Online-Pranger der Heinrich-Böll-Stiftung geht vom Netz

Eine Liste von Bösen stellte Agent*in an den Pranger - nun steht Agent*in selbst am Pranger. Und Zahl der Kritiker übertraf in kürzester Zeit die Zahl der an den Pranger Gestellten. Noch ist also nicht jeder Hopfen und jedes Malz verloren.

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Da hat sich doch tatsächlich eine ganze Palette von Personen gegen den/der/die/das Agent*in gewandt, berichtet unter anderem die taz:Thomas Assheuer erinnerte daran, dass auch Heinrich Böll mal auf einer Liste der RAF Sympathisanten gestanden habe. Autorin Magarete Stokowski schrieb auf Spiegel Online: „Es ist nicht gut, Listen von Menschen nach politischer Gesinnung anzulegen“. Personen-Pranger gehört nicht zu den Ingredienzien einer freien Gesellschaft. Überraschend für die Veranstalter: Liegt man nicht mehr automatisch richtig, wenn man „die Richtigen“, also die aus dieser Sicht Falschen anprangert?

Alexander Wallasch hatte hier dem Unterfangen auf Abwegen schon am 19. Juli auf Tichys Einblick das Nötige ins Stammbuch geschrieben: „Wir haben hier in den letzten Monaten und Jahren immer wieder auf die eine oder andere Dreckigkeit hingewiesen. Aber was sich ausgerechnet die Heinrich-Böll-Stiftung, die bisher immer noch mit einem Hauch von Restseriösität ausgestattet war, hat einfallen lassen, ist tatsächlich Gosse. Gosse mit fiktiver Adresse Normannenstraße, dem Sitz des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, dem legendären Stasi-Headquarter.“

Ein Pranger mißbraucht den Namen Heinrich Böll
Heinrich-Böll-Stiftung: Live aus der Normannenstraße
In der Süddeutschen war zu lesen: «Am Tag nach dem Start kamen die ersten Reaktionen. Erst auf Twitter, dann auf einzelnen Blogs und in dem rechtskonservativen Online-Portal Tichys Einblick. Ein „Pranger“ sei das Lexikon, es denunziere, verleumde, schwärze an. Es verwende Stasi-Methoden. Besonders der Artikel über Harald Martenstein, den Journalisten und Kolumnisten des Zeit-Magazins, macht einige Menschen zornig. Darin steht, dass Martenstein „heteronormative Positionen“ vertritt, also die Einhaltung traditioneller, heterosexueller Geschlechterrollen befürwortet.»

Solche Zurückhaltung zeichnet Don Alphonso selbstverständlich nicht aus, er nahm das Machwerk regelrecht auseinander: «Selbst feministische Kommentatorinnen von Spiegel Online über SZ bis zur Zeit beschlich beim Betrachten des Onlineprangers “Agentin.org” ein mulmiges Gefühl. Unter Leitung einer dreiköpfigen Redaktion hatte das Gunda Werner Institut der grünennahen Böll-Stiftung ein Wiki erstellt, in dem von ihr identifizierte Gegner der Genderideologie denunziert und in einem Kontext bis hin zu eindeutigen Rechtsextremisten dargestellt wurden. Dabei traf es nicht nur knallharte Reaktionäre oder Lebensschützer, sondern auch den liberalen Journalisten Harald Martenstein, den stets diskussionsfreudigen Blogger Hadmut Danisch, und auch absolute Randfiguren von regionalen Vereinen, die eine abweichende Meinung zur Familienpolitik vertraten. Für bekannte Journalisten wie Jan Fleischhauer (Spiegel), Volker Zastrow (FAZ) und Ulf Poschardt (Welt) waren schon leere Seiten angelegt. Ungeachtet dessen versuchte der Projektteilnehmer Andreas Kemper, das Projekt vom Verdacht des Prangers freizusprechen.»

Zum inhaltlichen Flop gesellte sich ein methodischer: Don Alphonso «konnte zeigen, dass man mit einer einfachen Suchabfrage, deren Funktion das Team der Böll-Stiftung offensichtlich nicht durchdacht hatte, eine Liste von Autoren des Systems ausspielen kann. Der Verfasser warnte nach einer Diskussion mit Fachleuten den Projektleiter Henning von Bargen umgehend in einer Mail und öffentlich bei Twitter davor, das Wiki in der aktuellen Form weiter zu betreiben: Die Sicherheitsexperten hatten sich den Quellcode angeschaut und nach wenigen Minuten weitere schwere Lücken im System erkannt.»

Gegen das Vorhaben an sich hatte die taz gar nichts einzuwenden, sondern nur gegen die Methode: „Sich für Feminismus, Gleichstellungspolitik und sexuelle Selbstbestimmung einzusetzen ist notwendig. Doch wer dabei Strategien der gegnerischen Seite übernimmt, macht es rechten Kritikern zu leicht.“

Auf SPON bei Margarete Stokowski heißt es unter anderem: «Was bringt dann diese merkwürdige Diskurssimulation im Geiste einer Grundschul-Klowand, auf der steht, wer alles doof ist? Nichts außer den Vorwurf, dass Feministinnen oder Feministen (Redaktionsmitglieder von „Agent*in“ übrigens: zwei Männer und eine Frau) zu sehr in Schwarz-Weiß denken.»

Henryk M. Broder spottet: „Geheimdienst der Guten im einstweiligen Ruhestand”. Norbert Häring fasste es besonders schön: „Heinrich-Böll hat sich zu oft im Grab umgedreht.“ Eine Liste von Bösen stellte Agent*in an den Pranger – nun steht Agent*in selbst am Pranger. Und Zahl der Kritiker übertraf in kürzester Zeit die Zahl der an den Pranger Gestellten. Noch ist also nicht jeder Hopfen und jedes Malz verloren. Wie schön.

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