Grüne und AfD in Sachsen Seit an Seit in der Abstimmung – Kretschmer wiedergewählt

Bei der Wahl von Michael Kretschmer zum Ministerpräsidenten zeigten die Grünen, die Brandmauer gilt nur für die Union. Sie stimmten mit der AfD – im Wissen, dass die zustimmt. Warum verbietet sich die Union also im Bund, was sich die Grünen in Sachsen genehmigen?

picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert
Michael Kretschmer (CDU) nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten von Sachsen, 18.12.2024

Nachdem im Vorfeld die sicher geglaubte Wiederwahl von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer plötzlich in Zweifel geriet, weil auch ein dritter Kandidat sich aufstellen ließ, neben Michael Kretschmer von der CDU und Jörg Urban von der AfD Matthias Berger von den Freien Wählern, wurde es am Schluss doch noch interessant. Kurios daran ist, dass die freien Wähler nur einen Sitz innehaben, nämlich den von Matthias Berger. Zur Erinnerung, die Mandatsverhältnisse im Sächsischen Landtag sehen so aus: CDU 41 Sitze, AfD 40 Sitze, BSW 15 Sitze, SPD 10 Sitze, Grüne 7 Sitze, Linke 6 Sitze, Freie Wähler 1 Sitz, insgesamt besteht der Sächsische Landtag aus 120 Landtagsabgeordneten.

Doch nicht mit der Wahl des Ministerpräsidenten begann die Sitzung, sondern mit einer Aussprache und Abstimmung über das Verfahren selbst. Laut sächsischer Landesverfassung benötigt der Kandidat, um gewählt zu werden, die absolute Mehrheit, die bei 61 Stimmen liegt. Kretschmer fehlen zehn Stimmen, denn CDU und SPD kommen gemeinsam auf 51 Stimmen. Da die Wahl geheim ist, ist es nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere CDU- oder SPD-Abgeordnete im ersten Wahlgang sich gegen Kretschmer entscheidet. Ab dem zweiten Wahlgang benötigt der Kandidat, um gewählt zu werden, nur die einfache Mehrheit. Das bedeutet, dass es nur möglich ist, mit Ja zu stimmen oder sich der Wahl zu enthalten. Sollte es nur einen Kandidaten geben, dann reicht eine einzige Ja-Stimme aus.

Diese Regelung führen auch andere Bundesländer, wie beispielsweise Thüringen. Im November hatte die Riesenfraktion der Grünen mit ihren sieben Abgeordneten bei einem Leipziger Juniorprofessor ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das Gründe dafür aufführt, dass entgegen der Landesverfassung diese Praxis geändert wird und nicht nur mit Ja gestimmt oder sich der Stimme enthalten werden kann, sondern auch mit Nein gestimmt werden darf. Deshalb beantragten die Grünen eine Aussprache und eine Abstimmung. Den Grünen ging es natürlich nicht um die Demokratie – wann ging es denen jemals darum? –, sondern um Rache, denn Michael Kretschmer hat sich im Wahlkampf zu recht gegen die Grünen vehement ausgesprochen und sie nicht mehr an der Regierung beteiligt.

Und aus diesem Grund haben sie diesen Antrag gestellt – und damit die Brandmauer gebrochen, denn für den Antrag der Grünen stimmten in trauter Eintracht die Grünen gemeinsam mit der AfD. Die Linke enthielt sich der Abstimmung. Mit der Mehrheit der anderen Parteien wurde der Antrag der Grünen abgelehnt. Klar und deutlich wurde aber auch, dass die Brandmauer nur für die Union gilt, nicht aber für die Grünen. In Sachsen haben die Grünen vorgemacht, dass sie keinerlei Problem damit haben, mit der AfD zu stimmen, Sachsen hat gezeigt, dass es normal und unproblematisch ist, einen Antrag ins Plenum einzubringen und ihn zur Abstimmung zu stellen, obwohl man als Brandmauerpartei, als „demokratische Partei“ weiß, dass die AfD zustimmt, denn das hatte die öffentlich zuvor erklärt. Warum verweigert sich der grüne Spitzenkandidat Robert Habeck also dem TV-Duell mit Alice Weidel, obwohl seine Grünen in Sachsen mit der AfD in diesem Punkt gemeinsame Sache machen?

Der Ausgang des ersten Wahlganges überraschte nicht. 120 Stimmen wurden abgegeben, 7 waren ungültig, 12 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Für Michael Kretschmer stimmten 55 Abgeordnete, vier mehr als die Regierungskoalition aus SPD und CDU Sitze hat. Der AfD Kandidat. Jörg Urban erhielt 40, Matthias Berger 6 Stimmen. Damit verfehlte Michael Kretschmer die absolute Mehrheit. Doch bevor der Sächsische Landtag zum zweiten Wahlgang schritt, stellten die Grünen, obwohl sie nun mehr als sicher sein durften, dass die AfD mit ihnen stimmen würde, ihren Antrag, um die Wahl juristisch anfechten zu können – auf Kosten des Steuerzahlers. Wieder zeigten die Grünen, dass die Brandmauer nur für die Union gilt. Weshalb also bringt die Union nicht die notwendigen Gesetze in den Bundestag ein, wie die Grünen in Sachsen, und kümmert sich nicht darum, wer zustimmt? Warum verbietet sich die Union im Bund, was sich die Grünen in Sachsen genehmigen?
Weil die Brandmauer nur den Zweck hat, eine nichtgrüne Politik in Deutschland zu verhindern.

Im Zweiten Wahlgang erhielt Michael Kretschmer 69 Stimmen, die der CDU, die der SPD, wahrscheinlich die des BSW und der Linken, vielleicht die eine oder andere Stimme von der AfD. Von den Grünen dürfte er keine Stimmen bekommen haben. Jörg Urban von der AfD erhielt nur eine Stimme, weil möglicherweise die AfD-Abgeordneten für den unabhängigen Kandidaten Matthias Berger, der plötzlich 39 Stimmen bekam, votierten.

Damit haben die sächsischen Abgeordneten Michael Kretschmer als Chef einer Minderheitsregierung gewählt und die sächsischen Grünen die Brandmauer eingerissen.


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Kommentare ( 20 )

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Elmar
2 Stunden her

Warum verbietet sich die Union also im Bund, was sich die Grünen in Sachsen genehmigen? Es ist so, weil die Führungsriege der CDU/CSU aus intellektuell entkernten Opportunisten mit dementsprechend flexiblem Rückgrat besteht. Mehr muss man dazu nicht wissen um die Union nicht zu wählen.

imapact
2 Stunden her

Lt. WELT hat Berger 39 Stimmen bekommen. Könnte man deuten als die 40-1=39 Stimmen der AfD. Natürlich biegen sich die Grünen es immer so hin, wie sie es brauchen. Aber das wirkliche Enttäuschende ist doch, daß es nicht gelungen ist, einmal einen unabhängigen Gegenkandidaten zu wählen, nachdem Kretschmer auch in den eigenen Reihen umstritten ist. Der Mehltau in diesem Land ist einfach erstickend und unerträglich. Fazit des heutigen Tage ist, daß die CDU in Sachsen von Gnaden der Linken regiert und das BSW ein williger Helfershelfer des Kartells ist.

Aegnor
2 Stunden her

Ich halte nichts von solchen Spitzfindigkeiten, wie die Brandmauer wäre eingerissen, weil die Grünen einmal mit der AfD gestimmt hätten (noch dazu bei einem Antrag der Grünen) oder die AfD müsste nur den Anträgen der Altparteien zustimmen, weil diese dann ja kontaminiert seien und daher „rückgängig zu machen“ seien. Das ist doch Selbstbetrug. Die Altparteien haben kein Problem damit, wenn die AfD ihren Anträgen zustimmt. Nur umgekehrt darf natürlich nicht sein. Nein – die Brandmauer ist an dem Tag eingerissen, an dem die AfD an der Macht beteiligt und nicht mehr ausgegrenzt wird und keinen Tag früher. Und in Sachsen… Mehr

Dreiklang
2 Stunden her

Die CDU koaliert mit allen, wirklich allen – außer der AfD. Sofern die CDU, wie in Brandenburg geschehen, nicht ausgeladen wird. Damit ist ein Politikwechsel nur möglich (geworden), wenn die AfD die absolute Mehrheit erhält. Dem Wähler soll so vor Augen geführt werden, dass er nichts zu bestimmen hat. Soweit zum Demokratieverständnis der CDU.

BK
2 Stunden her

Um bessere Ergebnisse zu erhalten, kann in Zukunft nur noch mit JEIN gestimmt werden. Ob sie nun die Hand heben oder nicht, ist völlig egal. Ihre Stimme zählt. Ulbricht hatte es schon früh erkannt, dass es wie Demokratie aussehen muss. Heute ist ja auch ein Marzipanbrot kein Marzipan mehr. Das ist eine einfache Teigmasse aus Marzipan ähnlicher Textur. Dazu kommen Zucker, Aromen, Emulgatoren, Antioxidantien und ein Schokoladenersatzstoff ohne Kakao. So wie der Kunde also glaubt, dass er ein Marzipanbrot gekauft hat, soll der Wähler auch glauben, dass er gewählt hat. Mit so einer Wahl ist es auch nicht anders, als… Mehr

PulsarOperator
2 Stunden her

Ich frage mich, warum die AfD einen eigenen Kandidaten hatte. So hat man die Chancen für die Wahl Bergers im Vorfeld schon minimiert. Nicht mal ihre eigenen Leute konnten sie zusammenhalten, um zu spät aber immerhin für ihn zu stimmen. Also wieder Satz mit x, wenn es um die absolut notwendige echte Zeitenwende geht. Was hat die Absage von Habeck bzgl. eines Fernsehduells mit Weidel mit der Wahl heute in Sachsen zu tun? Habeck weiß einfach, dass ihm Weidel rhetorisch und vom Sachwissen her haushoch überlegen ist. Genuschel, Gestammel, Platitüden, Lügen gegen klare, scharf vorgetragene Aussagen. Ich kann Habeck verstehen.… Mehr

Hartwig Sendner
2 Stunden her

Ich erspare mir Kommentare zu dieser CDU, die nichts auf die Reihe bringt, nicht mal anständige Opposition (Merz) und anscheinend nur aus Mitläufern besteht. Die Grünen und die Roten treiben diese Partei wie einen Esel durch die Manege.
Immer schön über das Stöckchen „Brandmauer“ springen. Vollkommen sinnentleert, diese Truppe!

brummibaer_hh
3 Stunden her

Kann man so sehen – muss man aber nicht. Die Grünen haben einen Antrag zum Wahlzettel zur Abstimmung gestellt, weil sie in einem extra bestellten Gutachten meinten zeigen zu können, dass bei mehreren Kandidaten auch neben der Enthaltung ein nein möglich sein musste. Die Brandmauer wäre nur dann gefallen, hätten sie sich damit durchgesetzt und es wäre ihnen egal gewesen, ob dieses nur mit den Stimmen der AFD möglich gewesen sei. Sie also abhängig von der AFD gewesen seien. Da der Antrag auch mit den Stimmen der AFD abgelehnt wurde, stellt sich diese Frahe der gefallenen Brandmauer aber, anders als… Mehr

Michael Theren
3 Stunden her

das Herr Urban im 2. Wahlgang antritt, sich nur selbst wählt (?), aber einen theoretischen MP Berger damit ihm Vorfeld verunmöglicht, ist schon seltsame Provinzpolitik….

Shakespeare
3 Stunden her

Kretschmer hat sich mit den Stimmen der Linkspartei im 2. Wahlgang zum MP wählen lassen. Susanne Schaper, Fraktionsvorsitzende der Linken im sächsischen Landtag, räumte dies gegenüber dem MDR nach der Wahl ein.

Damit hat sich Kretschmer von der SED-Nachfolgepartei politisch abhängig gemacht. Die Linke wird für ihre Unterstützung einen Preis von Kretschmer einfordern.