Murswiek: Brüssels Verfahren gegen Deutschland ist ein „dreister Akt“

Mit dem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland soll ein Exempel statuiert werden: Es ist der dreisteste von vielen Akten, mit denen die EU-Zentrale sich jene Souveränität aneignen will, die gemäß den EU-Verträgen bei den Mitgliedsstaaten liegt

IMAGO / Horst Galuschka

Berlin. Das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wegen eines Verfassungsgerichtsurteils zu den Anleihekäufen der EZB ist nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Dietrich Murswiek ein „dreister Akt“. Es sei der Versuch, die Souveränität der Mitgliedsstaaten einzuschränken. „Dieser Beschluss ist der neueste und dreisteste Akt in einer langen Reihe von Schritten, mit denen Brüssel seine Macht zulasten der Mitgliedsstaaten ausdehnen und sich schleichend die Souveränität aneignen will, die nach den EU-Verträgen immer noch bei den Mitgliedsstaaten liegt“, kritisiert Murswiek in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift Tichys Einblick. Obwohl das deutsche Bundesverfassungsgericht letztlich die Anleihekäufe der EZB toleriert, hat es laut Murswiek mit dem Verfahren die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshof in dieser Sache in Frage gestellt. „Diese Auflehnung gegen den EuGH, mag sie in ihren praktischen Konsequenzen auch völlig belanglos sein, will die Kommission nicht akzeptieren. Sie möchte ein Exempel statuieren und die alleinige Zuständigkeit des EuGH zur verbindlichen Auslegung des EU-Rechts sichern“, so Murswiek.

Doch der Verfassungsrechtler sieht den Vorrang des EU-Rechtes durch die „Verfassungsidentität der Mitgliedsstaaten“ begrenzt. „Das EU-Recht kann keine Geltung in einem Mitgliedsstaat beanspruchen, wenn es mit dessen grundlegenden Verfassungsprinzipien unvereinbar ist. Für Deutschland bedeutet dies, dass das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip, natürlich auch die Menschenwürdegarantie, nicht durch EU-Recht beeinträchtigt werden dürfen. Deshalb steht dem BVerfG das Recht zur „Identitätskontrolle“ zu“, so Murswiek. Es gehe in dem Streit darum, wer feststellen dürfe, ob ein EU-Organ seine Kompetenzen überschritten hat.

Für Murswiek liegt auf der Hand, dass das Bundesverfassungsgericht darüber urteilen darf, ob EU-Maßnahmen gegen deutsches Verfassungsrecht verstoßen. „Wenn, wie das BVerfG im Lissabon-Urteil formuliert hat, die Kompetenzüberschreitung jedoch klar „ersichtlich“ ist, muss ein nationales Verfassungsgericht die Gefolgschaft verweigern dürfen.“ Diese Kompetenz steht nach den EU-Verträgen „eindeutig den Mitgliedsstaaten zu“, so Murswiek. „Einen Souveränitätsübergang zur EU wollte das BVerfG mit dem Lissabon-Urteil verhindern. Wenn ihm nicht die Kompetenz zur Identitäts- und zur Ultra-vires-Kontrolle zustünde, hätte der Vertrag von Lissabon nicht ratifiziert werden dürfen, weil das mit dem unabänderlichen Verfassungskern des Grundgesetzes – dem Demokratieprinzip und mit dem Prinzip der souveränen Staatlichkeit – nicht vereinbar gewesen wäre“, urteilt der Verfassungsrechtler. „Nun will die EU-Kommission das Lissabon-Urteil aus den Angeln heben und die Dominanz der EU über die Mitgliedsstaaten besiegeln.“


Den ganzen Beitrag finden Sie in Tichys Einblick 08-2021 >>>

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Kommentare ( 55 )

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Paul Brusselmans
3 Jahre her

Schauen Sie mal, wer sich das tummelt im EUGH…zB für Deutschland. Vor langer Zeit auch der Exjustizminister Wathelet aus Belgien, der den späteren Kindermörder Dutroux freigelassen hatte und flugs zum EUGH wegbefördert wurde…

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Melchior_Wathelet_(Senior)

alter weisser Mann
3 Jahre her

Deutschland wird bestraft, weil es (rest-)unabhängige Gerichte hat, andere EU-Länder werden bestraft (mit deutscher Unterstützung), weil sie angeblich die Unabhängigkeit ihrer Gerichte einschänken. So kanns gehen in der EU.

Gisela Fimiani
3 Jahre her

Im Hinblick darauf, dass die Politisierung des BVerfG immer deutlicher zu Tage tritt, bedarf es einer Diskussion über demokratische Rechtsstaatlichkeit, die die Bürgern darüber aufklärt, dass ihre im GG garantierten Rechte durch eine übergriffige EU samt EUGH, sowie politisch agierende Richter zur Disposition stehen. Es geht nicht um „juristische Feinheiten“, die Juristen untereinander aushandeln. Es geht in Wahrheit um bürgerliche Freiheit, Rechte und Würde, derer wir auf klandestine Weise beraubt werden, durch eine sich totalitär gebärdende EU, die sich illegitim Legitimation zu verschaffen sucht. Das GG und unsere demokratische Rechtsordnung sind ernsthaft bedroht. Es geht um Abhängigkeit und Entmündigung. Die… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Gisela Fimiani
Britsch
3 Jahre her

Es ist doch einfach so, daß zur Zeit aus Sicht der EU der richtige Zeitpunkt dafür ist. Merkel ist noch Alleinherrscherin über Deutschland und das Was die EU will ist doch real das was Merkel tatsächlich anstrebt. Gewaltenteilung gibt es nicht mehr in Deutschland. Die letzte „Hürde“ war das Bundesverfassungsgericht. Als sich Dieses „Erdreistete“ im Namen und für Deutschland Recht zu sprechen (wohl das letzte Mal), urde es endgültig und vollens mit merkelgefolgschaf, im Sinne Merkels besetzt von Ihrer Gefolgschaft. Es ist von Deutscher Amts / Regierunsseite höchstens Scheinwiederstand zu erwarten

moorwald
3 Jahre her

Alle Weltkenntnis und -erkenntnis beginnt mit dem Wahrnehmen – und Annehmen- von Unterschieden. So werden aus „Bäumen“ Eichen, Buchen, Tannen… Später, wenn das begriffliche Denken einsetzt, wieder Bäume, schließlich „Wald“. Aber die Unterschiede bestehen weiter, und sie im praktischen Handeln zu leugnen oder zu vernachlässigen, kann schlimme bis tödliche Folgen haben. Verschiedenheit – besonders natürlich die unter Menschen – ist für Grüne und LInke ein schlechthin unerträgliches Ärgernis. Sie anzuerkennen, erfordert auch Realismus auch Selbstbeschränkung, Bescheidenheit, einen gewissen Fatalismus. Solange man sich in seiner Welt („Blase“) im Kopf aufhält, mag die Illusion der Gleichheit Privatsache sein. Aber wenn die sichtbaren… Mehr

Johann Thiel
3 Jahre her

In der Vorversion meines Kommentars hatte ich zugegebenermaßen nicht das richtige Niveau gefunden, aber ihre Frage im Kontext dieses Artikels finde ich schon berechtigt.

Mausi
3 Jahre her

Das mag ja alles sein, aber die Realität schaut anders aus. D trägt auf allen Ebenen (Legislative bis 4. Gewalt) überall aktiv dazu bei, dass sich die Souveränität der Mitgliedsstaaten auflöst und der EU diese Rechte zufallen. Könnte irgendeine der Öffentlichkeit nicht zugängliche Klausel im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung sein. Zudem, wen stört es? Dreistigkeit ist Trumpf. Siehe Die Grünen, siehe Annalena, siehe ich habe meinen Pass verloren und bin minderjährig, siehe Energiewende. Endlose Liste der Dreistigkeiten. Eine, die auch noch nicht vorbei ist, ist Corona oder weg mit den Grundrechten und dann dank des BVerfGE und DUH etc. demnächst… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Mausi
Juergen P. Schneider
3 Jahre her

Hier irren Sie, verehrter Herr Pascht. Der „Europäische Gerichtshof für Menschenrechte“ ist eine Einrichtung, die vom Europarat geschaffen wurde. Der Europarat hat mit der EU nichts zu tun. Er verwendet lediglich EU-Symbole wie beispielsweise die EU-Flagge. Die EU-Institutionen heißen Europäischer Rat sowie Rat der Europäischen Union. Dem Europarat gehören 47 Nationen mit einer Gesamtbevölkerung von 820 Mio. Menschen an. Zu den Mitgliedsstaaten gehören unter anderem Russland, Armenien, Aserbeidschan und die Türkei.

Johann Thiel
3 Jahre her
Antworten an  Juergen P. Schneider

Wer würde auch auf die abwegige Idee kommen, dass EuGH und Europarat irgendetwas mit der EU zu tun haben.

Johann Thiel
3 Jahre her

Es ist doch so, dass zwischen den in Deutschland Regierenden und von diesen besetztem Verfassungsorgan BVG und den EU-Bürokraten überhaupt kein Unterschied mehr besteht, dass diese längst Hand in Hand arbeiten und lediglich ein Kasperltheater aufführen um ihre Agenda bei Wahrung der Form durchzusetzen. Was passiert denn wenn die AfD vor das BVG zieht und wegen „rückgängig“ gemachter Wahlen klagt? Die Bundeskanzlerin lädt die Herrn Richter des BVG zum netten Abendessen im privaten Rahmen ins Kanzleramt ein, so sieht‘s aus. (Bildzeitung) Ja wer zum Donnerwetter ist denn der Haupttreiber allen Unsinns und Größenwahns in der EU? Es ist die deutsche… Mehr

Hans Buttersack
3 Jahre her

Zu kritisieren sind hier aber auch die Richter. Sie hätten die Einladung nicht annehmen dürfen. Es handelte sich eindeutig um einen Bestechungs- und Beeinflussungsversuch außerhalb des Verfahrens. Von Richtern am höchsten deutschen Gericht muss so viel Professionalität erwartet werden, dass sie zur Regierung die gebotene Distanz halten. Anderenfalls wird die vom Grundgesetz gefordferte Gewaltenteilung zur Farce.

Last edited 3 Jahre her by Hans Buttersack