Rainald Becker wandte sich in den Tagesthemen gegen den Vorwurf, durch die zeitweiligen Grenzkontrollen würde „das Grundrecht auf Asyl“ außer Kraft gesetzt oder Flüchtlingen „eine sichere Heimstatt“ verwehrt, „wie Grüne und linke Gutmenschen jetzt wohl vermuten werden.“
Er hat es tatsächlich getan. Er hat es in den Mund genommen – das G-Wort. Von „linken Gutmenschen“ sprach Rainald Becker in seinem Tagesthemen-Kommentar. Und es war nicht etwa so gemeint, dass jeder, der andere als Gutmensch bezeichnet, ein Rechtspopulist wäre oder ein Nazi. Nein, Becker wandte sich gegen den Vorwurf, durch die zeitweiligen Grenzkontrollen würde „das Grundrecht auf Asyl“ außer Kraft gesetzt oder Flüchtlingen „eine sichere Heimstatt“ verwehrt, „wie Grüne und linke Gutmenschen jetzt wohl vermuten werden.“
„Grüne und linke Gutmenschen“, das richtet sich wohl gegen alle, die ein „Bleiberecht für alle“ fordern und die integrationspolitischen wie finanziellen Folgen einer ungeregelten, gesetzeswidrigen Zuwanderung einfach ausblenden. Es adressiert vermutlich auch alle, die nicht sehen wollen, dass die Bundesrepublik nicht so viele Flüchtlinge in so kurzer Zeit aufnehmen kann, wie die Bundesregierung uns unter dem Beifall aller politisch Korrekten weismachen wollte.
Man hätte gerne Mäuschen gespielt, als die ARD-Hierarchen gestern über den „Schlechtmenschen“ Becker sprachen. Man wüsste gerne, wie ein ausgesprochener Gutmensch wie Beckers ARD-Kollegin Anja Reschke (oder müsste es „Gutmenschin“ heißen?) darauf reagiert hat, dass Becker sich eine Wortwahl erlaubt, die aus gutmenschlicher Sicht auf dem Index steht. Ob demnächst ein TT-Kommentar folgt, der den „linken Gutmenschen“ ausdrücklich für ihre politisch-korrekten Reden dankt? Wer weiß.
Der NDR, der Heimatsender Reschkes, hat gestern prompt einen sprachkritischen Kommentar der Schriftstellerin Nina George online gestellt. Darin heißt es anklagend: „Dem ‚Gutmensch‘ werde ‚durch eine bewusst ätzend-ironische Verkehrung des Sinns ‚guter Mensch‘ ein naives, fanatisches ‚Gutseinwollen‘ unterstellt. Übrigens gern von ‚Aber-Nazis‘.“ Aber-Nazis sind, auch das ist unter ndr.de zu lesen, homophobe Menschen, die ihre Ausländerfeindlichkeit mit einem „aber“ zu relativieren pflegten. Demnach wäre Rainald Becker – mit kollegialen Grüßen vom NDR – als „Aber-Nazi“ entlarvt.
Gut möglich, dass nach diesem Tagesthemen-Kommentar die Chancen des Begriffs „Gutmensch“ gestiegen sind, zum „Unwort des Jahres 2015“ gekürt zu werden. Immerhin rangiert es unter den Vorschlägen, die einer „sprachkritischen Jury“ aus vier Professoren und einem Journalisten bereits vorliegen, ganz vorne. Dann könnte diese selbsternannte Sprachpolizei den Lapsus von 2012 korrigieren, als sie „Gutmensch“ nur als zweitschlimmstes Unwort gebrandmarkt hatte.
Die Jury-Vorsitzende Prof. Dr. Nina Janich hat damals den Unwort-Charakter des Wortes so begründet: „Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des ‚guten Menschen‘ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren.“ Der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch widerspreche „Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationaler Diskussion gehören.“ So schön können halt nur Sprachpolizisten formulieren.
Das könnte eine denkwürdige Tagesthemen-Ausgabe im Frühjahr 2016 werden: Die ARD meldet die Wahl des Begriffs „Gutmensch“ zum „Unwort des Jahres 2015“. Anschließend spielt sie Beckers Kommentar ein. Da würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag in jeder Weise gerecht – zu informieren und zu unterhalten.
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