Lauterbach: „Die Immunität ist wegen der Schutzmaßnahmen zurückgegangen“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach fordert neue Maßnahmen ab Herbst. Wegen einer Immunitätslücke, die durch die früheren Corona-Maßnahmen entstanden sei. Sein Ministerium hält flächendeckende Untersuchungen, um eine solche Lücke zu beweisen, jedoch für nur „bedingt aussagekräftig“.

IMAGO / Christian Spicker

Dass Karl Lauterbach von seinem liebsten Thema nicht lassen kann, ist offenkundig. Vor der nächsten Corona-Welle warnt er im Wochentakt, auch wenn der Bundesgesundheitsminister damit nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit erfährt wie früher. Nur so ist zu erklären, wie es zu einem merkwürdigen Auftritt kam, in dem der SPD-Politiker sich in Widersprüchen verheddert.

Man müsse trotz allem erneut impfen, denn die vulnerablen Gruppen seien dann wieder vulnerabel. Man rechne überdies mit einer starken Grippewelle und mit vielen RSV-Infektionen. „Das hat einmal damit zu tun, dass die Immunität in den letzten Jahren zurückgegangen ist, weil die Schutzmaßnahmen auch dort geschützt haben, sodass sich dort eine Immunitätslücke aufbauen konnte. Und diese Immunitätslücke ist jetzt bedeutsam für die Welle, auf die wir kommen.“

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— Grantler (@oida_grantler) June 6, 2022

Lauterbach bestätigt also ein Narrativ, das man noch vor wenigen Monaten gegenüber Maßnahmenkritikern kleinzureden versuchte. Der Gesundheitsminister gibt selbst zu, dass die massiven Einschränkungen im öffentlichen Leben Infektionen verhinderten und die mangelnde Immunität nun als Bumerang zurückkommt. Der Gesundheitsminister fordert nun Maßnahmen gegen die Probleme, die aus den (früheren) Maßnahmen heraus entstanden.

Der einstige SPD-Gesundheitsexperte spricht daher davon, dass man ab Herbst mit einer neuen Corona-Welle zusammen mit einer starken RSV-Welle und einer starken Grippe-Welle zu tun habe. „RSV betrifft ja in erster Linie die Kinder – na ja, wenn sie diese lange Lücke gehabt haben, dann ist RSV auch gefährlich für ältere Menschen“, betont Lauterbach neuerlich, dass die Maßnahmen, deren Evaluierung immer noch ein Politikum sind, die Gefahr mitgeschaffen haben, vor der er jetzt warnt.

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Wie sieht es eigentlich mit Studien zur Immunität in der Bevölkerung aus? Während Lauterbach von der Immunitätslücke spricht, weiß man in seinem Bundesgesundheitsministerium (BMG) offenbar nicht, wie groß die ist. Denn Erhebungen zur Verbreitung von Antikörpern in der Gesamtbevölkerung gegen COVID-19 will man offenbar nicht unternehmen, weil das BMG diese als nur „bedingt aussagekräftig“ einschätzt. Das geht aus einer Anfrage des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki hervor.

Kubicki hatte gefragt, ob die Bundesregierung bis zum Herbst eine „eigene, repräsentative Untersuchung zur SARS-CoV-2-Seroprävalenz in der Gesamtbevölkerung“ plane. In Großbritannien war die hohe Antikörperdichte in der Bevölkerung ein Grund, weshalb Premier Boris Johnson relativ früh Öffnungen beschloss. Der Immunologe Andreas Radbruch sagte gegenüber der Welt: „Warum ist das Gesundheitsministerium gegen eine Feststellung der Immunität in Deutschland? Weil das womöglich das Ende des Narrativs der Impflücke ist.“

Doch nicht nur Lauterbach schiebt das Thema an und überlegt über weitere Maßnahmen ab Herbst. Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, kündigte an: „Jetzt, wo sich einige in der FDP aufregen, dass jemand über Masken im Herbst redet. Wir werden auch wieder über die Impfpflicht reden müssen. Nur dass niemand überrascht tut.“ Baden-Württemberg, Bayern und Hessen hatten schon vor drei Wochen darauf gedrängt, wenigstens eine Impfpflicht für Personen ab 60 Jahren einzuführen.

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