Der EuGH will die Flexibilisierung der Arbeitswelt zurückdrehen und verpflichtet die Arbeitgeber dazu, die Stechuhr wieder an die Bürotür zu stellen. Der DGB findet die Rückkehr zur Arbeit nach dem Takt der Fabriksirene super.
„Der Grundsatz ist unverändert: Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein.“ Also sprach Juso-Chef Kevin Kühnert und forderte die große Kollektivierung. Es sieht so aus, als ob er einen großen Schritt weitergekommen ist – jetzt wird die Uhr zurückgedreht und die Arbeitszeit wieder kollektiv bestimmt und kontrolliert.
Denn Arbeitgeber sollen nach dem jüngsten Urteil des Gerichtshofs der EU (EuGH*) dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen und zu dokumentieren. Die in Spanien und ähnlich auch in Deutschland übliche Erfassung nur von Überstunden reicht danach nicht aus. Geklagt hatten Mitarbeiter der Deutschen Bank in Spanien und die Rückkehr zur sprichwörtlichen Stechuhr verlangt. Der EuGH* gab den klagenden Gewerkschaften Recht, und jetzt müssen alle EU-Staaten dies durchsetzen, entschieden die obersten EU-Richter am Dienstag in Luxemburg. Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Und nur das garantiere die in Richtlinien und in der Grundrechtecharta der EU zugesicherten Arbeitnehmerrechte.
Die Uhr wird zurück gedreht
Klingt toll. In Deutschland müssen nach geltender Rechtslage nur die Überstunden erfasst werden. Viele Unternehmen sind zur Form der „Vertrauensarbeit“ übergegangen – die Beschäftigten teilen sich ihre Arbeitszeit nach eigenem Gutdünken ein, passen sie flexibel der Auftragslage und der eigenen Leistungsfähigkeit und Tageslaune an. Diese sogenannte „Vertrauensarbeit“ aber war und ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge.
So behauptet Annelie Buntenbach, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), flexible Arbeit sei heutzutage „eher die Regel statt die Ausnahme“, doch „permanenter Standby-Modus und Entgrenzung können krank machen.“ Die Anzahl der unbezahlten Überstunden liege in Deutschland auf einem „inakzeptabel hohen Niveau“, die Praxis der Vertrauensarbeitszeit sei „Lohn- und Zeitdiebstahl“.
Die DGB-Gewerkschaften und ihre Betriebsräte versuchen daher schon seit Beginn dieser Liberalisierung, möglichst alle flexiblen Formen der Arbeitszeit zu begrenzen. E-Mails sollen nicht mehr nach 18.00 Uhr gelesen werden dürfen, auch die Bedingungen des Homeoffice sollen streng geregelt werden: Vom Licht am Arbeitsplatz bis zum Drucker im Wohnzimmer, der nur von der IT-Abteilung angestöpselt werden darf – einerseits fordert die SPD neuerdings ein Recht auf Homeoffice, gleichzeitig wird es so streng reglementiert und mit Kontroll- und Einrichtungskosten überfrachtet, dass es unwirtschaftlich ist. Dass Arbeit im Zusammenspiel von Beschäftigten und Arbeitgeber besser individuell geregelt werden kann – das glauben Gewerkschaften und Betriebsräte schon deshalb nicht, weil es ihrem Machtanspruch schadet.
Oh Schreck, die Macht ist weg
Denn dem DGB geht es in Wirklichkeit nicht um verständliche Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer. Das Kollektiv soll wieder gemeinsam beim Pfiff der Betriebssirene zur Arbeit antreten, gemeinsam den Henkelmann für die Suppe aufschrauben und die Betriebsräte dafür feiern, wenn sie eine zusätzliche kollektiv vereinbarte Pinkel- oder Zigarettenpause erkämpfen. Dass die Arbeitnehmer wie Arbeitgeber längst viel weiter sind, Ergebnisse der Arbeit zählen und bewerten und nicht breitgesessene Popos auf Bürosesseln oder vertrödelte Zeit in Kantinen und Kaffeeküchen – in den Betonschädeln des DGB ist das noch nicht angekommen.
Besser gesagt: Das darf nicht durch den Beton dringen. Das Kollektiv zählt, weil es als solches eher für die Machtpolitik der Betriebsräte geeignet ist, Kollektive in Reih und Glied zum Zählappell angetreten leichter manipulierbar oder kontrollierbar sind und zum Zahlen der Mitgliedsbeiträge gedrängt werden können, wenn der Betriebsratschef die Häupter seiner Untertanen zählt wie früher der Fabrikdirektor. Den gibt es längst nicht mehr in modernen Unternehmen, dafür Gewerkschaftsbonzen ohne Zahl und Ende.
Kollektiv statt Individuum
Das Gesetz mache es nun möglich, besser zu kontrollieren, ob tägliche die Höchst- und Ruhezeiten eingehalten würden. Ein Ende der Flexibilität befürchtet Buntenbach dabei nicht. „Statt mit der Stechuhr könnte man heutzutage schließlich per Smartphone und App die Arbeitszeit dokumentieren.“
So versteht eben der DGB die modernen Medien: Als zusätzliche Instrumente, um die Bewegung der Mitarbeiter in Raum und Zeit zu kontrollieren – nicht als die Chance, sich individuell zu entfalten, und die Arbeit den jeweils eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten anzupassen. Für den DGB ist eben das Gestern der Plan für Morgen, nur mit dem Unterschied, dass die Fabriksirene nicht mehr auf dem Fabrikdach heult, sondern in der Jackentasche die Arbeitszeiten ein- und aussummt. Andere Länder sind da weiter. In den Niederlanden arbeiten schon 15 Prozent der früher fix an den Arbeitgeber und den Arbeitstakt geketteten Mitarbeiter freiberuflich.
Da hat dann der EuGH* auch sein Recht verloren. Insofern ist das Urteil vielleicht sogar hilfreich, um Arbeitnehmer aus dem Kolletivzwang des DGB zu befreien – und der neuerdings wieder hochgepriesenen Kollektivierung ein Ende zu bereiten.
*EuGH: fälschlich Europäischer Gerichtshof, da nur Gerichtshof der EU.
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Bin da sehr gespalten. Bei uns im Betrieb gibt es Vertrauensarbeitszeit und das funktioniert super. Gerade für Leute wie mich die gerne mal richtig reinhauen mit der Arbeit, aber irgendwann auch ausgebrannt sind und dann früher heim gehen. Unterm Strich dieselbe Leistung bei besserer Laune. Und die Kompatibilität mit Familie und Freizeit ist auch ein großes Plus. Jeder Angestellte ist angehalten, über 1-2 Wochen gleitend wieder zurück zu seinen vertraglichen Stunden zu kommen. Auf der anderen Seite, hätten wir eine unsoziale Geschäftsführung, und solche gibt es ja haufenweise, wären viele undokumentierte Überstunden angesagt, um die deadlines irgendwie zu schaffen.
„die Beschäftigten teilen sich ihre Arbeitszeit nach eigenem Gutdünken ein, passen sie flexibel der Auftragslage und der eigenen Leistungsfähigkeit und Tageslaune an.“ Hmmm…ich glaube es ist eher anders herum,die Arbeitgeber passen die Arbeitszeit der Mitarbeiter der Auftragslage an. Darum auch das ganze Gezeter um die immer höhere Flexibilisierung der Arbeitszeit. Es ist in der Tat schon so weit,das Arbeitgeber ihre Arbeiter innerhalb der 8 Stunden ganz gern nach Hause schicken möchten wenn die Aufragslage eine durchgehende Arbeitszeit nicht wirklich her gibt…quasi 2x am Tag zur Arbeit und wieder zurück. Es ist auch nur ne Hand voll Leute,die sich die Arbeitszeit… Mehr
Sehr geehrter Herr Tichy, Ihre ausschließlich positive Darstellung der sog. Vertrauensarbeitszeit ist unzutreffend. Eine Übersicht über die Vor- und Nachteile der Vertrauensarbeitszeit findet sich auf folgender Internetseite des RKW Hessen – Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Wirtschaft e.V. https://www.arbeitszeit-klug-gestalten.de/alles-zu-arbeitszeitgestaltung/arbeitszeitmodelle-im-ueberblick/vertrauensarbeitszeit/ Dort ist unter den Nachteilen der Begriff der interessierten Selbstgefährdung aufgelistet. Zitat aus einem Artikel der Zeitschrift „ASU-Arbeitsmedizin“, Ausgabe 03-2015, mit der Überschrift „Interessierte Selbstgefährdung – von der direkten zur indirekten Steuerung“: „Moderne Managementkonzepte zielen auf motivations- und produktivitätssteigernde Effekte ab: Sie setzen auf autonome Beschäftigte bei gleichzeitiger Konfrontation mit unternehmerischen Herausforderungen. Im Beitrag wird erörtert, dass die Entwicklung von direkter zu… Mehr
Die EU lässt mal wieder keine Chance aus, Ihre Mitglieder mit noch mehr Bürokratie zu beglücken. Schritt für Schritt in die Planwirtschaft. Wer braucht solchen zentralistischen bEUllshit ? Wenn bestimmte Unternehmen tatsächlich Tendenzen entwickeln Ihre Mitarbeiter in puncto Anwesenheit auszubeuten, kann man im Einzelfall gezielt Maßnahmen ergreifen. Aber von einem Fall in Spanien eine EU-weite Gesetzesänderung abzuleiten ist in meinen Augen nichts als EUnsinn. Und ein weiterer Grund über einen DEXIT nachzudenken.
Seit Einführung des Mindestlohngesetzes müssten viele Arbeitnehmer, wie auch ich, ihre Arbeitszeiten erfassen. Wir machen das mit einer Smartphone-App jetzt schon seit mehreren Jahren.
Wir haben ne Stechuhr im Betrieb,allerdings auch deswegen um die Zeiten für die Aufräge zu stempeln. Passiert öfter mal, das Richtzeiten eben nicht reichen für gewisse Arbeiten…die werden an Neufahrzeugen erstellt und nicht an solchen die schon 3 Jahre und länger auf der Straße rumfahren.
Ich muss an dieser Stelle eine Lanze fuer Betriebsraete brechen (ich bin naemlich selbst stellvertretendes Mitglied): es gibt in der Tat solche BR, die auf Sturm gegen die Geschaeftsleitung eingerichtet sind, aber dies ist weder die Regel noch das, was ein Betriebsrat sein soll. Bei uns arbeiten wir mit sensiblen Daten (wie eigentlich jeder Betrieb…) und es muss genau erfasst werden, welche Personen sich im Gebaeude aufhalten – eine „Stechuhr“ ist da das Mittel zum Zweck. Die Verwerflichkeit will mir persoenlich nicht ganz einleuchten. – Bei Lesen des Textes ist mir die Geschichte einer Kur-Klinik eingefallen (den Namen nenne ich… Mehr
In den Pflegeberufen sicherlich ein guter Schritt, denn aus persönlichem Umfeld kenne ich viele die bereits eine halbe stunde unbezahlt eher anfangen zu arbeiten um das Pensum überhaupt zu schaffen. So etwas kann man mit Stempeluhr nur noch schwer ignorieren. Auf der anderen Seite hat der Artikel natürlich recht, viele Arbeitgeber sind inzwischen weiter. Wenn ich Home-office mache dann trage ich die Zeiten selbst ein. Das geschieht auf Vertrauensbasis. Vielleicht rundet man mal auf, dafür wird die halbe Stunde Kontrolle am Wochenende aber gar nicht vermerkt. Es ist ein Geben und Nehmen mit dem alle hier sehr zufrieden sind.
Unser Chef hatte den schweren Verdacht, dass wir ihn bezüglich der Überstunden betuppen und führte eine Stechuhr ein, jeder Arbeitnehmer hier ahnt was dabei herauskam…? nachdem er sie nach 3 Monaten wieder entfernte, hatte er wenigstens die Größe sich bei uns zu entschuldigen.
Das Problem ist, dass die „Stechuhr“ nach Vorstellung der Gezwergschaften keine Arbeitszeiten misst, sondern nur Anwesenheitszeiten. Dem Kunden können aber nur Arbeitsstunden abgerechnet werden und keine Anwesenheitsstunden. Und falls ich mich für Homeoffice entscheiden sollte, habe ich auch kein Interesse daran, dass mir irgendwelche vernagelte Eurokraten vorschreiben, wie oder womit ich mir meinen HO-Arbeitsplatz einrichte. Das geht nur mich und in Bezug auf Datensicherheit/Datenschutz o.ä. meinen Arbeitgeber etwas an.
Das Urteil ist nicht leicht zu bewerten. Einerseits werden Arbeitnehmer entlassen und zu Werkverträgen gedrängt werden, also keine bezahlten Krankheitszeiten, keinen Schwangerschaftsurlaub und keinen bezahlten Urlaub mehr haben, Sozialversicherungsbeiträge selber abführen müssen usw. Andererseits gibt es wirklich Bereiche, in denen Arbeitnehmer rücksichtslos ausgebeutet werden, wie es Dr. Mephisto von Rehmstack in Bezug auf die jungen Ärzte schreibt. Außerdem gibt es Arbeiten, für die feste Arbeitszeiten nicht durchzusetzen sind, weil sie die Arbeit unmöglich machen. Beispiel Kulturbereich oder Wissenschaftsbereich: Die Mitarbeiter können manchmal erst später kommen, haben aber dafür abends Seminare anzubieten, Vorträge zu halten oder Artikel zu schreiben, was oft… Mehr