Tichys Einblick
Unfähigkeit in der Flutkatastrophe

Landrat in Ahrweiler aus dem Amt gejagt

Sein völliges Versagen in der Flutkatastrophe war allzu offensichtlich. Nur mit wenigen Worten vernebelt ("krankheitsbedingt") hat die CDU im Kreis Ahrweiler den langjährigen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) geschasst. Allein in dem Landkreis starben 133 Menschen.

Jürgen Pföhler

IMAGO / Rau

Die Worte sind dürr: »Landrat Dr. Jürgen Pföhler kann krankheitsbedingt sein Amt absehbar nicht mehr ausüben. Der Schritt von Landrat Dr. Jürgen Pföhler, sein Amt nicht mehr wahrzunehmen, war daher notwendig und unausweichlich.« Das erklärte gestern die CDU-Fraktion im Kreistag Ahrweiler und hat damit ihren Landrat gefeuert.

Jürgen Pföhler (CDU) ist jener Landrat des Landkreises Ahrweiler, dem katastrophale Fehler bei der Hochwasserkatastrophe vor vier Wochen zum Vorwurf gemacht werden. Es gab keine rechtzeitigen Warnhinweise über die drohende Flutwelle. 133 Menschen starben, allein zwölf in einer Betreuungseinrichtung der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz in Sinzig, weil sie nicht mehr rechtzeitig aus dem Wohnheim gebracht werden konnten. Die Wassermassen kamen zu schnell.

»Das Vertrauen der Menschen im Kreis Ahrweiler ist nicht mehr gegeben. Die nun aber zwingend erforderliche entschlossene und zupackende Führung des Amtes ist in einer solchen Ausnahmesituation nicht mehr möglich«, meint die CDU-Kreistagsfraktion jetzt.

Ursprünglich wies Jürgen Pföhler die Vorwürfe gegen ihn als »völlig deplatziert und geschmacklos« empört zurück. Niemand könne derzeit im Bund, Land oder Kreis seriös die Fragen nach den Verantwortlichkeiten beantworten.

Staatsanwaltschaft prüft fahrlässige Tötung
Juristisches Aufarbeiten der Hochwasserkatastrophe
Doch der Kieler Krisenexperte Frank Roselieb zum Beispiel erklärte gegenüber der in Koblenz erscheinenden Rhein-Zeitung, Landrat Pföhler trage ganz klar die Verantwortung. Katastrophenschutzmanagement sei die Kernfunktion jedes Kreischefs und jedes Oberbürgermeisters. Roselieb: »Niemand kann sagen, dass es solche Flutwellen im Ahrtal noch nicht gegeben hat … Beim Hochwasser vor 200 Jahren waren die Dimensionen etwa noch gewaltiger.« Schon am frühen Abend hätte man einen Voralarm auslösen können, wie das Landräte im sturmfluterprobten Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten zu tun pflegen.

Die Katastrophe habe »uns alle überrascht und geht auf Wetterphänomene zurück, die in unserer Region und in Deutschland in dieser Form erstmalig auftraten und beispiellos waren«, meint die CDU jetzt weiter. So überraschend war es offenbar nur für die CDU; alte Quellen wissen von vielen Hochwasserkatastrophen im Jahrhundertabstand auch in vorindustrieller Zeit. Allein am 21. Juli 1804 und 13. Juni 1910 kam es nach schweren Regenfällen ebenfalls zu katastrophalen Überflutungen. Nichts Ungewöhnliches also.

Pföhler wollte nicht zurücktreten, seine Partei schmiss ihn jetzt aus seinem Amt und erklärt: »Der Kreis Ahrweiler benötigt in der aktuellen Situation in seiner Führung einen unbelasteten personellen Neuanfang, denn die Herausforderungen der kommenden Jahre werden viel Kraft und Einsatz fordern. Dies setzt Vertrauen der Bevölkerung in die politisch Verantwortlichen voraus.«

Die Staatsanwaltschaft Koblenz prüft, ob bei der Unwetterkatastrophe fahrlässige Tötung im Spiel war. Als Voraussetzung könnten unterlassene oder verspätete Warnungen oder Evakuierungen gelten. Zu solchen Untersuchungen ist sie verpflichtet, Ende offen.

Es kam auch heraus, dass offenbar ein falsches Formular Mitschuld daran hatte, dass es keine Warnhinweise über das drohende Hochwasser gab. Ein nicht aktuelles Meldeformular sei verwendet und damit verhindert worden, dass die Warnhinweise an alle Medien weitergeleitet wurden. Der Einsatzleiter jedoch sei davon ausgegangen, dass alle Medien seine Warnhinweise erhalten hätten. Immerhin teilte das Innenministerium von Rheinland-Pfalz mit: das Formular angepasst worden.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Doch allein mit einem falschen Formular ist die Sache nicht zu erklären. Zwei Tage zuvor wurden ausnahmslos alle Behörden gewarnt. Denn das Bundesverkehrsministerium hat laut Dirk Spaniel, verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, alle Obleute im Verkehrsauschuss des Bundestages darüber informiert, dass der Deutsche Wetterdienst bereits am 12.7. um 10.20 Uhr per Email alle regionalen Behörden vor heftigen Überflutungen gewarnt hat. Der DWD ist dem Verkehrsministerium zugeordnet. »Wenn eine regionale Regierung das nicht ernst nimmt, dann ist das eklatatentes Staatsversagen«, so Spaniel.

Mit dem Rauswurf des Landrates zeitigt die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal vom 14. Juli eine erste personelle Konsequenz. Erstaunlich! Schließlich sind doch Rücktritte von Politikern wegen erwiesener Unfähigkeit ziemlich aus dee Mode gekommen. Offenbar war der Druck aus der Bevölkerung so stark geworden, dass sich die CDU gegen ihre Führung auflehnte. Zumindest auf Landkreisebene. 

»In der Rückschau bleibt einiges aufzuarbeiten«, formuliert die CDU weiter. Sicherlich nicht nur im Landkreis Ahrweiler, sondern in ganz Rheinland-Pfalz. Denn die Einsatzleitung für den Katastropheneinsatz im Ahrtal liegt beim Land Rheinland-Pfalz. Organisiert wird sie von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier als zuständiger Landesbehörde für den Katastrophenschutz. Die wiederum hatte unmittelbar nach der Katastrophe nichts Besseres zu tun, als Landwirte sogleich aufzufordern, ihre weggespülten Flächen aus den Förderanträgen herauszurechnen. Ansonsten würden sie Subventionsbetrug begehen.

ADD-Direktor ist Präsident Thomas Linnertz, wie Pföhler übrigens auch Jurist. Der duckte sich erst einmal weg und redete von »sowas haben wir noch nie erlebt« und von »großen Herausforderungen«. Dieselbe ADD wollte die freiwilligen Helfer, die aus dem Bundesgebiet an die Ahr gefahren waren, zurückpfeifen und forderte sie zur Abreise aus den Katastrophengebieten auf. Grund seien drohende kommende Niederschläge.

Dass mit dem Rücktritt des Landrates Pföhler das politische Versagen ausreichend beantwortet wäre, ist kaum anzunehmen. Zu groß ist die Hilfskatastrophe nach der Flutkatastrophe. 

Anzeige
Die mobile Version verlassen