Landtagswahlen – Real und irreal – Der Wahltag und seine Folgen

Wahlergebnisse sind immer nur relativ. Trotzdem verleiten sie Politkommentatoren zu höchst gewagten Beurteilungen. Sinnvoll ist deshalb ein Blick auf die realen Zahlen, die manche spontane Schuldzuweisung als irrig zeigen und überbordende Freude auf ein gesundes Maß stutzen.

Wahlergebnisse wie jener der gestrigen Landtagswahlen sind immer nur relative Ergebnisse. Trotzdem verleiten sie die professionellen Politkommentatoren zu manchmal höchst gewagten Beurteilungen, die einer tatsächlichen Sachlage kaum gerecht werden. Sinnvoll ist deshalb ein Blick auf die realen Zahlen, welche nicht nur manche spontane Schuldzuweisung als irrig erscheinen lassen, sondern auch überbordende Freude auf ein gesundes Maß zurückstutzen können.

Wollen wir verstehen, was am Super-Sonntag in Deutschland tatsächlich geschehen ist, so müssen wir uns von den relativen Zahlen, die auf den gültigen, abgegebenen Stimmen beruhen, lösen und darauf schauen, was die Parteien tatsächlich dann erreicht haben, wenn wir den Begriff der Demokratie ernst nehmen. Denn Demokratie – um dieses noch einmal allen in Erinnerung zu rufen – heißt Herrschaft des Volkes. Womit die Gesamtbevölkerung und nicht nur diejenigen gemeint sind, die bei Wahlen ihre Stimmen abgeben.

Um die Ergebnisse des Sonntags korrekt bewerten zu können, soll hier erst einmal der Blick auf die einzelnen Bundesländer geworfen werden. Anschließend wird es Sinn machen, die Ergebnisse im Kontext zu bewerten.

Grünland Baden-Württemberg?

Die Grünen konnten den „furiosen“ Sieg ihres Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann kaum fassen. Stärkste Kraft im ehemals liberal-konservativen Südwesten, dort, wo die Idee der bürgerlichen Liberalität vor über 150 Jahren ihren Anfang nahm! Tatsächlich errang der von den Grünen gestellte, amtierende Ministerpräsident mit realen 21,3 % einen historischen Sieg. Seinen unmittelbaren Konkurrenten Guido Wolf von der CDU überholte er mit 2,3 Prozentpunkten (Pp). Das sah vor vier Jahren noch deutlich anders aus. Damals holten die Grünen „nur“ 16,0 % und lagen um 9,8 Pp hinter der Union. Kretschmann hat also guten Grund zu feiern.

Deutlich anders sieht das für Kretschmanns damalige Steigbügelhalter von der SPD aus. Die lagen 2011 immerhin noch real bei 15,3 %. 2016 stürzten sie auf 8,9 % ab. Würde man Parteien als Aktien-basierte Unternehmen und die Wahlergebnisse als Aktienkurse betrachten, so hätte Nils Schmitt den Wert seines Unternehmens um 41,6 % fast halbiert – in der freien Wirtschaft würde man ihn ohne Abfindung mit Schimpf und Schande aus dem Haus jagen.

Dagegen nimmt sich das Versagen von CDU-Wolf fast schon erträglich aus. Er reduzierte den Wert seines Unternehmens CDU „nur“ um 26,5 %. Wie dieser Partei-Vorstandschef allerdings ernsthaft auf die Idee kommen kann, nun den Gesamtbetrieb übernehmen zu wollen, wird nur ihm allein erklärlich sein. Vielleicht dieselbe Selbstüberschätzung, mit der einst Porsche-Chef Wendelin Wiedeking sein Unternehmen an die Wand fuhr, als er aus Stuttgart den VW-Konzern einheimsen wollte?

Kretschmann – daran führt kein Weg vorbei – ist der verdiente Sieger der Wahl im Ländle. Die 5,5 Pp, die er zusätzlich einfuhr, entsprechen einen Netto-Gewinn von exakt 33 %. Und dennoch bleibt ein Wermutstropfen, denn die stärkste Gruppe in Baden-Württemberg sind mit 29,6 % immer noch die Nichtwähler. Die allerdings schrumpften um 4,1 Pp beziehungsweise um 12,2 %, was maßgeblich zum Erfolg der AfD, die real auf 10,6 % kam, beigetragen haben wird.

Fazit: Wenn Kretschmann in Baden-Württemberg den Anspruch erhebt, auch künftig das Kabinett leiten zu wollen, dann ist dieses in jeder Hinsicht gerechtfertigt.

Rotland Rheinland-Pfalz?

Ähnlich wie in Baden-Württemberg scheint sich die Situation im nördlichen Nachbarland Rheinland-Pfalz darzustellen. Die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer kam mit real 25,5 % bei den Wahlbürgern sogar noch über den Wert ihres Amtskollegen aus dem Südwesten. Sie konnte um 3,4 Pp zulegen und damit den Wert ihrer Parteiaktie um 15,5 % steigern.

Doch auch Konkurrentin Julia Klöckner, vom Merkel-Adlatus Peter Tauber schnell zur Verliererin gestempelt, kann mit erhobenem Haupt nach Hause gehen. Auch wenn sie ihr Wahlziel der Regierungsübernahme verfehlte, so steigerte sie die CDU dennoch um 0,6 Pp auf 22,4 %. Das entspricht einem Zugewinn um 2,9 % – zwar kein Traumergebnis, Verlierer aber sehen – Blick Südwest – anders aus.

Stärkste Gruppe blieben auch in Rheinland Pfalz die Nichtwähler. Sie allerdings schrumpften sogar um 8,8 Pp oder 36,4 % und liegen nun real bei 29,6 % der Wahlbürger.

Die AfD blieb in der Pfalz mit 8,9 % unter zehn Prozent. Das sieht mathematisch fast so aus, als wären die Nicht-mehr-Nichtwähler geschlossen zu der neuen Konkurrenz gegangen.

Einziger wirklicher Wahlverlierer am Mittelrhein sind die Grünen. Sie verloren 5,8 Pp, was einem Rückgang um 60,8 % entspricht. Damit toppen sie sogar noch die SPD in Baden-Württemberg.

Fazit: In Rheinland-Pfalz steht die Gewinnerin Dreyer vor der Wahl, die Mit-Gewinnerin Klöckner mit in das Kabinett zu holen – oder den Top-Verlierer in die Herz-Lungen-Maschine zu legen und die größten Verlierer durch die Hintertür doch noch zu Gewinnern zu machen.

Schwarzland Sachsen-Anhalt?

Auch im einzigen neuen Bundesland, in dem am Sonntag die Bürger zur Urne gerufen waren, konnte der Amtsinhaber Gewinne verbuchen. Reiner Haseloff steigerte das Ergebnis seiner CDU um 0,7 Pp – 3,7 %. Er ist damit der einzige Bewerber der etablierten Parteien, der sich in Sachsen-Anhalt als Gewinner verstehen kann. Sein bisheriger Regierungspartner SPD schmierte um 4,6 Pp auf nunmehr real 6,5 % der Wahlbürger ab – das ist ein Niedergang um 41,4 % und liegt damit ziemlich exakt auf dem Niveau der Genossen im Südwesten.

Die ohnehin in Magdeburg bereits schwächelnden Grünen fielen von real 3,4 auf 3,2 % – ein Rückgang um 7,3 %.

Gebeutelt geht der Möchtegern-Ministerpräsident Wulf Gallert von der radikal-linken PdL nach Hause. Konnte er sich 2011 noch bei einer realen Zustimmung von 12,6 % als zweitstärkste politische Kraft in der ehemals preußischen Provinz fühlen, so liegt er nun bei genau 10 %. Das ist ein Rückgang um 2,6 Pp beziehungsweise 20,9 %. Der Traum vom Chefposten in der Staatskanzlei dürfte damit ausgeträumt sein.

Wie in den beiden anderen Wahl-Ländern bleibt auch in Sachsen-Anhalt die Gruppe der Nichtwähler die stärkste Fraktion. Doch fiel sie von 48,8 % um 9,9 Pp zurück auf 38,9 % – ein Rückgang um 20,3 %.

Die AfD bleibt an der Mittelelbe der wahre Wahlgewinner. Sie erhielt real 14,8 % – womit fast jeder siebte Wahlbürger sich für die Protestpartei entschied und offensichtlich auch bisherige Wähler der anderen Parteien ohne den Umweg über die Nichtwählerschaft bei der AfD gelandet sind.

Fazit: Auch in Sachsen-Anhalt kann der amtierende Ministerpräsident seinen Anspruch zu Recht erheben. Sein Problem: Ihm sind die Koalitionspartner abhanden gekommen. Wenn Haseloff nun davon spricht, eine „Koalition der Mitte aus CDU, SPD und Grünen“ bilden zu wollen, dann darf nicht nur die Frage gestellt werden, ob der Unionsmann die politische Mitte irgendwo im Mittelfeld der linken SPD verortet – er würde damit auch zwei politischen Kräften an die Macht verhelfen, die vom Bürger offenkundig nicht bzw. nicht mehr dort gesehen werden möchten. Ob das politische Klugheit offenbart, darf angezweifelt werden.

Allenthalben: Minderheitenregierungen

Mit Blick auf die realen Ergebnisse dürfen die nun anstehenden Regierungsbildungen einer besonderen Würdigung unterzogen werden.

In Baden-Württemberg kann sich Kretschmann entscheiden, ob er eine traditionelle Ampel mit SPD und FDP anstrebt, oder sich mit den Schwarzen verbündet. So oder so wird er in seiner künftigen Regierung immer eine Partei haben, die vom Wähler weggewählt wurde. Eine Mehrheit der Bürger würde durch die künftige Regierung ohnehin in keinem der beiden Fälle repräsentiert werden. Grünschwarz verträte jedoch immerhin 40,3 % der Baden-Württemberger, während die grün-dominierte Ampel nur auf 36,1 % käme.

In Rheinland-Pfalz sieht es ähnlich aus. Rot-schwarz könnte sich auf die Zustimmung von 47,9 % der Bürger berufen – bei dem Bündnis aus Roten, Grünen und Gelben wären es nur 33,6 %.

Noch ungewöhnlicher stellt sich die Situation in Sachsen-Anhalt dar. Das von Haseloff angestrebte Bündnis mit Roten und Grünen stünde für nur 27,9 % der Bürger – nicht einmal jeder dritte Ex-Preuße wäre damit repräsentiert. Die derzeit undenkbare Alternative der Zusammenarbeit von Schwarzen und Dunkelroten könnte nur einen minimal höheren Wert aufweisen: Ginge die CDU mit der PdL zusammen, so könnte sich diese Regierung auf 28,2 % der Bürger berufen. Da bleibt es sich ziemlich gleich, ob das Land von einer „Kenia“-Koalition oder einer entgoldeten Dunkeldeutsch-Kooperation regiert wird.

Rechnerische Gedankenspiele: Regierungen, die die Mehrheit des Volkes vertreten

Wenn nun alle denkbaren Regierungsbildungen unter der magischen 50-Prozent-Marke der Bürgerrepräsentation bleiben – gäbe es überhaupt Varianten, die sich zu Recht auf eine Bürgermehrheit berufen könnten?

In Baden-Württemberg würde nur eine Koalition aus Grünen, CDU und AfD mit exakt 51 % der Bürger eine Mehrheit repräsentieren.

In Rheinpfalz müssten sich SPD, CDU und FDP zusammenschließen. Sie hätten zusammen 52,2 % der Wahlberechtigten hinter sich. Gleiches gälte für Rot-Schwarz-Grün (51,6 %) oder SPD-CDU-AfD (56,7 %).

In Sachsen-Anhalt käme nach Stand der Wahlergebnisse nur eine Koalition aus allen im Parlament vertretenen Parteien einschließlich PdL und AfD mit 52,6 % auf eine Bürgermehrheit.

Doch das sind alles nur Gedankenspiele, da bei den Regierungsbildungen nicht die realen Ergebnisse zählen, sondern die der abgegebenen gültigen Stimmen. Die daraus resultierenden Regierungsmöglichkeiten wurden oben bereits angedeutet.

Regierungsvarianten auf Basis der abgegebenen, gültigen Stimmen

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die für die Parlamentsbesetzung relevanten Stimmen, so kämen jenseits des offenkundig angestrebten auch noch andere Varianten in Betracht. Hier dient das Beispiel des früheren Hamburger CDU-Bürgermeisters Ole von Beust als Muster.

Angenommen, die CDU würde in Baden-Württemberg eine Regierungsbildung ohne Grüne und SPD anstreben, dann könnte sie mit FDP und AFD bei über 50,4 % der abgegebenen Stimmen mehrheitsfähig sein. Gleiches gälte in Rheinland-Pfalz mit 50,6 %. In Sachsen-Anhalt könnte die Union auf die Verlierer von SPD und Grünen verzichten und käme in einer Koalition mit der AfD auf 54 % Bürgerrepräsentation.

Doch auch das sind nur Gedankenspiele, die an den gegenseitigen Animositäten ebenso scheitern werden wie daran, dass sich die AfD als Protestpartei erst einmal in der Opposition ausleben wird.

Irrationale Feierlaune und Legendenbildung am Wahlabend

Wer am Wahlabend einen Blick in die Parteizentralen warf, der konnte sich angesichts der oben dargelegten Zahlen nur noch an den Kopf fassen.

Die SPD sonnte sich im Sieg ihrer Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Der desaströse Niedergang in Baden-Württemberg wie in Sachsen-Anhalt blieb weitgehend ausgeblendet. Dabei musste sich der Wahlbeobachter unwillkürlich an jenen Apollo-13-Spruch erinnern: „Houston – wir haben ein Problem!“ Und zwar ein riesiges. Die SPD konnte nur dort punkten, wo sie eine Landesmutter stellte. Dort wurde nicht die SPD, sondern Malu Dreyer gewählt. Ohne die amtierende Ministerpräsidentin dürfte das Wahlergebnis ähnlich wie in den beiden anderen Bundesländern ausgefallen sein.

Nicht anders bei den Grünen, die wie bekifft vom Wahlerfolg ihres knarzigen Kretschmann euphorisch durch die Parteizentrale schwebten. Doch auch das war kein Votum für die Grünen, sondern ausschließlich für den Landesvater. Der Zusammenbruch der ex-alternativen Partei in Rheinland-Pfalz wurde ausgeblendet. Die Stagnation auf niedrigstem Niveau im alten Preußen ebenso.

Die Union hingegen – blendet man das Spitzenkandidatenversagen im Südwesten aus – hätte eigentlich zufrieden sein können. Sie hat in Rheinland-Pfalz wie in Sachsen-Anhalt real leicht zugelegt. Am Mittelrhein gelang ihr dieses sogar aus der Position der Opposition heraus. Da jedoch die relativen Zahlen das Wahlziel in Mainz auf Platz Zwei weisen, wurde aus dem Achtungsergebnis ein Misserfolg. Das nutzte Generalsekretär Tauber umgehend aus, um insbesondere der Merkel-Konkurrentin Klöckner heftig einzuschenken.

Pro-oder Anti-Merkel-Wahl?

Tauber zog von Wiesbaden den großen Schluss zur Merkel-Politik. Klöckners Alleingang gegen die Merkel-Flüchtlingspolitik sei verantwortlich für das schlechte Abschneiden in Rheinland-Pfalz.

Tatsächlich? Der Südwest-Spitzenkandidat hatte sich deutlich Merkel-gerechter verhalten. Er durfte dafür einen Rückgang um real 26,5 % einstecken. Die aufmüpfige Klöckner hingegen konnte immerhin mit 2,9 % leicht zulegen. Und Haseloff – der einzige der drei Unions-Spitzen, der mit Amtsbonus antrat – hatte in seinem Wahlkampf auch eigene Positionen in Sachen „Flüchtlingen“ kundgetan. Resultat: Ein Zugewinn um 3,7 %.

Die tatsächlichen Unterstützer der Merkel-Politik – SPD und Grüne – gingen überall dort in den Sturzflug, wo nicht ein alles überragender Spitzenkandidat seine Persönlichkeit einbringen konnte. Tauber dürfte sich daher die Ergebnisse im Sinne seiner Kanzlerin schöngeredet haben – durch die realen Ergebnisse sind seine Elogen kaum gedeckt. Denn sowohl in Baden-Württemberg wie in Rheinland-Pfalz wählten die Bürger Landesmütter und -väter, nicht Parteien. Die Zuwanderungspolitik hat zwar eine Rolle gespielt – doch nicht nur die Ausstrahlung Kretschmanns, sondern vor allem der Wunsch, in der kriselnden Gesamtsituation keine Experimente zu wagen, haben nicht nur Haseloffs Erfolg beflügelt. Ein Votum für die Merkel-Politik lässt sich aus den Ergebnissen nicht ableiten.

Ein Blick in die Geschichte

Eigentliche Gewinner dieser Landtagswahlen waren die AfD und die FDP. Beide zogen den Nutzen aus der Unzufriedenheit zahlreicher Bürger mit der Bundesregierung. Wer AfD oder FDP wählte, der wählte nicht gegen Kretschmann, Dreyer oder Haseloff, sondern gegen Merkel-Gabriel. Das an sich ist nicht ungewöhnlich. Als Ende der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts das damals noch wirklich großkoalitionäre Experiment erstmals gewagt wurde, konnte die NPD als damals einzige Protestpartei überall deutliche Zugewinne verzeichnen. Als die Große Koalition beendet war und die großen Parteien sich wieder gegeneinander profilieren konnten, fielen die Rechtsextremen zurück in die Bedeutungslosigkeit. Ist also der Weg der AfD und der FDP-Zugewinne vorgezeichnet?

Nein, denn die Situationen sind nicht tatsächlich vergleichbar.

Zum einen war die NPD seinerzeit tatsächlich eine Partei der Ewig-Gestrigen, der Altbestände aus tausendjährigen Zeiten. Die AfD, das zeigen erste Wähleranalysen, spricht dagegen vorrangig unter 60-jährige an. Wenn sie diese Wähler mit einer Mischung aus fundierter Opposition und eigenen Politikzielen an sich binden kann, dann wird sie aus der politischen Szene der Bundesrepublik nicht mehr wegzureden sein. Dagegen entwickeln sich Union, SPD und Grüne zunehmend mehr zu Rentner-Parteien. Diese Altersgruppe wird zwar immer stärker, doch wird der Kuchen kaum reichen, um sie alle zu bedienen.

Wohin weist der Weg?

Die Grünen, deren klassische Klientel der 68er mittlerweile auch die Pensionsgrenze überschreitet, werden das vermutlich am deutlichsten zu spüren bekommen. Ihnen geht – Kretschmann hin oder her – die demographische Luft aus. Doch auch die SPD muss langsam nach einem Bypass Ausschau halten. Sie leidet vor allem darunter, dass ihre junge Garde mit Personen wie Schmitt und Maas null Ausstrahlungskraft entwickelt. Kantige Persönlichkeiten wie einst Wehner, Brandt oder Schmidt – Fehlanzeige.

Nach der Wahl ist vor der Wahl
Landtagswahlen - Mitternachtsblick
Dieser Mangel an Glanzlichtern trifft allerdings auch die Union. Sie hat weder ein Urgestein wie Franz-Josef Strauß noch schwarze Riesen wie einst Helmut Kohl. Wulf, Laschet oder Tauber – nicht nur austauschbar, sondern abschreckend. Keiner darunter, den man als Wähler in irgendeiner Weise polarisierend als „seinen“ Mann in Berlin begreifen könnte. Dagegen sind selbst der sozialdemokratische Barockengel Sigmar Gabriel und sogar der Dauer-Bärbeisser Ralf Stegner kleine Lichtblitze. Den ersten kann man ob seiner Sprunghaftigkeit als politische Wundertüte mögen, den anderen aus vollem Herzen hassen. Beides allemal besser als Slawfood.

Nützen allerdings wird das den großen Parteien nichts. Geht Merkel, fällt die Union so oder so in ein tiefes Loch. Verschwindet Gabriel, wird die SPD zur bedeutungslosen PdL-Konkurrenz.

Und das, was hier für die ganz Großen gesagt wurde, gilt auch für die kleineren. Einer Grün-Alternativen Partei in Baden-Württemberg wird es ohne Kretschmann so gehen wie einst der CDU in Hamburg, als Ole von Beust den Bettel hinwarf: Sie verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. Das grüne Bundespersonal, das derzeit von der tanzenden Apo-Oma Claudia Roth, der blauäugigen Betschwester Katrin Göring-Eckhardt, dem bajuwarischen Waldhirsl Anton Hofreiter und der wie eine Kampfemanze auftretenden Simone Peter repräsentiert wird, mag noch die Spätfolgen der bundesdeutschen Kuschelrepublik beglücken – für die Nachwuchswähler ist ihre Attraktivität gleich Null.

Bliebe also die FDP als letzter Lichtblick. Sie konnte tatsächlich immerhin in zwei Bundesländern deutlich Boden gutmachen. Was allerdings die personalpolitische Erneuerung betrifft, so steht bei den Liberalen das Großreinemachen noch aus. Insofern mag die Partei von der deutlichen Formschwäche der Union derzeit profitieren – zur gloriosen Rückkehr auf die bundespolitische Bühne jedoch ist der Weg noch lang.

Der eigentliche Gewinner: Die Demokratie

Ich schrieb es bereits am Sonntagabend: Der eigentliche Gewinner dieser Wahlen ist die Demokratie. Es ist das Verdienst der AfD, denen eine Stimme gegeben zu haben, die sich vom etablierten Politik-Betrieb abgewendet hatten. Ihre Gewinne speisen sich dabei nicht nur aus dem bestehenden Nichtwähler-Potential – die AfD fing auch jene ehemaligen Wähler der anderen Parteien auf, die sonst vermutlich in der Nichtwählerschaft gelandet wären. Man muss diese Partei nicht mögen und kann ihre Inhalte offen ablehnen – dass die AfD hier nun einem Teil der aus dem Politgeschäft ausgestiegenen Bürger den Weg zurück in die Parlamente gebahnt hat, ist unzweifelhaft als Verdienst an der Demokratie zu werten. Und das gilt selbst dann, wenn die AfD tatsächlich – wie von ihren Gegnern behauptet – „undemokratisch“ sein sollte.

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