Erneut ein verfassungswidriger Nachtragshaushalt, stellt der Bundesrechnungshof fest

Eine vernichtende Kritik äußert der Bundesrechnungshof am geplanten Nachtragshaushalt. Trotz Haushaltsloch bleibt es bei der Bürgergelderhöhung von 12 Prozent. SPD-Chefin Saskia Esken will Steuererhöhungen. Finanzminister Christian Lindner nennt den Verzicht auf Steuererhöhungen„Leitplanke“ für die Regierungsbeteiligung (aktualisierte Fassung 22:10 Uhr).

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Auch auf den Zeitplan für den Nachtragshaushalt kann sich die Ampel nicht einigen. Jetzt warnt auch erneut der Bundesrechnungshof: Der Nachtragshaushalt ist möglicherweise auch verfassungswidrig. Das geht aus einer fünfseitigen Stellungnahme des BRH für die Anhörung des Haushaltsausschusses zum Nachtragshaushalt 2023 an diesem Dienstag hervor. Bei korrekter Auslegung der Schuldenregel werde die Obergrenze „auch mit dem beabsichtigten Nachtragshaushalt 2023 immer noch um 14,3 Milliarden Euro und damit weiterhin deutlich überschritten“, heißt es darin. Deshalb sei die Konstruktion des Haushalts 2023 „äußerst problematisch“.Die Bürgergelderhöhung bleibt – trotz des Haushaltslochs. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte es in einer Mitteilung „moralisch unverantwortlich und mit der Verfassung nicht vereinbar“, den Betroffenen eine Anpassung der Regelsätze zu verwehren. Kanzlersprecher Steffen Hebestreit betonte, dass ihm keine Pläne innerhalb der Bundesregierung bekannt seien, „an der gesetzlichen Grundlage etwas zu verändern“.

Streit um das Bürgergeld

Zuvor hatten nicht nur CDU/CSU und AfD gefordert, die Anhebung um zwölf Prozent zurückzunehmen. Auch aus der Koalitionspartei FDP waren Stimmen laut geworden, das Bürgergeld neu zu bewerten. „Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten knapper Kassen und mit der niedrigsten Inflation seit 2021 das Bürgergeld um zwölf Prozent anheben“, hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gesagt. „Die geplante Erhöhung zum 1. Januar ist nicht mehr angemessen.“ Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, verwies auf die gesunkene Inflation. „Wir sollten daher prüfen, wie die tatsächliche Inflationsentwicklung beim Bürgergeld besser abgebildet werden kann.“

Heil betonte, dass mit dem Bürgergeld die Existenz von Menschen in Not gesichert werde. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums betonte, auf der Basis des geltenden Rechts gebe es keinen Ermessensspielraum über die Fortschreibung der Regelsätze im kommenden Jahr. Dafür müsse man ein neues Gesetz erlassen. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums sagte, Christian Lindner habe die Bürgergelderhöhung als „geltendes Recht“ bezeichnet. „Das ist jetzt alles auch Gegenstand der allgemeinen Beratungen zum Haushalt“, fügte sie hinzu.

Zuvor hatten SPD und Grüne bereits Forderungen zurückgewiesen, die Bürgergelderhöhung auszusetzen. Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, nannte es „schäbig“, das Sozialstaatsversprechen „durch populistische Debatten infrage zu stellen“. Gegenüber der Tageszeitung WELT sprach sie von „konservativen Angriffen auf unseren Sozialstaat“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge hatte davon gesprochen, dass die Erhöhung der Grundsicherung die gestiegenen Lebenshaltungskosten abbilde.

Auch die Sozialvereine haben sich in Stellung gebracht, um Einsparungen beim Bürgergeld abzuwehren. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband sagte gegenüber der TAZ: „Die Bundesregierung hat bei den Regelsätzen überhaupt keinen Spielraum, wenn sie nicht riskieren will, wieder in Karlsruhe zu landen. Die Erhöhung um 12 Prozent ist verfassungsmäßig geboten.“ Auch Schneider argumentierte mit dem Inflationsausgleich.

Die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, verteidigte nicht nur das Bürgergeld, sondern kündigte auch mögliche Steuererhöhungen an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns darauf einlassen“, sagte sie im Bericht aus Berlin. „Weil wir eben auch nicht an den Ärmsten sparen, sondern dass wir jetzt schauen müssen, wie wir auch die starken Schultern stärker beteiligen können.“

Lindner blockiert Steuererhöhungen – noch

Finanzminister Christian Lindner kündigte indes an, dass der Verzicht auf Steuererhöhungen und die Schuldenbremse „Leitplanken der Regierungsbeteiligung“ seien. Der Schuldenstand im Land müsse sinken, so der FDP-Chef. Bei den „absoluten Grundüberzeugungen“ würde er nicht wackeln, so Lindner gegenüber dem Medienportal The Pioneer. Lindner bezog sich auf die Äußerung von SPD-Co-Chef Lars Klingbeil, der gesagt hatte, dass nach dem Haushaltsurteil die Koalitionsvereinbarungen zur Einhaltung der Schuldenbremse und zum Verzicht auf Steuererhöhungen erneut zur Debatte stünden. „Darauf kann ich nur die freundliche Antwort geben: Das kann 2025 im nächsten Bundestagswahlkampf diskutiert werden“, so Lindner.

Auch der haushaltspolitische Sprecher der FDP, Otto Fricke, lehnt Steuererhöhungen entschieden ab. Dies wäre vor dem Hintergrund, mehr Anreize für private Investitionen zu schaffen, ein falsches Signal, sagte er dem Sender Phoenix. Der FDP-Politiker fügte hinzu, dass „circa 84 Prozent der Investitionen in Deutschland von privater Seite kommen und nicht von staatlicher“. Fricke stellte neuerlich die Erhöhung des Bürgergeldes infrage. „Ist es die Aufgabe an der Stelle, jeden letztlich gleich mit finanziellen Mitteln zu versorgen oder müssen wir doch stark differenzieren?“, so der Bundestagsabgeordnete.

Doch nicht nur beim Bürgergeld sind sich Liberale und Sozialdemokraten uneins. Auch knapp drei Wochen nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts kann die Bundesregierung den Zeitplan für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2024 noch nicht genauer eingrenzen. Der Bundeskanzler habe gesagt, dass die Beratungen „mit der gebotenen Schnelligkeit, aber auch mit der nötigen Sorgfalt“ geführt würden, so Regierungssprecher Hebestreit. „Diese Gespräche laufen im jetzigen Zeitpunkt und da kann ich auch keinen genaueren Zeitrahmen von der jetzigen Stelle heute skizzieren.“

Dass aber zum Beispiel die geplante Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Weltklimakonferenz nicht stattfinde, zeige, „wie intensiv die Gespräche auch in dieser Woche geführt werden“, so Hebestreit. Eine komplette Beschlusslage des Haushaltes inklusive Bundesrat und zweiter, dritter Lesung im Bundestag würde voraussichtlich voraussetzen, dass in dieser Woche eine Einigung im Kabinett erzielt würde. Zuletzt fanden zur Lösung der Haushaltsfrage vor allem Dreiergespräche von Kanzler Olaf Scholz mit Finanzminister Christian Lindner sowie Habeck statt.

Bezeichnend: Olaf Scholz blieb am Freitag der Debatte über den Nachtragshaushalt im Bundestag fern. Stattdessen reiste er selbst nach Dubai. Offenbar erachtete er seine dortige Anwesenheit als wichtiger. Dass er seinem Wirtschaftsminister nun verbietet, dorthin zu fliegen, zeigt zweierlei. Einerseits, dass er wenigstens ein symbolisches Zeichen setzt, wer die Richtlinien bestimmt; andererseits führt er ein kleines Theaterspiel auf, um dem Bürger vorzugaukeln, die Ampel käme ihrer Verantwortung nach. Oder anders: Was dem Kanzler erlaubt ist, ist dem Minister mit seinen Kühen und Schweinen noch lange nicht erlaubt.

Vernichtendes Urteil des Rechnungshofs

Die Kritik des Rechnungshofs ist vernichtend. Entgegen dem Wortlaut von Artikel 115 Absatz 2, Satz 6 Grundgesetz sei die Kreditobergrenze nicht aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, sondern ohne einen Beschluss des Parlaments überschritten worden. Eine Prüfung der Erforderlichkeit der Kreditaufnahme durch das Parlament sei „von vorne herein ins Leere“ gelaufen.

Daher stehe die nachträgliche Legitimation bereits aufgenommener Kredite dem Verfassungswillen entgegen. Eine Legitimation bereits getroffener Entscheidungen könnte „mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen“. Erneut der Vorwurf der Trickserei: So würden die Kredite „für sämtliche der Schuldenregel unterfallenden Sondervermögen“ nicht in die Berechnung „des nach der Schuldenregel Zulässigen“ einbezogen.

Fazit: Die Regierung hat erneut getrickst, und der Bundestag ist drauf und dran, dem Kunstgriff wieder seinen Segen zu geben. Die Stellungnahme endet mit der Forderung an die Koalitionsregierung, „sicherzustellen, dass die Planung des Haushalts 2024 über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben sein sollte“.

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Kommentare ( 90 )

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Martin Muehl
11 Monate her

ist schon richtig
die Rentner (die ihr Leben lang gearbeitet haben), erhalten 3,x % mehr Rente, und die, welche nie gearbeitet haben, 12 % mehr.
Dafür wählen die Rentner wieder die Systemparteien.
Wie kann man nur so dumm sein?

Hanno Spiegel
11 Monate her

Diese Ampel wird eines Tages weggefegt und deren Teilnehmer werden hoffentlich vor gesetzestreuen Gerichten abgeurteilt.

AlexR
11 Monate her

Und in Dubai werden mal ganz locker 100 Millionen rausgeworfen. Danke Cum-Ex Scholz und der Dumpfbacke Annalena. Unmittelbar danach spricht Lindner von einer „angespannten Haushaltslage“.

Ich kann nicht soviel fressen wie ich k.tzen könnte. Jedes Unternehmen und jeder Privathaushalt wäre schon lange wegen Insolvenzverschleppung angeklagt. Aber diese Politverbrecher belohnen sich noch selbst regelmäßig mit der Erhöhung ihrer Diäten.

Nibelung
11 Monate her

Die nach außen erscheinenden und gewählten Politiker sind die Marionetten der größten Vermögensverwalter dieser Erde und die eigentliche Arbeit im Detail machen die eingesetzten Staatssekretäre und wenn man deren Biographie durchleuchtet dürfte alles klar sein, wer hier im Hintergrund die maßgebliche Politik macht. Diese Schmierenkomödie wird uns täglich vorgeführt und es soll ja auch noch welche geben, die daran glauben, daß die öffentlichen Gesichter unsere Geschicke bestimmen, was man vergessen kann, wenn man hinter den Vorhang blickt und damit auch so manche Ungereimtheiten erklärt sind, die von einer normalen Vorstellung total abweichen, denn der eigentliche Boß ist der vorgelagerte Arm… Mehr

Sonny
11 Monate her

Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass in diese Regierung noch ein Funken Ehrlichkeit einzieht. Der Staat ist nach wirtschaftlichen Regeln längst bankrott und trotzdem wird so getan, als wär nur ein bißchen Streit. Wenn ich kein Geld mehr habe, kann ich auch nichts mehr ausgeben. Das scheinen die „Damen und Herren“ der Regierung nicht zu verstehen. Stattdessen wird jetzt gegrübelt, wie man auch noch das letzte bißchen, was den Menschen zur Verfügung steht, ausräubern bzw enteignen kann. svenja schulze ist dabei sogar der Meinung, dass man weiterhin Millionenbeträge in dreifacher Höhe dem Ausland schenken darf. Wer so handelt, hat… Mehr

Last edited 11 Monate her by Sonny
Endlich Frei
11 Monate her

„Trotz Haushaltsloch bleibt es bei der Bürgergelderhöhung von 12 Prozent.“ Bei aller Kritik, doch so weit gehen zu behaupten, das Leben sei nicht mindestens 12 Prozent teurer geworden (man schaue auf die Supermarktpreise), gehe ich nicht. Und wenn „Bürgergeld“ (…was eigentlich eine Irreleitung ist) lediglich die Existenz sichert, dann sind die 12 Prozent Erhöhung wohl das Mindeste, was als Ausgleich stehen muss. Ich kenne autochthone Empfänger, die heimlich Flaschen sammeln und bei denen täglich nichts anderes als Nudeln mit Ketchup auf dem Tisch stehen. Die Tatsache, dass gewaltige Fehler bei der Massenmigration gemacht wurden und werden, darf nicht auf dem… Mehr

ReneKall
11 Monate her
Antworten an  Endlich Frei

Ich kenne leider zuviel deutsche Bürgergeld Empfänger, die einfach keine Lust haben (es nicht nötig haben) arbeiten zu gehen. Wohnung und Energiekosten werden bezahlt und man erhält Bürgergeld, obwohl man alle Jobangebote intelligent abgelehnt hat. In Deutschland würde der Ruf nach Arbeitskräften verstummen, würde man diese Leute an die Arbeit bringen. In Dänemark erhält man nach drei abgelehnten Jobs keinen Cent mehr vom Staat Auf jeder dänischen Straßenbaustelle, Grünschnittpflege etc. arbeiten nur Dänen, in Deutschland unvorstellbar. Der Reifenhändler meines Vertrauens dagegen hat seine Öffnungszeiten erheblich reduziert, weil er kein Personal bekommt. Auf einen Termin die eingelagert Reifen zu wechseln wartet… Mehr

Niklot
11 Monate her

Die Erhöhung des Bürgergeldes soll die höheren Lebenshaltungskosten abbilden. Höhere Lebenshaltungskosten hat die arbeitende Bevölkerung auch. Was bekommt die? Steuererhöhungen. Das ist Ampellogik.

THX1984
11 Monate her

Man könnte an NGOs wie DUH und die übrigen Klimaaktivisten-Vereine sparen, die ohnehin jede Menge Kohle von Soros&Co kriegen. Wieso bekommt die Gates-Stiftung von Deutschland über 3 Milliarden jährlich?

Tarakles
11 Monate her
Antworten an  THX1984

Damit Gates z.B. den Spiegel finanzieren kann. Das Geld was die rotgrüne Regierung ausgibt, landet immer in den richtigen Taschen, teils über Umwege in den eigenen, teils in die Taschen von Günstlingen. Altes sozialistisches Prinzip: Taschen vollmachen, solange noch Geld da ist.

Peter Gramm
11 Monate her

Was da abläuft hat mit Regierung doch nichts mehr zu tun. Da geht es doch nur noch um Diäten und sonstige finanzielle Vorteile.

Medienfluechtling
11 Monate her

Hubertus Heil ist nicht umsonst dicke mit Bartsch von den Linken. Nur kann er sich auch an dem ein Beispiel nehmen, was dabei rauskommt wenn man so eine Politik macht. Wenn HH nicht gebremst wird, sieht es böse aus für die Ehrlichen und Ehrhaften im Land.

Last edited 11 Monate her by Medienfluechtling