Flutkatastrophe im Ahrtal: Ermittlungen eingestellt

Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 bleibt ohne Anklage, die Ermittlungen wurden eingestellt. 135 Menschen sind durch das Hochwasser gestorben. Dabei hätte niemand sterben müssen. Eine rechtzeitige Warnung wäre möglich gewesen. Der Opferanwalt nennt es einen „Justizskandal“.

picture alliance/dpa | Thomas Frey
Das Kurhaus ist noch immer schwer beschädigt. Im Juli 2021 hatte die Flutkatastrophe gewaltige Schäden hinterlassen, 135 Menschen kamen entlang der Ahr ums Leben. Aufnahme vom 17.04.2024

Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 bleibt ohne Anklage. Schuld soll niemand haben.
In Koblenz hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler, und den ehemaligen Leiter des Krisenstabes, Michael Zimmermann, eingestellt. Die Beweislage würde nicht für eine Verurteilung ausreichen, so die Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen ermittelt, danach sei die Bevölkerung im mittleren und unteren Ahrtal zu spät vor jener tödlichen Flutwelle gewarnt worden, die im Juli 2021 das Ahrtal verwüstete. Dabei starben 135 Menschen, hunderte von Anwohnern wurden teilweise schwer verletzt.

»Nichts geregelt!«
Ahrtal-Katastrophe im Untersuchungsausschuss
Die Ermittler sollen offenbar nicht genügend Belege gefunden haben, nach denen die beiden effektiver hätten handeln können, um Menschen zu retten. Die Informationslage sei zu diffus gewesen, heißt es. Die administrative und politische Verantwortung habe zwar beim Landrat gelegen, so der Staatsanwalt. Nicht aber die strafrechtliche.

Die Hinterbliebenen haben jetzt noch die Möglichkeit, gegen die Einstellung des Verfahrens vorzugehen und könnten eine Beschwerde einreichen. Opferanwalt Christian Hecken spricht von einem Justizskandal und hat angekündigt, Beschwerde einzureichen. Er fordert auch den Rücktritt des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP). Der habe einen Antrag auf Ersetzung der Staatsanwälte wegen Befangenheit ignoriert und sei für zwei Jahre chaotischer Ermittlungen mitverantwortlich.

Denn in einem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtages von Rheinland-Pfalz kam heraus: Selbst Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer war doch wesentlich früher über die drohende Flutkatastrophe im Ahrtal informiert worden als bisher bekannt. Bereits um 16:20 Uhr am 14. Juli hatte die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr im Landratsamt um das Ausrufen des Katastrophenfalls gebeten. Sie hatte die Prognosen gesehen, wie sich die Pegelstände derart entwickeln würden. Doch erst, als Altenahr bereits vollkommen überschwemmt war, viele Häuser zerstört und Menschen von den Fluten fortgerissen wurden, rief der Landrat den Katastrophenfall aus.

14./15. Juli 2021
Im Ahrtal ist die Zeit seit zwei Jahren stehengeblieben
Auch der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), wusste rechtzeitig Bescheid. Der war am Abend der Katastrophe noch in Bad Neuenahr und besuchte die technische Einsatzleitung – doch ohne einen Katastrophenalarm zu starten, obwohl Behörden schon gewarnt hatten. Am späten Nachmittag des 14. Juli haben sich dem Bericht zufolge Dreyer mit Lewentz und der damaligen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) am Rande des Landtagsplenums ausgetauscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesanstalt für Umwelt bereits einen dramatischen Pegelstand von mehr als fünf Metern prognostiziert.

Pföhler war seinerzeit schnell abgetaucht. Er wies unmittelbar nach der Katastrophe zunächst Vorwürfe auf Versagen als »völlig deplatziert und geschmacklos« empört zurück. Niemand könne derzeit im Bund, Land oder Kreis seriös die Fragen nach den Verantwortlichkeiten beantworten. Der Landkreis sei vom rheinland-pfälzischen Landesumweltamt in automatisch verschickten Mails vor der Flutkatastrophe gewarnt worden. Doch dort habe jedoch niemand rechtzeitig reagiert. Gegen 21:30 Uhr wurde vor einem erwarteten Pegelstand von fast sieben Metern gewarnt, doch der Landkreis habe erst gegen 23:00 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen und Evakuierungen eingeleitet.

Mit dürren Worten feuerte damals schließlich die CDU-Fraktion im Kreistag Ahrweiler ihren Landrat: »Landrat Dr. Jürgen Pföhler kann krankheitsbedingt sein Amt absehbar nicht mehr ausüben. Der Schritt von Landrat Dr. Jürgen Pföhler, sein Amt nicht mehr wahrzunehmen, war daher notwendig und unausweichlich.« Pföhler war danach krankgeschrieben und stellte einen Antrag auf dauerhafte Dienstunfähigkeit.

Umweltministerin Spiegel ließ um 16:43 Uhr noch eine Pressemitteilung verschicken, nach der kein extremes Hochwasser drohe. Die Präsidentin des Landesamtes für Umwelt erklärte überdies, man behalte die Lage im Blick. Doch Spiegel schlug ebenfalls kein Alarm. Überdies hatte seinerzeit sogar Armin Schuster, der Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz versucht, die Schuld den Opfern und unteren Behörden zuzuschieben: »Einige Opfer haben Grundregeln nicht beachtet.«

Schon Tage vorher allerdings gab es Wetterwarnungen auch vor einer katastrophalen Lage mit heftigem Starkregen und Überschwemmungen. Sie wurden ignoriert. Niemand hätte bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal sterben müssen. Eine rechtzeitige Warnung wäre möglich gewesen, denn das Ausmaß der bevorstehenden Flutkatastrophe hätte den zuständigen Behörden rechtzeitig klar sein müssen.

Das bestätigte übrigens auch der Wetterexperte Jörg Kachelmann vor den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses zur Hochwasserkatastrophe an der Ahr. Kachelmann: »Viele Stunden vor dem Unglück war aus meteorologischer Sicht bereits klar, dass etwas passieren wird, was seit Anbeginn der Messung noch nie passiert ist.« Eine Flutwelle käme nie plötzlich, zuvor müsse es viele Stunden lang regnen. Bereits zwei Tage vorher hätten die Behörden Evakuierungen einplanen und die Bevölkerung vorwarnen können und müssen, betonte Kachelmann.

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Kommentare ( 79 )

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Wolfgang M
8 Monate her

Das Problem geht viel früher los.
Der Landtag von NRW hat das Problem frühzeitig erkannt und beschlossen, in der Nähe der Quelle der Ahr in NRW Ausgleichsflächen zu schaffen. Der damalige Ministerpräsident von NRW, Herr Laschet, hat das Vorhaben nicht vorangetrieben und die Grünen in NRW haben das Vorhaben sogar sabotiert.
Ich frage mich, warum sich niemand an Herrn Laschet und an die NRW-Grünen wendet. Die hätten das Unglück verhindern können, wenn sie die Beschlüsse des Landtages umgesetzt hätten. Herr Laschet und die NRW-Grünen sind für die Flutkatastrophe im Ahrtal verantwortlich.

Contra Merkl
8 Monate her

Bei über 130 Toten wird keine Anklage erhoben aber einen Björn Höcke zieht man wegen den 3 Worten Alles für Deutschland vor Gericht. Vergewaltiger laufen auf Bewährung gleich wieder frei rum während man GEZ Nichtzahler einsperrt. Hier ist auch das Rechtssystem völlig korrumpiert, was unterscheidet uns noch von einer Bananenrepublik ? Die Grenzen stehen nach wie vor noch offen, wer kommen will, kommt einfach. Und die wundern sich noch immer über den Zulauf bei der AfD ? Wie kann das nur passieren ? Bestimmt manipuliert Putin hier die Wahlen, macht der das auch mit einer PK wie Merkel in Thüringen… Mehr

DummUndDuemmerLand
8 Monate her
Antworten an  Contra Merkl

Genau dieser Widerspruch Ahrtal/Höcke (in jeweils derselben Nachrichtensendung – z.T. sogar unmittelbar hintereinander) war mir auch aufgefallen. Die Eliten schützen sich gegenseitig und grob fahrlässige Tötung in 135 Fällen wird mal eben in nicht justiziable ‚Charakterschwäche‘ vom weisungsgebundenen Oberstaatsanwalt umgemünzt. Ein empörender, aber leider nicht mehr überraschender Justizskandal. Zu Höcke: Mit brutalen Neonazis in der Ukraine beim und seit dem Putsch 2014 hatten Politik und Justiz hierzulande allerdings kein Problem – solange es gegen Russland ging (s. tinyurl.com/9xj4a2j5). Nimmt man noch den seit Monaten vor den Augen der untätigen Weltöffentlichkeit praktizierten Völkermord an der palästinensischen Gaza-Zivilbevölkerung als klares Kriegsverbrechen Israels… Mehr

greenout
8 Monate her

Ist doch überall so, wegen der Verantwortung hohe Gehälter einschieben und dann jede Verantwortung von sich schieben
Im Gericht dann: die auf Gehaltsliste ganz vorne sind sitzen dann im Gericht ganz hinten

Querdenker73
8 Monate her

Musste ja eingestellt werden! Wie wäre es sonst zu erklären, dass der Bundesgrüßaugust Frau Dreyer einen Orden überreichte??

NochNicht2022
8 Monate her

Dieser Justizskandal sendet folgende Signale aus, besser: Wird u. a. zu diesen Einschätzungen, Verhaltensweisen, Folgen usw. führen: Der Katastrophenschutz, sprich vorbeugende und weitreichende Maßnahmen einschl. Investitionen zur Gefahrenabwehr (z.B. Dämme, Polderflächen, Alarmsirenen), ist nunmehr gegenstandslos. In keinem Fall kann ab heute nachträglich begründet werden: Wäre dieses und jenes veranlaßt worden, hätte es Schäden in Milliardenhöhe und ggf. auch Menschenleben gerettet. Der Nachweis zu führen ist auch nicht erwünscht. Das bedeutet: Man braucht keine Milliarden für Investitionen und Maßnahmen mehr ausgeben. Denn: Der („menschengemachte“) Klimawandel ist so unberechenbar (!), daß man nichts mehr machen kann und hätte können … Also braucht… Mehr

Sonny
8 Monate her

Es ist einfach unglaublich, wie tief die Korruption in puncto Verantwortung in der Politik Deutschlands verankert ist.
Wäre schön zu wissen, wessen Stimmen und Befehlen die Staatsanwaltschaft und Richterbank Koblenz gefolgt ist, um die Täter reinzuwaschen. Zu einer anderen Schlussfolgerung kann man bei der Einstellung des Verfahrens garnicht kommen.
Ein echter Justizskandal, da hat der Opferanwalt absolut recht. Ein Justizskandal, der im übrigen von den anderen (Hof-) Medien einfach ignoriert wird – auch das folgerichtig absolut erwartbar.
Der übelriechende Gestank in diesem Land nimmt ungeahnte Ausmaße an.

Last edited 8 Monate her by Sonny
ReneKall
8 Monate her

Ja so ist es, im besten Deutschland aller Zeiten, der Bananen Republik Deutschland. Die Staatsanwaltschaft ist nicht unabhängig, sondern berichtet an das Innenministerium. Ein kleiner Hinweis an den Oberstaatsanwalt (natürlich nur per Telefon) reicht da schon aus. Der Oberstaatsanwalt will ja seinen Posten behalten und vielleicht noch weiter Karriere machen. Man kennt sich, man hilft sich. In Köln nennt man es Küngel, in Afrika Korruption
.
Und der Kachelmann liegt falsch mit der „seit Anbeginn der Messungen“ Behauptung. Aber der ist ja auch der Klimasekte angehörig und das musste demnach in seine Aussage hinein.

Ein Mensch
8 Monate her

Lustig, da hat doch wohl noch jemand an den Rechtsstaat geglaubt. Dieses naive Vertrauen der Deutschen in die Rechtsprechung ist absolut lächerlich. Wie vieler Skandalurteile oder Verfahrenseinstellungen bedarf es eigentlich noch bis der gemeine Bürger merkt das er verarscht wird. Warum sollten die handelnden Personen des Staates etwas an ihrer Praxis der Verarschung ändern, die Schafe wählen sie doch immer wieder. Das Ahrtal ist das leuchtende Beispiel der Dummheit der Wähler. AfD würde helfen, aber die sind ja BÖSE.

Teiresias
8 Monate her

Hat irgendjemand etwas Anderes erwartet`?
Die einzige Variable war der Zeitpunkt der Einstellung ds Verfahrens.
Rechtsstaat war einmal. Vielleicht.

Die Wahrheit
8 Monate her

Echt schlimm – aber wieviel Menschen hat den der Ruinator bis jetzt in den Suizid getrieben. Ganz sicher mehr – aber darüber wird leider nicht berichtet. Und er freut sich auch noch darüber ganz öffentlich. Wiederlich der Typ.