Schmerzensschreie für das Klima

Der MDR manipulierte eine Tonspur, um einen Polizeieinsatz gegen die „Letzte Generation“ dramatischer wirken zu lassen. Die ARD-Anstalt verfälscht damit nicht zum ersten Mal ein Dokument. Auch nicht zum zweiten Mal. Auch auf einem anderen Gebiet sticht sie innerhalb des Senderverbunds heraus.

Screenprint: Youtube/MDR

Am 21. April 2023 kommt es in Berlin zu einer kurzen Szene, in der ein Polizist ein Mitglied der „Letzten Generation“, das sitzend eine Straße blockiert, zum Gehen auffordert. Sollte er sich nicht freiwillig erheben, erklärt ihm ein Beamter, dann werde er einen Zwangsgriff anwenden, um den jungen Mann zum Aufstehen und zum Verlassen der Fahrbahn zu zwingen. Das könnte zu Schmerzen führen, die möglicherweise einige Tage anhalten. Der Mann erwidert, er wolle sitzen bleiben, der Schmerzgriff werde schon nicht so schlimm sein. Darauf hebt ihn der Polizist wie angekündigt mit einem Griff unter das Kinn nach oben; zusammen mit einem Kollegen zwingt er den Blockierer dann mit dem Standardgriff am Handgelenk zum Gehen. Der junge Mann, der das Anheben noch schweigend hingenommen hatte, lässt sich auf den Boden fallen und beginnt gleichzeitig zu brüllen. Die Szene wirkt etwas theatralisch, weil er schon mit den Schmerzschreien beginnt, bevor ihm der Polizist das Handgelenk verdreht.

Den Vorgang filmt ein Team des ARD-Senders MDR für das Magazin „MDR Investigativ“. In der „Investigativ“-Ausgabe vom 24. April kommt diese Szene vor, eine Sprecherstimme des MDR liefert im Anschluss das Stichwort „folterähnliche Methoden“. Der Beitrag fügt sich in eine mediale Kampagne ein, die weit über den ARD-Beitrag hinausgeht. Die „Letzte Generation“ selbst schickt die vom MDR gefilmte Szene in ihre Netzwerk-Kanäle. Auf Twitter springen reichweitenstarke Nutzer auf, beispielsweise der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Stefan Rahmstorf und der Influencer Stephan Anpalagan, gelegentlicher Autor für das „Neue Deutschland“ und „Volksverpetzer“, hin und wieder auch Gast im ARD-Presseclub.

Sie benutzen die gleichen Stichworte wie der MDR. Rahmstorf meint, er sei ja „kein Jurist“, findet aber, die Polizei würde hier „friedlichen Demonstranten grundlos Schmerz androhen und sie quälen“. Anpalagan bemüht das Stichwort „Folter“. Szene und Wortwahl passen exakt zu der Strategie der „Letzten Generation“, sich als subversive, idealistische Kraft darzustellen, die gegen das Establishment antritt – während sie gleichzeitig einen guten Teil ihrer Finanzierung von dem amerikanischen Climate Emergency Fund erhält und ihre Vertreterinnen erfolgreich in Talkshows platziert.

Der MDR schickte sein Video der Straßenräumungsszene in mehrere Kanäle, um ihm eine möglichst große Reichweite auch bei einem jungen Publikum zu verschaffen, unter anderem erschien es auch auf YouTube. Und dieses Video enthielt, was offenbar gleich mehreren Betrachtern auffiel, eine Besonderheit: Im Vergleich zu Aufnahmen des gleichen Vorgangs, etwa der, die der „Tagesspiegel“ auf seiner Seite einbettete, gab der Mann von der „Letzten Generation“ in dem MDR-Youtube-Stück mehr Schreie von sich. Eine Schmerzensbekundung schien doppelt vorzukommen. Der Blogger Hadmut Danisch analysierte die Tonspur.

Und tatsächlich: Der Ton des MDR-Videos auf YouTube weicht deutlich ab. Ein Schrei wurde kopiert und zusätzlich eingesetzt, um dem Folter-Narrativ etwas nachzuhelfen. Offenbar erreichten dann etliche Anfragen den Sender. Am 3. Mai veröffentlichte der MDR eine „Richtigstellung“.

„Ein auf dem Instagram-Kanal von MDR-Investigativ veröffentlichtes Video ging vorletzte Woche viral“, heißt es dort. „Es zeigte, wie ein Polizist in Berlin einen Vertreter der Letzten Generation bei einer Demonstration offensichtlich unter Anwendung von Schmerzgriffen von der Straße entfernt. Die Szene wurde in verschiedenen Fassungen über verschiedene MDR-Kanäle ausgespielt. Bei einer Überprüfung haben wir festgestellt, dass uns bei einem ‚Short‘ auf YouTube beim Abmischen der Tonspur ein unerklärbares bedauerliches Missgeschick passiert ist, wodurch die Tonspur verändert worden ist.“

„Bei einer Überprüfung“ klingt erstens so, als wäre die Manipulation der ARD-Anstalt selbst aufgefallen. Die Formulierung „unerklärbares bedauerliches Missgeschick“ besitzt eine gewisse Originalität. Denn erstens verändert sich eine Tonspur nicht durch ein Missgeschick. Erklären lässt sich der Vorgang außerdem ziemlich einfach: Jemand musste den Ton an einer Stelle kopiert und kurz danach noch einmal eingefügt haben. Es stellt sich also nicht die Wie-, sondern die Wer-Frage, vor allem aber die Frage nach Konsequenzen. Darauf gibt die MDR-Mitteilung keine Antwort.

Berichterstattung mit erwartbarem Framing, einseitiger Expertenauswahl und verdrehten Zahlen kommt bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten häufig vor, und das auch fast immer in ein- und dieselbe Richtung. Auch hier besitzt der Mitteldeutsche Rundfunk ein gewisses Renommee. Mal erklärt eine Redakteurin jeden, der grünen Enthaltsamkeitsforderungen für das Klima nicht nachkommt, kurzerhand zum Demokratiefeind. Auch ein schmeichelnder Film über Walter Ulbricht „als Privatmann“ schafft es schon mal ins Programm.

Der technische Eingriff in Dokumente wie eine Tonspur oder ein Bild bewegt sich auf einer anderen Ebene. Hier kann sich eine Anstalt nicht mehr auf redaktionelle Hoheit berufen wie beim soundsovielten Auftritt des immergleichen akademischen Stichwortgebers. Auch nicht auf Zufall. Bei dem gedoppelten Schmerzensschrei für das Klima handelt es sich nicht um die erste technische Manipulation beim MDR. Auch nicht um die zweite. Kein ARD-Sender griff bisher so oft zur gezielten Verfälschung. In fast jedem der Fälle, die bis 2019 zurückreichen, präsentierte der Sender anschließend ähnlich kreative Ausreden.

Am 3. September 2021 interviewten mehrere Journalisten den Pressesprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung gegen die Juwelenräuber, die in das Grüne Gewölbe eingebrochen waren. In dem Pressepulk hielt auch der Mitarbeiter von BILD-TV sein Mikrofon in Richtung Staatsanwalt. Jemand aus dem MDR passte die Präsenz des als feindlich angesehenen Mediums offenbar nicht – er stempelte das BILD-Logo in der MDR-Onlineberichterstattung kurzerhand weg.

Begründung damals, als es anderen auffiel: Es habe sich um die individuelle Entscheidung eines Grafikers gehandelt, und zwar aus „rein ästhetischen Gründen“.

Ganz ähnlich verfuhr jemand aus der Redaktion der Nachrichtensendung „Sachsenspiegel“ mit der Aufnahme von einer Dresdner Demonstration im Februar 2020 zum Jahrestag des Bombenangriffs auf die sächsische Stadt. Das Originalbild zeigte eine Polizeikette, dahinter linke Demonstranten, die ein schwarzes Transparent mit weißer Schrift halten, das die Beamten größtenteils verdeckten. Rechts davon trugen Teilnehmer ein Banner, das den Hitler-Attentäter Georg Elser zeigte. Diese Aufnahme erschien hinter der MDR-Sprecherin, die eine Meldung über das offizielle Gedenken am 13. Februar in Dresden und die üblichen Kundgebungen von links und rechts verlas. Ob nun ein Verantwortlicher meinte, es handle sich auf dem Foto um eine rechte Demonstration und dort gehöre ein positiver Bezug auf Elser nicht hin, ob jemand dieses Transparent für den gesamten Nachrichtenblock störend fand oder weshalb auch immer – jedenfalls griff jemand im Sender zum elektronischen Werkzeug und löschte den Inhalt des Banners mit dem Hitler-Attentäter aus. In der MDR-Sendung blieb nur noch ein weißes Tuch übrig.

Offizielle Rechtfertigung diesmal, als es auffiel: Ein Grafiker habe „ohne Rücksprache mit der Redaktion“ das Bild bearbeitet, um es „einem vorgegebenen Rahmen“ anzupassen. Was kurios anmutet, da das Originalbild genauso gut in den Rahmen gepasst hätte. Es handelt sich schließlich um die gleiche Aufnahme mit gleichem Ausschnitt – nur eben ohne Bearbeitung.

Im Dezember 2019 sprang der MDR wie etliche andere deutschen Medien auf eine Kampagne des „Guardian“ auf, der suggerierte, die Victoria-Wasserfälle im Grenzgebiet von Sambia und Simbabwe stünden wegen des Klimawandels kurz vorm Versiegen.

Als Beleg diente beim Guardian, SPIEGEL online und anderen ein Foto, das den Katarakt während der Trockenzeit zeigte, in der der Sambesi immer deutlich weniger Wasser führt als in der Regenperiode. Während SPIEGEL online immerhin noch fragte: „Liegt es am Klimawandel?“, präsentierte der MDR seinen Kunden eine klare Falschbehauptung: „Klimawandel: die Victoriafälle sind trocken“, und illustrierte den Beitrag mit einem vermeintlichen Beweisvideo. Das zeigte den Victoriafall ebenfalls zur Trockenzeit, aber zusätzlich noch an einer Randstelle und aus einem Kamerawinkel, an der tatsächlich nur noch „ein Rinnsal“ (MDR) plätscherte.

Auf Bildern der gleichen Zeit, aber mit anderer Perspektive donnert nur etwas weiter hinten eine Wasserwand in die Tiefe – viel schmaler als zur Regenzeit, aber immer noch beeindruckend und alles andere als trocken. Vor allem: Der wechselnde Pegelstand des Sambesi belegt keine Klimakatastrophe. In diesem Fall lieferte die ARD-Anstalt überhaupt keine Begründung. Sie nahm das Video schnell aus dem Archiv.

Manipulationen mit der rechnergestützten Variante des Holzhammers kommen auch in anderen Sendern vor. Aber längst nicht so penetrant wie bei der Anstalt mit Hauptsitz in Leipzig. Das heute-Journal des ZDF beispielsweise färbte im August 2022 in einem Beitrag über Kernkraft den Wasserdampf über dem Kühlturm eines Atomkraftwerks düster ein, um ihn wie Rauch erscheinen zu lassen. Dazu hieß es: „Sind Gaskraftwerke und Atomkraft gut fürs Klima?“

— Julian Röpcke?? (@JulianRoepcke) February 5, 2022

Der Entschuldigungsversuch aus Mainz klang etwas MDR-haft: Wieder lag es am Grafiker. Der habe den Hintergrund verdunkelt, um eine weiße Schrift besser sichtbar zu machen, dann sei diese weiße Schrift aber aus irgendwelchen Gründen doch nicht benutzt worden. Warum der Sender nicht einfach mit schwarzer Schrift plante, zu der ein heller Hintergrund bestens gepasst hätte, erläuterte das ZDF nicht. Die Suggestion, Atomkraftwerke seien ‚schmutzig‘ und stießen CO2-geschwängerten Rauch aus, passte allerdings hervorragend zu einer Grafik, die das heute-Journal schon 2021 zeigte. Damals teilte sie die Stromerzeugungsquellen für Deutschland in erneuerbare und „fossile“ Quellen auf – und schlugen die Atomkraft kurzerhand den fossilen zu.

Die Korrektur des Senders machte es nicht viel besser: „Stimmt“, pflichtete er der Zuschauerkritik bei, „auch wenn Kernkraft oft zu fossilen Energieträgern gezählt wird, weil wie Kohle und Erdgas nicht erneuerbar“.

Allerdings gibt es auch keine Chance, ein und dieselbe Wärmestrahlung der Sonne oder eine steife Brise zu erneuern. Auf Anfrage von Publico sagte ZDF-Pressesprecher Thomas Hagedorn präziser: „Es hätte konventionelle Energie heißen sollen.“

Im Vergleich der Öffentlich-Rechtlichen sticht der MDR, siehe oben, durch die schiere Anzahl der Manipulationen deutlich heraus. Eigentlich müsste das den Rundfunkrat und die zuständigen Staatskanzleien dazu bewegen, konkrete Maßnahmen von der Intendantin Karola Wille zu verlangen. Denn es handelt sich offenbar um eine Erscheinung, bei der sich immer das gleiche Muster wiederholt. Bisher machen die Aufsichtsbehörden keine Anstalten, eine Erklärung von dem Sender zu fordern, oder überhaupt ein systemisches Problem festzustellen.

Der Mitteldeutsche Rundfunk fällt innerhalb der ARD noch durch eine andere Besonderheit auf. Kaum ein anderer Sender warnt sein Publikum so hingebungsvoll vor Fake News, Bildmanipulationen und Deep fakes mittels künstlicher Intelligenz, Methoden, die der Sender zuverlässig „im Netz“ oder gleich ganz pauschal in den USA vermutet. „Das Ende der Fakten“, heißt es düster in den Beiträgen des MDR; „Wenn man nicht mal mehr Bildern trauen kann“, aber auch: „Fake News im Netz: Entlarven leicht gemacht“.

Besonders berichtenswert scheinen dem Sender Einsätze eigener Mitarbeiter an Schulen, die dort über Manipulationen aufklären und Medienkompetenz stärken sollen.

Zweifellos arbeiten auch Journalisten beim MDR, die hauseigene Fälschungen und vor allem die bizarren Ausreden mit professionellem Grausen registrieren. Ein anderer und nicht gerade kleiner Teil der Belegschaft scheint mit Tonspur- und Bildnachbearbeitung und dem Erstellen einfallsreicher Pressemitteilungen gut ausgelastet. Und zwischendurch findet sich auch noch ein kleiner Sendeplatz für das Lob von Walter Ulbricht.

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