Ob in Ostblock-Zeiten oder jetzt im Fall des Iran: westliche Politiker, Intellektuelle und Journalisten arrangierten sich mit den Regimes. Freiheitsbewegungen begegneten sie voller Misstrauen - bis heute
Unter den bisher – nach vorsichtigen Schätzungen – 1500 getöteten Demonstranten im Iran könnte es Menschen geben, die später einmal einen Namen bekommen, ein Gesicht, und möglicherweise auch die Bezeichnung Held. Vielleicht wird ein Mann, eine Frau unter denen, die trotzdem weiter auf die Straße gehen, bald eine wichtige Rolle für das Land spielen. Die Frage ist, wie die Weltdeuter des Westens dann damit umgehen. Denn bisher pflegen die meisten, wenn es um den Iran geht, einen anderen Heldenbegriff. Als der iranische Generalmajor Quassem Soleimani am 4. Januar 2020 im Irak durch eine amerikanische Rakete starb, ging eine Bewegung durch die meisten deutschen Redaktionen. Die Leser von tagesschau.de erfuhren, dass es sich bei dem Kommandeur der Quds-Brigaden um eine im weitesten Sinn ähnliche Figur handelte wie den deutschen Bundespräsidenten: er habe „Gruppen und Menschen zusammengebracht“ und sei ein „begnadeter Strippenzieher“ gewesen. Der Tagesspiegel nannte den iranischen Zusammenführer einen „Volksheld“, Spiegel Online übertrug seine Beerdigung im Lifestream, die ZEIT verglich den tödlichen Schlag gegen den Militär, der jahrelang seine Spur der Vernichtung durch Libanon, Syrien und Irak zog, mit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in Sarajevo. Dass „Quds“ in Quds-Brigaden für Jerusalem steht und Soleimani nicht nur für die Expansion des iranischen Machtbereichs und die Rettung von Assad in Syrien kämpfte, sondern auch für das Endziel, die Vernichtung Israels – derlei beunruhigende Details ließen die meisten Redaktionen in ihren Nachrufen weg.
In dem Moment, als das iranische Militär parallel zu seinem Gegenschlag auf Stützpunkte im Irak auch eine ukrainische Passagiermaschine über Teheran abschoss, änderte sich das Szenario in der Realität, allerdings nicht in der offiziellen deutschen Wahrnehmung. Im Deutschlandfunk kam ein Experte zu Wort, der erst einmal einen Abschuss ausschloss. Schließlich hätte die iranische Führung erklärt, es sei kein Abschuss gewesen, „und die Iraner spielen mit offen Karten“. Unter den Druck der Evidenz gab Irans Führung schließlich ein paar Tage später das Lügen auf und den Abschuss zu. Umgehend belobigte Bundesaußenminister Heiko Maas die Machthaber für ihre Ehrlichkeit und mahnte sanft, solche Fehlschläge dürfen in Zukunft aber nicht mehr vorkommen. Nur für eine Wendung der Geschichte hatten die Weltdeuter erst einmal keinen Kommentar und keine Erklärung: dafür, dass die offene Lüge des Regimes einen Kipppunkt im Inneren des Iran markiert.
Welche große Unterstützung sieht er da eigentlich zu groß werden? Auf diesen Punkt ging er nicht weiter ein, dafür weiß er, worauf es in europäischen Diplomatenkreisen ankommt. Würde man sich auf die Seite der Demonstranten gegen die Mullahs stellen, so Ischinger im ZDF, könnte das „zu einer weiteren Eskalation der Lage führen“. Deshalb sei „Zurückhaltung“ das Gebot der Stunde. In den meisten Redaktionen wird die Mahnung Ischingers gewissenhaft befolgt. Wenn sie die Demonstrationen im Iran erwähnen, dann deutlich kleiner als die feinsinnigen Artikel über Generalmajor Soleimani, und fast immer verbunden mit der Warnung, der Westen dürfe bloß nicht zu viel Sympathie mit den Regimegegnern durchblicken lassen. Schließlich tut das Trump, also muss es verkehrt sein. Wenn sich deutsche Qualitätswelterklärer zu dem Thema äußern, dann können sie nur schlecht verbergen, wie lästig sie die Demonstranten in der islamischen Republik finden. Bei „Maybrit Illner“ waren es die aus iranischstämmige Journalistin Sharhzad Osterer, die fand, die Demonstranten in Teheran und anderswo würden mehr Beistand verdienen, während der ebenfalls eingeladene Bundesaußenminister Heiko Maas beschwichtigte, Appelle von Außen würden nur kontraproduktiv wirken.
Umbrüche mag es viele gegeben haben in den vergangenen Jahrzehnten, die meisten kamen unerwartet für die Ewigmorgigen. Aber eine Kontinuität besteht bis heute: Zuverlässig stehen die linken intellektuellen Eliten auf der Seite von Regimes, solange sie antiwestlich gepolt sind, und zuverlässig misstrauen sie dort jeder Freiheitsbewegung. Bis heute gilt die Regel, nach der das Maß der Feindseligkeit gegenüber der eigenen westlichen Gesellschaft ungefähr der Erbötigkeit gegenüber Gewaltutopien von außerhalb entspricht. George Bernhard Shaw fuhr während des Holodomor, in dem wahrscheinlich eine zweistellige Millionenzahl an Ukrainern mit einer künstlich ausgelösten Hungersnot ermordet wurde, im Salonwagen durch Stalins Reich und gab zu Protokoll, er habe niemand hungern sehen, weder Mann noch Frau. Was rein technisch betrachtet sogar zutraf. Jean-Paul Sartre, ebenfalls zurück aus dem Vaterland der Werktätigen, teilte der Öffentlichkeit 1953 mit, in der Sowjetunion herrsche völlige Meinungsfreiheit („La liberté de critique est totale en URSS“). Von der Existenz der Gulags wusste er nachweislich.
Aber historisch betrachtet ist die Anschmiegsamkeit an nichtwestliche Diktatoren wohl doch eine Meisterin aus Deutschland. Wählerisch war sie nie.
Selbst wenn ein Regime unterging, kostete das seine westlichen Wohlredner nie Einfluss und Karriere. Hans-Gerhart Schmierer beispielsweise, Anführer des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) bis 1985, machte dem verdienten Massenmörder Pol Pot 1978 seine Aufwartung und schickte ihm noch 1980 ein herzliches Glückwunschtelegramm. Joseph Fischer holte Schmierer 1999 in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes, wo er auch unter Frank-Walter Steinmeier bis 2007 weiterwirken durfte.
Im Exil in Vermont resümierte der Schriftsteller später: „In Wirklichkeit war ich dem allmächtigen westlichen politisch-intellektuellen Establishment genauso wenig genehm wie der sowjetischen Regierung oder der lumpigen sowjetischen so genannten Bildungsschicht.“
„Die neue Führungselite ist eine Leistungselite von Fachleuten. Sie qualifiziert sich ständig weiter wie alle anderen DDR-Bürger; die DDR ist ein einziges, riesiges Fortbildungsinstitut… Jeder Parteisekretär ein Wohnungsbauexperte, jeder Ratsvorsitzende ein Rationalisierungsfachmann.“
Er lobte die „Geborgenheit, die menschliche Wärme“, die der Staat seinen Schutzbefohlenen biete, vor allem entdeckte er das Charisma Erich Honeckers: „Die Bürger des anderen deutschen Staates bringen ihm fast so etwas wie stille Verehrung entgegen. Und für die siebzehn Millionen Deutschen in der DDR liegt Hoffnung in Honeckers Wort: ‚Das Erreichte ist noch lange nicht das Erreichbare’.“
Ihre intellektuellen Selbstentleibungen überstanden Sommer, Bremer, Gaus, Jochimsen und viele andere sehr kommod. Sommer kommentierte in der ZEIT weiter die Weltläufte, Bremer wechselte zu RTL und später zu n-tv, 1993 nahm er den Hans-Klein-Preis für sein Lebenswerk entgegen. Lukrezia Jochimsen stieg zur Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks auf und wurde spät noch Bundestagsabgeordnete für die PDS; ihre Kandidatur als Bundespräsidentinnenkandidatin für die Partei benutze sie für die Feststellung, die DDR sei „juristisch gesehen“ kein Unrechtsstaat gewesen. Wer hätte das besser beurteilen können als sie?
Immerhin, 1989, als die DDR von ihren eigenen Bürgern abgeräumt wurde, gab es einen einzigen kurzen Moment, in dem die westlichen Apologeten, Leitartikler und Politbüroastrologen einmal still waren, ganz einfach, weil ihnen vor Schreck der Mund offen stehengeblieben war. Es war eine halkyonische Sekunde. Dann liefen die Plappermühlen wieder an.
Woher kam und kommt diese Anhimmlung von Stalin und Pol Pot bis zu Honecker und einem islamistischen Kriegsfürsten? Sicherlich von der Verachtung der westlichen Linken für den Westen, der einzigen Gesellschaftsform, in der sie selbst existieren können, sicherlich von ihrem provinziellen Exotismus, auch von einer Faszination für eine Brutalität, die man sich in Hamburg-Eppendorf nicht selbst zu exekutieren traut. Wahrscheinlich gibt es aber noch einen tieferen Grund. Selbst bei sehr wohlwollender Betrachtung lassen sich in Texten und Reden eines Sommer, Gaus oder Bremer nichts als mediokre Sätze finden und nirgends ein nur halbwegs funkelnder Gedanke, nirgends eine eigene Sprache, schon gar nicht Geist, kurzum, sie müssen instinktiv in den Funktionären wie Hockecker, Erich Mückenberger, Gustav Husak und den vielen anderen der Ostblockelite „ihr ganz natürlich Ebenbild“ (Goethe) erkannt haben.
Vor wenigen Tagen versuchten linksradikale Wächterratsmitglieder eine kritische Diskussion an der Frankfurter Goethe-Uni zur schicken intersektionallinken Kopftuch-Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion“ zu verhindern, sie deklamierten Manifeste, riefen Rassismus und derlei Stanzbegriffe mehr, wurden handgreiflich und bewiesen, dass es sich bei ihnen um die legitimen Enkel der Kommunismusapologeten von damals handelt.
Oben auf dem Podium saß eine Frau, die nach dem Willen der weißen westlichen Kopftuchvorkämpfer unten nicht zu Wort kommen sollte, Naïla Chikhi, die 1995 aus Algerien vor den islamischen Fundamentalisten nach Europa floh.
Der Ausgang im Iran ist offen. Aber wenn es den Demonstranten dort gelingen sollte, das orthodoxe islamische Regime zu stürzen, dann könnte es sein, mit viel Glück, dass die Plappermühle einer degenerierten Linken hier in Europa und vor allem in Deutschland ein zweites Mal havariert. Vielleicht für längere Zeit als 1989.
Es wäre ein Moment voller Witz und Zauber.
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Ein wirklich großartiger Artikel. Die schlimmsten DDR-Appeaser dürften Sommer und Gaus gewesen sein. Man lese einmal „Wo Deutschland liegt“ des Herrn Gaus.
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Ich denke, wir haben den Sozialismus in all seinen Erscheinungsformen nie wirklich hinter uns gelassen. Daher lebt die Feindschaft zu allen freiheitlichen Systemen, auch zur Marktwirtschaft immer wieder auf. Außerdem gibt es in Deutschland eine merkwürdiges Fehlen der Empathie mit den Opfern der eigenen Politik. Das reicht aber schon weit zurück. Daraus resultiert auch einen Fehlen bürgerlicher Solidarität. Die Bürger begreifen sich nicht als Zentrum des staatlichen Handelns; sie dienen lieber einer Idee – und sei sie noch so schädlich und absurd – als dem eigenen Gemeinwesen.
Danke, Herr Wendt, für diesen aufschlussreichen Überblick. In einem Punkt bin ich etwas pessimistischer: Falls im Iran wirklich die Freiheit ausbrechen sollte, wird das betretene Schweigen unserer „chattering classes“ nicht länger als eine Schrecksekunde dauern. Aber die Iraner werden dann wissen, wer im Westen ihre Freunde sind und wer nicht.
Von allen westlichen Namen die sie aufführen, lieber Herr Tichy, hätte jemand auch nur ansatzweise in dem Land leben wollen, das sie selbst offenkundig lob(t)en. Aus Ländern mit realexistierenden ***ismus, in denen Mangelwirtschaft, Willkür und Unfreiheit herrschen, lässt es sich leicht wieder abreisen und aus der komfortablen Ferne urteilen. Das ist nicht verwerflich aber für die Leidenden wenig hilfreich. Denn nur mutige Menschen selbst können in ihrem Land über ihr Schicksal bestimmen – niemand anderes sonst. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie realitätsferne Äußerungen wie die der „sozialistischen Wohnbauexperten“ oder die Verkennung der ‚persischen‘ Variante des Islams ‚absurdum‘ führen und… Mehr
Den Wendt’schen Sarkasmus kann man mMn insofern ergänzen, als der Titel „Immer auf der falschen Seite“ auch lauten könnte „Immer auf der richtigen Seite“. „Richtig“ nämlich insofern, als der Grund für das von Wendt beschriebene Verhalten seiner Plappermühlen insofern nachvollziehbar ist, als es schlicht und einfach nur zum Machterhalt dient. Was man einem Honecker zubilligen sollte, nämlich dass er die Wirklichkeit zumindest einigermassen kannte, aber die Hälfte davon verdrängte und die andere Hälfte aus „höherer“ Einsicht denunzierte, genau damit er sein Elite-Leben weiterführen konnte, das muss man meines Erachtens auch unseren eigenen von Herrn Wendt so „schön“ beschriebenen Machteliten zubilligen…… Mehr
Danke für den guten Artikel. Ja die deutsche Elite hat es in der jüngeren Geschichte schon immer verstanden sich selbst ins Aus zu schießen. Siehe Kaiser Wilhelm und den ehemaligen Postkarten Maler. Auch dieses Mal ist es bald wieder soweit. Und ich freu mich drauf.
Herr Wendt erstmal vielen Dank für die hervorragende Recherche, Sie haben ein Thema angefasst, welches als eine der Hauptursachen für die Probleme unserer Zeit darstellt. Der Artikel war ja schon vor dem 18.1. im Netz und ich war erschrocken über gerademal 6 Kommentare. Auch da liegt ein großes Problem, die Älteren unter uns haben ja viele Beispiele im Artikel selbst erlebt aber die Jüngeren überlesen solch wichtige Themen bzw. sind desinteressiert. Der Artikel lohnt sich als Druck aufzuheben, ich wünschte mir, dass ich mit meinen Kindern wertneutral darüber reden könnte, aber das wäre aussichtslos, sie begreifen es nicht oder wollen… Mehr
Großartiger Artikel!
Die Hoffnung, die sie im vorletzten Absatz formulieren wird nie und nimmer eintreten.
Da sind die linken zu eitel, zu eingebildet und dabei ungebildet, zu sehr von sich überzeugt und sie glauben sie haben der Weisheit letzten Schluss gefunden.
Sie sind einfach abgehobene, bar jeglicher Realität, Fanatiker.
Ein Regime, das in einer überhasteten und kopflosen Reaktion „versehentlich“ einen Passagierjet abschießen läßt, darf unter keinen Umständen in den Besitz von Kernwaffen gelangen.
Sie meinen, man sollte den USA die Atomwaffen entziehen, weil die 1988 einen iranischen Airbus mit 290 Menschen an Bord, den sie für ein angreifendes Feindflugzeug hielten, abgeschossen haben?
Der damalige Präsident George W. Bush erklärte, dass es sich dabei lediglich um einen Zwischenfall in Kriegszeiten gehandelte und die Besatzung der USS Vincennes angemessen gehandelt hätte. Eine Entschuldigung im Namen der USA lehnte er ab.