Die bayerische Staatsregierung plant zusätzliche Deutsch- und Mathematikstunden für Grundschüler. So weit, so gut. Jedoch soll der Unterricht laut Kultusministerin Anna Stolz durch Abstriche in den musisch-kreativen Fächern erzielt werden – eine echte Milchmädchenrechnung.
Nicht nur die PISA-Studie, auch die im Herbst 2023 veröffentlichte Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zeichnet ein katastrophales Bild von der deutschen Bildungslandschaft. Allerdings bräuchte man im Grunde keine Wissenschaftler, um festzustellen, dass das einstige Lande der Dichter und Denker in Sachen Bildung als abgeschrieben gelten kann. Dazu genügt ein Blick ins abendliche Fernsehprogramm, dazu reicht es, der Großstadtbevölkerung in Bus und Bahn aufs Maul zu schauen, dazu braucht man lediglich den Komplexitätsgrad öffentlicher Debatten zu beobachten.
Doch schlimmer geht immer, und so steht zu befürchten, dass Deutschland bald aus funktionalen Analphabeten bestehen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Es muss etwas geschehen, so viel ist klar. Die bayerische Staatsregierung prescht nun typisch hemdsärmelig vor, und plant zusätzliche Deutsch- und Mathematikstunden für Grundschüler. So weit, so gut. Jedoch soll der Unterricht laut Kultusministerin Anna Stolz durch Abstriche in den musisch-kreativen Fächern erzielt werden – eine echte Milchmädchenrechnung. Seit Jahrzehnten scheint es bundesdeutschen Politikern nicht vermittelbar zu sein, dass künstlerische Fächer kein netter Zeitvertreib sind, sondern – vorausgesetzt, sie werden vernünftig unterrichtet – wichtige Kompetenzen vermitteln, und zwar so gedrängt und ganzheitlich, wie es kein anderes Schulfach vermag.
Künstlerische Betätigung kommt nicht nur der Bildung, sondern auch dem kulturellen Bewusstsein und nicht zuletzt der menschlichen Reifung zugute. Früh einsetzender Musikunterricht etwa kann einiges an Förder- und Nachhilfeunterricht vermeiden helfen: Musizieren ist ein hochkomplexer Vorgang, der die Entwicklung des Gehirns fördert, motorische Fähigkeiten spielerisch und mit Spaßfaktor trainiert, Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert, und Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Gemeinschaftssinn und Disziplin vermittelt. Fähigkeiten, die im Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht eben überflüssig scheinen. Nebenbei tut es der Psyche gut, und macht Kinder mit der eigenen Kultur vertraut: Wer singt, hat mit ein paar Schubert- oder Schumannliedern wichtige literarische Werke von Dichtern wie Eichendorff oder Schiller verinnerlicht, ohne es zu bemerken.
Immer früher ans Smartphone gefesselte, der virtuellen Welt ausgelieferte Kinder profitieren von künstlerischer Betätigung; sie lernen, mit der eigenen Fantasie statt mit der KI umzugehen. All das aber braucht Zeit und muss priorisiert werden: Eltern, Schüler, und auch Lehrer müssen spüren, dass Werken, Zeichnen und Singen ernstzunehmende Fächer sind; dass Engagement in diesen Bereichen nicht als überflüssig und irrelevant betrachtet wird. Die Fehleinschätzung, etwas sei irrelevant für den Bildungsweg, weil es womöglich „Spaß“ macht und ohne Hausaufgaben auskommt, kann und muss korrigiert werden. Es wäre die Aufgabe der Politik, endlich zu verstehen, dass es diese früh erworbenen und gefestigten musischen „soft skills“ sind, die am Ende auch ein Matheabitur erleichtern.
Die Kurzsichtigkeit der Erwachsenen von heute verantwortet den umfassenden Mangel an kognitiven, intellektuellen und sozialen Fähigkeiten der nachwachsenden Generation: In einer immer komplexeren Welt können wir uns eine utilitaristische Verkürzung des Bildungsbegriffs nicht leisten. Wir müssen vielmehr zurückfinden zu einem Bildungsideal, das den Namen verdient, und das nicht MINT-Fächer oder Orthographie gegen das ausspielt, was den Menschen letztlich zum Überlebenskünstler in einer feindseligen Welt gemacht hat: seine überschäumende, schier grenzenlose Kreativität.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Sorry, da kommt’s mir wieder hoch! Immer dieses überhebliche Geschwafel von Leuten, die irgendwas auf Papier schmieren und dann behaupten, das sei kreativ und sie die einzigen Kreativen. Die nie begriffen haben und es auch nie begreifen werden, wie kreativ Mathematik, Physik, Informatik und andere Naturwissenschaften wirklich sind. Ohne deren Kreativität könnte man nämlich so dumme Zeilen nicht schreiben. Nur dass deren Kreativität eben anhand der Realität verifiziert werden muss, was im Übrigen weitere Kreativität erfordert. Nichts gegen künstlerische Fächer, die mit Blick auf die Malerei, Bildhauerei und Musik der vergangenen Jahrhunderte auch wesentlich mehr disziplinierte Kreativität verlangten als diese… Mehr
Daher sind viele Mathematiker auch begabt an einem Instrument. Kreativität ist in allen Bereichen von Vorteil. Gefördert wird sie vor allem in den „Schwafelfächern“. Dort ist es auch am leichtesten. Gleisdenken ist in meinen Augen das Schlimmste, was es gibt. In den MINT-Fächern braucht es m. E. viel Wissen, um dort zielgerichtet kreativ werden zu können. Die künstlerischen Fächer können leider mißbraucht werden. Ich kann Formenlehre in der Musik unterrichten oder warum unbedingt Bilder umbenannt werden müssen. „Sozialkompetenz“ kann man erlernen, indem man in ein Orchester oder in einen Chor eintritt. Oder in die Freiwillige Feuerwehr. Aber all das ist… Mehr
Also ich sags mal ganz deutlich! Wir hatten bis in die 50er Jahre das mit Abstand BESTE Bildungssystem dieses Planeten! Kein anderes Land hat bis dahin mehr Nobelpreisträger hervorgebracht! (Ich zähle auch all die Ausgewanderten „amerikanischen“ Nobelpreisträger mit rein denn die wurden ja auch in Deutschland ausgebildet und geschult.) So und nun will man plötzlich alles seit Jahren noch besser und anders machen? Besser kann man es nicht machen! Klar kann man die Methoden anpassen der Rohrstock gehörte nicht mehr zum Inventar eines Lehrers auch wenn man heutzutage über eine Wiedereinführung diskutieren könnte/ obwohl ein Taser wohl in den „Brennpunktschulen“… Mehr
„Wissen“ statt Bildung.
„Double relaxed Darwinian selection“ (Nyborg)
Egalitaristische Ideologisierung und Realitätsleugnung der Bildungspolitik.
Eventuell wäre ein Faktor zu kompensieren. Zwei schon nicht. Drei führen zur kognitiven und mentalen Verkümmerung und damit langfristig zum totalen Niedergang einer Gesellschaft.
Am ehesten sollte man die Geschwätzfächer reformieren. Wenn Sechstkläßler (Gymnasium) in Religion, Geschichte und Sozialkunde seit über einem halben Jahr nur mit „Islamverständnis“ beworfen werden… Für die Erwähnung des 7. Oktober, Armeniens oder der nigerianischen Christenmorde gibt es schlechte Noten, wegen mangelnder Empathie.
Merkwürdig, dass die Lehrpläne vor 40 oder 60 Jahren kürzer waren, und die Leistungen trotzdem besser.
Aber leicht erklärbar, wenn man die Überladung der Schulen mit sprach- bildungsfernen Schülern betrachtet. Inklusionskinder machen den Klassenfortschritt auch nicht immer besser.
Und wenn man sich dann vergegenwärtigt, dass auch leistungsseitig völlig ungeeignete Schüler auf dem Weg zum Abitur mitgenommen werden, wird eines klar: Die benötigte große Zahl an Stunden ist nichts anderes als staatlich organisierte Nachhilfe für die Leistungsschwachen. Mit Anwesenheitspflicht für alle.
Das sehe ich nicht so, denn sofern priorisiert werden muss sind Mathe, Deutsch, Physik, Heimat- und Sachkunde und Englisch deutlich wichtiger für unsere Kinder.
Musik, Sport (insbesondere das Schwimmenlernen ist definitiv Elternaufgabe), Kunsterziehung und Werken/Handarbeiten könnte durchaus auch von den Eltern übernommen werden. Denkbar wäre meines Erachtens auch bei diesen 4 Fächer die Stunden (anstatt sie gleich ganz abzuschaffen) lediglich zu reduzieren und als eine Art Anleitung/Einführung für die nachfolgende Vertiefung durch die Eltern zu sehen.
sicherlich gehört Kunstunterricht zu einer breit gefächerten Bildung. Allerdings müssen auch Prioritäten gesetzt werden. Was nutzt es, wenn Kinder schön malen oder singen oder ihren Namen tanzen können, aber nicht lesen, schreiben und rechnen?
Alles gut und schön, aber Kinder sind keine Computer und ihre Aufnahmefähigkeit und die Zahl der Unterrichtsstunden ist beschränkt. Da müssen Prioritäten gesetzt werden. Und die sollten in der Grundschule nun mal (Kopf)Rechnen, (Hand)Schreiben und Lesen sein. Zeichen halte ich für sinnvoll, weil man da unter Anderem seine motorischen Fähigkeiten und Beobachtungsgabe schult. Ziele nach 4 Jahre also: Beherrschung der Grundrechenarten, Lesen und Verstehen von Texten, (für andere) lesbares Schreiben von Hand, Grundwortschatz aktiv und passiv.
Was wegkann, ist der „Englischunterricht“. Die Grundschullehrer machen oft selber Fehler, und das „spielerische Heranführen“ – vier Jahre lang! – verbrennt Zeit, in der die Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen festigen könnten. (Fürs Singen bliebe dann auch noch Zeit.)
Das Problem sind die immer niedriger werdenden Anforderungen in einem besonders durch Migration komplexeren Klassenumfeld, bei gleichzeitiger Verantwortungslosigkeit der Eltern, die ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag nicht mehr wahrnehmen (oder auch nicht wahrnehmen können). Das kann man weder durch Verschiebung der Priorität bei den Fächern heilen, noch durch Sozialhelfer. Wenn jemand nur noch über das Abitur grundlegende Fähigkeiten in Mathematik und Deutsch bekommen kann, dann sind die Grundannahmen für die Schulen schlicht falsch. Da helfen auch keine Konzepte aus anderen Ländern, die andere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben. Es werden dann Emilia Festers und Jamila Schäfers produziert, die als Abgeordnete das ganze Dilemma… Mehr
das Grundproblem ist, dass die Schulen nicht mehr aussieben dürfen. Eine Klasse wiederholen muss doch heute fast kein Grundschüler mehr oder gar in sogenannte Förderschulen kommt auch keiner mehr.
Ich habe vor ein paar Tagen ein Zwischenzeugnis eines Jungen gesehen. Beide Eltern sind türkischer Abstammung, sprechen perfekt deutsch. Der Schüler spricht zwar deutsch, hängt aber signifikant beim Lesen und Schreiben hinterher. Im Zeugnis ist eine Zielvereinbarung: mehr über. Lehrkraft, Mutter und der Schüler haben unterschrieben. Das wars. Zu meiner Zeit wäre da gestanden: Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe gefährdet.
Wenn Schülern die intellektuellen und sozialen Fähigkeiten fehlen, auf denen Bildung erst aufsetzen kann, und obendrein jeglicher Bildungserwerb und eigene schaffende Tätigkeit kulturell verachtet wird, dann nützt das beste Bildungssystem der Welt nichts.
Es ist immer mit Unsicherheit verknüpft, Können und Fertigkeiten in einem Unterrichtsfach auf andere Fächer zu übertragen.
Z.B. gab es und gibt es wohl immer noch die Ansicht (und Begründung), durch Latein werde das formale und logische Denken geschult.
Fest steht nur, daß man durch Lateinunterricht eben (im besten Falle) Latein lernt. Wahrscheinlich gibt es angeborene Begabungen, die sowohl in dem einen wie in einem anderen Fach nützlich sind.
Warum kann man das Lernen nicht als das sehen, was es ist – Kindern Möglichkeiten zur Entfaltung zu bieten. Woher wollen wir wissen, welches Kind eher Latein, welches eher Geige brauchen wird? Schule soll Allgemeinwissen, Fleiß und elementare motorische Fähigkeiten vermitteln. Auch Sozialisierung. Latein ist toll – es ist eine Fleißfach, es zeigt, wie man auf Deutsch formuliert, es liefert kulturelle und Geschichtsinformationen. Es ist sehr allgemeinbildend. Das einzige Argument dagegen ist, dass es sich wirtschaftlich nicht verwerten lässt. Aber soll das das Ziel in der Schule sein? Spezialisierung soll später – im Beruf – kommen. Kids sollen die Freiheit… Mehr
Die Frage, was die (Massen-)Schule lehren soll, ist alt und nie schlüssig zu beantworten. Seit langem ist ja der Schulunterricht an allgemeinbildenden Schulen wissenschaftsorientiert
Man könnte vielleicht sagen, daß die Schule der „kulturellen Reproduktion“ dienen soll. Dazu gehören also Grundfertigkeiten, auch ein gewisser Bildungshorizont, Urteilsvermögen, Orienterungwissen.
Als nachteilig sehe ich eine frühe Spezialisierung an. Und nicht zuletzt den Ehrgeiz z.B. des Gymnasiums, Universität zu spielen. Das Kurssystem wäre da auch zu hinterfragen.
Bildung fängt bekanntlich erst an, wenn wir von der Schulbildung das meiste vergessen haben.
Durch Latein lernt man auswendig lernen und mit auswendig lernen kommt man durchs Abitur. Sachverhalte verstehen ist aber etwas anderes.
Ja, a – „das Lernen lernen“ oder „gewußt, wo’s steht…“ reicht.
Auch so Schlagworte für die Bequemen und Lernscheuen.
Ihre Auffassung vom Lateinunterricht ist womöglich ein wenig reduktionistisch…vielleicht geprägt durch eigene Erfahrungen?
Im übrigen ist meiner Ansicht nach Lernen immer inhaltsbezogen.