Dreyer nach der Katastrophe: „Ich brauche ein paar Sätze des Mitgefühls“

Malu Dreyer (SPD) steht wegen der Flut im Ahrtal unter einem immer höheren Druck. Auch weil die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin es zum ersten Mal mit kritischen Medien zu tun hat.

IMAGO / Rainer Unkel
Malu Dreyer, SPD , Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, 21.09.2022

Sozialdezernentin in Mainz, dann Sozialministerin in Rheinland-Pfalz. Das waren die Stationen, bevor Malu Dreyer (SPD) 2013 Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz wurde. Dankbare Jobs. Bei unangenehmen Aufgaben können sich die Verantwortlichen hinter Ämtern wie dem Jugendamt verstecken. Selber treten sie meist nur dann in Erscheinung, wenn es auf irgendeinem Pressetermin Schecks zu verteilen gibt. So konnte sich Dreyer das Image der lächelnden Malu erarbeiten. Ein herzlicher Mensch. Immer fröhlich, außer es ist angebracht, betroffen zu sein.

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Nun haben es ihr die rheinland-pfälzischen Medien auch nicht gerade schwer gemacht. Im Allgemeinen waren Zeitungen bereit, Gegendarstellungen zu veröffentlichen, wenn sich Dreyers Sprecherin über den Zungenschlag der Berichterstattung beschwerte. Sie kam selbst vom SWR, der Dreyer immer schon liebhatte. Unvergessen eine Szene, in der sich die damalige SWR-Landeschefin Simone Schelberg auf einem Pressefest zu Dreyer drängt, um ihr die Kommentierung des Senders zu zeigen und zu fragen, wie ihr die gefalle. Wie eine Zweitklässlerin, die einem Lehrer das selbst gemalte Bild aufnötigt und unterdessen seine Tasche hält. Nur dass die SWR-Chefin ihre Malu duzt.

Der SWR und Malu Dreyer. Ein Idyll. Doch in der Nacht zum 15. Juli 2021 bricht buchstäblich das Wasser in dieses Idyll ein – zerstörte im Ahrtal Häuser, Straßen und brachte 134 Menschen ums Leben. Malu Dreyer wusste, was zu tun war: Zwar war sie erst um 5.33 Uhr wieder für ihren Innenminister Roger Lewentz (SPD) zu erreichen. Doch schon um 8.16 Uhr wusste Dreyer in einer SMS an ihre Mitarbeiter: „Ich brauche ein paar Sätze des Mitgefühls, Dankesworte, etc.“ Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) kam zur Inszenierung ins Ahrtal, Dreyer ließ ihr Lächeln zuhause und zog das würdige Gesicht an und sprach die wohlfeil formulierten „paar Sätze des Mitgefühls“. Eine professionelle Trauermaschine. Das Idyll hätte gerettet sein können.

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Doch die Realität kam dazwischen. Zum einen, weil die Landesregierung im Wiederaufbau lange nicht so schnell vorankam, wie sie das den Opfern versprochen hatte. Zum anderen änderte sich die Medienlandschaft. Als im September 2021 der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnimmt, hat der SWR noch das Sagen: Dieser Ausschuss ergebe „zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn – weder strategisch, noch inhaltlich“, kommentiert SWR-Landeskorrespondent Gernot Ludwig. Es sei eine Naturkatastrophe. Die sei „nicht durch das Handeln der Landesregierung entstanden“. Zurück zum Idyll, zurück zur Inszenierung von: Malu Dreyer lächelt bei Scheck-Übergabe.

Der SWR hatte selbst kein Interesse an diesem Untersuchungsausschuss. In diesem kommt heraus, dass ARD-Wettermann Karsten Schwanke in der Flutnacht angeboten hatte, gegen 19.30 Uhr eine Warnung über den Sender auszusprechen. Abgelehnt. Das Wetter kommt im SWR erst um 19.58 Uhr. Ein solches Angebot von sich aus habe er sonst in seiner ein Vierteljahrhundert dauernden Karriere nie gemacht, berichtet Schwanke: „Das wird schlimm bei Euch Leute bei Euch in der Eifel“, habe er den Kollegen gesagt. Als Schwanke aussagt, unterstützt der SWR noch die These, die Landesregierung habe keine Informationen gehabt, dass die Flut schlimm werde. Also berichtet der SWR weiter über die lächelnde Malu Dreyer. Es sei denn, sie setzt ihr betroffenes Gesicht auf und spricht „ein paar Sätze des Mitgefühls“.

Im September 2021 kommentiert auch die Rhein-Zeitung den Untersuchungsausschuss noch ähnlich. Doch bei der Koblenzer Zeitung tut sich etwas. Mit Lars Hennemann erhält sie einen neuen Chefredakteur, mit Bastian Hauck verpflichtet er einen guten und ehrgeizigen jungen Journalisten als Landeskorrespondenten. Er begleitet den Untersuchungsausschuss und sorgt dafür, dass dessen Ergebnisse transparent werden. SPD-nahe Kommentatoren zieht die Zeitung von dem Thema ab.

Katastrophe im Ahrtal
Malu Dreyer sorgte sich in der Flut um den Auftritt des Kandidaten Scholz
In der Kombination aus Untersuchungsausschuss und kritischer Presse bekommt das Thema das angemessene Gewicht. Die damalige Umweltministerin im Land, Anne Spiegel (Grüne), muss im April als Bundesfamilienministerin zurücktreten. Ihr Haus hat am Nachmittag vor der Flut eine Pressemitteilung herausgegeben, das Wetter werde schon nicht so schlimm. Spiegel persönlich ändert die „Campingplatzbesitzer“ im Text zu „Campingplatzbesitzer:innen“. Dann passiert nichts mehr. Obwohl ihr Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) kurz darauf erfährt, dass die Pressemitteilung die Menschen im Ahrtal in einer falschen Sicherheit wiegt. Er verzichtet darauf, das noch vor der Flut richtig zu stellen.

Mit Spiegels Rücktritt wird auch die bundesweite Presse auf das Thema aufmerksam, verleiht dem Skandal, dem Staatsversagen ein größeres Echo, als das eine lokale Zeitung erzeugen kann. Nun gerät Innenminister Lewentz in den Fokus. Spätestens als ein Video auftaucht, das ein Polizeihubschrauber in der Nacht gedreht hat. Gegen 22 Uhr. Genauso taucht ein Lagebericht auf. Von all dem will Lewentz nichts gewusst haben. All das soll verloren gegangen sein, aus Versehen, nicht absichtlich. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die ihm das glauben, und als der Innenminister nach zähem Kampf zurücktritt, jubeln in den sozialen Netzwerken sogar Sozialdemokraten.

Malu Dreyer bleibt im Amt: Wie Lewentz will sie von Video und Lagebericht nichts gewusst haben. Obwohl sie wusste, dass Spiegel „nervös“ war, will die Ministerpräsidentin keine Chance gehabt haben, in der Flutnacht etwas von der Brisanz der Situation zu wissen. Obwohl sie im SMS-Verkehr mit Lewentz die Idee hat, Spiegel zu informieren, will Dreyer keine Möglichkeit gehabt haben, etwas zu tun. Etwa einen Krisenstab einzurichten. Sie hat nach der Flut zusammen mit Kandidat Scholz „ein paar Sätze des Mitgefühls“ gesprochen. Dem alten SWR hätte das gereicht. Zumal er das Mitgefühl wirklich schön ins Bild gesetzt hat.

Doch die Medienlandschaft hat sich geändert. Lokale Zeitungen wie die Rhein-Zeitung sind jetzt journalistisch aufgestellt. Überregionale Medien geben dem Thema ein Echo – darunter TE. Und sie stellen Fragen: Der Focus will zum Beispiel von der Staatskanzlei wissen, ob die keine Möglichkeiten hatten, in der Flutnacht einzugreifen. Doch um die kritischen Punkte drücke sich die von einer ehemaligen SWR-Mitarbeiterin geleitete Pressestelle, wie der Focus berichtet. Doch zu viele Details sind schon bekannt. Wie Dreyers SMS in der tödlichen Nacht. So schrieb sie um 21.46 Uhr: „Das Hochwasser in der Eifel wird schlimmer als 2018. Puh.“ Kurz danach meldete sich Dreyer ab, geht schlafen. Sie habe ja keinerlei Hinweise gehabt, dass es an der Ahr schlimmer werden können – behauptet sie danach. Puh.

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Kommentare ( 37 )

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cmh ungefragt
2 Jahre her

Immer haben diese Dilettanten „von nichts gewusst“. Wie die Neugeborenen.
Tatsächlich aber werden Politiker:innen genau dafür bezahlt, zu wissen.
Ein erster Schritt in diese Richtung wäre es, zu sorgen, dass dieser Doppelpunkt nicht mehr gebraucht werden muss.

Demokratius
2 Jahre her

Erschreckend auch, dass man im Ahrtal und möglicherweise auch anderenorts im Bundesgebiet mit Hinweis auf die modernen Kommunikationsmethoden keine Sirenen meht hatte. Bei uns im Ort gibt es jeden Mittwoch um 15 Uhr einen lauten Probealarm und auch die Feuerwehr wird zusätzlich zum Handyalarm mit Sirene gerufen. Man ätte die Menschen nachts mittels Sirenen warnen und rechtzeitig aus ihren Betten holen können. Man muss auch im Hinblick darauf, dass es im Katastrophenfall meistens kein Strom mehr zur Verfügung steht, entsprechende davon unabhängige Hilfsmittel zur Warnung der Bevölkerung vorhalten.

Teiresias
2 Jahre her

Sie haben ENTSCHIEDEN, keine Warnung herauszugeben – Malu Dreyer vorneweg. Niemand trifft Entscheidungen grundlos.

Das Hochwasser passte einfach zu gut ins Klimanarrativ, das wollte man sich nicht entgehen lassen. Das Schicksal der Menschen spielte keine Rolle, das Machtmittel Klimarettung zu festigen war ihnen wichtiger.

Hätten wir noch einen Rechtsstaat, würde die Staatsanwaltschaft ermitteln.

Jetzt wollen sie Mitleid, weil sie es so schwer haben – Malu Dreyer vorneweg.

Mir kommen die Tränen.

Last edited 2 Jahre her by Teiresias
Andreas Bitz
2 Jahre her

Die landespolitischen Konstellationen verhindern einen Rücktritt von MP M. Dreyer. Zuerst muß sich ein neu zu wählender SPD-Landesvorsitzender profilieren um dann im kommenden Jahr als neuer Ministerpräsident sich einarbeiten und schließlich zur Landtagswahl als aussichtsreicher Kandidat präsentieren zu können.

Demokratius
2 Jahre her
Antworten an  Andreas Bitz

Sollte nicht erst das Land kommen und dann erst die Partei? Die Prämissen sind jetzt offenbar völlig verrutscht – erst die eigene Karriere, dann die Partei als Mittel zum Zweck und alles andere unter „ferner liefen..“

kasimir
2 Jahre her

Allein, daß diese Person nicht mal fähig ist, ein paar Worte des Mitleids oder Bedauerns ohne Vorformulierung zu äussern, zeigt ihren wahren Charakter. Jeder normale Mensch mit ein wenig Empathie könnte doch aus dem Stehgreif eine kurze Rede halten, das muß man sich nicht aufschreiben oder von seinem Mitarbeiter auch noch in den Mund gelegt bekommen.
Für mich ist diese Dame ein Vollversagerin in jeder Hinsicht, so wie viele andere Ministerpräsidenten in Deutschland auch. Kann nichts, außer Karriere machen und sich an ihren Posten krallen…

Edmund
2 Jahre her

Schon merwürdig, dass ihr selbst keine „Sätze des Mitgefühls“ eingefallen sind. Auch andere Frauen in der Poltik (Arden) wirken unnatürlich wie übertriebene Betroffenheitsmaschinen. Das ganze Mitgefühl wirkt im Laufe der Zeit eher wie Hohn, wenn keinerlei konkrete Hilfe folgt. Vom Mitgefühl konnte sich kein Betroffener ewas kaufen.

Protestwaehler
2 Jahre her
Antworten an  Edmund

Die Opfer-Täter Konstellation hat in dem Fall halt nicht ins politische Narrativ gepasst, bei diesen „rechten“ Pseudoanschlag damals in Bingen war sie jedenfalls sehr gesprächig, oder sollte man besser sagen, heuchlerischer.

cmh ungefragt
2 Jahre her
Antworten an  Edmund

„Empathie zeigen“ ist, einen auf heuchlerische Politikerin zu machen. Das hat mit Mitgefühl, das man hat, aber nicht zeigen muss, nichts zu tun. Hätte Malu Mitgefühl gehabt, dann hätte ihr Apparat anders spuren müssen.

Rainer Schweitzer
2 Jahre her

In einer Flutkatastrophe sind 134 Menschen zu Tode gekommen und ganze Ortsteile verwüstet. Angesichts dessen braucht die Landeschefin ihre Mitarbeiter, um „ein paar Sätze des Mitgefühls, Dankesworte, etc.“ zu finden. Das ist doch total surreal.
Stellen Sie sich Helmut Schmidt während der Hamburger Sturmflut 1962 vor….

kasimir
2 Jahre her
Antworten an  Rainer Schweitzer

Dreyer mit Schmidt zu vergleichen ist sinnlos. Außer das beide Mitglieder der SPD sind, haben sie nichts gemein.
Schmidt war ein Macher, ein Politiker mit Herzblut. Außerdem konnte er sich auch noch sehr gut artikulieren. Dreyer kann gar nichts…

Petra G
2 Jahre her

Nicht nur Deutschland ächzt unter dem Diktat der Seilschaften inkompetenter Quotenweiber………

verblichene Rose
2 Jahre her

Wer selber nicht in der Lage ist, Sätze des Mitgefühls zu formulieren, sollte seine öffentliche Rolle überdenken.
Dieses überbezahlte „Lächeln“ sollte jetzt wenigstens den Mut finden, zurück zu treten.
Aber dafür haben solche Leute ja auch bereits Marionetten, die das für sie erledigen.
Ich empfinde nur noch Fremdscham für diese Politikdarsteller.

Waehler 21
2 Jahre her

Das wir Leute haben die ihren Job aus fachlichen,- sachlichen Gründen nicht können ist nichts Neues. Aber die Offenlegung dieses charakterlichen Offenbarungseides (Menschen sind ertrunken, tot) und die Medienindustrie die versucht hat dies zu vertuschen und unter den Teppich zu kehren ist unfassbar und zeigt die Dekadenz dieser Leute.
Steinmeier schweigt und sieht hier keine Gefahr für den Staat. Diese Staatsfigur lässt sich mit einer dicken Aktenmappe in der Ukraine ablichten – als wenn der jemals etwas selbst getragen hätte! Bananenrundfunk und Kasperletheater! 
Einen „Kopf“ zu fordern reicht schon lange nicht mehr aus!