Europäische Regierungschefs reisen nach Kiew

Polens Ministerpäsident Mateusz Morawiecki und Vizepremier Jarosław Kaczyński reisten nach Kiew, um ihren Beistand den Ukrainern zu bekunden. Historische Analogien drängen sich auf, die in einer Zeit wachsender globaler Spannungen hilfreich sein könnten.

IMAGO / NurPhoto
Kiew, 14. März 2022

Der Besuch der Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien in Kiew ist nicht nur symbolisch bedeutsam. Inmitten des Verteidigungskriegs gegen die russische Aggression ist er mehr als nur eine mutige und lobenswerte Solidaritätsdemonstration. Das Treffen der Premiers mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj könnte gar zum historischen Momentum werden. Oder doch nicht? Nun, vieles hängt auch vom Westen ab, der bis heute nur wenige Finger gekrümmt hat, um den Ukrainern bei ihrem Kampf wirklich beizustehen.

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Die heutige Reise in die Ukraine, in ein Land, in dem der russische Angriffskrieg unvermindert weitergeht, erinnert an ein anderes historisches Ereignis. Um ihre Solidarität mit Georgien zu bekunden, brachen vor 14 Jahren – auf Initiative des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński – die Staatoberhäupter der Ukraine, Litauens, Lettlands, Estlands und Polens zu einem gemeinsamen Besuch in Tiflis auf. Während dieses Besuchs, der von den westlichen Medien weitgehend ignoriert wurde, hielt der Zwillingsbruder des heutigen polnischen Regierungsparteichefs Jarosław Kaczyński eine flammende Rede. „Russland hat sein wahres Gesicht gezeigt. Wir kennen es bereits seit Jahren. Es ist ein Russland, das sich seine Nachbarn unterordnen will. Heute ist es Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und dann ist mein Land dran – Polen!“, warnte der zwei Jahre später bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk umgekommene Staatspräsident.

Die polnische Regierung um Donald Tusk (PO), die sich damals um eine „Überwindung der Eiszeit“ mit Russland bemühte, stand dieser Reise von Beginn an „nicht wohlwollend“ gegenüber. Schon zu dieser Zeit ließ sich der angehende EU-Ratsvorsitzende vom „westlichen“ Wind treiben. Kurzum: Lech Kaczyńskis Warnungen während des Russland-Georgien-Konflikts wurden vom Westen schlichtweg überhört.

Obgleich sich ein Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik andeutet, läuft Putins Kriegsmaschinerie auf Hochtouren. Seit Jahren hat die polnische Regierung das Bundeskanzleramt darauf hingewiesen, dass Gasgeschäfte mit dem Kreml die Ukraine schwächen und Russland militärisch verstärken werden. Bis heute flanieren durch das Berliner Regierungsviertel Abgeordnete, die an ihrer Russland-Romantik festhalten und behaupten wollen, die Osterweiterung des defensiv ausgerichteten Nato-Bündnisses käme einer „Provokation“ gleich. Zwei Tage vor der russischen Invasion versicherten deutsche Postkommunisten und Sozialdemokraten, der Despot aus Moskau sei an einem Konflikt mit der Ukraine nicht interessiert. Und während eines zeitnahen Besuchs in Warschau, hielt die Grünen-Ministerin Steffi Lemke eine Rede, die sie mit „antiatomaren“ Tönen kulminieren ließ.

Im Kopf von Wladimir Putin
Andere deutsche Politiker wiederum bedauern heute zutiefst, dass es keinen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma der Nato gibt, weder als Kriegstreiber auftreten noch die Ukraine russischer Willkür überlassen zu wollen. Doch, gibt es. Noch ist es nicht zu spät zu begreifen, dass Russland – ganz gleich, ob in zaristischer, kommunistischer oder mafiös-oligarchischer Gestalt – zu einer westlich orientierten Diplomatie nicht in der Lage ist. Nicht erst die jüngsten Auftritte des Kremlchefs lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen. Nein, Wladimir Putin ist kein Paranoiker. Die wirren Ergüsse über einen „Völkermord“ im Donbas sowie eine „Denazifizierung“ der Kiewer Regierung sind durschaubare neoimperiale Manöver, die wir bereits seit Jahrzehnten kennen. Das heißt aber nicht, dass sie heute weniger gefährlich sind. Der Hobbyhistoriker aus Moskau hat im Geschichtsbuch zu weit zurückgeblättert. Seine Kriegsführung ist nicht mehr zeitgemäß und dabei hat er sich offenkundig arg verschätzt. Doch er ist nach wie vor bereit, bis zum Äußersten zu gehen.

Die gute Nachricht jedoch ist: Der russische Angriff hat etwas offengelegt, womit Putin nicht gerechnet hat und dem ukrainischen Volk stets abzusprechen suchte – jene genuin ukrainische Identität, die im 19. Jahrhundert der Nationaldichter Taras Schewtschenko vortrefflich zu besingen wusste und die der Kreml-Despot noch heute hartnäckig ignoriert. Der Ausgang des Kriegs ist zwar ungewiss, doch die Ukrainer haben längst einen ganz anderen Weg beschritten.

Wojciech Osiński ist Deutschland-Korrespondent des Polnischen Rundfunks

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Kommentare ( 19 )

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Gunter Zimmermann
2 Jahre her

Leider ist das Forum von TE eine der letzten Stätten, wo es noch Verständnis für diesen Kriegsverbrecher gibt. Das ist sehr schade, denn die Artikel selbst, auch der vorliegende Bericht über die Reise der osteuropäischen Politiker, sind ausgezeichnet. Dass Putin hoffentlich die Lust auf weitere Eroberungs- und Angriffskriege vergangen ist, liegt sicher nicht an der entschlossenen Politik westeuropäischer Politiker, sondern, wenn überhaupt, an dem mutigen und heroischen Widerstand des ukrainischen Volkes, das offensichtlich im Unterschied zu einigen Foristen nicht von Putin oder einer Marionettenregierung von seinen Gnaden regiert werden will.

friedrich - wilhelm
2 Jahre her
Antworten an  Gunter Zimmermann

..nein, es will, wie griechenland, lieber in die eu und an der natomacht partizipieren! es ist doch nach breczinsky ein wichtiger geopolitischer gegenstand der usa! hoffentlich wird d i e s e r kommentar wenigstens veröffentlicht.
at least from cambridge/mas.

Last edited 2 Jahre her by friedrich - wilhelm
friedrich - wilhelm
2 Jahre her
Antworten an  Gunter Zimmermann

……da muß ich aber auch einmal an ein paar europäische kriegsverbrecher erinnern: schröder, fischer, den bosnischen schlächter , den serbischen schlächte, madam albright, ergogan….diejenigen der letzten zeit….früher……., die sind aber teilweise schon in nürnberg verurteilt und bestraft worden.

Last edited 2 Jahre her by friedrich - wilhelm
Inana
2 Jahre her

Was soll denn das für ein Text sein? Russland wäre – egal in welche Verfassung zu westlicher Diplomatie nicht in der Lage? Und was daraus folgen? Einmarsch in Moskau durch das „defensiv orientierte NATO-Bündnis“?
Wir täten ziemlich gut, vorsichtig mit solchen manichäischen Überzeichnungen zu sein und übrigens auch für uns hier eine Linie zu formulieren, ab wann wir nicht mehr mitgehen. Übrigens hat 2008 Georgien den ersten Schuss abgegeben und die NATO ist kein „defensiv orientiertes Bündnis“, sondern verteidigt sin in der halben Welt und hat nichts als Erweiterungen im Kopf. Defensiv ist dann doch was anderes.

Alexis de Tocqueville
2 Jahre her

Klar, keine Provokation, das „defensiv ausgerichtete Nato-Bündnis“…
Das sehen die Serben aber ganz anders.

GefanzerterAloholiker
2 Jahre her

Wojciech Osiński ist Deutschland-Korrespondent des Polnischen Rundfunks und zwar einer, den man nicht zu ernst nehmen sollte. Putin hätte längst das Gas in der Ukraine abdrehen können. Tat er nicht. Im Gegenteil, Kiev hat unsere Automobilindustrie beschädigt. 85% des Landes namens „Ukraine“ ist von der sogenannten „Invasion“ gar nicht betroffen. Und genau die Gegend wo unsere Kabelbäume produziert werden, ist völlig friedlich. Im Übrigen ist der Nationalist auch bei Wojciech Osiński daheim, der als Pole erhebliche Gebietsansprüche auf die Ukraine hat. Und der eigentlich die Liquidierung von 60 000 Polen eher nach als mit dem Kriegsende 1945 bedauern sollte. Wenn… Mehr

Last edited 2 Jahre her by GefanzerterAloholiker
TschuessDeutschland
2 Jahre her

Die Ukraine macht ja gerade die Erfahrung, was die Freundschaft der NATO wert ist. Polen sollte das eigentlich mitbekommen. Die NATO-Mitgliedschaft mit pathologisch russophoben Ländern wie Polen als Sidekicks ist für D-Land ein existentielles Problem.

Warte nicht auf bessre zeiten
2 Jahre her
Antworten an  TschuessDeutschland

„Russophob“? Haben sie eigentlich mal gezählt, wieviele Jahrzehnte Polen von Rußland besetzt war. Niemand, wirklich niemand möchte unter russischer Herrschaft leben, niemand flieht in dieses Land. Dieses Land ist seit Jahrhunderten ein Land brutaler Unterdrückung und Ausbeutung des eigenen Volkes und anderer Völker. Ein bekannter Rußlandreisender vor 300 Jahren hat das bis heute bestehende Problem einmal so formuliert: Unklar ist, ob die Russen so sind, weil sie so brutal unterdrückt und ausgebeutet werden, oder ob sie brutal unterdrückt und ausgebeutet werden, weil die Russen so sind wie sie sind.

Alfonso
2 Jahre her

„Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien im Zug nach Kiew“

Deutsche Politiker trauen sich allenfalls bis in die Nähe der ukrainischen Grenze, allerdings auch nur auf den anderen Seite, in einem ukrainischen Nachbarland, um dort eine Fotosession fürs Eigenmarketing zu machen.

Dafür können sie aber viel besser Sprüche klopfen.

F.Peter
2 Jahre her
Antworten an  Alfonso

Na ja, man kann sich in der Ausdrucksweise auch ein wenig mäßigen. Diese Vertreter ihrer Länder haben zumindest eine gemeinsame Vergangenheit, was erklären kann, warum die die Köpfe zusammen stecken.

Gerd07
2 Jahre her

Dass der Westen bis heute nur wenige Finger gekrümmt hat, um den Ukrainern bei ihrem Kampf wirklich beizustehen kann man nun wirklich nicht sagen.

Ohne die seit 2017 von Präsident Trump eingeleiteten Lieferungen tragbarer Panzer- und Luftabwehrwaffen hätte die Ukraine den Krieg wahrscheinlich schon in der ersten Woche verloren. Besagte Waffen werden seit Beginn der Krise auch von Großbritannien und seit Kriegsbeginn von der gesamten Nato geliefert. Mit durchschlagendem Erfolg: die russischen Truppen stecken fest und haben erhebliche Verluste erlitten.

Trivium
2 Jahre her
Antworten an  Gerd07

Und dass dabei die ganzen Städte zerstört werden und die Zivilbevölkerung darunter leiden muss,weil sich die Ukrainischen Truppen in den Wohnvierteln verstecken ist Ihnen wohl egal?

Gerd07
2 Jahre her
Antworten an  Gerd07

Das russische Militär nimmt Städte als Ganzes nicht unter Beschuss weil diese gänzlich befestigt sind, sondern weil es nicht in der Lage ist diese zu erobern. Stattdessen hofft es eine humanitäre Katastrophe auszulösen, die die Ukraine zur Kapitulation bewegen soll.

Aber das wird wahrscheinlich genau so nach hinten los gehen, wie die bisherigen Aktionen der Russen.

TschuessDeutschland
2 Jahre her

Polen hat schon immer mehr als nur ein Auge auf das ehemalige Galizien (ukrainische Oblasten Ivano-Frankivsk, Lviv) geworfen.
Offensichtlich steckt man schonmal die Claims ab für den Fall, daß die Ukraine aufgeteilt wird.
Daß gleichzeitig das Hohelied auf den ukrainischen Nationalstolz gesungen wird lasse ich jetzt mal unkommentiert.

Renegade
2 Jahre her

Nun, vieles hängt auch vom Westen ab, der bis heute nur wenige Finger gekrümmt hat, um den Ukrainern bei ihrem Kampf wirklich beizustehen.“ Die Ablehnung einer unmittelbaren militärischen Hilfe ist absolut richtig, um eine Ausweitung des Kriegs bis zum 3. Weltkrieg zu verhindern. An einen großen Folgefeldzug von Putin glaube ich nicht (mehr), dafür läuft die Invasion schon jetzt viel zu zäh.

Radikaler Demokrat
2 Jahre her

„des defensiv ausgerichteten NATO-Bündnisses“ Nach dem „defensiv“ kann der Autor ja mal Afghanistan, Jugoslawien, Syrien, den Irak, Libyen, die Ukraine selbst (Nato-Putsch 2014), dazu die Länder des „arabischen Frühlings“ und die der „Farbenrevolutionen“ befragen, was die von dem „defensiven NATO-Bündnis“ halten. Mindestens 100.000 Tote sprechen diesbezüglich wohl eine ziemlich deutliche Sprache. Und die mindestens 6 gemeinsamen Manöver von NATO und ukrainischen Streitkräften in 2021, in denen auch der NATO-Angriff auf Russland und Weißrussland geübt wurde, sind selbstverständlich auch Ausdruck der Friedensliebe… Ist ja schön, wenn hier auch die ukrainische Propaganda zu Wort kommt, dann weiß man wenigstens, wie die ticken,… Mehr