Senftleben: Blockparteien-Nostalgie

Die CDU Brandenburgs mäandert im Wahlkampf mit einem farblosen Spitzenkandidaten und vermag aus der Schwäche der SPD kein Kapital zu schlagen. Man kann kaum glauben, dass diese CDU einst von Jörg Schönbohm geführt wurde.

imago/Jakob Hoff

Im Herbst wird in Brandenburg gewählt. Stellt man eine Fehlertoleranz von +/- 3% in Rechnung, dann liegen nach jüngsten Prognosen SPD, CDU und AfD gleich auf. Die Regierungspartei „Die Linke“ wird um die 17 % verortet. Die SPD, die seit der Neugründung des Landes nach der Wende den Regierungschef stellt, ist personell und inhaltlich verbraucht. Sie benötigt eine Auszeit auf der Oppositionsbank. Eine günstigere Ausgangssituation für die CDU lässt sich also nicht denken. Nie war Siegen leichter. Und es kann sogar so kommen, dass Ingo Senftleben, der nicht auf Sieg, sondern auf Platz setzt, Regierungschef in Brandenburg wird – und zwar als Chef einer dunkelrotschwarzen Koalition, einer Koalition aus CDU und Die Linke.

Nun lassen sich recht realistische Gedankenspiele darüber anstellen, was geschieht, wenn eine in Brandenburg inzwischen regierungsunerfahrene CDU auf eine regierungserfahrene und in der Auseinandersetzung mit der SPD sogar noch gestählten Linken trifft. Wer in dieser Koalition Koch oder wer Kellner sein würde, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Aber vielleicht fehlt sogar der Stoff zum Drama, denn des Senftleben Hauptziel scheint allein darin zu bestehen, Ministerpräsident zu werden, Inhalte zählen da wohl nicht allzu viel.

Die Vorstellungen in der Bildungspolitik von Linken und CDU erinnern jedenfalls an das Arbeiterkampflied: „Wann wir schreiten Seit an Seit/und die alten Lieder singen.“ Mit den Linken ist er sich schon heute einig, dass die zehnjährige Gesamtschule zu Lasten der Gymnasien favorisiert werden soll. Soviel DDR reloaded war nie. Dass die CDU das Lieblingsprojekt der Brandenburger Linken, die Benachteiligung und systematische Marginalisierung der bürgerlichen Gymnasien mit dem Ziel ihrer Auflösung übernimmt und hierin den Linken liebedienerisch hinterherläuft, ist ein Skandal. So stellte die Spitzenkandidatin der Linken, Kathrin Dannenberg, gut klassenkämpferisch klar: „Wir prangern dieses gegliederte Schulsystem an, welches viel zu früh über Lebenswege und Lebenschancen entscheidet und wir wollen eine andere Schule – eine Schule, in der Kinder gemeinsam lernen, sich entwickeln können, ohne Leistungs- und Notendruck – das haben wir mit unserem Konzept zur Umsetzung der Gemeinschaftsschule in Brandenburg deutlich gemacht.“

Ingo Senftleben übernimmt und übersetzt die Forderung der Linken für die CDU nach einem Bericht der Schweriner Volkszeitung so: „Außerdem plädierte Senftleben für gemeinsames Lernen. Gute Schulpolitik mache es möglich, dass Zwölfjährige mit ihren Freunden zusammenbleiben und nicht auf verschiedene Schulformen verteilt werden ...“ . Übrigens war Ingo Senftleben 2012 noch der Meinung, Einheitsschulen seien der falsche Weg. Tempi passati. Vorbild für Ingo Senftleben und für Kathrin Dannenberg von den Linken ist das Einheitsschulsystem der DDR. Vorwärts Genossen, wir müssen zurück.

Dass jemand, der so wenig von Bildung versteht, ausgerechnet Bildung zum Wahlkampfschwerpunkt macht, würde zumindest Erstaunen auslösen, wenn es um Inhalte ginge. In der Frage „Ehe für alle“ und in der Bewertung der sogenannten Schülerproteste unterstützt Senftleben – ebenfalls ohne tiefere Einsichten in die Klimaproblematik und wie zu befürchten steht, in naturwissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge – die Fridayforfuture Bewegung Seit an Seit mit den Genossen. Kompatibel zu ihnen ist er auch in der Flüchtlingsfrage. Wenn man in dieser Situation spotten wollte, könnte man meinen, die CDU Brandenburgs wünscht sich nichts sehnlicher die Existenz als Blockpartei der SED-Nachfolger zurück, die auch unter einem Ministerpräsidenten Senftleben die Marschrichtung im Land vorgeben würde.

Das Hamburger Blatt hat nun in einem Porträt des selbst in Brandenburg noch recht unbekannten Spitzenkandidaten der CDU, wie die ZEIT süßsauer spottet, bereits wohlig geraunt, dass Senftlebens Vorhaben „Sprengraft“ berge, weil es „die politischen Koordinaten verschieben“ würde. Das allerdings würde der ZEIT-Redaktion gefallen: „Was zunächst nur den Landtag in Potsdam betrifft, könnte mittelfristig Folgen für die gesamte Bundespolitik haben. Senftleben ist bereit, ein Tabu zu brechen. Er hat angekündigt, nach der Landtagswahl im Herbst notfalls eine Koalition mit der Linken einzugehen.“ Zudem schätzt die ZEIT ein, „klingen“ Senftlebens Botschaften „eher linksliberal als erzkonservativ“. In der Bildungspolitik nicht einmal das, sondern nur links, denn verringerte Wahlchancen, das Einheitsschulmodell kann man kaum als liberal ansprechen.

Da hilft es wenig, wenn sich der Landesvorsitzende hinter einem angeblichen Franz-Josef-Strauß-Zitat versteckt, das eigentlich von dem preußischen Reformer Gerhart von Scharnhorst stammt: „Tradition heißt, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Scharnhorst verwandte es im Zusammenhang mit seiner Militärrefom, die einen Schritt in Richtung allgemeine Wehrpflicht, hin zu einer Bürgerarmee machte, eben jene allgemeine Wehrpflicht, die von einer CDU-Regierung im Bunde mit den Sozialdemokraten mit dem Ergebnis abgeschafft wurde, dass Deutschland nicht mehr verteidigungsbereit ist. Tatsächlich hatte Strauß gesagt: „Konservativ heißt, auf dem Boden des christlichen Sittengesetzes in der weitest möglichen Form seiner Auslegung mit liberaler Gesinnung an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.“ Diejenigen, die wie Senftleben Scharnhorsts oder Straußens Diktum zitieren, übersehen die Pointe der Zitate, denn wer an der Spitze des Fortschritts steht, bestimmt auch, was Fortschritt ist. Davon ist Senftleben weit entfernt.

Aber auch das ist nicht weiter wichtig, weil Jan Redmann, der parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Landtag in Brandenburg ist und den die ZEIT ohne Namensnennung einen „Vertrauten Senftlebens“ nennt, auf einem Podium definiert hat, dass er konservativ sei und deshalb alles das, was er mache, nur konservativ sein könne. Und da der Senftleben-Vertraute glühend für die „Ehe für alle“ eintritt, ist eben auch die „Ehe für alle“ konservativ. So war es Redmann, der „kürzlich“ als „Senftleben-Vertrauter im Landkreis Ostprignitz ein schwarz-dunkelrotes Bündnis gezimmert“ hat, wie die Hamburger Postille jubelt.

Allerdings vergaß die ZEIT, in ihrer Begeisterung zu erwähnen, dass dieses Bündnis nicht erfolgreich war, denn nicht alle Abgeordneten des von Redmann geschmiedeten Bündnisses wählten den CDU-Kandidaten – wie ausgemacht, so dass anders als die ZEIT den Eindruck erweckt, im Landkreis Ostprignitz kein CDU-Politiker als Landrat agiert, der sich auf ein schwarz-dunkelrotes Bündnis stützt , sondern weiter der SPD-Amtsinhaber die Geschicke des Landkreises führt.

Zwar gibt die ZEIT Senftlebens Position richtig wieder, doch verharmlost sie den Widerstand, der in der Landespartei gegen eine Koalition aus CDU und der Linken existiert. Und sie verschweigt überdies, dass aus diesem Grund ein Parteitagsbeschluss existiert, nach dem letztlich eine Mitgliederbefragung über die Koalition stattzufinden habe. Die ZEIT porträtiert Senftleben nicht nur, sie hat anscheinend ein großes politisches Interesse daran, dass sich „die politischen Koordinaten verschieben“. Journalismus als Propaganda.

Allerdings könnte sich dieser Beschluss als Papiertiger erweisen, denn ob am Ende die Mitglieder der CDU im Land Brandenburg sich wirklich gegen die Regierungsübernahme auch im Verein mit den Linken stellen wird, das ist doch sehr die Frage. Jedenfalls scheint Senftleben darauf zu setzen, mit dem Argument der Macht, endlich regieren zu können, auch diese Koalition von der Partei abgesegnet zu bekommen.

Der Wahlabend könnte jedoch auch zeigen, dass alle diese Überlegungen von der Realität überholt worden sind, wenn Senftlebens Platzwette nur auf einen kleinen Platz hinausläuft, wenn also die CDU die Marke 20 % nicht übersteigen wird. Geben es die Zahlen her, wird in Brandenburg ohnehin eine rot-rot-grüne Koalition das Land regieren. Schuld daran wäre der hasenfüßige Wahlkampf des Spitzenkandidaten der CDU, der nicht Themen und Positionen vertreten, sondern moderieren will. Brandenburg benötigt aber keinen Landespräsidenten, sondern einen Ministerpräsidenten. Nur auf „gute Ideen und sinnvolle Vorschläge“, „egal von wem sie stammen“   zu warten, ist bei weitem zu wenig. Wer sich in Floskeln verliert wie, „keinen Ruck nach links, keinen Ruck nach rechts, sondern einen Ruck nach vorn“ zu wollen, wird die Wähler weder erreichen, noch mobilisieren.

Auch wenn Sentfleben es gern so wahrnehmen möchte, dass der heftigste Widerstand gegen Schwarz-dunkelrot aus Westdeutschland käme, und die Werteunion nicht zu schätzen scheint, weil sie es wagt, Senftlebens Idol Merkel zu kritisieren und schlimmer noch, für christdemokratische Werte eintritt, ist die Aversion gegen dieses Bündnis in Ostdeutschland doch sehr ausgeprägt.

Die ZEIT zitiert Ingo Senftleben mit den Worten: „Ossi zu sein ist für mich kein Makel, sondern ein Gütesiegel“. Der Spitzenkandidat sieht sich – und hier ist das Detail, der Zungenschlag wichtig – nicht als Ostdeutscher, sondern nur als „Ossi“. Doch als Ostdeutscher kann man nicht Ossi sein. Den Unterschied kennt Senftleben anscheinend nicht – und darin liegt das tiefere Problem.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 35 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

35 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
TarlCabot
5 Jahre her

Wenn die CDU-Brandenburg wirklich ein Tabu bricht und mit den Linken regiert, würde ich das eher positiv bewerten. Nun gut, ich lebe auch nicht in Brandenburg. Der Tabubruch auf der einen Seite, könnte aber auch den auf der anderen Seite erleichtern und die CDU könnte sich endlich mit dem Gedanken einer Zusammenarbeit mit der AfD anfreunden. Das würde ich sehr unterstützen!

Fundamentiert
5 Jahre her
Antworten an  TarlCabot

Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.

elly
5 Jahre her

Die ZEIT scheint mir zum Presseorgan der Grünen verkommen.

Teufelskralle
5 Jahre her

Der Herr Senftleben (CDU!) will also mit den Nachfolgern der Partei koalieren, die vor 1989 ihre Kritiker ins Gefängnis warf und Menschen, die ihren Machtbereich verlassen wollten, mit dem Tod bedrohte oder sogar umbrachte. Diese Nachfolger solidarisieren sich heute mit Regimes und deren Ideologie (falsch als Religion geflaggt), die das heute noch genauso tun wie sie selbst vor 1989. Das zusammen mit diesen Leuten auf allen parlamentarischen Ebenen abgestimmt wird und sogar zusammen mit denen regiert wird, ist kein Stein des Anstoßes. Nur wenn es beim Namen genannt wird, dann ist das Hetze, Rassismus, Nazi, Faschismus usw. Das ganze nennt… Mehr

Ulrich
5 Jahre her
Antworten an  Teufelskralle

Herr Senftleben als „Ossi“ ist sicher ein Mitglied der CDU, die bis 1989 als größte Blockpartei Seit‘ an Seit‘ mit der SED schritt. Ich habe es nie verstanden, wie man nach der Wende die Blockparteien samt Vermögen problemlos als „Westparteien“ ansehen konnte.

Joerg.F
5 Jahre her

Was wäre denn die Alternative, ok die Alternative aber die kommt nun mal „nur“ auf plusminus 20 % , wobei ich mir wünschte, dass die Wessis schon mal soweit wären. So gesehen sind Brandenburger vorbildlich. Ja nu mei, der o.g. ist ein Depp aber der wird keinen Schaden anrichten, denn bei dem reichts ja nicht mal dazu. Aber der ist allemal besser als das Grüne Pendant….komme gerade nicht auf ihren Namen….irgendwas mit Anal…, die ist nicht nur dumm sondern auch noch gefährlich. So gesehen gehört das was uns da erwartet zu dem was wir in Bund und Land ja schon… Mehr

Ostfale
5 Jahre her

Nur hat Helene Fischer bis zu dem Zeitpunkt, da sie niemand mehr sehen will bzw. wollte nicht einen Deut des Schadens und der Zerstörung angerichtet, den Bärbock, Habeck und Konsorten schon bis jetzt verzapft haben.

berlden
5 Jahre her

Zitat der Spitzenkandidatin der Linken, Kathrin Dannenberg: „Wir prangern dieses gegliederte Schulsystem an, welches viel zu früh über Lebenswege und Lebenschancen entscheidet und wir wollen eine andere Schule – eine Schule, in der Kinder gemeinsam lernen, sich entwickeln können, ohne Leistungs- und Notendruck – das haben wir mit unserem Konzept zur Umsetzung der Gemeinschaftsschule in Brandenburg deutlich gemacht.“ Schade, dass die Linke nur einen kleinen Teil von dem verrät, was ihre Partei wirklich vorhat. Sie könnte doch erklären, dass sie sich die Möglichkeit wünscht, die Schüler noch mehr und bestenfalls ganztags zu indoktrinieren. Das hat schon 40 Jahre lang und… Mehr

Coder
5 Jahre her

Wenn Herr Senftleben so gerne der SED hinterher rennt und die „Ehe für alle“ befürwortet und sich damit auch noch in Strauß‘ Fußstapfen sieht, dann zitiere ich FJS einmal:
„Ich bin lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder.“

Tee Al
5 Jahre her

Ich bin Brandenburger Wähler, sogar ein westdeutscher Wahlossi, seit einem Jahr. Ich weiss, welche Parteien ich nicht wähle. Es gibt nur eine Farbe der Hoffnung momentan.

Berlindiesel
5 Jahre her

Im Falle Brandenburgs kommen viele Dinge zusammen, die das Land so gemacht haben wie es heute ist. Zum einen unterschätzt man (im Westen) häufig, dass die ostelbische Provinz in der DDR keineswegs der Verlierer gewesen war. Das Bürgertum war auch vor 1945 urban, die großen Fluchtbewegungen vor 1961 kamen eher aus den Städten. Durch die Braunkohle und die in der DDR hochsubventionierte Landwirtschaft hielten sich in der Provinz zahllose sichere Jobs, die in den 1990ern rasch wegbrachen, ohne ersetzt zu werden. Die Wiedervereinigung 1990 brachte dem ländlichen ostdeutschen Raum, außer koreanischen Autos und neuen Produkten in der Kaufhalle, nur Abstieg… Mehr

USE
5 Jahre her

**
Da ist sie weider. Die Wessiarroganz ohne tieferes Wissen! Wieso gab es ein Einheitsschulsystem in der DDR?
POS, EOS, Berufsausbildung mit Abitur, spez. Berufsschulen, sep. Förderschulen (nix Inklusion). Da suchen Sie heute aber mit der Lupe nach.
Und, über meine DDR-Ausbildung bin ich heute sehr froh. Mich legt heute beruflich keiner so schnell auf´s Kreuz. Und wenn ich mir dann die Ausbildung unserer Kinder in NRW anschaue…
**

schwarzseher
5 Jahre her
Antworten an  USE

Aber wehe, Sie kritisierten die DDR. Dann durften Sie trotz bester Ausbildung die Straßen fegen.

Berlindiesel
5 Jahre her
Antworten an  USE

Stimme Ihnen zu, nur woher kommt dann das politische Agieren, die Überzeugung des „Ossis“ Senftleben? Ich bin zwar Wessi (Westberliner besser gesagt) aber eine grundsätzliche Affinität zu links, allem, was links ist (vielleicht nicht in seiner stark grün konnotierten Einfärbung wie im Westen, dann aber autoritativ-sozialistisch a la PdL/PDS) ist in Brandenburg unverkennbar und ist mir dort schon immer unangenehm aufgestoßen, weil sie zugleich mit einer beleidigten Feindseligkeit gegenüber allem aus dem Westen verbunden war, die ich im Osten so nirgendwo anders angetroffen habe. Das kommt nicht von ungefähr. Im Übrigen, stimmen Sie mir zu: So wie die BRD war… Mehr