10 Jahre Fukushima: Wie die Naturkatastrophe umgedichtet wird

Die Bundesregierung und die Grünen wärmen erneut die Erzählung auf, in Japan wären 18.000 Menschen wegen einer Nuklearkatastrophe gestorben. Dass eine Flutwelle die Menschenleben gefordert hat wird verschwiegen. Jetzt schließt sich auch CSU-Chef Söder dem grünen Märchen an.

Screenprints: via Twitter

„Ich kann mich noch erinnern“, so Bayerns Ministerpräsident Markus Söder väterlich in seinem Video. „Es ging ja schon vorher los, mit diesem Tsunami.“ Die Flutwelle, danach die Explosion, und dabei habe es doch immer geheißen, Kernkraftwerke seien sicher. Bayerns Ministerpräsident biegt sich die Geschichte zurecht, ganz wie es in seine Wahltaktik passt: größtmögliche Nähe zu den Grünen.

Söder entschlossen: „Für mich war danach klar: Fukushima ändert alles.“ Er habe als junger Umweltminister sofort reagiert, sich mit dem damaligen Ministerpräsidenten Seehofer abgestimmt: „Wir haben sehr schnell entschieden, dass wir bei uns in Bayern das erste Kernkraftwerk vom Netz genommen haben.“ Denn auch wenn alles sicher scheint: Es gebe die „winzige Möglichkeit, dass etwas passiert. Und die Folgen sind dann in einer Form dramatisch, die nicht mehr zu akzeptieren gewesen sind, dieses Risiko weiter zu tragen.“

— Markus Söder (@Markus_Soeder) March 11, 2021

Das war fürsorglich vorausschauend: Ein möglicher, die Isar herabdonnernder Tsunami hätte in der Tat die KKWs am Flusslauf gnadenlos weggespült. Die Reaktorsicherheitskommission der Bundesregierung hatte zwar in einem Sondergutachten festgestellt: „In Deutschland praktisch ausgeschlossen.“ Deutsche Kernkraftwerke sind zudem anders aufgebaut. Sie haben einen Betonmantel, die Reaktoren in Fukushima standen in besseren Fabrikhallen. Aber was zählen schon Fachleute. Dann lieber eine sichere Stromversorgung eines Industrielandes abschalten.

Im Nachbarland Frankreich laufen 56 Reaktoren, weltweit 443, fast 50 neue sind in China im Bau. Nur in Deutschland lassen Politiker wie Söder die Lichter ausgehen.
Es begann mit einer Naturkatastrophe, die einen Kernkraftwerks-GAU verursachte. Doch die Menschheit überlebte einen immer als schlimmste Katastrophe apostrophierten GAU, die Erde dreht sich weiter, wenn auch durch die Verschiebung der Erdmassen nach dem Erdbeben ein wenig schneller.

Auch die Grünen versuchten erneut, mit einem Tweet (mittlerweile gelöscht) den Eindruck zu erwecken, die Nuklearkatastrophe (und nicht der Tsunami selbst) habe dazu geführt, dass zehntausende Menschen starben. Aber selbst in dem korrigierenden Tweet stellte die Partei nicht klar, dass die Menschen durch die Flutwelle starben: „Bei der Katastrophe von Fukushima sind nicht unmittelbar zehntausende Menschen gestorben, sondern zu Schaden gekommen.“

Damals folgte der Medien-GAU.

Fünf Jahre nach Fukushima dokumentierte TE 2016 das Framing von Politik und Versagen der Medien:


5 Jahre Fukushima – die mediale Kompetenzschmelze

Fakten, wen stören schon Fakten, wenn das heiße Herz in die Tasten greift? Aus über 18.000 Opfern eines Tsunamis, verursacht durch ein Seebeben, werden schnell 18.000 Atomtote. Wenn es gegen die Kernkraftwerke geht, zeigt der Qualitätsjournalismus seine stärksten Seiten.

Am Freitag, den 11. März 2011, löst ein Seebeben vor Japan mit der Stärke 9 einen Tsunami, also eine gigantische Wasserwelle aus.
Die Fakten sind erschreckend:
Durch das Beben kam es in den Fukushima Daiichi Kenkraftwerken zu einem „Level 7“ Störfall, einer Kernschmelze im stillgelegten Kraftwerk, dem „Größten anzunehmenden Unfall (GAU)“.
  • Es gab kein Todesopfer im direkten Zusammenhang mit dem GAU.
  • 300 Mitarbeiter und Ingenieure des Kraftwerksbetreibers stehen unter medizinischer Beobachtung.
  • Die WHO stellte fest, dass die evakuierten Personen aus dem Gefahrenkreis des Kraftwerks sehr wahrscheinlich keine messbar erhöhten Gesundheitsgefahren durch Strahlenbelastung haben werden.

So weit die Fakten. Nach den vorliegenden Berichten gibt es also keine „Atom-Toten“. Das mag bezweifelt werden. Es geht hier auch nicht um das Für oder Wider von Kernenergie. Es geht um Fakten, und wie die Politik in Form von Sprachregelungen vorgibt, sie zu behandeln –  und inwieweit Medien dies übernehmen, bewusst oder unbewusst. Es geht um die beobachtbare Kernschmelze journalistischer Kompetenz. Immerhin wurden auf Drängen der Bundeskanzlerin anschließend wegen angeblich unübersehbarer Restrisiken der Atomausstieg beschlossen. Gelungen ist Merkels Energiewende nicht so richtig.  Es geht also nicht nur um das Leid in einem fernen Land – dieses Leid wurde zur Innenpolitik in den Wochen vor den damals als wichtig empfunden Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Es geht wieder um Baden-Württemberg und um die Rechtfertigung der  Energiewende gegen wachsende Widerstände.

Dass es nicht gut gehen kann, ahnte auf Twitter „Bert“

Der 11.03. – „der alljährliche „Machen aus den Tohoku Erdbeben und Tsunami Opfern für Propagandazwecke einfach Fukushima Opfer“ – Gedenktag“:

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Bert sollte leider Recht behalten. Schauen wir also, was so aus den Fakten wurden, wenn des Journalisten heißes Herz glüht wie ein Kernbrennstab.

Den Anfang macht die Bundesregierung auf Facebook mit einer plakativen Kachel:

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Es ist ein geglücktes Stück der Abteilung für Propaganda, Agitation und Desinformation. Geschickt werden 18.000 Opfer der Überschwemmungskatastrophe mit dem Reaktorunfall („Fukushima“) in Verbindung gebracht und in das Zentrum gerückt. Es ist übrigens ein Missbrauch und eine Umwertung der japanischen Trauerfeierlichkeiten im Dienste der Propaganda. Aber dazu mehr weiter unten.
Nein, es fehlt die Behauptung, dass es Atom-Tote sind. Es wird nur suggeriert. Es ist eine Art Sprachregelung, die gerne von Journalisten befolgt wird. Statt Regierungserklärungen misstrauisch zu hinterfragen, werden sie blind in vielen Medien nachgeplappert und übernommen.

Es folgt das BMUB – das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau & Reaktorsicherheit – und damit die nächste Stufe der propagandistischen Eskalation:

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Im Bild sehen wir nicht die durch den Tsunami zerstörten Ortschaften, die Verwüstungen der Flutwelle, umher irrende Flutopfer. Wir sehen im Kurzfilm die Zerstörungen durch den so ausgelösten Störfall.
Der oberflächliche Leser, um den geht es, sieht die Atom-Katastrophe vor seinem inneren Auge.

Da darf Regierungssprecher Steffen Seibert nicht fehlen, früher ein führender ZDF-Journalist:

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Jetzt ist der Weg frei

Das Bündnis 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz auf Facebook zieht eine gerade Linie, an deren Beginn steht die Atom-Katastrophe von Tschernobyl und am Ende das AKW in Mülheim-Kärlich: Dass die Reaktoren in Japan abgeschaltet waren, interessiert keinen Menschen. Dass sich um die stillgelegten Kernreaktoren in Deutschland das Sicherheitsrisiko erhöht hat, weil statt einer Endlagerung die gefährlichen Brennstäbe kaum geschützt herumliegen und vor sich hinstrahlen – kein Wort darüber. Das wären ja Fakten, die eche Betroffenheit auslösen könnten und berechtigte Angst vor den Folgen einer emotional gesteuerten Politik.

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Aber so weit die Politik. Wer hat von ihr in Deutschland Vernunft und Fakten erwartet? Korrigieren die Medien, gehen sie kritisch damit um?

Dazu der NDR: „Eine Atomkatastrophe unfassbaren Ausmaßes: Mehr als 18.000 Tote…“

Die Melodie ist akkordiert: 18.000 Atomtote. Nicht um Kontrolle der Regierung und ihrer Propaganda geht es, sondern um Bestätigung und Rechtfertigung.

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Die BZ beschreibt, was nicht ist:

„Japan gedenke der Opfer der Atom-Katastrophe“. Aber genau das hat Japan nicht getan, einfach mangels zählbarer Opfer. Japan hat der Toten der Flutwelle gedacht. Die so entstehenden Bilder hat übrigens auch die Bundesregierung für ihre Agitation missbraucht.

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Da darf der Deutschlandfunk nicht fehlen, der sonst so gerne seine Rolle als Qualitätsmedium betont.

Er titelt unter Verwendung der von der Bundesregierung vorgegebenen Sprachregelung: „Gedenken an Fukushima-Opfer“.

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Nun hat der Deutschlandfunk ein Problem: Er hat kritikfähige und kritikbereite Kritiker unter seinen Hörern: David Ermes will es genau wissen, wie es so ist mit den Atom-Toten des Deutschlandfunks. Die Antwort ist ein journalistischer Störfall Level 7.

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Das Ergebnis ist erschütternd. Fehler können ja passieren, auch beim Deutschlandfunk. Aber der Sender macht sich die Sprachregelung der Bundesregierung sogar ausdrücklich zu eigen. Dazu gehört Chuzpe. Und Intelligenz.

Der SWR ist da plumper: Fukushima_SWR2
Auch Spiegel Online – per Push-Message, denn die Nachricht ist ja wirklich heiß und vor allem – exklusiv:

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Ist es wirklich die Sprachregelung der Bundesregierung, die befolgt wird? Das ist eine steile These. Noch steiler ist die Vermutung, dass sich die Erzählung von 18.000 Atom-Toten so in den Köpfen festgesetzt hat, dass sie gar nicht mehr in Zweifel gestellt werden kann. Diesen Verdacht legt jetzt.de nahe, das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung. Sie berichtet über zwei juvenile Reporter, die die extra nach Japan gereist sind. Der Einstieg  ist sensationell: „Mehr 18.000 Menschen sind bei der Atomkatastrophe ums Leben gekommen“. Die Fiktion ist bereits zur in den Hirnen festverankerten Tatsache geronnen.

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Da darf das Neue Deutschland, die Sozialistische Tageszeitung nicht fehlen:

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Auch die Augsburger Allgemeine schreibt gedankenlos unter Verwendung von dpa-Material:

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Aber es geht noch schlimmer: Die Grünen berichtet von „mehr als 600 Menschen, die der Katastrophe unmittelbar zum Opfer fallen“, und 10.000 Tote sind zu erwarten. Da rollt etwas auf uns zu. Müssen wir erwarten, dass beim nächsten Gedenktag die zusätzlichen erwartbaren einfach obendrauf gerechnet werden? Dann 28.000 Tote der Atom-Katastrophe? Zu befürchten steht es. Schließich folgt der deutsche Medien-Mainstream gerne solchen Vorgaben.

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Immerhin, bereits vor zwei Jahren spektakulär mit Atemschutzmaske, die zwar gegen Hausstaub, aber nicht Atomstrahlen zu schützen vermag: Am 11.03.2014 auf n-tv. Das Gespür von Lächerlichkeit, es ist längst abhanden gekommen.

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Und wer könnte Claudia Roth dazu vergessen, 11.03.2013:

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Wir müssen uns also nicht vor Kernkraftwerken fürchten. Unsere Medien reichen schon.

Übrigens: In dem Augenblick, indem wir zu recherchieren begannen, wurden einige der hier gezeigten Dokumente flugs gelöscht oder nachträglich verändert. Das macht Hoffnung: Auf Druck kehrt die Wahrheit zurück. Lügen haben doch kurze Beine. trotzdem werden sie auch bei der nächsten runden Jahreszahl der Tsunami-Katastrophe wiederholt. Denn das Dementi liest ja doch keiner, hofft Markus Söder.

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