Die Bürger nehmen sich wieder mehr heraus – und gehen auf Distanz zum Vormundschafts-Staat

Nach jahrelang sinkenden Werten misst der Freiheitsindex 2024 wieder mehr Mut zur eigenen Meinung. Gleichzeitig steht es um das Vertrauen in die Öffentlich-Rechtlichen so schlecht wie noch nie.

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Seit den Neunzigern vermessen das Allensbach-Institut und das Schweizer Unternehmen MediaTenor das subjektive Freiheitsgefühl der Deutschen. In den vergangenen Jahren ging der zentrale Wert in der Befragung nach unten: die Antwort auf die Frage, ob man in Deutschland seine Meinung frei heraus sagen kann, oder damit lieber vorsichtig sein sollte. Im Jahr 2023 empfanden sich nur noch 40 Prozent der Befragten in ihren Äußerungen völlig uneingeschränkt, aber 44 Prozent gab an, sich bei bestimmten Themen zurückzuhalten.

Zum ersten Mal seit Beginn der Erhebung gab es damit mehr Zurückhaltung als Freimut. Nie stand es um das öffentliche Meinungsklima schlechter.

In der Befragung für 2024 zeichnet sich nun etwas ab, was die Freiheitsindex-Autoren bei aller Vorsicht als mögliche Trendwende sehen: in diesem Jahr nahm die Meinungsfreude wieder zu. Immerhin 47 Prozent der Befragten fanden, sie könnten beziehungsweise wollten sich ohne Einschränkungen artikulieren.

Der Anteil der Vorsichtigen sank dagegen von 44 auf 41 Prozent. Damit liegt das Zutrauen in diese zentrale Bürgerfreiheit zwar noch weit unter den Raten früherer Jahre: 1990 meinten 78 Prozent der Befragten, sich bei öffentlichen Äußerungen keinen Zwang antun zu müssen, nur 16 Prozent sagten, sie würden lieber aufpassen, worüber und zu wem sie sprechen.

Auch andere erhobene Daten im Freiheitsindex 2024 stützen die Annahme, dass sich die Bürger nach einer tiefen Krise der gefühlten Freiheit allmählich wieder selbstbewusster geben. Der Index entsteht aus den Antworten auf gleichbleibende Fragen zur gesellschaftlichen Orientierung, beispielsweise, ob die Wertschätzung eher der Freiheit oder der Gleichheit gilt. Mit 47 Prozent, die ‚im Zweifel für die Freiheit‘ votierten, erreichte dieser Wert 2022 den drittschlechtesten, das Plädoyer ‚im Zweifel für die Gleichheit‘ mit 41 Prozent dagegen den höchsten Stand seit 1996.

Auch hier änderte sich die Einschätzung deutlich: schon 2023 kletterte der Anteil der eher Freiheitsliebenden wieder auf 56 Prozent, um 2024 noch einmal auf 57 Prozent zuzulegen. Die Bevorzugung der Gleichheit sackte 2023 auf 29 ab, und legte zwar in diesem Jahr leicht auf 31 Prozent zu. Aber zwischen den beiden Werteorientierungen herrscht heute wieder ein großer Abstand, anders als in den Jahren bis 2022, als beide Linien meist dicht beieinander verliefen. Das gleiche Bild zeigt sich bei einer anderen Orientierung: liegt der Platz, den jemand in der Gesellschaft erreicht, eher an der eigenen Anstrengung, oder an den gesellschaftlichen Verhältnissen, gegen die ein Einzelner eher nichts ausrichten kann? Stimmt also eher: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, wie es in der Befragung heißt, oder eher: „die einen sind oben, die anderen sind unten?“ Auch hier entfernen sich die jeweiligen Präferenzen wieder voneinander: Der Anteil derjenigen, die vor allem die Verhältnisse für das eigene Glück verantwortlich machen, ging seit vorigem Jahr zu 2024 von 33 auf 31 Prozent zurück, der Teil, der eher die eigene Anstrengung für ausschlaggebend hält, legte von 47 auf 50 Prozent zu.
Zur Untersuchung gehört auch die Neigung der Deutschen zu staatlichen Eingriffen.

Die Befragten können für 16 Themenfelder sagen, ob sie sich ein Verbot etwa von rechtsradikalen beziehungsweise linksradikalen Parteien, ungesunden Lebensmitteln, Pornografie, Geschwindigkeiten von über 130 auf der Autobahn und anderen Dingen und Erscheinungen wünschen. Im Schnitt aller Themen verlangten 2024 nur noch 34,3 Prozent Verbote – genauso viel wie 2023 und weniger als in allen Jahren seit 2011. Vor dreizehn Jahren erwärmten sich noch 44,1 Prozent für das staatliche Einschreiten.

Alles in allem: der Freiheitsindex 2024 zeigt eine meinungsfreudigere, selbstbewusstere und eher zur Selbstbestimmung neigende Bevölkerung als in der Vergangenheit, die sich mehrheitlich keinen Staat wünscht, der sie paternalistisch an die Hand nimmt und vor echten oder vermeintlichen Übeln schützt. Zu diesem Befund passen auch einzelne Beobachtungen jenseits der Freiheitsindex-Befragung, beispielsweise, dass sich zu dem Bürgergipfel in Stuttgart Anfang September fast 1000 Menschen aus dem bürgerlich-liberalkonservativen Spektrum trafen. Radikal trat dort nur das kleine Häuflein von etwa 30 Demonstranten vor der Liederhalle der Stadt auf. Auch der Protest gegen überdimensionierte Asylunterkünfte in kleinen Orten wie dem bayerischen Rott am Inn, dem baden-württembergischen Tamm oder dem mecklenburgischen Upahl kommen heute aus der Mitte der jeweiligen Orte – die Bürger lassen sich v on den Versuchen, ihre Gegenwehr als extremistisch und ‚rassistisch‘ abzustempeln, offenbar sehr viel weniger beeindrucken als noch vor einigen Jahren.

Aus diesen Beobachtungen und den Daten des „Freiheitsindex“ ergibt sich ein bemerkenswertes Gesamtbild: einer Bevölkerung, die sich wieder offener äußert und eher keinen vormundschaftlichen Staat wünscht, stehen Regierungsparteien zusammen mit Behörden, NGOs und etablierten Medien gegenüber, die von mehr Internetkontrolle durch „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ über Fiktionen wie „Delegitimierung des Staates“ bis hin zum Verbotsanlauf gegen die AfD mehr denn je auf Diskurskontrolle und moralischen bis formalen Druck setzen.

Das spiegelt sich zum einen in den Wahlergebnissen und Wahlumfragen, aber auch in einem zweiten großen Komplex, dem sich der Freiheitsindex 2024 wie in den anderen Jahren widmet: dem Vertrauen in die Medien – beziehungsweise dem Vertrauensverlust. Und der trifft im ganz besonderen Maß den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hier fallen der Befragung zufolge Nutzung und Vertrauen geradezu dramatisch auseinander. Zwar ging der Anteil derjenigen, die angeben, ARD, ZDF und Deutschlandfunk zu konsumieren, im Lauf der Jahre nur leicht zurück: von 84 Prozent 2017 auf 72 Prozent 2024. Auf die Frage, ob sie die die Öffentlich-Rechtlichen für „besonders glaubwürdig“ halten, antworteten 2023 noch 77 Prozent der für den Freiheitsindex befragten mit Ja. Nur gut zwölf Monate später stürzte diese Quote auf gerade noch 55 Prozent ab. „Eine derart drastische Veränderung der Antworten von einem Jahr auf das nächste ist in der Umfrageforschung sehr ungewöhnlich und erweckt den Verdacht, dass es sich um einen sogenannten ‚statistischen Ausreißer handeln könnte“, schreibt Index-Mitautoren Thomas Petersen und Erich Schmidt. Da die anderen Ergebnisse der gleichen Umfrage aber keine Auffälligkeiten zeigten, könnte ein solcher Effekt „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen werden. Für diese Entwicklung dürfte es eine wichtige Rolle gespielt haben, dass beispielsweise die ARD die Story der teils staatlich finanzierten Plattform „Correctiv“ über einen angeblich in Potsdam ausgebrüteten Plan zur Massendeportation auch von Deutschen nicht nur kritiklos übernahmen, sondern das, was „Correctiv“ nur insinuierte und in Kommentare verpackte, ihrem Publikum mehrfach als Fakten präsentierten, und teilweise sogar noch Behauptungen dazuerfanden.

Inzwischen existieren mehrere vor Gericht durchgesetzte Verbote gegen falsche Berichterstattung durch die Tageschau und den SWR. Auch bei der Berichterstattung über die Kundgebungen „gegen rechts“, die der „Correctiv“-Berichterstattung folgten, begaben sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten in eine aktivistische Rolle, die sie offenbar massiv Glaubwürdigkeit kostete.

Roland Schatz, Chef von MediaTenor und Herausgeber des Begleitbuchs zum Freiheitsindex 2024, zieht jedenfalls ein optimistisches Fazit aus den Daten: „Am Ende siegt die Freiheit.“

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