Kinderärzte schlagen Alarm: Triage in deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrien

Während wir täglich über die Situation auf den Intensivstationen sprechen, die Corona-Triage aber weiterhin ausbleibt, interessiert sich für das Leid von Kindern und Jugendlichen unter dem Lockdown kaum einer. Dabei rollt dort ein gravierendes Problem auf diese Gesellschaft zu.

Die gefürchtete Triage in deutschen Krankenhäusern ist bis heute ausgeblieben – zumindest was Corona-Patienten auf Intensivstationen betrifft. In Österreich schlug allerdings bereits Ende Januar das erste Krankenhaus Alarm, dass die Triage auf den Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie traurige Realität ist. Nun melden deutsche Kinderärzte offiziell, was schon länger zu befürchten stand: Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind auch bei uns völlig überfüllt. Es findet eine Triage statt, das heißt „wer nicht suizidgefährdet ist und ’nur‘ eine Depression hat, wird gar nicht mehr aufgenommen“. Die Pädiater fordern deshalb schnelle Schul- und Kitaöffnungen, um das Ruder wieder herumzureißen.

Alarmierende neue Datenauswertung
Lockdown und Homeschooling treiben Kinder und Jugendliche in Depressionen und Verzweiflung
Jörg Dötsch, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sagte gegenüber der Rheinischen Post, dass es „absolut notwendig“ sei, Kindern und Jugendlichen „ein normales soziales Leben zu ermöglichen, damit sie sich normal entwickeln können“. Die Mediziner sehen deshalb die dringende Notwendigkeit, „dass Menschen, die sich noch nicht impfen lassen können, keine Nachteile davon haben dürfen“. Auch der Berliner Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Jakob Maske, kritisierte das Vorgehen der Politik: „Kinder und Jugendliche wurden in der Pandemie von Anfang an massiv vernachlässigt. In der ersten Phase waren die pauschalen Einschränkungen wie Schul- und Kitaschließungen noch nachvollziehbar. Aber inzwischen haben wir gelernt, dass Kinder die Infektion deutlich weniger weitertragen und selbst deutlich seltener erkranken als Erwachsene“.

Trotzdem sind die Schulen in Deutschland bis heute nicht vollständig zum Präsenzunterricht zurückgekehrt. Es gibt zum Teil Online-Beschulung und zum Teil Wechselunterricht und alles hängt am seidenen Faden des gefürchteten Inzidenzwertes. Wo morgen Präsenzunterricht eingeführt wird, könnte er übermorgen schon wieder ausfallen – dank unserem neuen Bundesinfektionsschutzgesetz ist das für alle Länder einheitlich geregelt: Ab einer Inzidenz von 100 gibt es Wechselunterricht, ab 165 müssen Schulen komplett schließen. Und das alles, obwohl es laut Maske „psychiatrische Erkrankungen in einem Ausmaß [gibt], wie wir es noch nie erlebt haben“. Dass der Ausfall des normalen Lebens und damit auch explizit die Schulschließungen aufgrund der Corona-Maßnahmen für diesen enormen Anstieg an psychischen Krankheiten verantwortlich sind, ist anhand von Studien (siehe u. a. COPSY-Studie), verschiedener Sonderauswertungen der Krankenkassen, Schülerumfragen (TE berichtete) und der Aussagen zahlreicher Mediziner inzwischen ziemlich eindeutig.

Vergessene Corona-Opfer
Psychisch kranke Kinder leiden besonders unter dem Lockdown
So kamen laut der DAK in Berlin zum Beispiel schon im Ersten Halbjahr 2020 fast doppelt so viele Kinder und Jugendliche in die Psychiatrie als noch 2019 – DAK-Landeschef Volker Röttsches sprach mit Besorgnis von einer Steigerungsrate von 84 Prozent in der Psychiatrie. Dabei sind Klinikaufnahmen laut dem Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf dem Charité Campus in Berlin, Christoph Correll, „nur die Spitze des Eisberges“. „Da kommt man nicht wegen eines bisschen Befindlichkeitsstörung hin, da muss man echt krank sein“ ergänzte der Ärztliche Direktor der LWL-Universitätsklinik im nordrhein-westfälischen Hamm gegenüber der Welt.

Eben diese teilweise sehr schweren Krankheiten, wie Essstörungen, Depressionen, Schlafstörungen und Substanzabhängigkeiten können jetzt nicht mehr ausreichend behandelt werden, weil die Kapazitäten auf den Kinder- und Jugendpsychiatrien nur noch für akut suizidale Patienten ausreichen. Das kann für die kleinen Patienten schlimme Folgen haben. Unbehandelte Depressionen etwa bringen die Gefahr einer Chronifizierung, gravierender psychosozialer Beeinträchtigungen und der Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Erwachsenenalter mit sich. Unbehandelte Essstörungen können Stoffwechselstörungen und Organschäden zur Folge haben. Beide Störungen können wiederum zu aktiven Selbstverletzungen und im schlimmsten Fall zur akuten Suizidgefährdung führen.

Unsere Politiker sollten sich den Appell der Kinder- und Jugendmediziner also dringend zu Herzen nehmen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 71 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

71 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Stefan Spumante
3 Jahre her

Ich habe beruflich schon selber Kinder in die Psychatrie begleitet. Das war schon vor Corona extrem schwierig gefährdete Kinder dort unterzubringen. Die Selbst -oder Fremdgefährdung musste schon sehr deutlich rüberkommen sonst wurden die Kinder schnell wieder entlassen. Es ist mir klar dass zu Coronazeiten und durch eine Anhäufung der Krisen durch die Schulschließungen die Kinder und Jugendpsychatrien vor dem Kollaps stehen müssen. Da gibt es für mich keinen Zweifel.

Stefan Spumante
3 Jahre her

Traurig und fast unvorstellbar wie Kinder in der Psychatrie abgewiesen werden weil sie sich das Messer noch nicht an den Hals gesetzt haben. Das ist auch eine Folge der Corona Politik. Schulen sind halt doch systemrelevant. Schulen kann man nicht schließen. Ich verstehe, dass ältere Lehrer Angst haben sich anzustecken. Für diese Gruppe hätte man Lösungen finden müssen. Aber Lösungen für konkrete Probleme Fehlanzeige. Lieber der totale sinnlose Lockdown.

Helene Baden
3 Jahre her

Die Maßnahmen werden gnadenlos weiter betrieben, auch wenn wir demnächst mit einem Zuckerl für gesunkene Inzidenz vorübergehend befriedigt werden. Aber das kann sich ja jeden Moment wieder ändern. Dass Kinder und Jugendliche besonders betroffen sind, ist ja schon länger bekannt, aber dass es so schlimme Ausmaße angenommen hat, ist echt erschreckend. Gut, dass Sie in Ihrem Artikel darauf hinweisen!

Pitt Arm
3 Jahre her

Welche Auswirkungen hat eigentlich das Hygienediktat mit Maskenpflicht auf Kleinkinder, denen die Mimik bei ihrer kognitiven Entwicklung und dem Aufbau von menschlichen Bindungen mindestens teilweise fehlt?

Emsfranke
3 Jahre her

Wie ist eigentlich die Situation der unbegleiteten Minderjährigen? Erfolgt da wenigstens noch die vollumfängliche Betreuung, wenn Fälle psychisch bedingter Erkrankungen festgestellt oder beklagt werden? Darf man hoffen, dass die oben beschriebene Sachlage für diesen Personenkreis nicht zutrifft oder muss auch da eine Enttäuschung hingenommen werden?

Julischka
3 Jahre her
Antworten an  Emsfranke

Die werden bestens betreut und versorgt, dessen können sie Sie sich zu 100% sicher sein!

GWR
3 Jahre her

Wie sagte Merkel? Ich lass mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle!
Aber genau dafür ist Merkel verantwortlich. Für das Leid vieler Kinder. Aber das geht ihr, der kinder- und empathielosen Frau, vollkommen am Allerwertesten vorbei.
Diese Frau gehört vor den Kadi und danach in den Knast.

Julischka
3 Jahre her
Antworten an  GWR

Nicht nur sie!

Yuminae
3 Jahre her

Meinen Sie die Wahnvorstellungen der Corona Ängstlichen, die aufgrund ihrer Angst und Hysterie andere Menschen in Depressionen zwingen?

Philokteta
3 Jahre her

Stimme Ihnen vollkommen zu.

Philokteta
3 Jahre her

„Unsere Politiker sollten sich den Appell der Kinder- und Jugendmediziner also dringend zu Herzen nehmen.“
Alles, was Fr. Merkels Ziel, worin dieses auch immer besteht, gefährden könnte, wird nicht zur Kenntnis genommen.
Unsere Kinder und Jugendlichen sind den meisten Politikern gleichgültig. Und diejenigen, denen sie nicht gleichgültig sind, haben nichts zu sagen oder ducken sich.
Und die Eltern? Zu Hunderttausenen sollten sie auf der Straße sein und protestieren. Warum tun sie es nicht?

Julischka
3 Jahre her
Antworten an  Philokteta

Weil die (meisten) Eltern Teil dieser unterwürfigen, gehirngewaschenen Gesellschaft sind und alles das glauben was vorallem die „Qualitätsmedien“ sagen und deshalb dem Angst-, und Panikorchester angehören. Da müssen die unter 6jährigen schon den Maulkorb tragen. Wir sind zu wenig Eltern die sich dagegen wehren.Mein Mann ist jetzt nach vielen Jahren Elternbeiratsmitgliedschaft ausgetreten, weil er der EINZIGE war, der sich kritisch zu den Maßnahmen und zur Maskenpflicht im Unterricht geäußert hat, null Unterstützung von seiten der Eltern, der Schule sowieso nicht! Und unseren Kindern (die jüngsten 16 Jahre alt) ist es peinlich als einzige aus der Klasse „rebellische“ Eltern zu haben,… Mehr

Praeventiv
3 Jahre her
Antworten an  Philokteta

Der Zeitraum zwischen einem „Kennenlerngespräch“ und dem Beginn der Psychotherapie beträgt bei meinem Kind, welches ich ambulant behandeln lassen wollte, 1 Jahr! Sollte ich das Kind stationär unterbringen wollen, dauert es nachdem alle Unterlagen vorhanden sind immer noch 3 – 5 Monate. Es kann also nicht sein, dass schnelle Hilfe und selbstverständlich „zu jeder Zeit versorgt“ der Wahrheit entspricht. Meiner Meinung hilft auch das sofortige Öffnen der Schulen und Kindertagesstätten nicht mehr um die „leichtsymptomatischen“ Kinder wieder in normele Verhaltensweisen zu bringen.

A_Hussain
3 Jahre her

Ich übersetze diesen berührenden Appell für mich als Laie: Kinder und Jugendliche, die „nur“ aufgrund von Magersucht spindeldürr sind und sich täglich mehrmals erbrechen, die „nur“ seit einem Jahr zwischen Bett und Spielkonsole pendeln, die „nur“ Drogen- oder Tablettenabhängig sind, alle diese Minderjährigen können im Moment sehen, wo sie bleiben. Man könnte meinen, für unsere hypersensitive Gesellschaft wäre das Leid der Schwächsten unerträglich. Aber das Gegenteil ist der Fall: je mehr die Gemeinschaft von Gefühlsduseleien und Befindlichkeiten bestimmt wird, desto unbarmherziger wird sie. Es waren einmal die Linken, welche sich für die Belange der Schwachen und Hilfsbedürftigen eingesetzt haben –… Mehr