Merkel brach die Verfassung – doch das Urteil aus Karlsruhe kommt zu spät

Ja, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Verfassung ohne Not gebrochen, urteilt das Bundesverfassungsgericht. Doch was folgt daraus? Gar nichts. Weil sich das Gericht mit seiner späten Urteilsfindung mal wieder selbst demontiert.

IMAGO / snapshot
Angela Merkel und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, 12.03.2020

Merkel hat Recht gebrochen: Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) heute Morgen festgestellt. Mit ihren Äußerungen zur Kemmerich-Wahl im Februar 2020 in Thüringen hat die Kanzlerin „in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt“, wie das Gericht auf seiner Website schreibt. Damit habe Merkel in das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes eingegriffen.

Als Merkel aus dem südafrikanischen Pretoria herrisch erklärte, die Wahl Kemmerichs müsse „rückgängig gemacht“ werden, brach sie als Regierungschefin die Verfassung. Sie handelte gegen das Grundgesetz. Damit verstieß die ehemalige Kanzlerin auch gegen ihren Amtseid, selbiges zu „wahren und verteidigen“.

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Falls Sie vergessen haben, was damals passiert war: Die nicht-linke Mehrheit im Thüringischen Landtag hatte sich bei einer von den Linken erzwungenen Ministerpräsidentenwahl hinter den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich gestellt. Damit erfüllten AfD, FDP und CDU schlicht ihren Wählerauftrag, Bodo Ramelow und Rot-Rot-Grün zu verhindern. Die inszenierte Empörung darüber, dass ein Ministerpräsident „mit Stimmen der AfD“ gewählt worden war, brach sich sofort Bahn – die ehemalige Linken-Chefin Hennig-Wellsow warf Kemmerich einen Blumenstrauß zu Füßen, bis ins schwarz-gelbe Milieu hinein wurde plötzlich von einem gefährlichen „Dammbruch“ schwadroniert, und FDP und CDU – die ja eigentlich nur einen Liberalen gewählt und damit, nochmal, ihren Wählerauftrag erfüllt hatten – krochen schnell zu Kreuze.

Dazu trug auch die Bundeskanzlerin bei, deren Machtwort bis nach Thüringen klang. Die CDU in Thüringen ließ sich in Folge in eine Duldung der rot-rot-grünen Regierung zwingen. Merkels Wort galt – mehr als die Entscheidung der Landespartei, auf die sie eigentlich gar keinen Einfluss mehr hätte nehmen dürfen. Mehr als der Willen der Thüringer Wähler, und mehr als der deutlich ausgedrückte Wille des Landtages, den sie als Bundeskanzlerin mal eben überging und für nichtig erklärte. „Diese Wahl muss rückgängig gemacht werden“ – so ähnlich sprach einst der Zar über seine Duma. Für die Bundeskanzlerin eines freiheitlich demokratischen, föderalen Verfassungsstaates im Jahr 2020 war eine solche Wortwahl ein Unding – nicht ohne Grund klagte die AfD, und nicht ohne Grund bekam sie heute Recht. Nur: Was folgt daraus? Denn dass Merkel Verfassung und Amtseid gebrochen hat, ist jetzt gerichtsfest und unanfechtbar.

Und ein Verfassungs- und Eidesbruch sollte doch Konsequenzen haben, oder nicht? Immerhin trat Merkel nicht die Hausordnung einer Bowlingbahn, sondern das Grundgesetz und die verfassungsmäßige Ordnung unseres Staates mit Füßen, als sie den demokratisch gewählten Kemmerich per Sprechakt aus dem Amt zu kegeln half. Doch unmittelbare Konsequenzen leiten sich aus dem Urteil erstmal nicht ab. Eine Merkel-Sprecherin erklärte schlicht: „Bundeskanzlerin a. D. Dr. Angela Merkel respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.“ Inhaltlich äußerte sich Merkel nicht.

Dass es wohl gar keine Konsequenzen geben wird, verdankt Merkel schlicht der Tatsache, dass sie nicht mehr im Amt ist. Insofern ist es bemerkenswert, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung so viel Zeit gelassen hat. Im Februar 2020 kam es zum Eklat, Im Juli 2021 wurde in Karlsruhe verhandelt. Dauert es wirklich insgesamt zweieinhalb Jahre, eine Entscheidung in einem doch so eindeutigen Sachverhalt zu fällen? Zwar hätte Merkel gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen dürfen – etwa, wenn die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung bedroht gewesen wäre. Dies war jedoch nicht der Fall, wie auch das Gericht am Ende festgestellt hat.

„Wahl muss rückgängig gemacht werden“
Bundesverfassungsgericht: Merkel hat mit Kemmerich-Äußerungen Rechte der AfD verletzt
AfD-Chef Tino Chrupalla nannte das Urteil in einem Statement einen „guten Tag für die Demokratie“. Aber ist es das wirklich? Fest steht jetzt auch: Die Kanzlerin konnte folgenlos die Verfassung brechen, das Gericht bemängelt sowas nur noch im Nachgang. Für den Rechtsstaat Deutschland ist dieses Urteil kein gutes Urteil, weil es viel, viel zu spät kommt, um den eklatanten Bruch unserer Rechtsordnung noch zu kitten.

Wenn das Bundesverfassungsgericht nur verspätete, folgenlose Rügen ausstellt, die eigentlich das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben wurden, demontiert es sich auch selbst. Wahrscheinlich hat auch Olaf Scholz aufmerksam den Prozess verfolgt. Er weiß jetzt: Sollte er die Verfassung brechen, bekommt er das irgendwann per Brief an seinen Alterssitz mitgeteilt. Den kann er dann, gegen jede Konsequenz gefeit, gemütlich im Liegestuhl lesen. Eine „wehrhafte Demokratie“ sieht auf jeden Fall anders aus.

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Kommentare ( 39 )

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Fawlty
1 Jahr her

Joah. Legal. Illegal. Scheissegal. Sie machen es erst, und wenn es später für illegal erklärt wird, was solls? Ohne Politikerhaftung k!ine Folgen.

Juergen Waldmann
2 Jahre her

Merkel noch im Amt , da hätten die Richter anders entschieden ! Diese Frau hat unser Demokratie in Deutschland schwer geschadet , davon werden wir uns lange nicht erholt haben . Ihre Partei CDU/CSU wird noch lange brauchen , um wieder eine demokratische Partei zu sein und Einfluss auf die Entwicklung des Landes zu nehmen . Ernsthaft glaubwürdig und als Vorbild für Junge Wähler , da warte ich noch auf Signale aus der Union , dass sie verstanden haben und sich von der Linken Merkel befreit haben . Noch sehe ich keine ernsthafte Abkehr der Union von dem Einfluss der… Mehr

Axel Fachtan
2 Jahre her

Ja, selbstverständlich ist Merkel dafür, dass Stalins Erben Thüringen regieren. Sie war ja nicht umsonst Kader bei der FDJ. Wenn IM Erika ganz Deutschland in Grund und Boden regieren kann, warum sollte dann Thüringen von der FDP regiert werden ? Wo kommen wir denn da hin ? FDP statt FDJ ? Das geht ja gar nicht ! Und die FDP selbst ist darauf eingestiegen. Das war a u c h deren Entscheidung auf Bundesebene. FDJ ja, FDP nein ! Das haben die so entschieden. Nachdem die FDP unter Merkel sich von 2009 bis 2013 komplett vernichtet hatte. Dann entscheiden die… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Axel Fachtan
hansmuc
2 Jahre her

Hätte Merkel Verfassung, Recht und Gesetz „nur“ in diesem einen Falle gebrochen, ginge es uns als Volk heute ja noch vergleichsweise gut. Nein, sie hat unendlich oft gegen Recht verstoßen und das muss dringendst – ich bete: Zeitnah! – geahndet werden.

Ferengi
2 Jahre her

Man könnte somit attestieren, dass eine „demokratische“ Entscheidung aufgrund einer Anweisung von ganz oben rückgängig gemacht worden ist und damit bestätigt sich doch auch, dass in diesem Land die „Demokratie“ als Staatsform nicht mehr exististent ist, auch wenn das von den Politikern des Einheitsparteienblocks sowie der Staatsmedien nach wie vor konstatiert wird. Ich schließe mich den Kommentatoren zu diesemBeitrag an: Dieses Land ist unrettbar verloren. Dazu passen dann auch Meldungen, wie. z.B. Ferda Ataman als Antidiskriminierungsbeauftragte und Emilia Fester, die Luisa Neubauer in ihren Anschlagsfantasien auf Pipelines beisteht.

M.Obert
2 Jahre her

Eine Abrechnung mit dieser Frau wird nie stattfinden. Deutschland ist unrettbar verloren.
Mein (leider vergeblicher) Wunsch wäre, das sie in die Uckermark verschwindet und ich nichts mehr von ihr hören muss.
Einen schönen Tag noch!!!

Eggbert
2 Jahre her

Frage:
Welchen Sinn macht dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts überhaupt noch?
Antwort:
Den gewöhnlichen Menschen und Wählern wird eine Kulisse einer politischen Verfasstheit und Rechtsstaatlichkeit vorgegaukelt, die faktisch schon lange nicht mehr existiert.

Der ganze Vorgang ist ein einziges Schmierentheater und offenbart einzig die politische Verwahrlosung in diesem Land.

RA.Dobke
2 Jahre her

G’Tag liebe Mitleser und Kommentatoren! Es ist nie zu früh und selten zu spät. Das gilt auch hier. Rechtsbruch in unserem System steht immer häufiger an der Tagesordnung der Politik, das ist zu bedauern. Um so wichtiger ist es, dass es an Frau Merkel einmal aufgezeigt wird. Es gibt Grenzen und da gibts keinen Halt vor noch so „hohen“ Persönlichkeiten! Das Urteil ist Mahnung und dient dazu, das, was von Frau Merkel künftig gesagt wird, um ihr historisches Ansehen zu retten, zu relativieren

Annegret von Stein
2 Jahre her

Das Foto von A.Merkel und B.Ramelow spricht Bände , dieses sollte man fünf Minuten auf sich wirken lassen…
G. Schröder musste sein Büro räumen, er hat während seiner Amtszeit (und auch danach) als Spitze der Exekutive nicht die Verfassung gebrochen. A. Merkel schon! Sie darf „weitermerkeln “ – mit Büro und Angestellten.
Was sagt diese Tatsache uns Bürgern – eines angeblich demokratischen Systems -?
P.S. Ich war/bin kein Anhänger der Politik G.Schröders. Er hat aber nie seinen Amtseid gebrochen.

Schwabenwilli
2 Jahre her
Antworten an  Annegret von Stein

Das musste mal gesagt werden.
Wenn Schröder sein Büro räumen muss dann Merkel schon lange.
Was ist eigentlich los in diesem Land, in welchen Hände der Willkür sind wir den gelandet?

Siggi
2 Jahre her

Unabhängig von diesem Fall. finde ich es höchst bedenklich, dass das Gericht nicht „unisono“ spricht. Eine Entscheidung sollte grundsätzlich binär ausfallen. Dass jetzt einzelne Richter mit der Entscheidung nicht einverstanden sind und „Nebenurteile“ kreieren, ist für die höchste Instanz ein Armutszeugnis und zeigt, wie gespalten selbst dieses Gericht ist. Die Unrechtmäßigkeit der Merkelaussage ist unzweifelhaft und sollte nicht durch einzelne Merkelgewogene relativiert werden können. Dies sollte allerdings bei allen Entscheidungen so sein. Für Nuancen der Entscheidung ist die Urteilsbegründung der richtige Rahmen. Dass jetzt einige Richter offen ausscheren, verwässert die Entscheidung und gibt in diesem Fall der links/grünen Merkelpresse einen… Mehr