Tichys Einblick
BÜNDNIS „VIELFALT IM FILM“

Neues Aktionsfeld: Diskriminierung in der Film- und Fernsehbranche

Große Umfrage unter Filmschaffenden fahndet nach „Ausschlüssen, Diskriminierungserfahrungen und prekären Verhältnisse“ in der deutschsprachigen Film- und Fernsehwirtschaft | Geplant sind Empfehlungen adressiert an Politik und Hauptakteure | Schauspielerin Katja Riemann spricht von „Vorurteilen, Missgunst, Hierarchien, Machtmissbrauch, Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung und typischen Besetzungen in mutlosen Formaten und Filmen“ | Und was nun? Liegt die Zukunft im Quoten-Film?

IMAGO / Westend61

Seit geraumer Zeit sind Frauen- und harte oder weiche „Migrantenquoten“ ein zentrales Thema im öffentlichen Diskurs. Ein weiteres Thema drängt sich gerade in die Öffentlichkeit: die „Vielfalt in den Medien“. Ein breites Bündnis aus Filmfirmen, staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Organisationen hat sich jetzt die deutschsprachige Film- und TV-Branche vorgenommen, um deren „Diversität“ zu erheben. Bei genauerem Hinsehen eine komplexe Aufgabe.

Die Neuen Deutschen Medienmacher hatten bereits in ihrer Studie „Diversity im deutschen Journalismus“ moniert, es säßen zu wenige Personen mit Migrationshintergrund auf den Chefsesseln der Redaktionen. „Je gleichförmiger und homogener Redaktionsteams gestaltet sind, desto schwerer dürfte es fallen, bei dieser Arbeit vielfältige Perspektiven und Themen der Gesellschaft vorurteilsfrei aufzugreifen.“ Auch bezogen auf das Fernsehprogramm ist Vielfalt/„Diversität“ seit Längerem ein Thema, zum Beispiel, wenn es um die Zusammensetzung der Gästelisten reichweitenstarker öffentlich-rechtlicher Talkshows geht. Und die berühmten Oscars sollen ab 2024 Frauen und Minderheiten stärker berücksichtigen.

Erste umfassende Erhebung für deutschsprachige Film- und Fernsehbranche

Demnächst sollen Befunde einer bundesweiten Umfrage der Initiative „Vielfalt im Film“ (VIF), veröffentlicht werden. Es handelt sich nach Angaben der Verantwortlichen um die „erste umfassende Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten (ADGD) in der deutschsprachigen Film- und Fernsehbranche“. Sie startete Mitte 2020 und ist laut VIF-Website inzwischen beendet. Auf der Grundlage der Ergebnisse wollen die Verantwortlichen „geeignete und gezielte Maßnahmen zur Inklusion, zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit und des Arbeitsklimas“ vorschlagen. „Die Empfehlungen werden der Politik und Hauptakteuren der Filmbranche zur Verfügung gestellt, damit sie die Expertise und Einblicke aus dem Arbeitsalltag der Filmschaffenden als Ressource für strategische Entscheidungen nutzen, um Diskriminierung abzubauen und ein gerechtes und wertschätzendes Arbeitsklima zu fördern.“

„Wie divers ist die deutschsprachige Film- und Fernsehbranche vor und hinter der Kamera? Welche Ausschlüsse, Diskriminierungserfahrungen und prekäre Verhältnisse gibt es und wie können wir die Filmbranche gerechter gestalten?“ Das Befragungsinstrument erfasse „Diversität und Diskriminierung unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Vorgaben und aktueller Erkenntnisse der Diskriminierungs- und Rassismusforschung“ und integriere die Aspekte: Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und Identität, Behinderung/Beeinträchtigung, Religion/Weltanschauung, Migrationshintergrund/ethnische Herkunft, rassistisch Diskriminierte sowie darüber hinaus sozialer Status und Ost-/Westsozialisation“. Zielgruppe der Online-Befragung im letzten Jahr waren über 30.000 Filmschaffende im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) in 440 Berufen.

Auffällig ist schon hier die Auslegung des Begriffs Vielfalt, die, wie es scheint, primär die aktuell im politischen Raum heiß diskutierten üblichen personen-bezogenen Aspekte aufgreift, nicht aber einbezieht, dass beispielsweise auch Minderheiten wie die Sorben in Filmen sicher nicht überrepräsentiert sind oder dass es die niederdeutsche Sprache nie richtig ins Fernsehen geschafft hat. Und noch etliche weitere Aspekte, die das reale Leben vielfältig machen, etwa das Wohn- oder Arbeitsumfeld der Protagonisten eines Films, dürften unterbelichtet bleiben. Dabei kann jeder Beobachter mit ein wenig TV-Konsum rasch feststellen, dass Landbewohner oder Fabrikarbeiter im Fernsehen eher zu den Minderheiten zählen, Rotwein-Trinker gut vertreten sind. Und würde in Film und Fernsehen die Realität abgebildet, wären eher Twingo und Golf zu sehen als BMW, Audi und Mercedes.

Citizens für Europe und Plattform Crew United als Teil eines breiten Bündnisses

Die Studie zur Vielfalt im Film wird von Citizens For Europe gUG (CFE) zusammen mit der Plattform Crew United, die den Verteiler der Fragebögen kontrolliert, durchgeführt. CFE ist eine zivilgesellschaftliche Organisation und ein gemeinnütziges Sozialunternehmen mit Sitz in Berlin mit einem großen Netzwerk aus über 70 Partnern, dem unter anderem die SPD, verdi, die Heinrich Böll Stiftung, die Friedrich Ebert Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, Die Neuen Deutschen Medienmacher, die Neuen Deutschen Organisationen sowie die Senatsverwaltung Berlin für Kultur und Europa angehören. Crew United ist eine Online-Datenbank für Filmschaffende, die mit Stand Februar Daten über 243.000 Freelancer, gut 58.000 Firmen, mehr als 113.000 „Schauspieler*innen“ und über 217.500 Projekte versammelte.

Zur Initiativgruppe von Vielfalt im Film zählen die Filmuniversität Babelsberg, die Queer Media Society, die Schwarze Filmschaffende Community und der Film- und Serienproduzent Panthertainment. Finanziell unterstützt wird das Projekt unter anderem von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Bundesagentur für Arbeit, der Pensionskasse Rundfunk, Netflix, der Constantin Film, der MFG Filmförderung Baden-Württemberg, dem FilmFernsehFonds BAYERN, und der HessenFilm und Medien sowie den Grünen im Landtag Bayern. Andere Organisationen unterstützen „ideell“.

Knackige Statements von Prominenten

Wir wissen noch nicht, was bei der Umfrage herausgekommen ist. Man darf aber annehmen, dass sie deutliche Defizite an „Diversität“ kritisieren wird und alle Produktionsfirmen und visuellen Medien zu mehr Vielfalt, wie auch immer die dann konkretisiert ist, auffordern wird. Eine Reihe von Prominenten aus Fernsehen und Film hat mit knackigen Testimonials auf der Website bereits die Richtung vorgegeben:

• Katja Riemann, Schauspielerin und Autorin: Eine anonyme Umfrage durchzuführen, um von Realitäten innerhalb der Branche zu berichterstatten, von Voreingenommenheit, Vorbehalten, Vorurteilen, von Missgunst, Hierarchien, Machtmissbrauch, Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung und typischen Besetzungen in mutlosen Formaten und Filmen, um im besten Fall diese kompakten Informationen zu benutzen für ein Updaten in allen Gewerken, das fände ich eine gute Sache, damit endlich Diversität in der deutschen Filmbranche entsteht.

• Minh-Khai Phan-Thi, Schauspielerin und Moderatorin: Jeder 4. in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Im Film spiegelt sich das aber nicht wider.

• Erwin Aljukic, Schauspieler: Sehen wir nicht in naher Zukunft mehr POC, Schauspieler*innen mit Behinderung oder jeglichen Alters in Film/TV, werden queere Lebensentwürfe oder unterschiedliche Herkunftserfahrungen selbstverständlicher Teil der Geschichten, bleibt es [Diversity] nur ein hohler Begriff.

• Caroline Link, Regisseurin und Drehbuchautorin: Jede Stimme, die nicht aus der sogenannten Mitte kommt, macht unsere Filme komplexer und damit besser.

• Lara-Sophie Milagro, Schauspielerin: Ich wünsche mir, dass der deutsche Film … die Realität der deutschen Bevölkerung und ihrer Geschichten im 21. Jahrhundert in all ihrer Vielfalt abbildet!

• Gustav Peter Wöhler, Schauspieler, Sänger und Hörspielsprecher: Wo ist das Bunte im Film und Fernsehen?

Zumal das Statement von Katja Riemann erweckt den Eindruck, als sei die Welt der Filmschaffenden der Vorhof zur Hölle. Ein Beispiel für die Aufgeregtheit und Rigorosität, mit der derzeit gesellschaftliche Veränderungen gefordert werden.

Wo ist das Bunte in Film und Fernsehen?

Die „sogenannte Mitte“ – evtl. vertreten durch viel gesehene Serien wie „Der Bergdoktor“, „Frühling“, „Die Kanzlei“ oder „In aller Freundschaft“ – scheint ein Ort der konventionellen bürgerlichen Öde zu sein. Andererseits wird in dem aufregenden und beim Publikum beliebten Genre Kriminalfilm sicher zu viel gemordet und betrogen, als dass dies unser aller „Lebensrealitäten“ widerspiegelte. Dennoch: Der meistgesehene Fernsehfilm des Jahres war 2020 mit 13,80 Millionen Zuschauern der WDR-Tatort: „Es lebe der König!“ mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers und Mai Duong Kieu im Ersten.

Nun sind (anonyme) Befragungen dazu, ob und inwieweit soziale Gruppen in einer Branche nach Meinung der Betroffenen benachteiligt sind, sicherlich eine gangbare Methode, um Eindrücke einzufangen, vorausgesetzt man vergisst nicht, dass hier 1. wie in vielen vergleichbaren Umfragen subjektive Erfahrungen zusammengetragen werden und dass 2. die Teilnehmer solcher Umfragen überproportional aus persönlich mit der Situation unzufriedenen Menschen bestehen dürften.
Eine alternative Vorgehensweise bestünde darin, eine stichprobenartige Inhaltsanalyse der aktuelleren, fürs Kino und für Fernsehsender vorgesehenen Film- und Fernsehproduktionen vorzunehmen, wollte man die Sichtbarkeit einzelner Schauspielergruppen und Rollen in den Film- und TV-Produktionen genauer untersuchen. Dies wäre aber deutlich aufwändiger. Eine solche Methode würde immerhin daran erinnern, dass eine Reihe von kreativen, experimentellen, am Dokumentarfilm orientierten Filmen mit ungewöhnlicheren, anspruchsvollen Stoffen in Programm-Kinos und Spartenprogrammen/Nischensendern des Fernsehens laufen (Arte, 3sat, ZDFneo, One, Servus) bzw. in den hiesigen Hauptprogrammen zu nicht so zuschauerstarken Zeiten ausgestrahlt werden. Gleichzeitig gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass das mehr oder weniger „vielfältige“ Weltbild des bundesdeutschen Normal-Fernsehzuschauers und -Kinogängers beileibe nicht nur von im Ursprung deutschsprachigen Filmproduktionen geprägt ist, sondern ebenso von ausländischen und multinationalen Serien und Spielfilmen, gleichfalls von journalistischer Information, Sport, non-fiktionaler Unterhaltung, Reality TV mit all ihren Akteuren.

Wie erhebt und konkretisiert man Diskriminierung?

Grundsätzlich ist das Anliegen des neuen Netzwerkes, keine sozialen und ethnischen Gruppen systematisch zu vernachlässigen und „auszugrenzen“, selbstverständlich nachvollziehbar und legitim. Die Gretchenfrage bleibt aber, wie man die befürchtete bzw. unterstellte Diskriminierung verlässlich erhebt und mit welchen konkreten Maßnahmen man, sollten sich Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten nachweisen lassen, gegebenenfalls gegensteuern will und kann.
Dabei wäre prinzipiell zu klären, inwieweit Filme, also kulturelle Phänomene, gesellschaftliche Verhältnisse und die Bevölkerung statistisch repräsentativ darstellen sollen und können („Jeder 4. in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Im Film spiegelt sich das aber nicht wider.“) Eine Frage, die sich in der Konsequenz dann auch für andere verwandte Bereiche – Theater, Romane, Hörspiele, Kinderbücher – stellen würde. Zu unterscheiden sind auf jeden Fall erzählende Spielfilme/Serien mit fiktiven Stoffen und Filme mit eher dokumentarischem Anspruch, die über das wahre Leben berichten möchten.

Drei Ebenen von „Vielfalt“

Logisch zu unterscheiden bei der Analyse von „Vielfalt im Film“ sind dabei drei unterschiedliche Ebenen:

  1. die erzählten Stoffe und Geschichten,
  2. die Darsteller (a) in ihren gespielten Rollen bzw. (b) als Menschen/Schauspieler mit bestimmten persönlichen Merkmalen und
  3. die Macher hinter der Kamera, die Stoffe entwickeln, über deren Umsetzung entscheiden bzw. Filme realisieren.

1. Repräsentanz in den erzählten Stoffen und Geschichten

Es ist unstrittig, dass es im Film unendlich viele Geschichten zu erzählen gibt. Beispiele hierfür präsentiert Crew United im Bereich „Projekte“. Auch die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf produziert zahlreiche film-künstlerische Werke. https://www.filmuniversitaet.de/ Als Mitglied der VIF-Initiativgruppe konzentriert sich Panthertainment, gegründet und geführt von Schauspieler und Produzent Tyron Ricketts, auf „Geschichten von People of Color“ für den globalen Markt. Zu den Projekten gehört das Serienformat „The Break“, die Geschichte einer jungen deutschen Frau auf der Flucht durch Mittelamerika, und das Serienformat „Der Park“ mit einem „aufstrebender Politiker einer links angesiedelten Partei“ als Hauptdarsteller, „der in Notwehr unbemerkt einen jungen afrikanischen Drogendealer umbringt und damit Öl in das bereits lichterloh brennende politische Feuer in Berlin und ganz Deutschland gießt.“

Im 2020 erschienenen preisgekrönten Film „Futur Drei“ von Faraz Shariat geht es um den queeren Sohn iranischer Einwanderer. „ … Nach einem Ladendiebstahl leistet er Sozialstunden als Übersetzer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Dort trifft er auf das iranische Geschwisterpaar Banafshe und Amon. Zwischen ihnen entwickelt sich eine fragile Dreierbeziehung, die zunehmend von dem Bewusstsein geprägt ist, dass ihre Zukunft in Deutschland ungleich ist.“ Junge Filmschaffende mit Migrationsgeschichte haben hier vor und hinter der Kamera gearbeitet. Dazu erklärt der Regisseur und Autor Dieu Hao Do: „Da ist auch ein fiktives künstlerisches Sicherheitsgefühl irgendwie da. Wenn man eine weiße Person statt einer anderen Person besetzt, weil das anscheinend besser ankommt. Ich glaube, da müssten wir uns alle mehr in die Verantwortung nehmen und sagen: So sieht die Gesellschaft heute nicht mehr aus …“.
Es existiert also bereits ein (begrenzt) buntes Filmschaffen, wobei die Finanzierung der einzelnen Projekte und ihre Chance, ein breiteres Publikum zu finden, sicherlich stark variieren.

2. Repräsentanz von Darstellern in ihren gespielten Rollen bzw. als Personen/Schauspieler

Hier dürfte ein Handicap darin bestehen, dass man nicht bei allen Personen, die vor der Kamera Rollen verkörpern, deren soziodemografische Merkmale (er-)kennt – sofern man diese denn erkennen will. Die sexuelle und geschlechtliche Orientierung der Schauspieler bleibt ohnehin im Dunkeln, ausgenommen, es handelt sich um jene 185 „lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspieler*innen“, die sich Anfang Februar im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ geoutet haben und „mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen“ forderten. Es werde ihnen von Agenten-, Casting- oder Produktionsseite immer noch geraten, ihre sexuelle Orientierung zu verheimlichen.

Dabei ist eigentlich zu unterstellen, dass Schauspieler mit jedwedem Merkmal fast alle Rolle spielen können, sollen und müssen, denn das ist ihr Beruf. Es gibt jedoch unstrittig Schauspieler mit Migrationshintergrund, die in bestimmten Rollen häufiger besetzt werden. So beklagt Tyron Ricketts, 2006 bis 2009 Kommissar bei „Soko Leipzig“, er habe vergeblich gehofft, dass auch die Rollen, die er danach bekommen könne, „ganz normale Rollen“ seien. Als Hoteldirektor Mike Kulovits in „Die Inselärztin“ war er allerdings zuletzt durchaus in einer „normalen Rolle“ zu sehen. Und von der Stereotypisierung sind auch „deutsche“ Schauspieler nicht ausgeschlossen. Man denke nur an Götz Otto, der nach seinem Auftritt im James-Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ „immer den Bösewicht spielen“ muss. https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.goetz-otto-darum-muss-er-immer-den-boesewicht-spielen.4485e1d0-e893-464e-93af-65d07ddd0d5b.html

3. Repräsentanz von Gruppen mit bestimmten Merkmalen hinter der Kamera/Arbeitsklima.

Wer mehr Vielfalt hinter der Kamera wünscht, hegt wohl die zumindest implizite Annahme, dass eine türkei- oder afrikastämmige oder lesbische Drehbuchschreiberin „andere“, neuartigere Stoffe entwickelt als ihre ur-deutsche heterosexuelle Kollegin, Frauen, Minderheiten und Migranten besondere Zielgruppen bedienen wollen. Zumal die Befürworter fester Quotierungen versprechen sich auch mehr Einfluss. Der Verein ProQuote https://www.pro-quote.de/verein/was-wir-machen/ fordert, „dass 50 Prozent der Führungspositionen in den Redaktionen mit Frauen besetzt werden – wir wollen die Hälfte der Macht!“

Für die Zielsetzung, bestimmten Kreisen mehr Chancen zu geben, wäre es fairerweise wichtig zu untersuchen, wie das Reservoir der verschiedenen Gruppen aussieht, die angemessen vertreten sein sollen; wie sich zum Beispiel die Schülerschaft an Schauspielschulen, die später für Rollen zur Verfügung steht, zusammensetzt. Nun ist es ja nicht so, dass Frauen und Minderheiten in wichtigen Positionen in deutschen Film und Fernsehproduktionen der jüngeren Jahre nicht vorkommen. Als Folge einer Selbstverpflichtung seien 15 der 37 „Tatort“-Folgen des Jahres 2020 von Regisseurinnen inszeniert worden, ermittelte z.B. jüngst das Magazin „TV Spielfilm“ https://www.welt.de/vermischtes/article226599901/ARD-Im-Tatort-inszenierten-2020-so-viele-Regisseurinnen-wie-noch-nie.html Zu diskutieren bleibt natürlich, ob es insgesamt „genügend“ sind.

Ausgewählte Studien

Einen statistischen Überblick über das Schaffen der Film- und Fernsehbranche zu gewinnen, ist nicht einfach. Meist werden von der Forschung Teilaspekte untersucht. So analysierte ein Projekt des Adolf Grimme Instituts 2005/2006 Familienbilder und -themen in Fernsehsendungen. 2017 veröffentliche die Filmförderungsanstalt die Studie „Gender und Film“. Sie stellte fest, dass in der Branche der Anteil der Frauen gerade in den Schlüsselpositionen drastisch niedriger als der ihrer männlichen Kollegen sei. Drehbücher wurden zu 60 Prozent von Autoren, zu 23 Prozent von Autorinnen und zu 16 Prozent von gemischtgeschlechtlichen Teams verfasst.

Die Rostocker Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer hat in der Studie „Geschlechterdarstellungen und Diversität in Streaming- und SVOD-Angeboten“ https://malisastiftung.org/studie-geschlechterdarstellungen-diversitaet-streaming-und-svod-serien/ den geringen Frauenanteil im Fernsehen hervorgehoben. Untersucht wurden knapp 200 Serien von Anbietern wie Netflix, Amazon Prime, Sky und TNT Deutschland, die zwischen Januar 2012 und Juli 2019 auf den Plattformen veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich sowohl um deutsche als auch um Produktionen aus anderen Ländern. Prommer entdeckte insgesamt „vielfältige sexuelle Lebensentwürfe“. Unter den Figuren, bei denen eine sexuelle Orientierung erkennbar war, waren 9 Prozent als lesbisch, schwul, bisexuell oder queer einzuordnen. In deutschen Produktionen waren 89 Prozent der zentralen Rollen „weiß“ besetzt, keine wurde von der Forscherin als schwarz oder asiatisch identifiziert, 11 Prozent rechnete sie dem Mittleren Osten zu. Der Frauenanteil in zentralen Rollen in deutschen Produktionen wurde auf gut ein Drittel beziffert. Es blieben Geschlechterstereotypen verankert, so die Forscherin. Frauen seien häufiger jung, schlank und häufiger als Männer in Berufsfeldern wie Verkauf und Gesundheit tätig. „Demgegenüber sind rund 90 Prozent der Figuren, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden können, männlich.“

Gerade die letzte Feststellung wirft die Frage auf, ob die Stereotypen nicht auch mit Lebensrealität zu tun haben. Rollen- und kulturelle Stereotype entwickeln sich als Überzeichnung realer Verhältnisse, verändern sich in der Regel langsamer als die Realität, und viele fiktive Geschichten leben in gewissem Maß von stilisierten Rollen (z.B. bösen versus guten Charakteren).

Tendenz zu „Selbstverpflichtungen“

Was tun diejenigen, die „mehr Vielfalt“ fordern? Vereinzelt gibt es bereits „Selbstverpflichtungen“. So hat die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) für den Antragsteller verpflichtende Diversitäts-Checklisten für Spielfilme und fiktionale Serien/Development und Produktion sowie den Spielfilm-Verleih entwickelt. https://www.ffhsh.de/de/ueber_die_filmfoerderung/diversity-checklist-filmfoerderung.php Unter der Überschrift „Development“ wird unter anderem nach den aufgegriffenen Themen gefragt, etwa: Migration und Vertreibung/Hautfarbe bzw. People of Color/ sexuelle Identitäten. Man will auch wissen, ob „Figuren mit einem unterprivilegierten sozioökonomischen Hintergrund dargestellt“ werden und „durch welche Ansätze in der Figurenentwicklung klischeehafte Rollenbilder vermieden werden“. Das klingt so, als dürfe es im Film keine aus Osteuropa eingeschleusten Prostituierten, braven Hausfrauen und Mafiosi mit Stammsitz Sizilien mehr geben. Die FFHSH verweist in ihren Fragebögen explizit auf Daten des Statistischen Bundesamtes zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund (25 %), armen und ausgegrenzten Personen (18,7 %), schwerbehinderten Personen (9,4 %) und Schätzungen über die Größe der LGBTQ-Gemeinde (7,4 %). Man ahnt, dass es für die Gewährung von Fördergeldern nicht unvorteilhaft ist, bestimmte Themen anzugehen.

Auch die große Produktionsfirma UFA, die seit 1964 zum Bertelsmann-Konzern gehört und heute von dem Regisseur und Produzenten Nico Hofmann geführt wird, hat sich zu „Diversity“ bekannt. Es gehe aber nicht darum, so Hofmann gegenüber der F.A.Z., eine lange Liste von Diversitätskriterien (vor allem zu Gender, LGBTIQ, People of Color und Menschen mit Beeinträchtigungen) abhaken zu müssen, sondern es gehe darum, dass gewisse Gruppen „gar nicht beachtet oder klischeehaft wahrgenommen“ werden. „Wenn Sie sich das deutsche Fernsehen und auch die UFA-Produktionen ansehen, sei es mit Blick auf People of Color, Migrationshintergrund oder Sexualität, dann finden Sie oft Alibi-Besetzungen, die nicht wirklich vom Klischee abweichen. Das stelle ich fest, wenn ich mir anschaue, was in den letzten 25 Jahren produziert worden ist. Uns geht es darum, das herumzudrehen. Es geht uns um eine neue Selbstverständlichkeit.“

Allerdings verkündet die UFA auf ihrer Website zugleich:
„Als erstes deutsches Unterhaltungsunternehmen verpflichtet sich die UFA … zu mehr Diversität vor und hinter der Kamera. Ziel ist es, bis zum Ende des Jahres 2024 im Gesamtportfolio der UFA-Programme eines Jahres die tatsächliche Diversität der Gesellschaft abzubilden. Als Orientierung dient dabei der Zensus der Bundesregierung [gemeint wohl: Daten des Statistischen Bundesamtes]. Die UFA wird die in der Selbstverpflichtung formulierten Ziele und programmlichen Quoten monitoren und auswerten. Ende 2021 soll die erste umfassende Auswertung der Ergebnisse stattfinden und veröffentlicht werden.“

Das hört sich, mit Verlaub, durchaus nach einer formalen Quotierung an. Wobei das Statistische Bundesamt ja zu vielen soziodemografischen Merkmalen gar keine Angaben macht. Die Größe des LGBTIQ-Kreises, der Anteil schwarzer Menschen oder der Religionsangehörigen des Islam an der Bevölkerung beruhen in der Regel auf reinen Schätzungen. Und „People of Color“, obwohl derzeit ein beliebter Begriff, ist und bleibt statistisch diffus.

Die Frage steht im Raum, inwieweit das Gesamt-Portfolio der UFA (und vielleicht weiterer nachfolgender Firmen) sich künftig in Anlehnung an solche Selbstverpflichtungen eher an interessanten kreativen Filmthemen und kompetenten Filmemachern orientiert, inwieweit stärker an Personengruppen, die in vorgegebenem Umfang vor und hinter der Kamera sichtbar gemacht werden sollen. Letztlich im Sinne einer Identitätspolitik, welche einzelnen Gruppen eine zahlenmäßige Dimension zuweist.

Man darf vor diesem Hintergrund gespannt sein, welche konkreten Forderungen das Bündnis „Vielfalt im Film“, gerichtet an die Politik, Filmfirmen und Fernsehsender im deutschsprachigen Raum, erheben wird, sollte die Umfrage „prekäre Verhältnisse“ und eine maßgebliche „Diskriminierung“ einzelner Gruppen vor und hinter der Kamera nahelegen. Ob wir nicht doch bei Quoten-Filmen und Quoten-Filmgenres landen.

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