen beziehen und dabei kulturelle Besonderheiten im Umgang miteinander respektieren.“ Unter „kulturelle Besonderheiten“ verbucht Kaeser ganz offensichtlich die Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas samt ihrer Menschenrechtsverletzungen. Und die „Arbeitsplätze in Deutschland“ dürften ein verklausulierter Hinweis darauf sein, dass China für Siemens einer der wichtigsten Absatzmärkte ist. 2018 bestellten chinesische Kunden Waren im Wert von 8,5 Milliarden Euro (plus 15 Prozent) bei Siemens. In Deutschland verkauft Siemens für 11,3 Milliarden Euro (minus 20 Prozent). 

Da hat Kaeser möglicherweise ebenso der Mut zu den vermeintlichen Prinzipien verlassen wie im vergangenen Jahr gegenüber dem islamistischen Regime der Saudi-Dynastie in Riad. Nach dem Bekanntwerden des bestialischen Mordes im Saudi-Auftrag an dem kritischen Blogger Khashoggi hatte Kaeser zunächst abgewiegelt und wollte dennoch an einer Konferenz in Riad teilnehmen. Erst anschwellende öffentliche Empörung veranlasste ihn zur Absage.     

Auch wenn es um den türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan geht, wählt Kaeser seltsam prinzipienweiche Worte. Als ihn der monatelang in der Türkei inhaftierte Welt-Reporter Denis Yüzel kürzlich kritisierte, antwortete Kaeser auf Twitter mit diesen Sätzen: 

Ist es nun Kaesers berüchtigte Vorliebe für Anglizismen (die selbst vor dem eigenen Namen – ursprünglich Josef Käser – nicht haltmachte), die ihn dazu bringt, Erdogan und sein Regime mit dem harmlosen PR-Begriff „Leadership“ zu benennen? Oder will er möglicherweise lieber nicht vorbelastet zum nächsten Verkaufsgespräch beim großen Leader in Ankara erscheinen? Welche Fakten in Yücels Artikel nicht stimmten, ließ Kaeser übrigens unbeantwortet. 

Aber nicht nur Kaesers Sanftmut gegenüber autoritären Regimen ist bezeichnend. Besonders angetan hat es ihm offensichtlich die Bundesregierung. Dass sich ein Vorstandschef gerne mit der Kanzlerin ablichten lässt, nun, das mag man als stinknormale Eitelkeit eines Alpha-Männchens durchgehen lassen. Aber muss ein Konzernchef auch Tweets des Regierungssprechers weiter verbreiten, die nichts mit seinem Unternehmen zu tun haben? 

Die Verleihung der Ehrendoktorwürde für Angela Merkel in Harvard und deren gewohnt merkelige Rede quittierte Kaeser mit einer triefenden Lobhudelei:

Immerhin bedenkt Kaeser aber nicht nur die Kanzlerin persönlich, sondern auch den Außenminister von der ehemaligen Volkspartei SPD. Ganz besonderes Lob hat Kaeser für Heiko Maas übrig. Aus einer Maas-Rede hält Kaeser laut Tweet für besonders erwähnenswert diesen Satz: „Es kommt darauf an, dass WIR Multilateralismus gestalten.“ Solche Sprechblasenfüllungen produzieren Maas und seine Pressereferenten vermutlich im Schlaf.

Wenn er nicht gerade Berliner Regierungspolitiker lobt oder Verständnis für solche in Peking einfordert, so setzt sich Kaeser – seinen Tweets nach zu urteilen – für kaum etwas mehr ein als für diversity, gender equality und ganz generell dafür, die Welt besser zu machen. Dazu gehört auch ein Twitter-Bekenntnis zu Carola Rackete: 

Holger Steltzner, der vor kurzem geschasste Wirtschafts-Herausgeber der FAZ, nannte Kaeser nach dessen Reaktion auf den Khashoggi-Mord einen „politischen Geisterfahrer“. Das Bild ist aber vielleicht nicht so passend. Geisterfahrer fahren schließlich gegen den Verkehrsstrom und riskieren dabei ihr Leben. 

Wenn man aus den öffentlichen politischen Äußerungen Kaesers ein Bild vom politischen Denken dieses Mannes destillieren wollte, könnte man zu diesem Schluss kommen: Kaeser äußert sich stets im Sinne des bequemsten Weges, er schwimmt aalglatt mit dem Strom, sagt genau das, was ihm am bequemsten ist – und Geschäftsabschlüssen nicht im Wege steht. Die politischen Äußerungen Kaesers zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie nicht das geringste Risiko für ihn bedeuten. Seine Devise scheint zu sein: Sag, was den Mächtigen und dem medialen Mainstream gefällt, stell dich niemals gegen sie. Also das genaue Gegenteil von „principles“.

Für einen Konzern wie Siemens, der einen Großteil seiner Geschäfte mit Staaten und öffentlichen Institutionen macht, sind gute Kontakte zur Politik besonders geschäftsrelevant. Sie zu pflegen, ist nicht per se unmoralisch. Aber unmoralisch ist es, die Öffentlichkeit durch moralische Heuchelei dafür in Beschlag zu nehmen. Auf die Dauer leidet darunter auch die Glaubwürdigkeit des Unternehmens.

Bezeichnend für den politischen Kommunikator Kaeser ist, dass er sich auf Twitter selbst zitiert mit dem Satz: „A Company which does not serve society, should not exist.“ Nun, das ist eine Aussage, der man durchaus zustimmen kann. Im Grundgesetz ist das etwas knapper und schöner formuliert: „Eigentum verpflichtet“, steht da. Dieser Verpflichtung kommt man allerdings nicht dadurch nach, dass man andauernd davon spricht.

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