Tichys Einblick
»It’s the politics, stupid!«

Die unzeitgemäße Wahrheit über die Krawalle

Je mehr Tage vergehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass aus den jüngsten Ausschreitungen etwas gelernt wird. Und mit diesem Verdacht kommt das unvermeidliche Gefühl eines Déjà-vu auf. Denn wir waren schon einmal in einer solchen Situation.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Owen Humphreys

Im Jahr 2011 wurde England von Krawallen heimgesucht, die ihren Ursprung in London hatten, aber zu Nachahmungstaten im gesamten Norden Englands führten. Angeblicher Auslöser war damals die Erschießung von Mark Duggan durch die Polizei, einem charmanten jungen Drogendealer, der im Besitz einer Waffe war. Die anfänglichen Unruhen in Tottenham mögen durch die Behauptung ausgelöst worden sein, die Polizei habe einen unschuldigen Mann erschossen – und noch dazu einen unschuldigen Schwarzen. Doch als es in Birmingham, Manchester und Liverpool zur Sache ging, schien die unmittelbare Ursache für die Gewalt vergessen.

Die Koalitionsregierung setzte ein Gremium ein, das die Ursachen der Gewalt untersuchen sollte, und wie bei den meisten derartigen Gremien der Regierung wurde von Anfang an klargestellt, was als Ursache keinesfalls in Betracht bezogen werden sollte. The Spectator brachte nach der Veröffentlichung des Berichts die Stellungnahme von Simon Marcus, einem Mitglied dieses Gremiums, der darauf hinwies, was seine Mitstreiter nicht in Betracht ziehen wollten: die Mitgliedschaft in einer Bande und „notorisch abwesende Väter“.

Ebenso interessant ist es, sich anzuschauen, was die Menschen damals bemerken durften. Die Unruhen von 2011 ereigneten sich im Zusammenhang der Nachwirkungen des großen Crashs von 2008. Viele Regierungsvertreter und kluge Köpfe in den Medien versuchten, die Welle der Gesetzlosigkeit durch diese Brille zu betrachten und damit zu erklären. Eine der wenigen Fragen, die man zu diesen Unruhen stellen konnte, war die nach dem Zusammenhang zwischen Entbehrungen und Ausschreitungen. Dies war eine der als zeitgemäß geltenden Interpretationen, die als akzeptabel galten und auf die man sich fixierte.

Zweifelsohne wird es auch jetzt wieder ähnliche Fixierungen geben. Die längst aufgelöste English Defence League und das Thema Soziale Medien scheinen die Hauptschwerpunkte des erlaubten Interesses zu sein. Doch ich habe beschlossen, die Beschäftigungsstatistiken für einige der nördlichen Städte zu überprüfen, in denen es in der vergangenen Woche zu den schlimmsten Ausschreitungen gekommen ist. Ich habe auch die Statistiken aus dem Jahr 2011 überprüft und beide verglichen. Ich sollte Sie vorwarnen: Wenn Sie leicht zu deprimieren sind, sollten Sie jetzt nicht mehr weiterlesen.

Im Jahr 2011 lag der Anteil der Arbeitslosen (einschließlich Erwerbsunfähigkeitsleistungen) in Sunderland bei 18 Prozent, heute sind es 19 Prozent. Im Jahr 2011 lag die Arbeitslosenquote in Rotherham bei 16 Prozent, heute sind es 18 Prozent. In Hartlepool lag sie bei 21 Prozent, heute sind es 23 Prozent. Betrachten wir nur die letzte Zahl. Ein Viertel der Menschen im erwerbsfähigen Alter in dieser Gegend bezieht Sozialhilfe wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit.

Wenn man sich die Zahlen für die Städte ansieht, in denen es in der vergangenen Woche zu Ausschreitungen gekommen ist, gibt es keine einzige, in der sich die Beschäftigungslage in den letzten 13 Jahren verbessert hat. In jeder dieser Städte hat sich die Beschäftigungslage seit 2011 nachweislich verschlechtert.

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Gehen wir davon aus, dass die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Hoffnungslosigkeit Faktoren für die Krawalle von 2011 waren. Ich persönlich bin da etwas zurückhaltend, denn viele Menschen, die alle möglichen Nachteile im Leben haben, beschließen dennoch nicht, Polizeireviere anzuzünden. Aber da dies als eine der Ursachen für den Flächenbrand von 2011 angesehen wurde, warum wurde seither nichts besser? Warum ist es stattdessen messbar schlechter geworden?

Ein Grund dafür ist, dass von 2011 bis heute alle drei großen Parteien das gleiche Modell zur Schaffung von Arbeitsplätzen verfolgt haben. Da sie offenbar unfähig waren, Bildung, Anreize und Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich zu verbessern, haben sie sich für den einfachen Weg entschieden: das Ausstellen von Visa für Migranten, die nach Großbritannien kommen sollten, verbunden mit der Behauptung, dass die Wirtschaft dadurch wachsen würde.

Natürlich ist dieses „Wachstum“ ein vollständiger Fake. Eine Studie nach der anderen zeigt, dass diese Art der Migration (natürlich) den Migranten zugutekommt, aber so gut wie nichts zur Verbesserung der Wirtschaft beiträgt. Im Gegenteil, für viele Menschen untergräbt sie die Zahl der einheimischen Arbeitskräfte und verschlimmert aufgrund der erhöhten Nachfrage nach Wohnraum angesichts begrenzten Wohnungsbestands ihre Situation erheblich.

Zur Zeit der Unruhen von 2011 betrug der Anteil der im Ausland geborenen Arbeitnehmer 14 Prozent der britischen Erwerbsbevölkerung. Heute sind es 21 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen ist seit 2011 um 3,6 Millionen gestiegen, aber 74 Prozent davon sind auf zugewanderte Arbeitnehmer zurückzuführen.

Diese Zahlen belegen diesen vorprogrammierten Misserfolg der aufeinanderfolgenden Regierungen. Die Wirtschaft hat mehr Arbeitsplätze geschaffen, aber das hat die Zahl der Arbeitslosen in der lokalen Bevölkerung nicht verringert. Die Gemeinden, die die Arbeit brauchten, wurden übergangen. Der Begriff „zurückgelassen“ wird dem Geschehen nicht gerecht, denn er lässt es so klingen, als sei das versehentlich in einem Anfall von Zerstreutheit geschehen. So war es aber nicht. Es war eine Entscheidung. Von den seit 2011 zusätzlich 3,6 Millionen Beschäftigten wurden nur 929.000 hier geboren. Die Schaffung von Arbeitsplätzen kam vielen Menschen zugute, aber sie hat Bolton, Sefton oder Rotherham nicht viel gebracht.

In den kommenden Tagen wird es viele Diskussionen über die kulturellen und einwanderungsbedingten Faktoren der Krawalle geben – und das ist auch gut so. Aber diese Ursache für die Ausschreitungen sollte nicht ignoriert werden: Eine Regierung nach der anderen hatte versprochen, etwas zu tun, um das Leben der Menschen in diesen Städten zu verbessern. Durch ein integratives Wirtschaftsmodell – wurde uns gesagt. Sogar durch die Dividende des Brexits. Aber sie haben nicht nur nichts getan. Sie haben weniger als nichts getan.

Die jetzige Regierung hat die gleiche Wahl, wie die konservative Regierung und die Koalitionsregierung vor ihr. Sie könnte Anstrengungen unternehmen, Menschen in Arbeit zu bringen und die Arbeit in diese Gegenden zurückzubringen. Oder aber sie wird versuchen, wie die Regierungen vor ihr, das Problem mit Einwanderung zu vertuschen. Die Tories könnten ihr verraten, dass das zwar ein bequemer, aber süchtig machender Irrweg ist. Hat Keir Starmer den Mut zu einem kalten Entzug? Alles wird davon abhängen, ob er ihn hat.

Dieser Beitrag von Douglas Murray erschien in Originalfassung zuerst bei The Spectator. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme in deutscher Übersetzung.

In seinen analytisch präzisen, brillant argumentierenden und vorausschauenden Werken hat Douglas Murray viele aktuelle gesellschaftlichen Konflikte prognostiziert. Sie sind nach wie vor eine wertvolle Grundlage zum Verständnis der politischen Verwerfungen der westlichen Welt und enthalten Vorschläge zur Lösung der Konflikte. In der Edition Tichys Einblick wurden seine Werke den deutschen Lesern erstmals vorgestellt.



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