Italien stellt die Weichen auch in der EU neu

Wie auch immer der gordische Knoten in Italien gelöst wird, auf Rom können Paris und Berlin in Brüssel nicht mehr zählen - und auch nicht mehr auf acht Staaten aus dem Norden der EU.

© Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Fünf Szenarien im österreichischen STANDARD umfassen wohl alle üblichen Koalitions-Spekulationen der üblichen Medien nach den Wahlen in Italien. Eine Schweizer und eine US-Medienstimme rücken Erkenntnisse in unseren Blick, die tiefer gründen und zeigen, womit die Politik in Italien und von dort ausstrahlend in ganz Europa und vor allem in der EU noch lange zu tun haben wird.

„The crisis of European social democracy is deepening.“

„Insgesamt erzielten die linken Parteien weniger als 25 Prozent der Stimmen.“

Italia quo vadis?
Im Morgengrauen - Europa wählt falsch. Richtig?
Zum ersten Szenario, einer Koalition der siegreichen Fünfsterne-Bewegung (M5S) und der abgestürzten Sozialdemokraten (PD), sagt uns der NEW YORKER, dass die PD dazu nein gesagt habe: „Mathematically, a coalition between the Five Star Movement and the P.D. would be stronger, but on Monday the P.D. ruled out such an option, saying that it would go into opposition.“ Matteo Renzi hat den Rücktritt vom Parteivorsitz auf den Zeitpunkt nach der Regierungsbildung terminiert. Kenner der Szene sagen, um auszuschließen, dass seine Partei doch mit Luigi Di Maio, dem Vorsitzenden von 5Sterne eine Übereinkunft findet.

Die Basler Zeitung legt den Finger auf Tatsachen, die weit wichtiger sind als die Frage, welche Regierung in Rom zustande kommt oder ob Neuwahlen mit vorhergehender erneuter Änderung des Wahlsystems der nächste Schritt ist.

„Die beiden Pfeiler, die das politische System in Italien in den letzten Jahren getragen haben – der PD und Berlusconi – sind weggefegt. Weggefegt vom Protest gegen die alten Parteien und Politiker, gegen die Einwanderung, gegen Europa.“

Griechenland, Frankreich, Niederlande, Spanien, Skandinavien, Deutschland, auf seine Weise in Österreich und nun Italien: die alten Kräfte müssen neuen weichen, das ist das Gemeinsame am im Detail verschiedenen und politisch nicht Gleichgerichten. Aber in Brüssel machen sie weiter, als würde das alles nicht geschehen.

Weiter schreibt die Basler:

„Die Wahl bedeutet aber auch: Grenzen dicht. Zählt man zu den Wählern des M5S und der Lega die anderen Rechtsparteien dazu, addiert sich die Zahl der Italiener, die keine Migranten mehr wollen, auf gegen 70 Prozent.“

Ob zwischen dieser Tatsache und den Vorstellungen der deutschen GroKo eine gemeinsame Migrationspolitik in der EU zustande kommen kann, muss wohl klar verneint werden.

Noch etwas zeige die Wahl, sagt die Basler:

„Italien ist definitiv ein zweigeteiltes Land. Die Lega hat vor allem im wirtschaftlich starken und verhältnismässig wohlhabenden Norden gepunktet, während die «Grillini» dort im Vergleich zu 2013 etwas an Terrain einbüssten. In Norditalien war es insbesondere das Versprechen von mehr Sicherheit, das Salvini Stimmen einbrachte.

Im Mezzogiorno dagegen, wo die Arbeitslosigkeit hoch und die Armut nach elf Jahren Krise besonders gravierend ist, hat die Protestbewegung zugeschlagen. Der M5S hat in Süditalien zwischen 40 und 50 Prozent erreicht: eine Quittung für die alten Parteien, die den Mezzogiorno immer vergessen und es nie geschafft haben, für diesen Teil des Landes eine Perspektive zu entwickeln.“

Zur gleichen Diagnose kommt der NEW YORKER:

„This rejection of the established parties reflects the public’s response to the country’s economic sclerosis, E.U.-imposed austerity policies, and mass immigration. Despite a resumption of (slow) growth in the past couple of years, Italian G.D.P. is still about five per cent below its 2008 level. The unemployment rate is still above ten per cent, and about one in three youths are out of work. For many Italians, particularly young Italians, recession or semi-recession seems like a permanent condition. According to one recent poll, only about a third of Italians believe that they will be better off than their parents. (In the United States, the proportion is two-thirds.)“

Kurz gefasst: Die etablierten Parteien verdanken ihre Abfuhr der wirtschaftlichen Sklerose durch den Sparzwang der EU und die Masseneinwanderung: mit dem Ergebnis eines BIP von fünf Prozent unter dem von 2008, einer Arbeitslosigkeit über 10%, einem von drei Jugendlichen ohne Arbeit. Eine aktuelle Umfrage sage, nur ein Drittel der Italiener glauben, dass es ihnen besser gehen wird als ihren Eltern – in den USA sagten das zwei Drittel.

Zu den Gedanken, die sich die EUrokraten irgendwann doch machen müssen, so sehr sie immer noch Augen und Ohren verschließen, gesellt sich aus dem Norden, was die FAZ aus Brüssel berichtet, „Nord-Allianz stellt sich gegen Euroideen„:

«Acht Staaten aus dem Norden der Europäischen Union warnen in der Diskussion über eine Vertiefung der Währungsunion vor hochfahrenden Plänen und Wunschdenken. „An weitere Kompetenzübertragungen auf die europäische Ebene darf nur dort gedacht werden, wo ein wirklicher Mehrwert gesichert ist“, heißt es in einem am Dienstag bekanntgewordenen gemeinsamen Papier der Finanzminister der Niederlande, Irlands, Dänemarks, Schwedens und Finnlands sowie der drei baltischen Staaten. Die EU müsse sich auf das konzentrieren, was in allen Ländern auf Zustimmung stoße. „Am Ende müssen wir einen Konsens darüber finden, was wir unbedingt brauchen, nicht darüber, was einige gerne hätten“, heißt es in dem Papier.»

2018: Jahr der Lawine.

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Kommentare ( 116 )

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116 Comments
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Frau Holle
6 Jahre her

Nein , auch die österreichischen Politiker..

Tesla
6 Jahre her

Wenn wir Glück haben, wird Italien die Arbeit mit erledigen, die eigentlich unsere neue Regierung machen müsste. Wenn wir Pech haben, führt dieses ‚Glück‘ zu einer 5. Amtszeit Merkels.

Bogorsky
6 Jahre her

Sehr gut, Merkel wird nun auch mit Italien verstärkt Probleme bekommen. Wenn die Italiener in Zukunft einen härteren Anti-Immigrationskurs fahren, wird der Einwanderungsdruck auf Deutschland zwangsläufig noch mehr zunehmen und die Unzufriedenheit der Deutschen mit Merkel und ihrer wieder aufgewärmten kleinen GroKo(tz) steigern. Vielleicht bringt das ja endlich den Rücktritt der unerträglichen „Raute“ und Neuwahlen noch in diesem Jahr. Langsam dreht sich der Wind in Europa … hoffentlich ist es für Deutschland und unseren Kontinent nicht schon zu spät … lasst uns hoffen, beten, protestieren und mit Herz und Verstand dafür eintreten, dass sich endlich etwas ändert !

Heinz Stiller
6 Jahre her

Zunächst: Wer das gemeinsame Papier der Nord-Finanzminister im Original lesen will, findet es z.B. auf der Webseite der ‚Government Offices of Sweden‘, unter „Finance Ministers from Denmark, Estonia, Finland…“. – Die Lage in Italien ist kompliziert. Dem Autor des Artikels in der ‚Basler Zeitung‘ stimme ich nicht zu, wenn er ein Zusammengehen von PD und M5S für möglich hält. Erstens, weil die Mehrheiten in der Camera und im Senat zu dünn wären. Erfahrungsgemäss wechseln im Laufe einer Legislaturperiode immer einige Abgeordnete die Fraktion/Partei (wobei oft „nachgeholfen“ wird), und das würde das Regieren mit dünner Mehrheit zu einem Ritt auf der… Mehr

Klaus Reichert
6 Jahre her

„Sparzwang der EU und Masseneinwanderung“. Die Masseneinwanderung kann man in den Griff bekommen, wenn man will. Italien und Frankreich haben hier schon Schritte unternommen und verstehen das Problem richtig. Das italienische Abkommen mit Libyen, die Analyse von Macron („Geburtenrate“ und nicht „Klimaflüchtlinge“ oder „unsere Schuld gegenüber Afrika“). Wenn Deutschland wirklich wollte, dann ginge das – mit Italien und Frankreich wirklich zusammenarbeiten, die NGO – Schlepper aushungern, usw.. Und irgendwann wird es gehen, weil sonst nichts mehr geht. Keine Lösung sehe ich für den „Sparzwang“. Entweder Draghi, Macron und Juncker mit Gelddrucken, Transferunion und Gemeinschaftshaftung, oder die Nordländer mit Zinserhöhung, Targetsalden… Mehr

Heinrich Niklaus
6 Jahre her

Vielen Dank für diese in den Mainstream-Medien nicht zu lesende Gesamtschau. Ich fürchte nur, die EU-Oligarchen werden nicht innehalten, sondern noch hektischer reagieren. Auch nach dem Brexit konnte man hoffen, die EU würde sich selbstkritisch auf den inneren Zusammenhalt konzentrieren.
Das Gegenteil tritt ein. Geradezu wie ein Ertrinkender greift man zu kontraproduktiven Maßnahmen, die zu einer Zersplitterung der EU führen. Ein besonders krasses Beispiel Ulrike Guérot, die in ihrer „Mehr-Europa- Betrunkenheit“ nur noch abstoßend wirkt.
Tun Sie sich diesen sehr kurzen Film an, dann wissen Sie von welchen Wahnhaften Vorstellungen diese „Leute“ befallen sind: https://www.facebook.com/DeutscheBankAG/videos/1861113360588517/

Garibaldi
6 Jahre her
Antworten an  Heinrich Niklaus

Lieber Herr Niklaus,

vielen Dank für den Hinweis.
Selten etwas wahnhafteres gehört.

Ohne Worte!

Colonel Parker
6 Jahre her
Antworten an  Garibaldi

Hallo, Video gibt es auch per Achse des Guten! Habe ich schon nutzbringend verteilt.

Henni
6 Jahre her

Erstaunlich wenig wird in den Öffentlich-Rechtlichen über die Konsequenzen diese Italien-Wahl geschrieben. Diese linke Bastion hat offensichtlich Angst. Zu Recht. Die 5 Sterne werden sich diesmal sehr wohl ums Regieren bemühen. Und wenn sie Salvini nur etwas in der Flüchtlingspolitik entgegenkommen, ist die Regierung besiegelt, und der Untergang diese jetzigen Merkel-EU. Es ist ja nicht so, das Italien alleine da steht. Mir kommt es vor, das gerade die Deutschen ein buntes, moslemisches Europa geradezu erkämpfen wollen. Was für ein irrsinniges Volk wir doch sind

Thorben-Friedrich Dohms
6 Jahre her
Antworten an  Henni

Ja wollen Sie denn in einem mausgrauen, uniformen Land wie Italien, Spanien oder dem alten Deutland oder am Ende noch wie in den USA, Kanada oder Australien leben? Wenn wir künftig im jungen und bunten Deutschland mit 50 in Rente gehen und im Alter liebevoll gepflegt werden, wissen unsere Nachbarn, was sie seit 2015 falsch gemacht haben. Ein unvoreingenommener Blick auf die islamisch geprägten Länder würde auch Ihnen die Augen öffen. Wo sonst prägen denn Toleranz und Diversität das harmonische Miteinander in Frieden und Wohlstand? Wo blühen denn Literatur und Musik, Wissenschaft und Technik? Wo gelingt seit mehr als 1.000… Mehr

Bernard.S
6 Jahre her
Antworten an  Henni

Ich glaube nicht, daß das unser Volk will. Wir sind nicht irrsinnig, unsere „Eliten“ schon eher.

Stefan Machner
6 Jahre her
Antworten an  Bernard.S

doch, die Mehrheit ist irrsinnig, siehe das Ergebnis für Union, SPD, Grüne und Linke zusammen (die FDP habe ich absichtlich mal weggelassen). Aber das sind eben Dreiviertel aller derer, die im letzten September gewählt haben!

humerd
6 Jahre her
Antworten an  Bernard.S

@ Bernard S.: ich befürchte, daß unser Volk dies genau so wollen. Das zeigen die Wahlergebnisse, die Reaktionen auf Diskreditierungen Andersdenkender, die Einschaltquoten von Sendungen wie Tagesschau, ZDF heute Nachrichten, MoMa etc.

Freedom is not for free
6 Jahre her
Antworten an  Bernard.S

Hier stellt sich die Frage, was für ein Mensch mit welcher Vita und Charakter Eigenschaften typischerweise Berufspolitiker wird. Und wie sich die Karriere dann auf Wahrheitsliebe und Integrität zusätzlich auswirkt. Gibt sicher ein ganz düsteres Bild unserer Gesellschaft.

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Im Grunde genommen ist das ein schallende Ohrfeige für die deutschen Blockparteien und vor allem für die GroKo Vertreter. Man kann nur hoffen, dass die Bayern die CSU in den Keller schicken und danach dieser ganze Trupp der Realitätsverweigerer aus den Regierungsämtern in Berlin entfernt wird.

Tarl Cabot
6 Jahre her
Antworten an  Rainer Franzolet

Ich fürchte bis die Altparteien wirklich abtreten dauert es noch eine ganze Weile. Eher glaube ich an eine Koalition von CSU bis Linkspartei wenn das nötig wird um die alten Kräfte an der Macht zu halten.

Old-Man
6 Jahre her

Die Wahl in Italien setzt einen Wendepunkt in der EU,dabei ist es gleichgültig welche Konstellation letztendlich regieren wird,ein weiterso wie bisher wird es in Italien,aber auch in der EU nicht mehr geben können. Die EU,allen voran Juncker und Merkel haben den Bogen eindeutig zu weit gespannt,da will kein normal denkender mehr mitmachen. Wenn die von ihnen benannten acht,sowie die süd-östlichen Mitglieder Nein sagen,dann kann das nicht mehr so einfach überstimmt werden,es sind dann zu viele Gegenstimmen. Frau Merkel,Herr Macron und Herr Juncker haben noch nicht bemerkt,das sie die EU an den Rand der Selbstzerstörung getrieben haben,nein,die schwelgen noch immer im… Mehr

Christoph Schmidt
6 Jahre her

Folgendes passt nicht in Tichy’s Einblick:
„Kurz gefasst: Die etablierten Parteien verdanken ihre Abfuhr der wirtschaftlichen Sklerose durch den Sparzwang der EU…“ Wie bitte? Die Italiener haben die Schulden selbst gemacht. Es ging erst richtig los mit den niedrigen Zinsen nach der Euro-Einführung. Einen richtigen „Sparzwang“ hat es bisher nicht gegeben. Wenn Draghi nicht fortlaufend Geld drucken ließe, wäre Italien längst bankrott.

anne
6 Jahre her
Antworten an  Fritz Goergen

unfreundlich