Wir müssen davon ausgehen, dass die Konfrontation nicht nur weitergeht wie bisher, sondern verschärft wird - auf beiden Seiten. Spät, nun aber doch, nähert sich Deutschland österreichischen Parteienverhältnissen.
Politiker und Journalisten, die wir regelmäßig sehen und hören, machen so weiter, wie sie vor der Öffnung der Wahllokale aufgehört haben. Sie stellen den Sieger des Wahltages ins Aus. Gauland, den Strategen der AfD wird das freuen, denn so treiben die Inhaber der Macht der AfD weiter Wähler zu.
Die Vorwahlen für die Kanzlerkandidatur 2017 haben erwartungsgemäß Angela Merkel zum Sieger erkoren. Die Wahlergebnisse spielen dafür keine Rolle, sondern die Sprachregelung, wer Merkel stützte, hat gewonnen, wer sie infrage stellte, hat verloren.
Merkel surft die Kretschmann-Welle – nicht umgekehrt
Das lässt sich für Kretschmann und Dreyer auf den ersten Blick plakatieren, nicht für Haseloff. Die PR-Story täuscht. Kretschmann hat im wesentlichen aus drei Gründen gewonnen – und das beeindruckend.
- Wenn Landesvater auf einen der Ministerpräsidenten zutrifft, dann auf ihn. Er strahlt das als Person aus. Sein formaler Herausforderer Wolf hat nichts davon.
- Sein Grünsein trifft – nicht nur, aber gerade im Südwesten – auf eine Stimmung, die von der Mülltrennung bis zu neuen Energieformen die Mehrheit in allen Gesellschaftsschichten tief durchdrungen hat.
- Auf diese Stimmungswelle baut auch die Kanzlerin. Aber nicht deshalb hat Kretschmann gewonnen, sondern Merkel schwimmt auf dem von Grünen wie Kretschmann in breite Teile getragenen Zeitgeist.
Dreyer hat sich vor allem deshalb gegen Klöckner durchgesetzt, weil sie ihren Vorteil der amtierenden Landesmutter im großen und ganzen gut ausgespielt hat. Sich von Merkel in der Flüchtlingsfrage abzusetzen, hätte Klöckner nicht geschadet, wie das Beispiel Haseloff in Sachsen-Anhalt zeigt. Sie tat aber, was ARD-Schönenborn zu Recht so formulierte: „Wer laviert, verliert.“ Das ist zugleich nicht die grundlegende Ursache für die gravierenden Verluste der SPD in den beiden anderen Ländern, aber diesen Klöckner-Fehler machen Gabriel und die SPD laufend.
Dass praktisch alle, die sich selbst als „Links“, mindestens „Linksliberal“ verstehen, in das Lob einer Kanzlerin einstimmen, deren Partei sie nie gewählt haben und wählen werden, hätte ich nie für möglich gehalten. Dass sie ihre Stimme gegen den Deal Merkel & Erdogan nicht erheben, gegen diese neue Art von Menschenhandel, macht mich sprachlos. Dass sie ganz überwiegend selbst den eiskalten Schwenk der CDU-Vorsitzenden von Ungarn zu Mazedonien umschweigen, verbietet es, in diesem Kontext weiterhin von Gesinnungsethik zu sprechen.
Die AfD tritt in die Fußstapfen der FPÖ
Wir müssen davon ausgehen, dass die Konfrontation nicht weitergeht wie bisher, sondern verschärft wird – sicher auf beiden Seiten. Im September setzen sich dann die Wahlergebnisse von heute nicht nur fort, sondern gesteigert. Spät, nun aber doch, nähert sich Deutschland österreichischen Parteienverhältnissen. Dort wird schon länger die Frage, wer die größere Volkspartei ist, zwischen ÖVP und FPÖ entschieden. Die FPÖ hat die SPÖ als „Arbeiterpartei“ abgelöst.
Ich weiß, etliche denken, CDU, Grüne und SPD müssen nur ein paar richtige Schritte setzen – die Integrationsaufgabe an der Spitze, dann ist die AfD wieder fort. Das wird aus zwei Gründen nicht funktionieren.
- Die Integration der Einwanderer dauert selbst dann, wenn weniger neue kommen, bis zu sichtbaren Erfolgen 10 Jahre.
- Im Vergleich zu den anderen Problemen von Wirtschaft und Gesellschaft ist das Einwanderungsthema klein.
Dass aus der AfD eine Volkspartei werden könnte, welche die eigentlichen Zukunftsaufgaben löst, ist genau so wahrscheinlich, wie solches von FPÖ, Syriza, Le Pen, Podemos und Schwedendemokraten zu erwarten – nämlich gar nicht.
Institutionen-Reform – national und in der EU
Parteien allein sind übrigens dafür nicht mehr die geeigneten Träger. Sind Parlamente nur noch die Wahlkörper für Alleinherrscher, schrumpfen die Parteien zu geschlossenen Veranstaltungen der Programmfolklore mit Kür der Wahlmänner und Wahlfrauen wie die Conventions der US-Parteien.
Die europäischen Staaten brauchen Redemokratisierung mit ganz viel Dezentralität – eine durchgehende Institutionenreform, in der die Herrschaft des Rechts an die Stelle des Rechts der Herrschaft tritt.
Die Bürgerbewegung, die das anpackt, gibt es noch nicht. Aber Ideen, deren Zeit gekommen ist, suchen sich ihre Leute. Ich bleibe dabei: Geduld ist eine scharfe Waffe.
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