Heute Abend kommt es zum letzten TV-Duell der Kandidaten Jung gegen Alt, Neu gegen Überkommen, „Populist“ gegen 68er-Muff. And the winner will be Hofer?
Österreich, das war eine ewige Konsensrepublik. Soviel politischen Streit es auch gab, der Schmäh der Wiener Republik fügte alles immer wieder zusammen.
Die 68er-Exzesse waren in Österreich heftig, aber irgendwie privater.
Ein Alt68er macht einfach weiter: Präsident statt Pension
Der 72-jährige Van der Bellen ist ein typisches 68er-Exemplar, der die Parteienlandschaft von kommunistisch bis sozialdemokratisch bis grün durchwanderte, irgendwie immer im Staatsdienst, mehr oder weniger glanzlos seine Karriere machte und auch als Wirtschaftsprofessor niemanden vom Hocker riss.
Obschon fest in der grünen Partei verankert, in der er auch langjährig als Oberfunktionär tätig war und von der er sich im Wahlkampf unterstützen lässt, macht Van der Bellen einen auf unabhängiger Kandidat. Es ist gleichsam der Privatmann Van der Bellen, der Bundespräsident werden will. Diese Form von Unabhängigkeit ist allerdings eher ein Zeichen von fehlendem Enthusiasmus der Grünen selbst, was ihren Kandidaten anbelangt, als ein Zeichen dafür, dass Van der Bellen sich selber der grünen Basisdemokratie vielleicht auch altersbedingt nicht mehr stellen mag.
Alexander Van der Bellen ist, wie man in München sagen würde, Mitglied der Bussi-Bussi-Gesellschaft. Schick, schick, Schickeria – so bezeichnet Kontrahent Norbert Hofer die politische Beheimatung Van der Bellens in der österreichischen Gesellschaft, in der österreichischen „Hautevolee“. Da oben, wo man am Ende immer weiß, wer man ist, ob radikal links oder nichtssagend konservativ, wie schon immer, ob Künstler oder Provokateur, das System Österreich schickt Van der Bellen ins Rennen, allerdings recht müde und ohne Power.
Die virtuelle Wahl mit realem Ausgang
Es gibt ab und zu ein paar links-randständige Supporter, die den Herausforderer Hofer, wie man ihn auch bezeichnen könnte, attackieren, aber das ganze Spiel dieser Präsidentschaftswahl hat, auch wenn sehr viele Österreicher es als eine weichenstellende Wahl ansehen, eine seltsam abwesende, fast virtuelle Seite. Es geht wenig hoch her und das liegt zu einem großen Teil in der Person des smart daherkommenden politischen Start-up-Unternehmens Norbert Hofer. Ihm ist es gelungen, sich selbst, aber auch seine verpönte „Populistenpartei“ ziemlich weit aus der systematischen Isolierung durch Establishment, Medien, Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden und sonstigen Einrichtungen heraus zu faden.
Van der Bellen hat vorgeführt, dass er nicht weiß, was Demokratie ist. Hofer ist, noch weit unterschätzt, zu einem wachsenden Hoffnungsträger für sehr viele Österreicher aller Couleur geworden. Er hat ein großes Maß an Unschuld für sich aufbauen können. Das Politi-Magazin fand noch ein paar peinliche, ins Braune changierende Tupfer auf seiner sonst weißen Weste. Ob das hilft? Hofer bleibt unaufgeregt und macht seine Sache recht cool und passt nicht in die Fiktionen, die Linke in ihren Köpfen pflegen. Er ist kein populistischer Rattenfänger, kein Stammtischler und Van der Bellen hat in der unmoderierten zweiten TV-Debatte der Kandidaten am letzten Wochenende die größte Dummheit, eigentlich müsste man sagen, eine maximale Dämlichkeit an den Tag gelegt.
Präsident der Euro-Nomenklatura
Van der Bellen hat live vorgeführt, dass er nicht weiß, was Demokratie ist, wie Demokratie funktioniert. Er prahlte damit, dass ihn die meisten Häuptlinge der europäischen Nomenklatura unterstützten oder gar den Österreichern ans Herz legen würden, wie beispielsweise der nicht ganz unzwielichtige Immer-Oben-Schwimmer Jean-Claude Juncker, der als Obereuropäer den Österreichern empfohlen hatte, Van der Bellen am 22. Mai zum Präsidenten zu machen. Er prahlte weiter damit, dass die Künstler auf seiner Seite stünden, wie zum Beispiel der etwas in die Jahre gekommene Aktionskünstler Andre Heller und Oskarpreisträger Christoph Walz – und fragte Hofer, wer denn nun ihn unterstützte.
Vielleicht ganz einfach die Wähler. In Österreich wird der Bundespräsident vom Volk gewählt und nicht in Brüssel bestimmt und auch nicht vom europäischen Führungspersonal ausgekungelt.
Van der Bellen vertraut zu sehr darauf, von den allerdings bröckelnden Strukturen des Systems, wie es im Wahlkampf gelegentlich heißt, schon irgendwie ins Amt getragen zu werden. Mindestens mit Ach und Krach und 51 Prozent, Hauptsache irgendwie noch über die Schwelle rüber.
Intellektuell politisch hat Van der Bellen mehr als ein bloßes Verwalten des ewigen Weiter so nichts zu bieten. Da hilft auch seine Vokabel „Neuanfang“ keinen Nanometer weiter. Noch mal ein paar Jahre gemütlich auf dem Wiener Parkett tanzen ohne jede erkennbare Gestaltungskraft, das ist zu wenig und das ist den politischen Herausforderungen, wie sie sich aktuell darstellen, auch nicht angemessen.
Im Wahlkampf ist Van der Bellen schon vor seinem möglichen Einzug ins Präsidentenamt eine lame duck und eine etwas rechthaberische, kleinkarierte und auch etwas aus der Zeit gefallene dazu. Es hat einen Grund, dass Van der Bellen die FPÖ-Hasser und das sind mindestens im veröffentlichten öffentlichen Bereich fast alle, nicht hinter sich versammeln kann. Die gebeutelten abgestraften, gleichzeitig feist und ausgemergelten ewigen Regierungsparteien SPD und CDU, achnee, wir sind ja in Österreich, also SPÖ und ÖVP, sind auch in Sachen Wahl des Bundespräsidenten desorientiert.
Im ersten Wahlgang war Van der Bellen mit 21,34 der Zweitplatzierte hinter dem erstplatzierten FPÖ-Kandidaten mit 35,05 Prozent.
Die blau-schwarz-grün-rote und pinke Ex-Richterin Irmgard Griss, die eher mit Selbstüberschätzung glänzt, aber noch nicht so recht verstanden zu haben scheint, was Politik ist, hatte im ersten Wahlgang, in dem sie 18,9 Stimmen erreichte, wahrscheinlich vor allem noch nicht entschiedene und parteipolitisch nicht so sehr gebundene Wähler auf sich vereinigen können. Ihre zögerliche Empfehlung, denn nun doch bitte schön für Van der Bellen zu votieren, kann gewiss keine Wähler enthusiasmierende Wirkung erzielen. Diejenigen, die Griss gewählt haben, werden sich im Zweifel bei der Wahl am Sonntag einigermaßen paritätisch aufteilen.
Muss ich überhaupt zur Wahl gehen?
Muss ich überhaupt zur Wahl gehen? Auf diese Frage gibt Van der Bellen keine einleuchtende Antwort.
Hofer kann seine 35 Prozent, die er im ersten Wahlgang holte, gewiss auch am kommenden Sonntag wieder dazu motivieren, ihn zu wählen. Und, und das ist die meine Prognose, er wird auch noch einen großen Anteil an Stimmen, die eher im anderen Lager bisher zuhause waren, hinzugewinnen. Die Zahl der tief enttäuschten SPÖ- und ÖVP-Wähler muss relativ groß sein. Der kurzfristige Abgang von SPÖ-Bundeskanzler Feymann hat allen politisch korrekten Parteien Wind aus den Segeln genommen.
Und mit dem fröhlich unverkrampften „Wir sind alle Österreich-Kurs“ von Hofer sympathisieren wahrscheinlich sehr viel mehr Österreicher, auch wenn sie es selbst in der Badewanne vor sich selbst noch nicht zugeben mögen.
Es hat etwas regelrecht Gespenstisches: Das Wahlthema Nr. 1, wie umgehen mit der Masseneinwanderung, wie umgehen mit dem Islam, wie umgehen mit der bereits fehl geschlagenen Integration, kommt im Präsidentschaftswahlkampf unverhältnismäßig untergeordnet vor. Van der Bellen vermeidet es, einen ähnlichen Absturz wie SPÖ-Bundeskanzler a.D. hinzulegen, noch bevor es ins Präsidentenamt überhaupt gehen könnte, also lieber so tun, als wenn nichts wäre.
Hofer, der in der Wahrnehmung seiner Unterstützer und Wähler für einen klaren Kurswechsel in der Einwandererpolitik steht, muss dieses offenbar im Wahlvolk anders als im veröffentlichten Raum beurteilte Thema, das üblicherweise zu enormen öffentlichen Aufgeregtheiten führt, nicht groß beackern.
Van der Bellen hat sich bis jetzt die politische Instrumentalisierung des Themas Islam nicht zugetraut. Van der Bellen kann heute Abend im letzten TV-Duell eigentlich nur weiter verlieren und das minimiert seine Chancen am kommenden Sonntag weiter. Es war schön rührend, wie die etablierten TV-und Politprofis nach dem zweiten unmoderierten TV-Duell unisono ihr Urteil verkündeten, dass sich beide Kandidaten blamiert und das Amt beschädigt hätten, dass beide Kandidaten auf Kindergartenniveau agiert hätten usw.
Wer sich das TV-Duell des linken Übervaters Bruno Kreisky mit seinem blassen Herausforderer Josef Taus von der ÖVP heute nüchtern anschaut, das vor dreißig Jahren ebenfalls unmoderiert stattfand – damals ging es um ein Duell der Kanzlerkandidaten – ist schwer enttäuscht von dem verstaubten Vorbild.
Tatsächlich vollbringen TV-Duelle keine intellektuellen Wunder. Auch die sonst zum Einsatz kommenden Moderatoren sind alles andere als Wundermaker. Was aber das unmoderierte TV-Duell vom letzten Sonntag angeht, war es vor allem Van der Bellen, der oberlehrer-und gouvernantenhaft, um Kreisky zu zitieren, versagt, nicht gezündet hat. Um das zu kaschieren, haben sich die Medien mehrheitlich entschlossen, Hofer gleich mit versagt haben zu lassen. Hofer war allerdings tatsächlich nicht besonders gefordert und in einer solchen Situation hat er auch nicht sonderlich geglänzt. Vor allem die etwas störrische Hineinrederei, der sich Van der Bellen offenbar befleißigen musste, wirkte ziemlich uncool.
In Österreich hat der Bundespräsident eine qualitativ andere demokratische Legitimation als in der Bundesrepublik und die österreichische Verfassung sieht auch eine andere Beteiligung am politischen Prozess vor als in der Bundesrepublik, so dass die Bundespräsidentenwahl in der Alpenrepublik keine wichtige Formalie ist, sondern eine auch nach Europa hinein strahlende politische Bedeutung hat.
Der Countdown läuft, eine Hochrechnung ist alles andere als einfach, aber die Chancen für Hofer dürften deutlich besser stehen. Heute Abend muss Hofer noch durch die öffentlich-rechtliche ORF-Höhle des Löwen. Ein Heimspiel für Van der Bellen dürfte es trotzdem nicht werden. Van der Bellen fehlt die Siegerenergie, ihm fehlt das Momentum.
20.15 Uhr Finale im ORF Van der Bellen und Hofer diskutieren ein letztes Mal.
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