Karlsruhe entscheidet über die Wahlrechtsreform

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit Ampel-Gesetze kritisiert, aufgehalten oder eingefroren. Morgen behandelt es die Wahlrechtsreform. Verfällt Karlsruhe in alte Muster - oder sorgt es für eine Überraschung? Selbst das Ende der Fünf-Prozent-Hürde ist möglich.

IMAGO / photothek
Beratungszimmer des 1. und 2. Senats, Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe (Symbolbild)

Es war ruhig um die Wahlrechtsreform geworden. Dabei hatte es nicht nur am Tag zuvor, sondern schon Wochen vorher den Diskurs bestimmt. Auf den letzten Metern brachte die Ampel dazu eine Änderung ein, die insbesondere die CSU und die Linkspartei empörte. Nur vier Tage vor der Abstimmung hatte die Bundesregierung die Grundmandatsklausel aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. Folge: Die CSU kann sämtliche Direktmandate in Bayern gewinnen, wenn sie bundesweit nicht über 5 Prozent kommt, dann zieht sie nicht in den Bundestag ein.

Zur Erinnerung: Deutschland ist das erste Land, das bei jedem EU-Mitglied auf der Türschwelle steht, wenn es dort angeblich nicht demokratisch zugeht. Medial torpedieren Rundfunk und Presse in gewohntem Turnus das US-Wahlsystem. Bei einem offenkundig problematischen Wahlrecht, das im schlimmsten Fall Millionen Wählerstimmen annulliert, folgte lediglich Achselzucken. Die Causa ist eingeschlafen. Obwohl eine amtierende Regierung de facto ein Gesetz gegen zwei Oppositionsparteien geschmiedet hat.

Der mögliche Wegfall der Linkspartei ist dabei nur ein kleines Opfer, um die CSU als einen möglichen Mehrheitsbeschaffer der Union auszuschalten und damit eine links zementierte Bundesrepublik abzusichern, in der auch regional-bayerische Einwürfe ausgebremst würden – was angesichts der im Bund verschobenen Summen des Länderfinanzausgleiches umso mehr die Frage aufwirft, ob die notorischen Schuldenmacher hier nicht naheliegende Ziele verfolgen.

Die Wahlrechtsreform ähnelt damit vielen der durchgepeitschten Nacht-und-Nebel-Gesetze der Ampel, die ein Nachspiel hatten. Beim Heizgesetz musste Robert Habeck sein Projekt auf die Zeit nach dem Sommer verschieben. Ein stattgegebener Eilantrag in Karlsruhe machte es möglich. Dass der Bundeswirtschaftsminister mit seinem „Wärmepumpen-für-alle“-Gesetz inklusive Gasnetzverschrottung entgegen allen Unkenrufen durchkam, hing nicht zuletzt daran, dass die Gegner des Gesetzes, allen voran die Union, das Moment verschliefen.

Beim widerrechtlich durchgepeitschten Haushalt rächte sich später der Hammer des Bundesverfassungsgerichtes und fügte der Ampel eine Blamage zu, wie sie seit der Gründung der Bundesrepublik einzigartig ist. Seitdem hat sich das Bonmot durchgesetzt, dass die Bundesregierung selbst zur Verabschiedung eines Haushalts zu inkompetent ist.

Morgen steht das Wahlgesetz auf dem Prüfstand. Nach bisherigem Verlauf müsste auch dieses Ampelgesetz keinen Bestand haben. Die Entschlüsse des Gerichts haben in den letzten Jahren Konklave-Charakter angenommen: Das Volk wartet auf weißen oder schwarzen Rauch, was im Inneren vor sich geht, bleibt bis zur Verkündigung unklar. Überraschend klar hatte Karlsruhe etwa letzte Woche das Gut der Meinungsfreiheit, insbesondere als Instrument der Machtkritik, in einer solchen Weise bestärkt, dass auch Kritiker aufhorchten. In jüngster Zeit hat das Gericht nach den zehrenden Corona-Jahren wieder Vertrauen gewonnen – wird es dieses Mal den Kurs fortsetzen, oder in alte Muster verfallen?

Mehrere Medien postulieren sogar eine mögliche Zwischenlösung: nämlich den Wegfall der 5-Prozent-Hürde. Einer der Kläger, der Regensburger Professor für Öffentliches Recht, Thorsten Kingreen, wirft der Klausel vor, sie unterdrücke „gesellschaftlichen Pluralismus“. Florian Meinel, Staatsrechtler aus Göttingen, spekulierte darüber, dass die Hürde fallen könnte, da sie für regionale Parteien zu hoch ausfalle. Auch der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl sagte: „Die Grundmandatsklausel abzuschaffen und gleichzeitig an der Fünfprozenthürde festzuhalten, bedeutet eine Verengung des Repräsentationsspektrums im Parlament.“

Ein Kompromiss sähe demnach so aus: Die Direktmandatsregel der Wahlrechtsreform bleibt bestehen. Doch das Bundesverfassungsgericht könnte dies mit einer Reform der Reform verknüpfen, die das Ende der seit 1953 bestehenden Fünf-Prozent-Hürde bedeuten könnte. Das wäre nicht nur für die Linkspartei und die CSU ein Signal. Sondern auch für zahlreiche junge Parteien für die kommende Bundestagswahl.

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Kommentare ( 48 )

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Rob Roy
7 Monate her

Warum so kompliziert? Nur noch die direkt gewählten Kandidaten erhalten ein Mandat, dann ist Zahl der Abgeordneten in den Parlamenten mehr als halbiert. Es gibt dann keine komplizierten und ungerechten Spieler- und Tricksereien mit Überhang- und Ausgleichsmandaten. Ein direkt gewählter Abgeordneter könnte sich vielleicht auch ein klein wenig mehr dem Bürger verpflichtet fühlen als ein Parteisoldat, der über Liste an sein Amt kommt, zumal die Listenplätze intransparent und nach Gutdünken vergeben werden. Zudem sollte die (steigende) Zahl der Nichtwähler berücksichtigt werden, indem ein entsprechender Anteil an Mandaten einfach nicht vergeben wird – die Sessel im Plenarsaal bleiben dann halt leer… Mehr

Buck Fiden
7 Monate her

Wir sollten an der 5%- Hürde festhalten. Nur sie schützt uns vor den Grünen, der FDP oder auch der SPD, wenn diese mit 2-3% aus den Parlamenten `rausfliegen.

Rob Roy
7 Monate her
Antworten an  Buck Fiden

Richtig, denn es könnte dazu führen, dass noch mehr Parteisoldaten über Listenplätze ein Amt bekommen. Das also eher noch mehr Abgeordnete in den Parlamenten hocken als jetzt, obwohl vollmundig behauptet wird, man wolle reduzieren. Allerdings fällt auch die Grundmandatsklausel weg. Also die Reglung, dass eine Partei mit der gesamten Fraktion einzieht, selbst wenn sie unter 5% liegt, sofern sie nur mindestens 3 Direktmandate erzielt hat. Das ist aktuell bei den Linken der Fall. Unser jetztiges Wahlrecht begünstigt die Parteien und benachteiligt den Wähler. Aber die Reformen sind nur Blendwerk und so lächerlich wie die „Reformen“ beim ÖRR. Listenmandate gehören ersatzlos… Mehr

albert deutsch
7 Monate her

Über eine Reform des Wahl“rechts“ bestimmt eine Behörde und nicht der Wähler ? Weil rechts hier vorkommt ?
Vom Schweizer Wahlrecht mit seinen Volksabstimmungen sind und bleiben Wir Lichtjahre entfernt .Unser Volk , in seiner Gesamtheit ,zu doof für eine direkte Befragung zu Themen wie Wahlen ,Einwanderung ,Energie ,Heizen usw. ?
Solange wie vier 13% Parteien (jede zu 87% unbeliebt) in Deutschland das Sagen haben ändert sich eh nix .
Und für Besserwisser :Auch sieben 7,5% Parteien könnten eine Regierung bilden .Schlimmer geht Immer .

Rob Roy
7 Monate her
Antworten an  albert deutsch

Schon allein dass die Altparteien Volksabstimmungen so angewidert ablehnen, zeigt, dass sie mit Demokratie nichts am Hut haben.

Schlaubauer
7 Monate her

Die Ergänzung der CDU um die CSU ausdem Bundestag zu bekommen könnte evtl. der letzte geniale Schachzug Merkels zur Zerstörung der CDU und Deutschlands gewesen sein?

Joe X
7 Monate her

Für die CSU gibt es eine einfache Lösung: Statt einer Liste (die CSU gewinnt erfahrungsgemäß ohnehin fast nie Listenmandate) stellt sie nur Einzelkandidaten auf. Die sind nämlich auch nach dem neuen Gesetz direkt gewählt, wenn sie den Wahlkreis gewinnen. Die CSU würde dann wie gewohnt mit ihren gewonnenen Direktmandaten in den Bundestag einziehen. Das zeigt vor allem, wie absurd das neue Gesetz ist. Eine weitere Absurdität: Der SSW zieht als Vertretung der dänischen Minderheit auch dann in den Bundestag ein, wenn der die 5-%-Hürde verfehlt – auch ganz ohne Direktmandat. Die CSU als Vertreter der deutlich größeren bayerischen Minderheit würde… Mehr

Michael W.
7 Monate her
Antworten an  Joe X

Genau das ist ja der Trick: Ohne 5% Liste ziehen auch keine Direktkandidaten in den Bundestag!
Und genau das ist das Verfassungswidrige daran: Nur Direktkandidaten sind laut Art. 38(1) GG gewählt. Abgeordnete müssen unmittelbar gewählt werden. Eine Liste wird zwar unmittelbar gewählt, aber von Listen steht nichts im GG! Da steht nur „Abgeordnete“. Und die sind dann nur mittelbar gewählt. Wie der US-Präsident.

Malb
7 Monate her

Mein Vorschlag zur Wahlrechtsänderung. Nur noch Direktmandate bei insgesamt 250 Wahlkreisen. Die anderen 250 Posten werden nach der jeweiligen Parteienquote bei der Wahl vergeben und zwar ausschließlich an nicht gewählte Direktkandidaten. Beispiel: Die Partei A hat im Bund 10% der der Erststimmen erhalten und zwei Kandidaten sind direkt gewählt worden. Danach hätte dann die Partei A Anspruch auf weitere 25 Plätze im Parlament, die von den nicht gewählten Direktkandidaten der Partei A mit den 25 an höchsten prozentualen Ergebnissen besetzt werden dürfen unter Beachtung der 5%-Klausel. Direktkandidat XYZ wird nicht direkt gewählt – erreicht aber in seinem Wahlkreis prozentual das… Mehr

Siggi
7 Monate her

Die Frage ist, wie lauten die Wünsche aus Berlin.

Thorsten
7 Monate her

Die Union tut nur so als ob sie etwas verschlafen tut. Es ist das bewußte Dulden und Wegschauen eines Mittäters.

Peter Pascht
7 Monate her

Die Wahlgesetzreform ist verfassungswidrig,
weil das Ausgleichprinzip zwischen Parteistimmen und Direktmandate verfassungswidrig ist.
Ziel ist richtig

  • Wegfall Ausgleichmandate
  • Wegfall Überhangmandate

aber falsch umgesetz zugunsten des Parteinstaates, also zugunsten der Parteizentralen.
Ausgleichprinzip im neuen Gesetz
Es sollen nun errungene Direktmandate wegfallen zugunsten der Parteilisten-kandidaten.
Die Parteilisten-Kandidaten sollen vorrangig die einem Wahlkreis zustehenden Sitze im Bundestag besetzen.
Errungene Direktmandate sollen nur als Auffüllung der Parteilisten-Mandate dienen, bis zur Vervollständigung der Anzahl der einem Wahlkreis zustenden Sitze imBundestag.
Verfassungsmäßig richtig ist es umgekehrt
Zuerst Besetzung der einem Wahlkreis zustehenden Sitze durch die Direktmandate, danach Auffüllen mit Partei-Listen Kandidaten.

Joe X
7 Monate her
Antworten an  Peter Pascht

Und wo genau in der Verfassung steht, dass Direktmandate eine höheren Rang haben als Listenmandate?
Die entgegengesetzte Auffassung, dass ein auf Direktmandaten basierendes Mehrheitswahlrecht den Grundsatz der gleichen Wahl verletzt, erscheint mir doch deutlich plausibler.

Nibelung
7 Monate her

Solange sie nicht beschließen die Wahlen zum Wohle des Volkes für die nächsten 10 Jahre auszusetzen können wir noch froh sein, wo wir doch so tapfere Recken an der Spitze des Staates haben, mit dem entsprechenden Spirit versehen um uns vollends um die Ecke zu bringen, denn die haben schon seit längerer Zeit alle Koordinaten verdreht indem sie uns nach innen bekämpfen und nach außen Hilfestellung jeglicher Art gewähren. Da soll nochmals jemand sagen, sie würden uns nicht vor dem bösen Russen beschützen, während andere ohne Ankündigung bei uns ungefragt einreisen um längerfristig das Zepter zu übernehmen und gestern habe… Mehr