Das Wort vom „Gehirntod“ begann anfangs dieses Jahres, als der französische Präsident Emanuel Macron den versammelten französischen Botschaftern auf ihrer Jahreskonferenz in Biarritz mitteilte, dass man über das Verhältnis zu Russland neu nachdenken müsse: mit dem Ziel einer Verbesserung der Beziehungen zum Kreml.
Die Szene war ein großer Schlafsaal, mitten in der Nacht. Plötzlich macht jemand das Licht an. Überall schlaftrunkenes Aufstöhnen, Gemurre, sogar der eine oder andere spitze Schrei; Schrecken und Unruhe. Und nun im richtigen Leben: Emmanuel Macron hatte der NATO den „Gehirntod“ bescheinigt, nachdem weder Amerikaner noch Türken sich um eine Abstimmung sicherheitspolitischer Entscheidungen mehr bemühten.
Der NATO-Schlafsaal war außer sich. Kanzlerin Merkel fand das mit dem “Gehirntod“ falsch, wusste aber sonst nicht viel Neues. Es hätte auch nicht gut ausgesehen, angesichts der wider besseres Wissen nicht eingelösten Zusagen beim deutschen Verteidigungsbeitrag, der notorischen Bremserrolle beim Rüstungsexport und bei den Eiertänzen Berlins, wann immer die gemeinsame europäische Verteidigung ernst zu werden droht.
Vor allem aber nicht angesichts der in ihrer Kanzlerschaft auf das jämmerlichste herunter gewirtschafteten Bundeswehr. Ganz zu schweigen von den Schulmeistereien und Stichen, mit denen man den Amerikanern mit ihrem ungeliebten Präsidenten von Berlin aus gerne zusetzt – von Steinmeier, dem zu Trump das Wort „Hassprediger“ einfiel, bis zur Anti-Trump Rede Merkels in Harvard von Anfang dieses Jahres.
Erst Außenminister Heiko Maas fand, wie er glaubt, eine der deutschen Sicherheitspolitik adäquate Lösung. Maas hat im Kreise der NATO-Aussenminister eine „Expertenkommission“ vorschlagen, die über eine Reform der NATO nachdenken soll.
Maas darf also hoffen. Emanuel Macron fühlte sich unterdessen ersichtlich wohl als Muntermacher im NATO-Schlafsaal.
Natürlich hat das Wort vom „Gehirntod“ auch seine Vorgeschichte. Sie begann anfangs dieses Jahres, als der französische Präsident Emanuel Macron den versammelten französischen Botschaftern auf ihrer Jahreskonferenz mitteilte, dass man über das Verhältnis zu Russland neu nachdenken müsse. Nicht einfach so, sondern mit dem Ziel einer Verbesserung der Beziehungen zum Kreml.
Der zweite Schritt war eine Rede Macrons am 25. April 2019 mit der Aufkündigung, höflich aber unmissverständlich, des deutsch-französischen EU-Tandems und dessen Herabstufung auf eine geschäftsmäßige Beziehung nach Maßgabe der Interessenlage. Dabei scheute sich Macron nicht, mit Berlin ins Gericht zu gehen und eine ganze Reihe von wichtigen Meinungsunterschieden – bei weitem nicht alle – einen nach dem anderen aufzuzählen. Die Rede war das absehbare Ergebnis des peinlichen Schweigens Berlin auf Macrons verschiedene Vorstösse, ganz besonders auf seine Grundsatzrede an der Sorbonne gleich zu Beginn seiner Präsidentschaf2.
Macron dagegen hat die seit dem vergangenen Frühjahr eingeschlagene Richtung konsequent weiterverfolgt. Er will den Ukrainekonflikt mit Russland entschärfen, um für Europa Unabhängigkeit und Handlungsspielraum in einer Situation zu gewinnen, in der die amerikanischen Sicherheitsgarantien im Wandel begriffen sind – und das nicht zum Guten. Ebenso will er verhindern, dass ein mit der EU rivalisierendes Russland durch westlichen Druck in eine engere Allianz mit China gedrängt wird.
Das Ziel ist klar: Macron will kein Problem am östlichen Rücken Europas. Er will die Handlungsfähigkeit Europas in einer Welt erhalten, die künftig vom amerikanisch-chinesischen Konflikt dominiert sein und die bereits heute von einer wechselnden Anzahl kaum zu kontrollierender regionalen Konfliktherde bedroht wird.
Die Situation in Syrien und Nahost illustriert auf eindrückliche Weise, dass Europa auf Krieg und Gewalt vor Ort so gut wie keinen Einfluss, wohl aber die humanitären und materiellen Kosten zu tragen hat – und sei es in der Form von Millionen Flüchtlingen und Migranten, die sich auf den Weg nach Europa machen. Der Nahe Osten wird auch in den kommenden Jahren seinen Frieden nicht finden. Was aus Afrika auf Europa noch zukommt, lässt sich kaum ausmalen – allein Nigeria wird Ende dieses Jahrhunderts etwa 900 Millionen Einwohner zählen, fast soviel wie Indien heute.
Da Großbritannien sich auf den Weg in das außereuropäische Abseits gemacht hat, im schlimmsten Fall sogar auf den Weg in eine Satellitenrolle im US-Orbit, braucht Macron für sein Ziel eines zur Selbstbestimmung fähigen Europas dazu das andere europäische Kernland Deutschland und die anderen Nachbarstaaten.
Die engen und guten Beziehungen zu den USA, wie sie unter Barack Obama und dessen Vorgängern bestanden hatten, sind während Merkels Amtszeit unter Donald Trump abgestürzt und womöglich auf nicht absehbare Zeit schwer beschädigt. Es ist richtig, dass der aggressive Egoismus der Trumpschen Politik die Hauptursache gewesen ist. Herablassung und Besserwisserei aus Berlin haben aber auch ihre Rolle gespielt.
Richtung Osten hat die Wiederaufnahme der klassischen russischen Expansionspolitik unter Putin die 1975 in Helsinki geschaffene Sicherheitsordnung ruiniert. Ihre Wiederherstellung, wie sie der damalige Außenminister Steinmeier versucht hat, ist nicht gelungen. Er ist bei dem Versuch gescheitert, sich in schnellen Fahrt voraus im Rückspiegel der guten Jahre im deutsch-russischen Verhältnis zu orientieren.
Immerhin hat Frau Merkel mit den Abkommen von Minsk eine unkontrollierte Ausweitung des Ukrainekonflikts und damit einen möglichen Flächenbrand bis in das Herz des europäischen Kontinents hinein verhindern können. Dies könnte ihre grösste außenpolitische Leistung gewesen sein, womöglich war sie für den Kontinent friedenssichernd.
Außenpolitisch zu erwarten im Sinne der Absichten Macrons ist von der gegenwärtigen deutschen Regierungsgarnitur dennoch nichts. Koalition und Regierung treiben ihrem absehbaren Ende entgegen. Wie zwei alte Brauereipferde gehen sie gewohnheitsmäßig noch im alten Trott nebeneinander her. Wirksamstes Bindemittel der Koalition ist gerade noch die gemeinsame Angst vor dem Wähler.
Auch in der Presse ist Außenpolitik ein Nebenfach. Eine Folge ist es, dass die Öffentlichkeit über wenig außenpolitische Kenntnisse und noch weniger Erfahrung und Interesse verfügt. Ein kleine und kurioses Sinnbild für diesen eingeschränkten außenpolitischen Horizont sind die Wetterkarten, die bei den großen britischen und französischen Programmen die ganze Welt umfassen, bei uns wenig mehr als den uns betreffenden Ausschnitt aus Mitteleuropa.
Wie geht es weiter? Macrons Bemerkung über den „Hirntod“ der NATO könnte Geschichte machen und die Allianz trotz und wegen Donald Trump enger zusammenführen. Vor allem aber macht sie die Defizite bewusst, die Europa in einer von Grund auf veränderten internationalen Umgebung bedrohen. Doch geht es nicht nur um die NATO, sondern vor allem um Europa, genauer noch um die Europäische Union.
Der französische Präsident verdient Unterstützung bei seinem Versuch, die Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit Europas in dieser neuen Kräftekonstellation zu bewahren. Angesichts einer in Immobilität verdämmernden deutschen Regierungspolitik am Ende der Ära Merkel muss es vorab darum gehen, die Option einer Erneuerung des deutsch-französischen Tandems offen zu halten. Bis dahin spricht und handelt Macron auch in unserem Interesse und für Europa. Wir sollten ihm das zugute halten. Weitere Probleme können wir nur gemeinsam lösen. Darunter die Sicherheit der Osteuropäer vor dem Appetit des russischen Bären.
Ergebnis ist, dass Politik für Europa derzeit in Paris gemacht wird, nicht in Berlin. Macron wird weiter von sich hören lassen. Er ist jung und liebt die klare Ansprache. Gerne auch schockartig, bis dass die Katze vom Sofa springt.
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Der Trumpsche Egoismus- also seine America first-Politik- ist keineswegs der Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Die Unverschämtheiten und skandalösen Unterstellungen, die sich die deutschen Träger der höchsten Staatsämter gegenüber dem neuen amerikanischen Präsidenten gegen jede politische Regel in aller Öffentlichkeit leisteten, sind bedauerlich und zeugen vom dubiosen Charakter unserer politischen Elite. Dem Klima der Politik und den Interessen Deutschlands haben diese Entgleisungen sicherlich nicht gut getan. Der entscheidende Grund der relativen Beziehungslosigkeit liegt aber in der Trumpschen Politik: Die Interessen der USA vorrangig zu behandeln, dem Klima-Gott abzuschwören, den Gender-Schwindel nicht mitzumachen, Israels Politik nach… Mehr
Der werte Herr Macron sollte sich erst einmal um seine „Grande Nation“ kümmern.
Das Problem „Gelbwesten“ scheint noch ungelöst zu sein.
Akut braut sich da eine 2. Welle über Frankreich zusammen.
Mal sehen, wie er damit klar kommt, ob er das politisch überlebt.
Die Franzosen sind da ja nicht so „friedlich“.
In Deutschland dagegen ist die politische Großwetterlage schon stabiler.
Und das seit etwa 15 Jahren.
Schaun mer mal.
Lieber Herr Schramm, das mit der russischen Expansionspolitik sollten sie mal näher konkretisieren. Ich denke, das Putin lediglich auf ebenso schwachsinnige wie kriminelle Expansionsgelüste von den Guten aus dem Westen reagiert. Wenn Sie mich fragen, war es genau richtig, dem vom Westen angezettelten islamistischen Terror in Syrien den Garaus zu machen. Die Rolle der Groko in dieser Causa(z. B. syrische Exilregierung in Berlin) ist so beschissen, das ich mich nicht weiter darüber auslassen möchte.
Stimme ihnen zu! Die Perzeption der teilweise schon aggressiven NATO-Osterweiterung aus russischer Sicht, fällt atlantischen Beobachtern immer noch sehr schwer. Regelmäßig kommen solche Leute wie Elmar Brok dann mit dem Hinweis, man könne den Ländern nicht den Eintritt in die NATO verwehren. Als wenn es ein Anrecht auf Beitritt zur NATO gibt.
Und die Rolle des Westens im Nahen und Mittleren Osten ist einfach katastrophal.
Dass unsere Regierung ein Totalausfall ist – d cord, schlimmer noch, ein großes Unglück für unsere Nation und Europa, ebenfalls mehr als einverstanden, aber dass Putin hier in diesem Kontext desavouiert wird, stört mich. „Not a Little Inch“ hat man 1989 den Russen versprochen und wo stehen heute wieder deutsche Panzer? 150 km südlich von St. Petersburg!! Und nicht vergessen „Fuck the Eu-Nuland“ hat klar zugegeben, dass die USA 5 Mrd Euro für den Putsch in Kiew ausgegeben haben. Russland ist zweimal beinahe ausgelöscht worden, das hat sich stark in die russische Seele eingebrannt, Putin hat uns immer wieder die… Mehr
Was Sie da über Putin schreiben, dem kann ich folgen.
Was Sie da über unsere Regierung schreiben, weniger.
Die Erziehung zum Selbsthass setzte in den 70ern ein
und prägt das Land politisch bis heute.
Hierzulande sitzen Regierung und Opposition einträchtig
am Kanzlertisch und bewegen demzufolge fast nix.
Putin kann es sich leisten, auf diesen „Luxus“ zu verzichten. 😉
Ja ja, so ist sie halt, unsere Ewig-Kanzlerin, sie lässt nichts aus, sie ist sehr gründlich, hat sie so gelernt in ihrer kleinen sozialistischen Diktatur, so ist sie halt sozialisiert, da kann man nichts machen.
Ich denke, dass Macron zwar “ hirntot “ gesagt hat, was irreversible wäre, aber tatsächlich komatös gemeint hat, weil nur nach einem Aufwachen aus dem Koma eine Heilung denkbar wäre. Ein Reset der Nato wäre tatsächlich wünschenswert – wie schon seit 25 Jahren.
Sehr gut analysiert. Der zunächst mit falscher Ausrichtung ins französische Spitzenamt geschossene Macron, mausert sich in der Krise. In Deutschland fehlt derzeit jedoch noch der passende Ansprechpartner.
Zitat:“Es wäre die Aufgabe Berlins, eigene Interessen einzubringen und sie dann bis zu einem deutsch-französischen Einvernehmen und dann zu einem europäischen Konsens zu verhandeln. “
Exakt. Wenn die Deutschen die 180 Grad Wende endlich hinbekommen wird das auch gehen. Aber für den Neustart muss das alte und verbrauchte Personal bei uns ausgewechselt werden. Was spätestens 2021 passiert sein sollte.
Sonst wird Europa den Bach runter gehen.
Ohne die USA geht in der NATO nichts. Und Trump hat die Abkehr der USA von der NATO schon eingeleitet… Trump wird dies Macron auch bei einem vertraulichen Gespräch gesteckt haben. Das Hirn und die Kraft in der NATO liegt immer schon bei der USA.
„Ohne die USA geht in der NATO nichts.“
Stimmt.
Und dabei wird es auch bleiben.
Nicht der US-Präsident,
eher der militärisch-industrielle Komplex bestimmt.
Das sah schon vor über 70 Jahren US-Präsident Eisenhower so.
Aussenpolitik kann aber nur mit entsprechender Kassenlage gemacht werden, und da ist Frankreich einfach im Nachteil gegenüber dem deutschen Schwergewicht.
Macron könnte also die Dummheit gemacht haben, die agonisch-lethargische Merkel-Politik zu kritisieren und bei einer neuen Generation deutscher Politik sich damit unbeliebt zu machen.
Auf die französichen Atomwaffen zu pochen, könnte auch nach hinten losgehen, wenn die Grünen in die politische Rente gehen.
Falls die AfD die CDU beerbt, dürften damit gewissen Steilvorlagen gesetzt sein…
Ich gehe davon aus, daß Präsident Macron an dieser bedeutenden Stelle seine Worte ganz präzise gewählt hat. Der Hirntod (mort cérébrale) ist kein Koma und auch keine Krise. Aus ihm gibt es kein Erwachen, sondern nur noch irgendwann das Abschalten der Herz-Lungen-Maschine. Für mich heißt das, Macron denkt und plant für die Zeit nach der NATO, weil er sie für erledigt hält. Klar ist, sobald sich die VSA von Europa abwenden, ist hier kein Zusammenhalt mehr gegeben. Die Türken gehören nicht nach Europa, sondern in die Steppen Asiens. Die Briten sind schon heraus, müssen die See beherrschen und werden immer… Mehr