Jauch und Schäuble: Gegenseitiges Abschiednehmen

Günther Jauch tritt als Moderator des Sonntags-Talks ab, Wolfgang Schäuble tritt als Kanzler nicht an, dafür tritt die ARD nach. Keine Palastrevolte im Gasometer.

Da sitzen ein Moderator, der sich verabschiedet und ein Rollstuhlfahrer einsam im grellen Fernsehlicht. Der Jüngere, Gesündere, Günther Jauch geht. Er wirkt so entspannt wie die letzten Monate nicht mehr, in denen die Kritik herab prasselte, wie es nur in der Öffentlichkeit geht, die Niederlagen noch mehr liebt als die Siege vorher. Es ist ein spannendes Gespräch über das Siegen, die Niederlagen und die Verwundungen. Es ist ein doppelbödiges Gespräch, Jauch will sich noch einmal beweisen:

Tritt der an?

Denn eine unausgesprochene Frage steht unter der Jauch-Kuppel im Gaswerk herum wie ein weißer Elefant: Will Schäuble wirklich Merkel ablösen, hat er (noch) das Zeug dazu? Deshalb schaut man die Sendung. Das will Jauch vorzeigen wie einen Skalp; den Angriff auf die Kanzlerin, und Schäuble will es nicht sagen.

Wolfgang Schäuble spricht über die rasende Zeit; dienstältester Abgeordneter, „nicht mehr Teil der Herde“, der nicht belehren will, aber nicht verbergen kann, dass er es könnte. Heute wird das gerne kommentiert als die Angst und die Sorge alter weißer Männer, weil sie nicht bejubeln, was gerade ist, sondern deuten können, was wird. Seit dem Tode Helmut Schmidts ist diese Rolle des Mahners unbesetzt. Schlüpft Schäuble in diese Rolle; der Mann der Kanzler hätte werden können?

156 Sendungen seit 2011 hat Jauch moderiert. Glanzstücke waren darunter, in der nicht der Moderator, aber die Gäste sich selbst offenbart und damit zerstört haben – etwa ein muslimischer Hetzer, der die ganze Niedrigkeit ausstrahlt, die trotzdem erst jetzt, nach den Pariser Morden der Muslime ins Bewusstsein drängt. 

Nach dieser Sendung hätte man es vorher wissen können. Und hat es gewusst.

Und Schäuble macht auf Sphinx; sein Lawinenbild wolle er nicht auf die Kanzlerin gemünzt wissen, die sich nur mit mäßiger Geschwindigkeit allenfalls über lange Strecken schiebt.

Aber: „Man muss es den Menschen in der ganzen Welt“ mitteilen, dass sie nicht alle kommen können. Schäuble gibt den treuen Diener, der zurückholt, was die Kanzlerin vermurkst hat: Die Beschleunigung der Massenflucht aus der Türkei. Der treue Schäuble sagt, was sich die Kanzlerin nicht sagen traut, weil sie Angst hat um ihr Gesicht.

Jauch ist ein genauer Frager: Warum wird ein schmales Stück Meer zwischen der Türkei und Griechenland nicht kontrolliert?

In früheren Sendungen hatte Jauch es geschafft, ein perfekter Spiegel der gesellschaftlichen Stimmung zu sein; da brauchte man schon Nerven, um nicht völlig entsetzt zu sein: Der Talk wird zur Hypnose, so wie das politische Deutschland im Herbst 2015 im Schnarchzustand ist, die sich bespricht statt zu handeln.

Bei Martin Schulz, dem sozialdemokratischen EU-Parlamentspräsident, zeigt Schäuble seine Krallen: Nicht nur um das Schönreden von rhetorischer Solidarität geht es. Zwei Sätze, und der oft so hochgejubelte Schulz ist der ewige Schwätzer, und man ist erleichtert wie bei der Parabel über des Kaisers neue Kleider. Schulz ist nackt, Schäuble lächelt.

Aber dann geht es schwach weiter.

Schäuble sagt, dass er nicht weiß, wieviele Flüchtlinge noch kommen. Dass Anderes „kürzertreten“ muss, also Sozialleistungen gekürzt werden müssen, das sagt er ruhig. So bereitet man die Menschen vor. Schäuble ist nicht liberal, er ist Etatist: Der ehemalige Finanzbeamte sieht in den öffentlichen Finanzen die oberste Priorität, nicht im schlanken Staat. Wer genau hinhört, ahnt: Der Flüchtlings-Soli kommt.

Er greift lieber in die Taschen

Jauch hat die Treibjagd gut vorbereitet, mit immer neuen Einspielern über dessen Verhältnis zu Merkel. Schäuble plaudert sich davon. Redet sogar freundlich über Pegida, vermeidet die obligate Verteufelung. Das hatte Jauch schon früher geschafft.  Aber Schäuble nimmt die Rolle des Königsmörders nicht an. Er weiß, dass die Menschen den Verrat lieben, aber nicht den Verräter. Aber es geht bei solchen Sendungen den Akteuren nicht um den Kick, um Spannung – sondern um Bewerbung. Schäuble als Kanzler, Jauch für seine Zukunft. Dem Publikum muss es nicht sehr, aber wenigstens ein Wenig gefallen.

So bleibt das Gespräch seltsam in der Schwebe, durch die Detailgenauigkeit und betonte Unaufgeregtheit unzeitgemäß – kein Talk-Show-Crash, keine klare Linie, sondern Kurven um die Slalomstangen des politisch möglichen; abgeklärt ist Schäuble: So, wenn er sich nicht auf die Rolle des Behinderten-Politikers reduzieren lässt, weil er kein Interessenvertreter sein will, sondern Minister für Alle. Schäuble bei Jauch stimmt Merkels Mantra „Wir schaffen das“ zu. Auf schwäbisch: „wir werden des meischtern!“ Jetzt ist er so auf Kanzlerinnen-Linie, da kommt er kaum noch runter.

Er tritt nicht an, es wird nachgetreten

So wird das schleppende Gespräch zum Blick nach hinten – von einem Moderator, der ausscheidet und einem Minister, der nur bleibt. Und so wird die Frage, ob Schäuble aufhört in zwei Jahren zum Konter: Jauch könne ja bleiben, um dann die Frage zu stellen; der Alte gibt nicht auf, der Jüngere schon.

Es war kein Höhepunkt zum Abschied, es zieht sich.

Der weiße Elefant ist irgendwie verschwunden aus dem Gasometer.

Am Ende sind alle froh, dass es endet.

Ob es besser wird? Mit Anne Will gefälliger. Höhepunkte kann man nicht planen, aber sollte sie noch seltener erwarten.

Öffentlich Rechtlichen geht es weiter mit Pinar Atalai und ihren lustigen Sprachbildern, meist knapp daneben wie im richtigen Leben.

Passend, dass danach noch eine Gegendarstellung verlesen wird, die so wenig verständlich wie notwendig ist. Es hört sich an wie Nachtreten, noch schnell alles abräumen, aus dem Studio hinauskehren wie das, was der weiße Elefant hinterlassen haben könnte. Das hat Jauch wirklich nicht verdient.

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