Sadiq Khan hat nicht wegen seiner Mitgliedschaft bei Labour gewonnen, sondern trotzdem - und zwar mit den realen kommunalpolitischen Themen Londons: Wohnungsbau, Infrastruktur, Bildung, Jobs und öffentliche Sicherheit. Ein ganz normales Märchen.
Der Sohn des aus Pakistan stammenden Busfahrers besiegt mit 57 % der Stimmen den Filius eines englischen Milliardärs mit jüdisch-deutschem und französischem Hintergrund. Stoff für einen Hollywood-Streifen. Sadiq Khan repräsentiert das Biotop Greater London mit bald achteinhalb Millionen Einwohnern, Zac Goldsmith das Finanzzentrum in der Quadratmeile der City of London.
Da hat es einen besonderen Charme, wie die Schwester des Unterlegenen, Jemima Goldsmith, die selbst mit dem pakistanischen Politiker und früheren Cricketlegende Imran Khan verheiratet war, dem Sieger gratuliert:
Während der Kampagne hatte Jemima ihren Bruder kritisiert, weil er seinen Gegenkandidaten als Trittbrettfahrer von Islamisten verunglimpft hatte.
Khan und seine sieben Geschwister wurden in einer Sozialwohnung im Süden Londons groß – Vater Busfahrer, Mutter Näherin. Er studierte Jura, wurde Menschenrechtsanwalt, 2005 wählte ihn sein Heimatviertel ins Unterhaus. Bei Premierminister Gordon Brown war er Verkehrsminister. Den Eid im Buckingham Palace legte Khan auf den Koran ab – im Rest-Empire Routine.
Beobachter sind sich einig. Khan hat nicht wegen seiner Mitgliedschaft bei Labour gewonnen, sondern trotzdem – und zwar mit den realen kommunalpolitischen Themen Londons: Wohnungsbau, Infrastruktur, Bildung, Jobs und öffentliche Sicherheit. Goldsmith konnte vom positiven Image seines Vorgängers und Parteifreundes Boris Johnson nicht profitieren, von seinem Negative Campaiging gegen Khan auch nicht. Einig sind auch alle, dass Sadiq Khans Ergebnis nichts über den Stand des Wettbewerbs zwischen Tories und Labour aussagt, ebenso nichts über das Referendum zum Brexit am 23. Juni – auch wenn Khan contra Brexit ist und Goldsmith pro.
Premierminister David Cameron hat nach den Regionalwahlen mehr Chancen für ein Votum gegen den EU-Austritt, selbst wenn Ukip zulegte, in Wales am deutlichsten. Schottlands Nationalisten konnten ihre absolute Mehrheit nicht halten, aber die schottischen Konservativen ihren Stimmanteil verdoppeln. Am britischen Wettmarkt werden die Chancen auf Brexit nur bei 25 % notiert.
Global London und Britanniens Nations sind zwei Welten
Dass auch in Britannien das Muslim-Thema virulent bleibt, zeigt ein Video, das gleich nach Khans Sieg ins Netz gestellt und dort – wie weltweit üblich – ungeprüft weiter verbreitet wurde. Ankündigung: „Gewalttätige Demonstrationen von Muslimen in ganz Großbritannien, sie verbrennen USA- und Israel-Fahnen und fordern die Einführung der Scharia. Die Demonstrationen fanden gestern, nach der Wahl des Bürgermeisters statt.“ Wenig später stellte sich heraus, dass der Clip aus dem Jahre 2013 stammt. Mit dieser Anmerkung ließ Politikstube.com das Stück im Netz stehen.
Wer Sadiq Khan im Fernsehen sah, fand nichts, was seinen Status als Muslim unterstrichen hätte. Er und seine Frau Saadiya – Anwältin – kamen bei der „signing-in ceremony at Southwark cathedral“ in westlichem Habit einher. Khan nennt sich selbst „britischer Muslim“. London ist wohl jene europäische Metropole, in der Hautfarbe und Religion am wenigsten zählen, obwohl es ähnliche Probleme damit hat wie überall. Aber das Britische und Englische scheint viel Einfluss auf Hinzukommende zu haben. Und auch das, was vom Empire blieb, profitiert von dessen Erfahrung in der Assimilation von Anderen. Dass die einheimischen Stämme auf den beiden Inseln unverändert Nations genannt werden, nicht zu vergessen. Dass zwischen der Großregion London und den Heimaten der Nations Welten klaffen, liegt den politischen Konflikten zwischen Zentrum und Provinzen zugrunde, verhindert aber auch zu viel Druck im Kessel. In der Provinz hat sich am alltäglichen Leben kaum etwas geändert (ähnlich den französischen und italienischen Provinzen). Du merkst es nach Büroschluss und an Wochenenden, sagen „meine“ Engländer und Waliser, in London brummt das Leben rund um die Uhr, wo die Straßen leer sind und das Leben ruhig ist, hört London auf.
Fußnote: Mayor of London ist der korrekte Begriff für den Bürgermeister von Greater London, aber der schönere Titel Lord Mayor, der nur die City of London meint, ist für Großlondons Bürger der populäre.
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