Handel und Bürger leiden – nur dem Staat geht’s gut

Die Bürger können sich weniger leisten. Der Umsatz im Handel bricht faktisch ein. Nur die Politik profitiert von der Krise. Trotz rückläufigem Konsum nimmt sie stabil Steuern ein.

IMAGO / Martin Wagner

Der deutschen Politik wird Unrecht getan. Viele werfen ihr vor, nichts würde mehr funktionieren. Doch das stimmt nicht. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat gleich zu Beginn der Ampel-Regierung gefordert, Fleisch müsse teurer werden. Die Vizepräsidentin des Bundestags Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ermutigt die Deutschen im Interview, zu einem neuen Verständnis von Wohlstand zu kommen. Was übersetzt Armut heißt. Und ein Blick auf den Umsatz im Einzelhandel zeigt: Zumindest die grüne Verzichtspolitik funktioniert in Deutschland.

Die Parteisoldatin
Die Grünen: Nach außen hui, nach innen Katrin Göring-Eckardt
Der Handel unterscheidet zwischen dem „realen“ und dem „nominalen“ Umsatz. Der nominale Umsatz umfasst einfach alles. Der reale Umsatz rechnet die Preissteigerungen raus. Früher war der Unterschied ein Leckerbissen für die Liebhaber von Statistiken. Mittlerweile wirkt er sich drastisch aus. Auf Händler ebenso wie auf Konsumenten: Ganze acht Prozentpunkte trennen den realen vom nominalen Umsatz, wenn es um den Vergleich zwischen Juni 2021 und Juni 2022 geht. Nominal ist der Umsatz im Jahresvergleich nur um 0,8 Prozent zurückgegangen. Real, also preisbereinigt, um 8,8 Prozent.

Was bedeutet das? Die Verbraucher haben im Juni fast so viel ausgegeben wie im Jahr davor. Sie haben nur deutlich weniger dafür erhalten. Für die Händler bedeutet es, dass sie fast so viel umsetzen wie vor einem Jahr. Nur dass davon oft nichts bei ihnen hängen bleibt. Schließlich sind im Einkauf sie die Kunden und müssen dort auch die höheren Preise zahlen. Nur der Staat profitiert in diesem Spiel. Trotz zurückgehenden Konsums bleiben seine Einnahmen stabil.

Doch die Zahlen zeigen die Krisen auf, die in dem Land an Fahrt aufnehmen. Von Mai auf Juni ist der nominale Umsatz um 0,5 Prozent zurückgegangen. Mit 1,1 Prozentpunkten ist die Lücke zum realen Rückgang für einen Monatsvergleich relativ hoch. Der reale Umsatzrückgang beträgt 1,6 Prozent zum Mai. Die Deutschen geben weniger aus. Eigentlich sagt die Organisation für internationale Zusammenarbeit, OSZE, seit Jahren, der „Exportweltmeister“ solle eher mehr als weniger konsumieren. Doch die Deutschen sind offensichtlich vorsichtig, wie die Umsatzzahlen zeigen.

Es sind die Aussichten, die misstrauisch machen: Auf einen Winter, in dem die Industrie stillsteht, weil es an Energie mangelt. Oder in der die Pandemiepolitik unter der Verantwortung von Karl „Killervariante“ Lauterbach steht. Aber nicht nur die nähere Zukunft ist beängstigend, in der Gegenwart ist die Außenhandelsbilanz des Ex-Exportweltmeisters negativ – zum ersten Mal seit 30 Jahren.

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So ist zu vermuten, dass die nächste Umsatzbilanz im Einzelhandel nicht besser ausfällt. Zwar dürften die Händler in manchen Sparten die steigenden Preise als steigende Gewinne mitnehmen. Doch in anderen Sparten halten die Händler die Preise künstlich niedrig, weil (noch) höhere Preise am Markt nicht durchsetzbar wären – und zu weiterem Konsumverzicht führen würden. Eine Pleitewelle ist früher oder später die logische Konsequenz.

Auch der Konsumverzicht ist bei Teilen der Bevölkerung an Grenzen gestoßen. Vor allem bei Lebensmitteln. Deren Preise sind im vergangenen Jahr real um 11,9 Prozent gestiegen. Das führt zu einem realen Umsatzverlust von 7,2 Prozent – der schlechteste Wert seit 2016. Schon jetzt gleichen Kunden Preise durch Konsumverzicht aus. Doch was sich in einer Statistik abstrakt als Konsumverzicht und Preisausgleich beschreiben lässt, ist im reellen Leben oft nackter Hunger.

Den größten Einbruch im realen Umsatz haben Einrichtungsgegenstände erfahren. Dazu zählen Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen. Um 16,4 Prozent ist der Umsatz in diesem Bereich zurückgegangen. Das lässt sich dadurch erklären, dass in Krisenzeiten teurere Anschaffungen gerne zurückgestellt werden. Nur was, wenn die Krise länger dauert? Halten sich die Herde und Waschmaschinen an den Fahrplan der Politik?

Vor 2024 wird sich die Energiekrise nicht erledigt haben, kündigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offen an. Wie gut die Deutschen dann durch die Energieknappheit gekommen sein werden, ist mehr als fraglich. Auf Kunden und Teile des Handels kommen noch bange Zeiten zu – nur der Staat melkt seine Kuh fleißig weiter.

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Kommentare ( 84 )

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tomo
2 Jahre her

Hoffentlich! verdient der Staat weiter, denn sonst lässt sich das Wahnsinnskonjunkturprogramm nie bezahlen. Was passiert, wenn der Staat Pleite geht und einige wenige das Geld kassieren, sieht man ja gerade in Italien.

Sonny
2 Jahre her

Der Staat lebt formidabel von den Zwangsabgaben, die auch noch durch die Inflation relativ gesehen wesentlich höhere Steuereinnahmen generieren.
Wer aber ist denn hier der Staat?
Jedenfalls nicht die Bevölkerung. „Der Staat“ ist in diesem Fall die Wiederbelebung der Adelsherrschaft über die normalen Bürger. Nur das heute der Adel die Parteien sind.

Gernoht
2 Jahre her

Wenn ich durch unseren Edeka schlendere, stelle ich erfreut fest, daß sich das Angebotssortiment von Monat zu Monat immer weiter ausdünnt. Recht so! In der DDR sind wir auch mit nur einer Sorte Joghurt bestens klargekommen.

Last edited 2 Jahre her by Gernoht
Andreas Stueve
2 Jahre her
Antworten an  Gernoht

Das kann ich nur bestätigen. Ob Aldi, Edeka und andere, die DDR ist wieder da. Teilweise meterbreite Lücken in den Regalen, erschreckend. Und wohl erst der Anfang. Wem ich wirklich die Pleite an den Hals wünsche, sind die zahllosen Billig – Klamotten – Läden. Die Textilindustrie emittiert so viel wie der gesamte Weltluftverkehr. Und unverkaufte Ware liegt dann in Chile in der Wüste. So etwas braucht kein Mensch.

Dunkelsachse
2 Jahre her

„Vor 2024 wird sich die Energiekrise nicht erledigt haben“

Weil sie das so wollen.

Die lassen ja jede Gelegenheit aus, das zu ändern.

Laufzeitverlängerung der Kkw, Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2, Forschung in Sachen Kernkraft reaktivieren, Dual Fluid unterstützen…

Orlando M.
2 Jahre her

Nur der Staat profitiert in diesem Spiel. Trotz zurückgehenden Konsums bleiben seine Einnahmen stabil.“
Dafür kann der Staat allerdings wenig und auch die Staatsausgaben steigen. Die können nicht über Nacht mit Steuererleichterungen auf die Inflationsrate reagieren. Zudem bezahlt der Staat seine gleichbleibenden oder gar kurzfristig steigenden Einnahmen in solch einem Szenario mit einer teuren Währung, politischer Instabilität. Wobei die Politik lebhaft den Eindruck erweckt, diesen Trend nach Kräften zu fördern.

Thomas
2 Jahre her

Wenn sich hunderte, tausende junge Neubürger per Whatsapp zusammenschliessen und in Häuser und Wohnungen eindringen, gibt es keine Macht, die das stoppen kann. Das wird wie ein Tsunami.

Last edited 2 Jahre her by Thomas
Exilant99
2 Jahre her

Mal sehen. Wünschenswert wäre es. Wenn eine Horde Nafris plündernt durch die Nobelviertel zieht wachen ein paar auf.

meckerfritze
2 Jahre her

Die Leute sind doch freitags für hohe Preise und Verzicht, auf die Straße gegangen. Jetzt haben sie, was sie wollten. Ich finde das vollkommen okay.

Teide
2 Jahre her

Kann hier nicht passieren „In Argentinien haben unbezahlbare Energiepreise und eine explodierende Inflation einen Aufstand hervorgerufen. Menschen versuchen, Supermärkte zu plündern und linke Politiker rufen indirekt zur Anarchie auf. Der Wortführer der Liberalen hat dagegen ganz andere Pläne für das Land. Argentinien befindet sich inmitten einer schweren Wirtschaftskrise. Innerhalb von knapp zwei Wochen verlor der argentinische Peso gegenüber dem in den Wechselstuben ausgegebenen Dollar 40 Prozent an Wert. Die Preise explodierten, die einkommensarmen Schichten wissen nicht mehr, wie sie das Essen für den nächsten Tag auf den Tisch bringen und die Rechnung für Strom und Gas bezahlen sollen. Nun geht… Mehr

Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  Teide

wenn keiner arbeiten will, dann gibt es auch kein Grundeinkommen. Das werden auch noch die Deutschen merken, wenn die „Boomer“ in Rente sind und die (migrantischen) „Fachkräfte“ arbeiten sollen.

Andreas Stueve
2 Jahre her
Antworten an  Teide

Dieses Land kommt wegen des ewig währenden Sozialismus niemals auf die Beine. Während meines Bankerlebens ist das bereits die dritte Staatspleite. In Lateinamerika waren die Militärdiktaturen zumeist am erfolgreichsten. Bitter, aber wahr.

Chrisamar
2 Jahre her
Antworten an  Andreas Stueve

@andreas Stueve: „„Kaum jemand wird auf mich hören, vielleicht einige Alte. Ein Präsident ist jedenfalls nicht mehr wert als jeder andere. Und auch wenn man große Allüren hat: Jeder von uns muss irgendwann mal in die Kiste. Und keiner kann das Geld mitnehmen, das er angehäuft hat. Das ist doch eine dumme Lebensweise.“ Eine großangelegte Verabschiedung des Präsidenten Pepe Mujica wird es nicht geben. Andersherum wäre es richtig, meinte er jüngst. Wenn die scheidende Regierung dem Volk dankt. Auf seiner neuen Homepage hat der 79-Jährige das schon mal umgesetzt. Mit den spanischen Worten „Gracias Pueblo“ dankt er seinen Uruguayern. Die… Mehr

andrea
2 Jahre her

@ R6 Ich finde das nicht unlogisch. Ein Großteil der Deutschen ( und andere Europäer) sitzen noch auf gut gefüllten Sparbüchern. Da versucht man eben, für sein stündlich an Wert verlierendes Geld noch einen realen Gegenwert zu bekommen und kauft Hochpreisiges, in der Hoffnung, auch Wertvolles zu erhalten und arbeitet weniger, weil sich das nicht mehr lohnt. Es wird auch versucht, das Eigenheim wetterfest zu machen etc. , da fließt schon noch eine ganze Menge Geld. Der Teil der Bevölkerung mit Medianeinkommen und darunter ohne große Rücklagen spart dagegen, um die zu erwartenden Energienachzahlungen begleichen zu können. Hier macht sich… Mehr