Wie der Mann im roten Pullover Olaf Scholz grillte

Ein ausgewähltes Publikum stellt dem Bundeskanzler brav seine Fragen? Nicht so in Mannheim. Dort bringt ein älterer Herr Olaf Scholz in Bedrängnis, als er von diesem klare Antworten zu Cum-Ex und zum Umgang mit den inkompetenten Ampelkollegen will.

Screenprint: Bundeskanzler.de

Was ist denn in dieser Publikumsrunde schiefgelaufen? Sonst ist es der Zuschauer gewohnt, dass ein Politiker, wenn er sich den Bürgerfragen stellt, so gut wie nie die Fragen gestellt bekommt, die man gerne hören würden. Handzahm darf das Bürgerlein seine Sätze vortragen, damit der Kanzler oder Minister eloquent brillieren kann. In manchen besonderen Fällen sind es gleich auch Politiker anderer Parteien.

Nicht so in Mannheim. Zwei Minuten darf dort ein Herr im roten Pullover den Kanzler fragen. Oder besser: grillen. Selten hat es ein Talkshow-Moderator oder Pressekonferenz-Journalist geschafft, eine Bundesregierung nicht nur als Totalausfall darzustellen, sondern den Bundeskanzler mit larmoyanter Feststellung über die Klippe der Selbstzufriedenheit zu stürzen.

Ganz unwutbürgerlich spricht er den Bundeskanzler an, dass er sich Sorgen mache, weil er im Cum-Ex-Ausschuss „sehr vergesslich“ sei. Im Ausland werde das schon kommentiert, man habe einen Kanzler der Vergesslichkeit. Aber wie sehr könne man sich bei Scholz darauf verlassen, dass er möglicherweise „doch nicht so vergesslich“ sei – und damit unausgesprochen viel tiefer im Cum-Ex-Sumpf steckt, als er es selbst zugeben möchte? Wäre es da nicht besser, wenn der Kanzler diese „Last“ von sich würfe, Klarheit schaffe, und damit sich und seiner Partei helfe?

Bereits nach dieser ersten Frage gibt es Applaus. Eine junge Dame, die hinten links von dem älteren Herrn sitzt, ist über diese Chuzpe sichtlich amüsiert. In den USA gibt es den Roast, das heißt eine Veranstaltung, bei der ein Ehrengast mit mal mehr oder minder bissigem Spott fertiggemacht wird. Dazu tritt nicht selten eine ganze Reihe von Prominenten auf. Bei Scholz braucht es einen anonymen Herrn im roten Pullover, der ihn genüsslich über dem Feuer brät. Dabei braucht er kein Brennmaterial: Die Inkompetenz der Ampelregierung bietet genügend Brennstoff.

Scholz ist bereits beim ersten Teil genervt. Durch den Applaus spricht er durchs Mikro: „Zweite Frage?“ Doch jetzt erst läuft der neue Publikumsliebling zur Höchstform auf – und bleibt immer noch entwaffnend ruhig. Mit einem rhetorischen Kniff beginnt er: Selbst die Komödianten meinten ja, Deutschland habe die „dümmste Regierung der Welt“. Er glaube das natürlich nicht – nur, um dann umso deutlicher auszuholen: Im Kabinett gebe es so viele Mitglieder, die nichts könnten. Habeck wüsste nicht, was ein Konkurs sei, Baerbock redet von 360-Grad-Wenden und Ländern, die hunderttausende Kilometer entfernt seien. Gnädig erspart er dem Kanzler jeden Hinweis auf Lauterbach oder Faeser.

Dann stellt er die Frage, die so ziemlich jedem Bundesbürger unter den Nägeln brennt: Hat der Kanzler eigentlich keinen Einfluss darauf? Wenn ja, dann müsste er die Minister rauswerfen oder wenigstens Nachhilfeunterricht geben. Von der praktischen Arbeit, so gibt er dem Kanzler zuletzt eine mit, habe dort sowieso keiner eine Ahnung – das sehe man daran, wie die Gesetze formuliert seien. Was hat der Kanzler vor zu tun? Man müsse doch was tun. Rücktritt, Rauswurf – irgendetwas, damit man im Ausland nicht als dummer Deutscher dasteht.

Das sitzt. Und man will hinzufügen: Wohl kaum hat irgendein Mensch gegenüber einer deutschen Bundesregierung seine Zeit so kunstvoll genutzt, um diese nach allen Regeln der Kunst auseinanderzunehmen. Kein Stammeln, kein Überlegen, keine Abschwächung. Deutschland hat jeden Abend eine andere Talk-Sendung, bei der sich Politiker inszenieren dürfen, doch keine einzige einen solchen Moment.

Olaf Scholz pariert. Also, er versucht es. Er weicht den Fragen aus, indem er sie zielgerichtet nicht beantwortet. Unter anderem sagt er, dass sich seine Minister immer „sehr bemüht“ zeigten. Haben sich also Habeck und Baerbock „stets bemüht“? Vielleicht sind sich ja der Kanzler und der Herr aus dem Publikum mit ihren Ansichten doch viel näher, als man meint. Womöglich spricht der mutmaßliche Rentner sogar Scholz aus ganzer Seele. Wie ist sonst zu erklären, dass man keinen Hinweis auf diese Blamage beim Bundeskanzleramt findet? Wer schweigt, stimmt bekanntlich zu.

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Kommentare ( 115 )

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akimo
1 Jahr her

Ich habe gestern mit einer Dame gesprochen, die die Analyse dieses Herrn bestimmt 100-prozentig teilen würde. Auf die Frage, ob sie denn auch die einzige Oppositionspartei AfD wählen würde, wies sie dies einigermaßen empört zurück. Mehr muss man nicht wissen.

Anti-Merkel
1 Jahr her

Meine Vermutung: Der Mann ist seit Jahrzehnten Mitglied von SPD oder Grünen und wurde deshalb ohne weitere Kontrolle als „sicher“ eingestuft. Falls es ein Vorgespräch gegeben hat, um auszuwählen, wer Fragen stellen darf, hat er wahrscheinlich ganz andere Fragen gestellt, weil er gewusst hat, wie das läuft. Jemand, der zu Schröders Zeiten oder noch davor für SPD und/oder Grüne war (und vielleicht noch nicht ausgetreten ist, weil er – ähnlich wie Maaßen in der CDU – hofft, dass die Partei sich wieder bessern kann), ist ja noch lange nicht automatisch mit dem einverstanden, was diese Parteien heute anstellen. Dass Scholz… Mehr

neckistorch
1 Jahr her

Das Kommentar wird jetzt nur wenigen gefallen. Aber: Das Problem sind nicht nur solche Politiker. Das Problem ist leider auch ein Volk, das solche Politiker überhaupt erst einmal ins Amt wählt und nicht schon vorher kapiert, wie sehr es sich damit nur selber schadet.

BeVo
1 Jahr her
Antworten an  neckistorch

Es wundert mich, dass die spd (gemäß aktueller Wählerumfragen) noch immer bei 16! Prozent Wählerstimmen (wären jetzt BTW) steht. Wer kann denn soooo schnell die Esken und deren Sommer-2020er Worte vergessen haben, als die Esken die „Corona“-Fake-Gegner mit dem Wort „Covidioten“ öffentlich beschimpfte, herabsetzte und diffamierte? Kopfschüttel.

Petra Horn
1 Jahr her
Antworten an  neckistorch

Es ist wie überall: Wie der Herr, so’s Gescherr.
Wenn das Volk, der Herr, höhere Ansprüche hätte, wären diese Staats- und Volkszerstörer schon längst nicht mehr da.

Friedrich Reuter
1 Jahr her

Irgendwann wird auch der Lügenbaron, samt seiner Hilfsschülertruppe, von dannen ziehen, schade nur, dass man diese Versager nicht schon längst in die Wüste geschickt hat.

Pegauer
1 Jahr her

Einfach köstlich. Da können sich die Journos von ARD bis ZDF, von Tanz bis Süddeutsche usw. eine Scheibe abschneiden.

schaefw
1 Jahr her

Wer sich das antun will, kann die ganze Veranstaltung hier anschauen. https://video.bundesregierung.de/2023/11/02/xh9bv6-231102_kg_-master.mp4. Mir ist es nicht gelungen durchzuhalten. Ich frage mich, wie es möglich ist, eine solche Veranstaltung (wohl unter Federführung des „Mannheimer Morgen“ unter Mitwirkung des Südwestfernsehens) derart zu manipulieren. Dass viele Teilnehmer anderer Ansicht waren, sieht man bei 1:06:00 an der Reaktion auf die zweite – ja ziemlich fundamentalkritische – Frage des Herrn, wo geschätzt die Hälfte der Anwesenden zustimmen.

Frank G.aus D.
1 Jahr her

Den Moderator der Runde gibt es doch wohl nicht mehr und den Mann der solche Fragen stellt und solche Forderungen vorbringt lässt Scholz doch wohl vom Verfassungsschutz beobachten oder hat die Bundesstaatsanwaltschaft auf Scholzes Anweisung schon eine Hausdurchsuchung durchgeführt.
Wahrscheinlich ist der Mann ein alter Nazi und mit einem „frischen“ Lebenslauf kann man ihm dann auch den Prozess machen,dem Lump.

T.Sageder
1 Jahr her

Da muss ein Rentner aus der Bürgerschaft schon die Arbeit eines Friedrich Merz machen. Diese Politik entspringt einer Irrenanstalt.

pbmuenchen
1 Jahr her

Meines Erachtens haben sich nun alle lange genug bemüht, um nun selbst erkennen zu können, dass keine ihrer Bemühungen auch nur eine einzige positive Frucht trägt oder zu tragen fähig sein wird. Wenn sie dies zu erkennen nicht in der Lage sind, dann ist es um uns noch schlechter bestellt als es aussieht.

Silverager
1 Jahr her

Scholz hat dem kritischen alten Herrn erzählt, seine Minister hätten sich bemüht, den ihnen gestellten Anforderungen gerecht zu werden.
In klaren Worten: alles nichtskönnende Luschen.

Wolle9
1 Jahr her
Antworten an  Silverager

Steht in einem Arbeitszeugnis: „Er hatte sich stehts bemüht“, dann bedeutet das im Klartext, er ist unfähig.