Schweiz 2015: Inzest und Freie Liebe als Therapie?

Sex mit dem Therapeuten? Inzest als Lösung? LSD und Ecstasy als Stimmungsmacher? Der Tagesanzeiger scheint immer noch fasziniert von Samuel Widmer, dem Sexguru von Solothurn, wie er genannt wird.

Heute ist ein Artikel über den Psychiater Samuel Widmer im Tagesanzeiger erschienen, der die Debatte um sexuellen Mißbrauch wieder zurück dreht in die Jahre vor dem Mißbrauchsskandal der Odenwaldschule im Jahr 1999 und 2010 und vor die Debatte um sexuellen Mißbrauch bei den Grünen im Jahr 2013. Ganz so, als hätten diese Debatten nie stattgefunden. Hat es die Verurteilung zu mehrjähriger Haftstrafe von Otto Mühl in den neunziger Jahren nicht gegeben? Gab es kein Riesengeschrei um Cohn-Bendits pädophile Selbstbezichtigungen? Der bekannte Schweizer Therapeut Samuel Widmer bezeichnet sich selber als Experte für Inzest und Freie Liebe, für Spiritualität, Tantra usw. und erhält wiedermal er ein Riesenforum.




LSD und MDMA-Experimente in der Therapiesitzung, so war das in den neunziger Jahren. Und jetzt 20 Jahre später wiedermal ein bei aller Kritik huldigendes Portrait des Therapeuten und Psychiaters Samuel Widmer. Dem „Sexguru“, wie er genannt wird, scheint es bestens zu gehen: Zwei Frauen, 11 Kinder, zwei Häuser und 2000 AnhängerInnen, Kirschblütler genannt.

Heute bezeichnet sich Widmer als Experte für Inzest und Freie Liebe. Und der Tagesanzeiger zitiert unkritisch und lammfromm aus einem der Inzestbücher von Widmer, in denen dieser beschreibt, wie eine seiner Töchter in der Badewanne mit seinem Penis zu beiderseitigem Vergnügen gespielt hätte. Ja, es sind wohl immer die Kinder, die den Inzest initiieren und die erotischen Attacken auf ihre Papas nicht sein lassen können! Auch der Tagesanzeiger spricht, ganz im Sinne des Therapeutenpapas, von einer „erotischen Annäherung“ von Seiten der Tochter an den Vater:
„Widmer scheut sich denn auch nicht, im Buch «Das Inzesttabu» eine erotische Annäherung einer seiner Töchter in der Badewanne zu beschreiben. Wie sie als kleines Mädchen täglich mit seinem Penis spielte: «Wir geniessen beide das Spiel.» Hätte er sich zurückgezogen, hätte es für sie bedeutet, dass «ihre Freude und ihre Sehnsucht nach Verschmelzung» nicht willkommen sei, schreibt Widmer. Ein Signal, «das ihr das Herz brechen kann». Die Liebe zu seiner Tochter sei «ohnegleichen in ihrer Schönheit und Reinheit» und auch heute noch frei vom Inzesttabu. Überhaupt sei der Inzest «ein wunderschöner Prozess».“ (…)

Wenn denn der Tagesanzeiger schon längst alles weiß, einzelne Aussteiger kennt und auch die negativen standesrechtlichen Beurteilungen kennt, warum gibt er Widmer erneut ein solches Forum?

Systematischer Sex mit Patientinnen als Therapie?

Widmer betont, dass er mit allen Anhängerinnen/ Patientinnen/ Klientinnen/ Sektenmitgliederinnen Sex einmal die einmalige Liebesnacht, die das Leben verändert, verbringen wollte:

„Frei von Ängsten zu sein, bedeute, seinen Klientinnen «sagen zu können, dass man einander gern nackt sehen» würde und zum Therapieende «ganz vergnüglich» mit ihnen schlafen möchte. Es sei wichtig, sich ganzheitlich aufeinander einzulassen auf allen Ebenen, «wirklich auf Tod und Leben füreinander da zu sein». (…)Vor ein paar Jahren liess er die Frauen seiner Gemeinschaft wissen, dass er gern jede einmal im Jahr besuchen und ihnen eine Liebesnacht schenken würde. Bei den Besuchen gehe es darum, zusammen «eine Liebesgeschichte zu beginnen». Heute praktiziere er die Liebesnächte aus Altersgründen nicht mehr, eine seiner beiden Frauen hingegen immer noch, sagte er im Gespräch. Diese Liebesnächte führten immer wieder zu Eifersucht und Auseinandersetzungen zwischen den Ehepartnern, berichten Aussteiger. «Viele Frauen wollen sich ihm hingeben, weil sie glauben, er sei als spiritueller Meister die absolute Liebe in Person.»

Samuel Widmer, der altruistisch-geile Beglücker der Frauen dieser Welt. Vor 20 Jahren habe ich Samuel Widmer (für Spiegel TV) im Rahmen eines Filmes über Ecstasy interviewt. Ihn und seine etwas schüchterne, schöne ehemalige Schülerin und Partnerin. Ich habe ihn schon damals in diesem kleinen Dorf in der Schweiz getroffen, in einem schönen Haus. Und er schwärmte von der freien Liebe, wie auch jetzt 20 Jahre später immer noch. Damals experimentierte er mit der bewusstseinserweiterten Wirkung von LSD und Ecstasy, beides mit Genehmigung der Schweizer Behörden, weshalb er die beiden Rauschmittel, die er seinen Therapiepatienten dosiert mit deren Einverständnis gab, in reinster Form von der Industrie zur Verfügung gestellt bekam. Ziel der Therapie mit Drogen war es, dass die Patienten lockerer werden und dass die Therapie besser flutscht. Ein Züricher Wissenschaftlicher, den ich damals ebenfalls aufsuchte, hatte sich mit einer wissenschaftlichen Untersuchungsreihe zum Thema Ecstasy befasst und war zu dem Ergebnis gekommen: katastrophal!

Obwohl inzwischen schon einige Karawanen vorübergezogen sind, tritt der Diskurs zur Freien Liebe, die regelmäßig ins Kriminelle abgleitet, (sexuelle Nötigkeit, Körperverletzung, Sex mit Abhängigen, Sex mit Minderjährigen, Inzest) auf der Stelle. Die Otto-Mühlsekte, die in Österreich unter dem Schutz des berühmtesten aller österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) agierte, ist den Österreichern schon in den neunziger Jahren um die Ohren geflogen, die Grünen haben seit 2013 ihren Sex-Mißbrauchsskandal zu bewältigen, der Fall Odenwaldschule ist immer noch unbefriedigend offen, Cohn-Bendit hatten seinen pädophilen Exkurs und die vielen vielen kleinen einschlägigen Therapeuten und Kleingurus sollen auch nicht vergessen werden.

Und jetzt kommt der Tagesanzeiger und turtelt, als sei nichts geschehen und macht zwischen den Zeilen deutlich, dass das Dorf, in dem Samuel Widmer seine Kirschblütler um sich schart, doch gräslich spießig sei und dass die Dorfbewohner dem Dorfkönig Widmer nicht angemessen zu Füßen lägen. Oder wie möchte der Tagesanzeiger verstanden werden?




 

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