NOlympia war ein Ja zur Schrebergarten-Idylle

Die Hamburger haben nicht nur einer abgehobenen, teilweise korrupten Funktionärs-Kamarilla und der Politik die rote Karte gezeigt. Es geht tiefer.

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Ach, man möchte so gerne glauben, die Hamburger hätten allein aus nachvollziehbaren, rationalen wie emotionalen Gründen Nein zu Olympischen Spielen in ihrer Stadt gesagt. Denn man kann das alles nicht abstreiten:

  • der Gigantismus im Spitzensport ist abstoßend;
  • die selbstherrlichen, hochbezahlten Sportfunktionäre ebenso;
  • die Sonntagsreden von Fairness und Sportkameradschaft sind angesichts von Doping, Korruption und geldgierigen Funktionären verlogen;
  • die Finanzierung von „Hamburg 2024“ stand nicht einmal auf wackeligen Beinen – sie hatte gar keine reelle Basis;
  • der Widerspruch zwischen Sparmaßnahmen allerorten und den Kosten für das Ereignis war offenkundig;
  • dass der Staat bei fast allen seinen Großprojekten die Kosten nicht im Griff hat, ist eine traurige Tatsache;
  • Befürchtungen, Großereignisse könnten ein Ziel für terroristische Anschläge sein, sind nicht von der Hand zu weisen.

So weit so gut oder so schlecht – je nach Betrachtungsweise. Doch das Nein zu „Hamburg 2024“ offenbart auch einen Charakterzug der deutschen Wohlstandsbürger: ihre Ablehnung jeglicher Veränderung in ihrer näheren Umgebung, ja ihre Angst davor, in ihrem Schrebergarten könnte plötzlich das große Durcheinander ausbrechen. Denn von einem darf man ausgehen, die Mehrheit der Hamburger hätte nichts dagegen, wenn „die Jugend der Welt“ in Berlin oder München zusammenkäme. Hauptsache, weit weg von der eigenen Haustür. Und natürlich werden die Nein-Sager von Hamburg und ihre Claqueure im Rest der Republik mit Spannung verfolgen, wie der olympische Geist an Orten weht, in denen eine diktatorische Obrigkeit das Volk erst gar nicht fragt, was es will. Das stört den deutschen Olympia-Muffel überhaupt nicht. Hauptsache „wir“ holen viele Medaillen und das Bier reicht für die Live-Übertragung.

Das Hamburger Referendum passt zum neuen Deutschland der Selbstgefälligkeit und Bräsigkeit, zum Volk der Nörgler und Schwarzseher, zur Heimat von „le waldsterben“ und „German Angst“, zur allseits spürbaren schlechten Laune. Das Motto lautet: Ja keine Veränderung, ja keine Baustellen, lasst alles, wie es ist: „Für mich reicht’s“. Deshalb ist es so schwer, in diesem Land noch irgendein Großprojekt in Angriff zu nehmen, dessen Fertigstellung mit Unannehmlichkeiten verbunden und dessen Nutzen nicht unmittelbar zu spüren ist. Einige Beispiele gefällig?

  • Die Münchener haben bereits die Olympischen Winterspiele 2022 dankend abgelehnt.
  • Die Münchener wollen keine dritte Start- und Landebahn.
  • Die Frankfurter hätten, wären sie befragt worden, die dritte Landebahn mit hoher Wahrscheinlichkeit auch abgelehnt.
  • Für „Stuttgart 21“ stimmte in der Stadt letztlich nur deshalb eine Mehrheit, weil schon zu viel Geld verplant und verbaut war, um es noch zu stoppen.
  • In Berlin gab es keine Mehrheit für die Fortführung des Flugbetriebs in Tempelhof. Wer braucht schon Manager mit Privatflugzeugen, wenn das Geld vom Staat kommt?
  • In Berlin gab es eine Mehrheit gegen eine Wohnbebauung von Teilen des Tempelhofer Feldes. Den Berlinern ist eine große Grün-, Grill-, und Spielwiese wichtiger.
  • Die Menschen riefen nach einer Energiewende. Doch gegen jede Stromtrasse vor der eigenen Haustür wird protestiert.
  • Bundesweit werden knapp 40 geplante Straßen- und Schienenprojekte mit einem Volumen von 24 Mrd. von Bürgern blockiert.

Die Hamburger haben eben nicht nur einer abgehobenen, teilweise korrupten Funktionärs-Kamarilla die rote Karte gezeigt. Die Hamburger haben einen Blick in die Seele des deutschen Michel erlaubt:

  • Der deutsche Michel will mehr und bessere Autobahnen, aber keine neue Zu- oder Abfahrt in seiner Nähe.
  • Der deutsche Michel will ein perfektes Schienennetz, aber keine neuen Baustellen und Bahnhöfe in Sicht- und Hörweite.
  • Der deutsche Michel will Ökostrom aus der Steckdose – ohne überirdische Leitungen in seiner Umgebung.
  • Der deutsche Michel will überall hin fliegen können – am besten mit lautlosen Flugzeugen.
  • Der deutsche Michel will seinen Wohlstand behalten – aber nur anstrengungs- und geräuschlos.

Der scharfzüngige, leider zu früh verstorbene Publizist Johannes Gross schrieb schon vor einem Vierteljahrhundert: „Die Deutschen sind ein übel gelauntes Volk, dem es gut geht.“ Inzwischen geht es diesen Deutschen noch besser – und ihre Übellaunigkeit ist noch größer. „NOlympia“ ist das Synonym dafür.

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