Merkel mimt Empathie-Kompetenz

Das Versagen von mindestens drei „Gewalten“ - der Exekutive, der Legislative und der Presse - ist das eine. Das an Zynismus grenzende Fehlen innerer Anteilnahme der deutschen Regierungschefin ist das andere.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Mit den zwölf am 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz Ermordeten sind wohl die Falschen zu Tode gekommen. Sie passten, weil der Mörder, getarnt als „Asylbewerber“, ein islamistischer Terrorist war, nicht ins Konzept der „Willkommenskultur“. Opfer zweiter Klasse eben! Wären es Opfer der ersten Klasse gewesen, hätte es längst Staatsakte und Lichterketten durch das Brandenburger Tor gegeben. In diesem Fall des zwölffachen Mordes aber ist Deutschland wieder mal unfähig zu trauern. Regierungsamtlich verordnet!

Dass all dies geschehen konnte, hat mit einem Versagen des Staates auf allen Ebenen zu tun. Abgründe taten und tun sich auf. Diese werden nach dem Terrorakt nur häppchenweise offengelegt. Organisierte Nichtverantwortung ist da im Spiel. Die politische Verantwortung übernimmt wieder niemand. Es gibt keinen Rücktritt eines Ministers oder eines Regierungschefs respektive einer Regierungschefin. Man wagt es nicht, in Kategorien des Verursacherprinzips zu denken. „Man“ – damit sind die Politik gemeint und die „vierte“ Gewalt im Staate, die Presse, die es unterlässt, einen Zusammenhang herzustellen mit der „Willkommenskultur“ und dem fordernd-schnoddrigen Spruch so mancher „Schutzsuchender“: „Frau Merkel hat uns eingeladen.“

Dokumentation Offener Brief
Berliner Terroropfer-Familien von Frau Merkel allein gelassen
Das Versagen von mindestens drei „Gewalten“ – der Exekutive, der Legislative und der Presse – ist das eine. Das an Zynismus grenzende Fehlen innerer Anteilnahme der deutschen Regierungschefin ist das andere. Man stelle sich noch einmal vor: Da kommen mitten in Berlin, gerade eben drei Kilometer vom Kanzleramt entfernt, zwölf Menschen bei einem islamistisch motivierten Terrorakt ums Leben. Da bitten Hinterbliebene und schwer verletzt Überlebende im Frühjahr 2017 vergeblich um einen Gesprächstermin bei der Kanzlerin. Da schreiben diese oft bis an ihr Lebensende körperlich und seelisch Traumatisierten Mitte November 2017 einen offenen Brief an die Kanzlerin. Und dann erst, 364 Tage nach dem Attentat bequemt sich die Regierungschefin zu einem Treffen mit diesen Bürgern. Gigantisch!

Aber sofort läuft die Propagandamaschinerie auf Hochtouren. Regierungssprecher Steffen Seibert lässt wissen: Die Bundesregierung habe den offenen Brief der Angehörigen sehr genau gelesen. Daraus sei klar, dass „es vielen Betroffenen sehr dringlich ist, Vorschläge, aber auch Kritisches zu äußern über das, was ihnen in diesem Jahr begegnet ist“. Die Kanzlerin wolle zuhören. Ach ja, und der geschäftsführende Bundesjustizminister Heiko Maas betonte, dass der Staat Opfer und deren Angehörige nicht alleine lassen dürfe. Die Herkunft der Opfer dürfe dabei nicht relevant sein, unterstrich Maas laut Presseerklärung des Regierungssprechers. Er meinte wohl auch: Auch die Herkunft des Massenmörders dürfe nicht relevant sein.

Die Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) machen die Propaganda bereitwillig mit. Platziert oft noch vor der wahrscheinlich manchen ÖR-Leuten als ekelig empfundenen Meldung über den Amtsantritt der neuen österreichischen Regierung, wird brav vermeldet, dass sich die Kanzlerin drei statt der geplanten zwei Stunden Zeit genommen habe für die an elf Tischen sitzenden 80 Betroffenen.

Politik- und Medienversagen
Terror-Opfer-Verachtung
Merkt eigentlich niemand, wie peinlich das alles ist? Und wie verräterisch Nur wenige in der Presselandschaft wissen das zu deuten. Regine Mönch zum Beispiel in der FAZ vom 18. Dezember 2017: Sie schreibt von einer „unfassbaren Gefühllosigkeiten nach dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz vor einem Jahr.“ Sie weist zu Recht darauf hin, dass Berlins Regierender Bürgermeister fast zwei Monate braucht, um endlich Kondolenzschreiben und Briefe an die Verletzten zu schicken. Es sei nämlich schwierig gewesen, hieß es im Roten Rathaus, die Adressaten zu ermitteln. Nun, immerhin, Müller hat es in zwei Monaten geschafft. Anders das Kanzleramt. Eine „empathiefreie Verunmöglichung, Trauer, Erschütterung und Mitgefühl zu bekunden“, nennt Regine Mönch dies. Und sie befürchtet, dass mit dem 19. Dezember 2017 das Trauerjahr abgehakt werden solle.

In der „Rheinische Post“ vom 18. Dezember 2017 schreibt Gregor Mayntz zwar von „Merkels Empathie-Versagen“. Er kritisiert auch: „Teilnahme an einer Trauerfeier? Abgehakt. Kontaktaufnahme mit den Angehörigen? Sache der örtlichen Behörden. Staatliches Bekunden von Mitgefühl? Macht der Bundespräsident. Fertig.“ Aber sofort bricht Mayntz wieder eine Lanze für Merkel: „Es besteht die Hoffnung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Ansage des Bundestages und nach ihrem eigenen Versprechen dann auch zügig an die Verbesserungen herangeht. Wenigstens gehört die Effizienz zu ihren Stärken.“

Keine Zeit für Opfer
Nach öffentlichem Druck: Kanzlerin trifft Angehörige der Opfer vom Breitscheidplatz
Übrigens hatte der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in einem Beitrag in der „Welt“ bereits am 8. Januar 2017 geahnt, wie es kommen werde. Er schrieb damals, drei Wochen nach dem Mordanschlag: „Und das politische Berlin? Es glaubte, es sei mit einigen Worten und fünf weißen Rosen getan. Die Bundeskanzlerin, ihr Außen- und der Innenminister, der Regierende Bürgermeister und sein Innensenator legten sie an der Gedächtniskirche ab. Was für ein asketisches Symbol, wenn man an den Marsch der Hunderttausenden in Paris denkt!“

Oder wenn man daran denkt, wie das italienische Mordopfer Fabrizia di Lorenzo in Sulmona in den Abruzzen im Beisein von Staatspräsident Sergio Mattarella zu Grabe getragen wurde. Oder wenn man sich erinnert, dass zum Trauergottesdienst für den erschossenen polnischen Lastwagenfahrer in Banie bei Stettin Staatspräsident Andrzej Duda kam.

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Kommentare ( 261 )

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261 Comments
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Petra
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Kraus, mir ist zum Weinen zumute , nachdem ich Ihren Artikel gelesen habe. Letztes Jahr war es noch vorwiegend Wut, in Anbetracht dessen, dass die Kanzlerin beim Attentat in Frankreich sofort zur Stelle war – und bei uns GAR NICHTS passierte, was dem Ereignis auch nur annähernd angemessen gewesen wäre. Als ich das weitere Geschehen weiterhin beobachte, habe ich mich einfach nur noch geschämt! Zur Trauerfeier und drum rum war ich nur noch fassungslos. Und heute muss ich weinen, nach Ihrem Artikel, der endlich mal ungeschont Partei ergreift für die Opfer selber und für die Angehörigen der… Mehr

misty
6 Jahre her
Antworten an  Petra

Die Symbolkraft des „goldenen Risses“ halte ich auch für ziemlich fragwürdig…..Gold ist da nämlich gar nichts – außer vielleicht in der Phantasie so einiger Politiker (ich nenne keine Namen).

Hermann
6 Jahre her

Das ist doch nicht nur der Breitscheidplatz. Merkel hatte sich über zwei Wochen nicht zu dem Angriff auf Frauen am Domplatz in Köln geäußert. Und dann kamen Bilder von Merkel, die sofort wieder gelöscht wurden. Da sah Merkel aus, als hätte sie etwas gemacht, was unvorstellbar ist. Ich habe da einen Verdacht. Merkel hat auch keinen Regierungsauftrag, mit 26%, bundesweit, ist die CDU zwar stärkste Partei, doch nicht beauftragt. Wie kann es sein, dass Merkel so tut, Gesetzesänderungen (Neue Gesätze mit Minderheiten im Bundestag erlässt) als sei sie noch Kanzlerin? Wie kann ein Präsident solche Gesetze bestätigen. Das geht gar… Mehr

KUNO
6 Jahre her

Genauso ist es. Erst auf Kritik von Journalisten bequemt sich Merkel erst nach einem Jahr, nein nicht zu einer Lichterkette, sondern zur unglaubwürdigen Mime von Betroffenheit.
Merkel ist immer betroffen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Beim nächsten Massaker an Deutschen wird es nicht anders sein.

misty
6 Jahre her
Antworten an  KUNO

Die Mimik dieser Frau wirkte auf mich eher, als sei sie verärgert – vermutlich darüber, dass sie von den Betroffenen mit einem offenen Brief genötigt wurde, ihre – nicht vorhandene – Betroffenheit zu bekunden. Das Innenleben von Merkel entspricht vermutlich 1:1 der stumpfen Rhetorik ihrer Reden.

horst
6 Jahre her

… sie reden von Verantwortung – man muss sich darüber im Klaren sein, dass es zwei Arten von Verantwortung gibt. Die des kleinen Mannes, dem die Hammelbeine lang gezogen werden … & die der »verlogenen PolitikerInnen«. hh

Michael Dressler
6 Jahre her

Nur konsequent. Kompetenz und Eidestreue mimt sie ja auch nur.
Allerdings mit einer Qualität, die nicht einmal der goldenen Himbeere gerecht wird.

Christoph Müller
6 Jahre her

Erinnert sich noch jemand den Brand in Backnang 2013, bei dem eine türkische Mutter und sieben ihrer zehn Kinder ums Leben kamen? Da marschierten der stellvertretende Ministerpräsident Baden-Württembergs, Nils Schmid, zwei türkische Minister und zwanzig türkische Parlamentsabgeordnete bei der Trauerfeier auf. Später stellte sich dann heraus, das der Brand wahrscheinlich durch die Großmutter der Familie verursacht worden war, die unvorsichtig mit offenem Feuer umgegangen war.

misty
6 Jahre her
Antworten an  Christoph Müller

Die Oma hatte im Bett geraucht – das wurde aber ziemlich schnell unter den Teppich gekehrt. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat damals eine vollständige Aufklärung gefordert und Verdächtigungen geäußert. Und sogar die türkische Opposition schickte eine Delegation nach Deutschland, um den Brand aufzuklären.

Theodor Heuser
6 Jahre her

Auch politische Konservendosen sollten ein Verfallsdatum haben.

Karl-Heinz Loesche
6 Jahre her

Das Photo spricht Bände. Man googele mal nach „Marionettenfalten“… aber wer bewegt bei ihr die Fäden?

Tesst3
6 Jahre her

Ich verstehe nicht, warum wir uns immer die Bilder von dieser „Dame“ anschaun müssen, gleich dreimal im Artikel. Sie ist, gelinde ausgedrückt, keine Schönheit.

Hennes
6 Jahre her
Antworten an  Tesst3

Ich kann die vielen Merkel-Fotos – insbesondere die mit einem breiten Grinsen in ihrem Gesicht – obwohl ich Merkels Aussehen gar nicht mal so übel finde. Sie sieht halt aus wie eine Mutti und kommt damit (leider) bei vielen Leuten sehr gut an, nicht nur in Deutschland. Von mir aus kann ein Politiker potthässlich sein, Hauptsache er macht schöne Politik.
Aber Merkels Politik ich alles andere als schön, sondern sie zerstört den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nachhaltig und unwiderruflich.

Hennes
6 Jahre her
Antworten an  Hennes

Da fehlte was bei meinem Kommentar [ ]:
„Ich kann die vielen Merkel-Fotos – insbesondere die mit einem breiten Grinsen in ihrem Gesicht – [auch kaum noch ertragen], obwohl ich Merkels Aussehen gar nicht mal so übel finde. Sie sieht halt aus wie eine Mutti…“

misty
6 Jahre her
Antworten an  Hennes

Ich hege den Verdacht,dass sie von ihren Visagisten bewusst auf „Mutter Beimer“ getrimmt wird, um Vertrauen beim Wahlvolk zu schaffen. Clevere Taktik….

Bernhard Brendle
6 Jahre her

Das „Getue/Anteilnahme“ nun von Mekel ist in meinen Augen ein Witz.
Die ganze Zeit nichts und nun in der derzeitigen Lage nach der Wahl, da Sie vermutlich meint, daß es Ihr nutzt wenn Sie etwas für ihr Immage, Rückhalt / Beliebtheit in der Bevölkerung tut inszeniert / präsentiert sich Merkel wieder entsprechend