Merkel und Erdogan beim „Globalen Flüchtlingsforum” in Genf

Zum ersten „Globalen Flüchtlingsforum” in Genf richtete die Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den wir nachstehend dokumentieren.

Michael Kappeler/AFP/Getty Images
Angela Merkel and Recep Tayyip Erdogan shake hands prior to a bilateral meeting on the eve of the G20 summit in Hamburgon July 6, 2017.

Zum ersten „Globalen Flüchtlingsforum” in Genf richtete die Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den wir nachstehend dokumentieren.

Offener Brief

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

auf dem ersten Globalen Flüchtlingsforum in Genf werden Sie morgen auch mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan zusammentreffen. Wir hoffen inständig darauf, dass Sie diese Begegnung dazu nutzen werden, eine deutliche Kritik an der verheerenden türkischen Außen- und Innenpolitik zu üben – anstelle diese durch das Inaussichtstellen weiterer Gelder im Rahmen des EU-Türkei Flüchtlingsabkommens sowie weiterer Zusammenarbeit zu honorieren.

Die Türkei hat längst bewiesen, dass sie in der Flüchtlingsfrage kein verlässlicher und an den universellen Menschenrechten orientierter Partner ist. Sie instrumentalisiert die Versorgung von Geflüchteten für die eigenen Zwecke und ist mit ihrem Einmarsch in Syrien, der Schließung ihrer Grenzen sowie mit der Verfolgung kritischer Stimmen im eigenen Land inzwischen selbst zu einem Verursacher neuer Fluchtbewegungen geworden. Eine Zusammenarbeit unter diesen Vorzeichen beschädigt unsere europäische Integrität.

Nicht länger hinnehmbar ist etwa die willkürliche Inhaftierung und von einer Ausreisesperre betroffene deutsche Staatsbürger*innen unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda. Sie ist Ausdruck einer türkischen Willkürjustiz, mittels derer kritische Stimmen eingeschüchtert und bei den Verhandlungen um den sogenannten „Flüchtlingsdeal“ mit der EU Druck ausgeübt werden soll. Hier muss eine umgehende diplomatische Lösung gefunden werden.

Als einer der Gastgeber des Forums muss von Deutschland in diesem Zusammenhang ein glaubwürdiges Signal ausgehen: Sich für eine solidarische und langfristige internationale Flüchtlingspolitik einzusetzen, heißt auch, sich endlich aus der Abhängigkeit von Autokraten und ihren populistischen „Deals“ zu befreien und Fluchtursachen bekämpfen.

Eine weitere Tragödie, die in Ihrem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten nicht unerwähnt bleiben darf, stellt die türkische Militäroffensive und der Aufbau eines türkischen Protektorats in Syrien dar – trotz internationaler Proteste, vor allem aus der Zivilgesellschaft, verlief der völkerrechtswidrige Angriff der Türkei von politischen Sanktionen weitgehend ungehindert: erneut mussten Hunderttausende Menschen fliehen und Terror und Gewalt erleiden. Die von dschihadistischen Milizen unterstützte türkische Operation bedeutet eine existenzielle Bedrohung für diverse religiöse und ethnische Minderheiten in dieser Region. Die Türkei strebt eine Politik der ethnischen Säuberung in der Region an. Das damit einhergehende Wiedererstarken des IS ist ein herber Rückschlag für unsere demokratischen Werte.

Werden weiter Gelder an eine autokratische Regierung Erdogan bezahlt, um Menschen auf der Flucht aus Europa auszusperren, verraten wir damit einen wesentlichen Grundsatz humanitärer Hilfe und verlieren unsere moralische Glaubwürdigkeit.

Mit freundlichen Grüßen

Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V.

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Kommentare ( 20 )

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Sembo
4 Jahre her

1. Dieses Flüchtlingsforum wird von Deutschland ausgerichtet.
2. Bundestagsabgeordnete dürfen nicht! Daran teilnehmen.

Ralf Poehling
4 Jahre her

Trotz des linken Duktus in weiten Teilen Zustimmung. Zitat:“Sich für eine solidarische und langfristige internationale Flüchtlingspolitik einzusetzen, heißt auch, sich endlich aus der Abhängigkeit von Autokraten und ihren populistischen „Deals“ zu befreien und Fluchtursachen bekämpfen.“ Hierzu folgende Anmerkungen, da die Menge das Gift ergibt: Der Fokus muss auf der Bekämpfung von Fluchtursachen liegen, denn die Solidarität kennt Grenzen. Gemeint sind hier nicht die Landesgrenzen, sondern finanzielle, kulturelle und auch Grenzen des zur Verfügung stehenden Raumes. Die Solidarität in Deutschland wird zuvorderst vom hart arbeitenden (unteren) Mittelstand gestemmt, dessen Belastungsgrenze in den oben genannten Punkten erreicht ist. Die Steuer- und Sozialabgabenlast… Mehr

Frank v Broeckel
4 Jahre her

Liebe kurdische Gemeinde,

die Migrationswelle in den Jahren 2015 ff Richtung Mitteleuropa ist ausdrücklich KEIN Zufall!

Da in den strategischen Planungen ALLER beteiligten Staaten der IS ursprünglich jedoch NICHT eingeplant war, benötigte man die kurdischen Kämpfer vorrübergehend lediglich NUR als williges und billiges Kanonenfutter zur Vernichtung des IS, um…

… dann anschließend WIEDER zu den ursprünglichen strategischen Planungen hinsichtlich Syrien und dem Irak zurückzukehren!

Liebe Kurden, ihr ward verraten und verkauft, und DAS bereits auch schon von Anfang an!

Pippi L
4 Jahre her

Wer sich mit diktatorischen Regimen gemein macht, beweist seinen Charakter.
Man sagt nicht umsonst : Sage mir mit wem du umgehst und ich sage dir wer du bist.

Kassandra
4 Jahre her

„Wer es in der @Tagesschau verpasste:
Kopfschuss – Illegaler Migrant erschießt Grenzpolizisten, der ihn ohne Papiere aufgriff!“
https://twitter.com/Hartes_Geld/status/1206644266681937922

Wurde darüber irgendwo berichtet? Anscheinend werden jetzt welche wütend, wenn man sie an der Weiterreise hindert, zumal man ihnen wohl eintrichterte, dass niemand berechtigt ist, sie aufzuhalten?

Protestwaehler
4 Jahre her

Ahhh, noch mehr Facharbeiter rekrutieren 🙂

HRR
4 Jahre her

Mein Ansinnen ist nicht das Für und Wider des Offenen Briefes der Kurdischen Gemeinde in Deutschland zu beurteilen, sondern aufzuzeigen, welchen Zeiten wir entgegengehen. Mit gleichem Recht könnte sich die Türkische Gemeinde äußern und Forderungen und Ratschläge an die Politik richten. Infolge der Aufnahme von zahlreichen Migranten aus aller Welt ist es nur eine Frage der Zeit bis sich Afghanen, Iraker, Inder, Bangladescher, Nordafrikaner, Schwarzafrikaner diverser Staaten und last but not least Muslime staatenübergreifend in Vereinigungen zusammenfinden und ihre Rechte und Bedürfnisse mehr oder weniger lautstark verkünden und durchzusetzen versuchen werden. Solange dies in Wort und Schrift und in geziemender… Mehr

Kassandra
4 Jahre her
Antworten an  HRR

Aber das läuft doch schon lange, wenn auch nicht offensichtlich. Man betrachte, wie die „Neuen deutschen Medienmacher“ oder die „Neuen deutschen Organisationen“ uns allen zu Lasten agieren.
Hier ganz offiziell auf der Bundespressekonferenz zum Integrationsgipfel 2018 Ferda Atamans unvergesslicher Auftritt ab min: 11:36 https://www.youtube.com/watch?v=8dldTHBHPnA
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Annette Widmann-Mauz (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration) greifen nicht beschwichtigend ein!

Ananda
4 Jahre her

Natürlich ist Erdogan ein übler Geselle, dem speziell Merkel noch die Mittel in die Hand gibt um sich von ihm abhängig zu machen. Stimmt!

Allerdings der Anspruch Deutschland hätte bis zum eigenen Exidus alle aufzunehmen wer verfolgt ist oder hier seine Kriegspause oder Finanzenverbesserung macht, halte ich für unangemessen. “ … Sich für eine solidarische und langfristige internationale Flüchtlingspolitik einzusetzen“.

Solidarisch. Ich kann das Wort nicht mehr hören. Vernünftig, gerne.

Aegnor
4 Jahre her

Der Witz bei den aktuellen türkischen Verbrechen ist ja, dass schon Hitler auf den türkischen Völkermord an den Armeniern und die mangelnde Bestrafung der Verantwortlichen bzw. das allgemeine Desinteresse der Weltgemeinschaft daran hingewiesen hatte und das als Begründung heranzog, warum man selber ungestraft genauso handeln dürfe. Bekanntermaßen war dem (zum Glück) anders. Es zeigt aber wieder einmal, dass internationale Politik ein sehr dreckiges Spiel ist und überall mit verschiedenen Maßstäben gemessen wird. Manche dürfen ungestraft ethnische Säuberungen durchführen, in andere Länder einmarschieren etc und Andere halt nicht. Die Frage ist, warum ausgerechnet die Türkei, die ja nun historisch seit ihren… Mehr

GWR
4 Jahre her

Ich befürchte Merkel wird den Brief nicht lesen aber dazu sagen, dass das nicht hilfreich sei.
Das wird an der teflonbeschichteten Gottkanzlerin abtropfen als sei nichts gewesen.