NRW: Josefine Paul und die Kette der Versäumnisse im Fall Issa Al H.

Der Attentäter von Solingen hätte mehr als ein Jahr vor dem 23. August abgeschoben sein sollen. Das gelang unter der Ägide von NRW-Fluchtministerin Josefine Paul nicht. Auch eine IS-Fahne in seinem Zimmer fiel niemandem auf. Die grüne Ministerin trägt eine Mitverantwortung für den Anschlag.

Josefine Paul, (Bündnis 90/die Grünen), NRW-Integrationsministerin, Düsseldorf, 09.10.2024

Zwei Anfragen der AfD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag veranschaulichen die politisch-ideologische Ausrichtung der aktuellen Integrations- und Flüchtlingsministerium Josefine Paul. Die AfD-Abgeordneten wollten zum einen wissen, wieviele terroristischen Gefährder seit 2015 abgeschoben wurden, zum anderen, aus welchen Herkunftsländern die nichtdeutschen terroristischen Gefährder stammen. 464 solche Gefährder gebe es insgesamt, so der Abgeordnete Markus Wagner, zugleich innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Die Antwort aus dem Fluchtministerium lautete in beiden Fällen: „Eine Statistik im Sinne der Fragestellung liegt nicht vor.“ Das ist inzwischen eine beliebte Ausrede der Regierenden dort, wo sie lieber keine Auskunft geben wollen. Als ob alle anderen Daten sofort griffbereit in den Ministerialakten bereitlägen. Nein, man ist nicht willens, die gewünschten Statistiken anzufertigen. Man zieht es vor zu schweigen, wo Antworten ein gewisses Skandalisierungspotential in sich tragen.

Auch mehr als zwei Monate nach dem dschihadistischen Attentat von Solingen vom 23. August, bei dem drei Stadtfestbesucher ermordet wurden, bleiben viele Fragen offen. Etwa die Frage nach dem Informationsfluss zwischen dem Innenministerium von Herbert Reul (CDU) und der Integrations- und Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). Reul gibt zu, Paul erst am Sonntag per SMS informiert und um Rückruf gebeten zu haben. Paul rechtfertigt die späte Reaktion ihres Hauses auf das Geschehen damit, dass sie nicht schon am Samstag informiert worden war.

Allerdings hätte sie das Attentat wohl auch auf ihrer Dienstreise in Frankreich bemerken können und müssen, denn ARD und ZDF berichteten – anders als in vielen anderen Fällen – umgehend von dem furchtbaren Geschehen an jenem fatalen Freitag im August. Paul meint daneben, dass auch eine frühere Information an ihr Haus nichts geändert hätte. „Für die Fahndung und die Festnahme … hätte dies gleich wohl nichts geändert.“ Das glaubt man gern.

Tatsächlich hatte das Düsseldorfer LKA schon am Samstagnachmittag um Einsicht in die Asyl-Akte von Issa Al H. gebeten. Der Referatsleiter verzögerte die Herausgabe der Akte bis zum Sonntag, da erst zu diesem Zeitpunkt sicher gewesen sei, dass Al H. der Täter war. Nun ja, die Diskussion dreht sich darum, ob man Issa Al H. einen halben Tag früher oder später vollends identifizieren und aufspüren konnte. Aber er hätte durch das Versäumnis vielleicht auch entkommen können. Die „Meldekette“ habe funktioniert, behauptet das NRW-Fluchtministerium. Geknirscht hat sie sicher. Der Referatsleiter lässt sich inzwischen von einem Anwalt vertreten, denn er will seinen Vorgesetzten schon am Samstag über das Informationsgesuch des LKA informiert haben.

Ausländerbehörden arbeiteten schlampig, Paul interessierte es wenig

Doch neben dieser Reaktionsträgheit bleibt es bei Pauls grundsätzlicher Mitverantwortung für das Attentat. Der Syrer Issa Al H. hätte im August eigentlich schon lange abgeschoben sein sollen. Das aber misslang durch multiples Behördenversagen. Irgendwie kommt einem das auch bekannt vor. Denn es war im Fall Anis Amri (Anschlag vom Breitscheidplatz) und beim Messerstecher von Brokstedt nicht anders – immer versagten deutsche Behörden beim Umgang mit windigen, sich den staatlichen Behörden durch Umzug oder Untertauchen entziehenden Asylbewerbern. In allen Fällen war auch das Land Nordrhein-Westfalen an der Ämtercharade beteiligt. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat sich gelegentlich schon dafür entschuldigt. Nur folgte daraus kein entschiedenes Handeln.

Anfang September lieferte „Fluchtministerin“ Paul dem Integrationsausschuss im Landtag einen zehnseitigen Bericht ab. Daraus wurde deutlich, dass weder die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld noch Al H.s Unterkunft in Paderborn sich sehr um dessen Abschiebung gekümmert hatten. Im April 2023 konnte man Issa Al H. für eine Woche lang nicht in seiner Unterkunft antreffen.

Im Juni 2023 fehlte er just in der Nacht, in der ihn die ZAB dort suchte. Die Mitarbeiter suchten aber auch nicht besonders gründlich, befragten die Mitbewohner kaum und trauten sich nur in den gemeinsamen Waschraum, nicht aber in andere Zimmer. Am Tag davor und danach war Al H. wieder in seiner Unterkunft anzutreffen. Angeblich gab es keine offizielle Vorankündigung des amtlichen Besuchs. Hätte es eine Verfügung gegeben, dann hätte sich die Abschiebefrist auf 18 Monate erhöht. Ministerin Paul rechtfertigt die Unterlassung damit, dass die Verfügung einer Vorwarnung gleichgekommen wäre. Offenkundig gab es auch so ausreichende Informationen für den Syrer, um in der Nacht des ZAB-Besuchs abzutauchen.

Amtsmissbrauch und Behördenversagen en masse

Daneben kam heraus, dass die Bewohner der Unterkunft sich gegenseitig warnten. Aber irgendjemand muss sie im Ursprung über die Abschiebetermine informiert haben, die konnte kein Mitbewohner wissen. Alles deutet auf Amtsmissbrauch und Behördenversagen hin. Außerdem blieb den Behörden offenbar verborgen, dass Issa Al H. eine IS-Fahne in seinem Zimmer aufgehangen hatte. Die Düsseldorfer Opposition liest all das als Hinweis darauf, dass die Landesregierung und speziell das Flüchtlingsministerium keinen besonderen Wert auf funktionierende Abschiebungen legen – oder auch auf die Kontrolle, wer da zu uns ins Land gekommen ist. Im Fall des Solinger Attentäters, wusste man angeblich nichts von einer Radikalisierung. Issa Al H. war vor seiner Tat nicht als Gefährder bekannt. Daran sieht man, wie lückenhaft unsere Gefährderdateien offenbar sind.

Seit 2022 hätte Josefine Paul Zeit gehabt, ihre Arbeit als „Fluchtministerin“ zu erledigen. Sie aber verschob die Prioritäten in der Asylpolitik in die „grüne“ Richtung. Im vergangenen Jahr scheiterte die Hälfte der geplanten Rückführungen, 4000 im Land NRW. Auch ein ursprünglich geplanter Abschiebegewahrsam am Flughafen Düsseldorf soll nun doch nicht entstehen. Laut Paul reicht das Abschiebegefängnis in Büren mit 175 Haftplätzen aus. Büren ist im Durchschnitt nur zur Hälfte belegt, was auch zum Leistungsportfolio der schwarz-grünen Landesregierung (inklusive Innenminister Reul) gehört. Die Opposition sieht eine Erhöhung des Platzbedarfs voraus, weil der Ausreisegewahrsam inzwischen auf 28 Tage verlängert wurde. FDP-Fraktionschef Henning Höne spricht von einer „skandalös kurzsichtigen Entscheidung, die unsere Sicherheit aufs Spiel setzt“. Sogar die NRW-SPD (!), die sicher nicht weniger Zuwanderung wünscht, spricht von Chaos im Hause der Flüchtlingsministerin.

Kurzum: Während Ministerpräsident Hendrik Wüst über „mehr (!) Rückführungen nach Syrien und Afghanistan“ spricht, hintertreiben seine Minister und nachgeordnete Behörden genau dieses angebliche Ziel des CDU-Politikers. Wenn Wüst das wüsste… Der Streit zwischen Innenminister Reul und Fluchtministerin Paul überdeckt so auch eine einfache Tatsache: Der CDU-Innenminister war eigentlich mindestens genauso verantwortlich für die verpassten Abschiebungstermine. Er hätte im Kabinett auf besseren, strengeren Vollzug der Gesetze dringen müssen, ebenso der Ministerpräsident. Vielleicht ist das aber auch einfach sehr schwierig, wenn man mit den Grünen regiert und weiter mit ihnen regieren will.

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