Am 14. September hielt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts eine Rede in Hamburg. Die wenigsten Medien befassten sich mit dem Gesamttext. Der liest sich durchaus interessant. Er gibt Einblick in sein Staats- und Rechtsdenken – und zeigt vor allem, was Harbarth vom liberalen Ernst-Wolfgang Böckenförde unterscheidet, dem er seinen Vortrag widmete.
Am 14. September hielt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth im Hamburger Übersee-Club eine Rede, die den Zusatz ‚programmatisch‘ verdient. Dass der oberste Repräsentant des Verfassungsgerichts sich grundsätzlich äußert, geschieht selten. Erstaunlicherweise begnügten sich fast alle Medien mit der kurzen und fast sinnentstellenden Zusammenfassung durch eine Nachrichtenagentur, die zwar ein paar Sätze Harbarths zitierte, unter anderem seine Aussage, Grundrechte könnten auch genutzt werden, um die Verfassungsordnung zu delegitimieren, und der Staat könne Grundrechte beschränken, um diese Delegitimierung abzuwehren. Allerdings ging aus der dpa-Meldung nicht hervor, in welchem Zusammenhang der Verfassungsgerichtspräsident das meinte. Auch nicht, welches Thema er in seiner Rede überhaupt behandelt hatte.
Auf Anfrage von TE machte die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts den vollständigen Text der Ansprache zugänglich. Die Beschäftigung damit lohnt sich. Denn es handelt sich nicht um einen Fachvortrag zu einer Rechtsfrage, sondern um eine Art Grundsatzerklärung. Hier gibt der Vorsitzende eines Verfassungsorgans Einblick in sein Verfassungsdenken. Um es vorwegzunehmen: Was Harbarth in Hamburg vortrug, besitzt Substanz und intellektuelles Gewicht. Beide Qualitäten bezieht er allerdings ganz überwiegend aus den Zitaten, auf die er zurückgreift.
In seiner Rede bietet der Verfassungsgerichtspräsident erst einmal etliche Bewertungen dieses Diktums auf, ohne erkennen zu lassen, welcher er nahesteht, er legt gewissermaßen mehrere Karten auf den Tisch. Zu dem Satz, „der in nur 13 Wörtern alle großen Fragen zum demokratisch verfassten Rechtsstaat zu stellen scheint: die nach seinen Möglichkeiten und nach seinen Grenzen, nach seiner Verletzlichkeit und nach seiner Stärke, die nach seinem Verhältnis zur Gesellschaft, zum Recht und zum Außerrechtlichen“, zitiert er zunächst den Würzburger Staatsrechtslehrer Horst Dreier mit der Bemerkung, Böckenfördes Diktum stelle die „faustische Frage nach dem, was eine Gesellschaft, was einen Staat eigentlich im Innersten zusammenhält“.
Dabei handelt es sich eher um eine Beschreibung der Böckenförde-Aussage als um eine Interpretation. Wo die sichtbare vertikale Machtachse vormoderner Herrschaftsformen und klassischer Diktaturen fehlt, stellt sich genau diese Frage, was die einzelnen Teile einer Gesellschaft zusammenhält, die auf die Schraubzwingen des Obrigkeitsstaats verzichtet. Und Böckenförde beantwortet sie auch, indem er auf die Figur des Bürgers verweist. Nach ihrem „Bewusstsein der Freiheit“, um das Wort von Hegel zu benutzen, richtet sich das Maß der Freiheit, das ein Staat in Verfassung und Gesetze gießt. Ein Staat kann weder seinen Bürgern befehlen, frei zu leben, noch kann er sie zwingen, sich einem Gemeinwesen zugehörig zu fühlen. Beides müssen sie selbst wollen.
Nun folgen die verschiedenen Karten, die Harbarth aufblättert: „Für manche ist der Satz nur kluge Analyse, für andere normativer Appell. Einige halten ihn für resignativ-fatalistisch, andere sehen die Chancen, die er belässt. Manche sehen in ihm die staatstheoretische Weltformel und in seinem Urheber den ‚Einstein des Staatsrechts‘. Andere halten den Satz – auch dies gehört zur Wahrheit – für ‚entweder banal oder falsch‘.“
An eine eigene Auslegung des Satzes, der sein Redethema bildet, tastet sich Harbarth vorsichtig heran. Und er greift dabei zu genau der Allgemeinformel, die inhaltlich auch den meisten Leitartikelautoren wie jedem Redenschreiber des Bundespräsidenten eingefallen wäre, und die sich stilistisch an Wikipedia anlehnt: „Das Böckenförde-Diktum war von seinem Urheber zunächst – bezogen auf die Rolle der Kirche in der damals noch jungen Bundesrepublik – historisch-analytisch gemeint. Es lässt sich auch auf die Weimarer Republik beziehen, die auch aufgrund mangelnden demokratischen Engagements und des Fehlens einer demokratischen und freiheitlichen Zivilgesellschaft als ‚nicht zu garantierenden Voraussetzungen‘ gescheitert ist.“
Hier taucht der Schlüsselbegriff „Zivilgesellschaft“ zum ersten Mal in Harbarths Rede auf, ein Wort, das Böckenförde noch ganz anders verstanden haben dürfte. Dazu später mehr. Natürlich lässt sich das Diktum auch auf die Weimarer Republik und ihren Untergang beziehen. Aber es stammt eben aus der Bundesrepublik, und zwar von einem Vertreter der sogenannten skeptischen Generation. Böckenförde, geboren 1930, gehörte zu denen, die als Jugendliche erlebten, wie ein Staat sich zu einem mörderischen, hypertrophen ideologischen Gebilde aufblähte, explodierte und einen gewaltigen Negativabdruck hinterließ. Die Skepsis dieser Generation bestand darin, fortan aus guten Gründen allen totalen Gesellschaftsentwürfen ganz und dem Staat wenigstens graduell zu misstrauen. Die Formel des Rechtsphilosophen steht dem Kontingenzbegriff von Niklas Luhmann* nah, Jahrgang 1927.
Möglicherweise hätte sich in Hamburg ein weiterführender Gedankengang geöffnet, wenn Harbarth, Jahrgang 1971, Wirtschaftsanwalt und bis vor kurzem noch Bundestagsabgeordneter, den Unterschied zum Gegenstand gemacht hätte, der sich zwischen ihm und Böckenförde allein schon durch Geburtsjahr, Biografie und Umgebung ergibt. Der eine wusste, wie es aussieht, wenn ein Gemeinwesen in Trümmern liegt. Der andere steht wie wenige sonst für die späte, in der Regierungszeit Angela Merkels schon stark überformte Bundesrepublik, deren Repräsentanten so oft betonen, es handle sich um das beste Deutschland aller Zeiten, dass selbst gutwillige Zeitgenossen sich fragen, warum sich dieser Staatsapparat eigentlich das Selbstlob unentwegt mit der Schöpfkelle zuführen muss. Eine Befassung mit Mentalitätsschichten – der, in der Böckenfördes Satz entstand, und der, aus der Harbarths Denken stammt – hätte das pièce de résistance des Hamburger Vortrags bilden können. Allerdings gewinnt seine gesamte Rede ihre Struktur daraus, dass sie wirklich interessante Fragestellungen meidet. Was allerdings auch voraussetzt, dass der Redner selbst sie ganz gut kennt.
Von allen Kommentaren über das Böckenförde-Diktum wählt Harbarth den mit Abstand banalsten, um seine eigene Argumentationskette daran zu befestigen: „Aus den vielen Sätzen, die über das Böckenförde-Diktum geschrieben wurden, stach für mich einer jüngst heraus; vielleicht deswegen, weil er eine Erklärung für das leichte Unbehagen anbietet, das einem beim Lesen des Böckenförde-Diktums überkommen mag: Der Aphorismus spreche – so eine Bemerkung des Münchener Völkerrechtlers Christian Walter – ‚wohl nicht zuletzt auch deshalb an, weil er eine menschliche Urangst mobilisiert, nämlich diejenige, dass die Zukunft unsicher ist‘.“ Wann war das je anders?
Die Gedankenfolge des Verfassungsgerichtspräsidenten liest sich nun folgendermaßen: „Wir begegnen uns in einer Zeit der Krisen. Innere und äußere Bedrohungen setzen Deutschland und Europa zu. Russlands Krieg gegen die Ukraine rüttelt an den Grundfesten der europäischen Friedensordnung und führt uns auf dramatische Weise unsere eigene Verletzlichkeit vor Augen, gleichermaßen nachdrücklich aber auch die zu bewahrende Kostbarkeit eines Lebens in Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Es besteht deswegen gleichermaßen Grund zur Sorge wie Anlass zur Zuversicht.“
Letzterer Satz steht gewissermaßen jeden Tag auf dem Abreißkalender im Schloss Bellevue. Auf diese Passage folgt bei Harbarth eine Bestandsaufnahme. Mit dem Vertrauen zu den regierenden Parteien und der realexistierenden Politik überhaupt stünde es derzeit nicht gut: „Schon eine nur kursorische Durchsicht aktueller demoskopischer Erhebungen führt insoweit allerdings zu einem ernüchternden Befund: Erst kürzlich schreckte eine im Auftrag des SWR erstellte Studie des Allensbach-Instituts auf, der zur Folge 31 Prozent der Befragten die Einschätzung äußerten, in Deutschland in einer ‚Scheindemokratie‘ zu leben, ‚in der die Bürger nichts zu sagen hätten‘. Das Phänomen ist nicht auf Deutschland beschränkt. Eine internationale Metastudie der Universität Cambridge erfasst die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem Zustand der Demokratie in ihrem Land. Sie ermittelt für Europa im Jahr 2019 – dem letzten Jahr der Untersuchung – mit über 50 % Unzufriedenheit den schlechtesten Wert seit Beginn der Erhebungen vor rund 50 Jahren.“
Die Aufzählung lässt sich im gleichen Muster fortsetzen. Nach einer neuesten Untersuchung von Forsa sehen 61 Prozent der Bundesbürger bei keiner Partei eine Kompetenz zur Lösung der Probleme. Einer Erhebung von INSA im Auftrag von Tichys Einblick zufolge vertraut nur noch gut ein Drittel dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Eine Umfrage des Deutschen Beamtenbunds ergab vor kurzem, dass nur noch 29 Prozent der Bürger den Staat für kompetent und handlungsfähig halten.
Wenn der oberste Vertreter eines Verfassungsorgans diese Misere in einer Rede ausbuchstabiert – er spricht von einem „Niedergang des Ansehens der Demokratie“ – steigert er natürlich die Spannung des Publikums, das von ihm zunächst einmal eine Antwort auf die Frage erwartet: Woher kommt dieser Niedergang, den er zutreffend beschreibt? Die Auflistung von offensichtlichen Symptomen macht ja noch keine Diagnose. Und hier endet der sehr kurze Spannungsbogen auch wieder. Denn Harbarth präsentiert exakt das gleiche Erklär-Versatzstück wie vor (und nach) ihm Dutzende Leitartikelschreiber, Politiker und Repräsentanten staatlicher Vorfeldorganisationen: Es liegt „zunächst“ am verderblichen Internet.
Erstens handelt es sich bei Twitter, also der Plattform, in der Verkürzung und Argumentationsarmut tatsächlich eine große Rolle spielen, in Deutschland wirklich nicht um ein Massenmedium. Sondern um das bevorzugte Spielfeld von Politikern, Journalisten und allerlei organisierten Meinungsverbreitern wie Luisa Neubauer, deren Organisation ohne die sozialen Medien ihre Anhängerschaft nicht mobilisieren könnte.
Zweitens findet das, was zur Erregung beiträgt, ursprünglich meist gar nicht auf Twitter, Facebook und Instagram statt. Als eine ZDF-Mitarbeiterin den Teil der Bevölkerung, der sich nicht begeistert von den Corona-Maßnahmen zeigte und sich nicht impfen lassen wollte, als Blinddarm („rechts und unten“) bezeichnete, tat sie das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Als der Bundesgesundheitsminister Ungeimpfte mit Geiselnehmern verglich, tat er das im Bundestag. Und was die alternativen Fakten angeht: Den Satz von der „nebenwirkungsfreien Impfung“ sprach der gleiche Minister in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow. Die frei erfundene „offizielle Dunkelziffer“ von Vergewaltigungen auf jedem Oktoberfest, also die sogenannte Oktoberfestlüge als Diskursverbiegung unmittelbar nach den erst einmal von den meisten Medien zwei Tage lang verschwiegenen Massenübergriffen auf der Kölner Domplatte sendete eine Aktivistin ganz konventionell über das ZDF.
Weitere Einzelbeispiele ließen sich noch seitenweise anfügen, aber auch ganze Alternativweltkomplexe, etwa der Facharbeitersegen durch Asyleinwanderung, oder noch ein paar Jahre vorher die Behauptung, die Energiewende werde massenhaft Energie zu Spottpreisen liefern.
Internetplattformen wie Twitter und Facebook dienen als Erregungsmaschinen und Schallverstärker. Aber in den allermeisten Fällen liegt der Anlass der Erregung in der ganz analogen Welt. Und nicht nur der Anlass, sondern auch der generelle Grund. Das Problem liegt ja nicht darin, dass eine ZDF-Mitarbeiterin die Blinddarm-Metapher für einen Teil der Bevölkerung wählt. Sondern, dass sie diesen Teil kulturell verachtet, und das auch immer noch tut, obwohl sie später ihr „Blinddarm“-Wort öffentlich bedauerte.
Nach vermiedener Diagnose kommt Harbarth zu seinen Therapievorschlägen und damit zu der Frage, die er mit Dreier am Anfang stellte, nämlich nach dem, was die Gesellschaft seiner Ansicht nach im Innersten zusammenhalten soll. Zum einen, empfiehlt er, müsse der Bürger aktiver in das Zusammenhaltgeschäft einsteigen:
„Der Staat trägt sich nicht selbst durch seine Institutionen, sondern wird getragen durch jene Bürgerinnen und Bürger, die nicht nur für sich, sondern auch für die staatlich verfasste Gemeinschaft Verantwortung empfinden und wahrnehmen. Dies setzt weit mehr voraus, als von seinen Grundrechten nur dergestalt Gebrauch zu machen, dass man vom Staat so weit wie möglich ‚in Ruhe gelassen‘ werden möge, weit mehr, als die – ohnehin sparsamen – verfassungsrechtlichen Mitwirkungsbefugnisse des ‚status activus‘, namentlich das Wahlrecht, auszuüben. Indes: Dieses ‚Mehr‘ lässt sich nicht hoheitlich anordnen und setzt zumindest eine gewisse Grundidentifikation der Bevölkerung mit unserem staatlich verfassten Gemeinwesen voraus.“
Ja eben, Grundidentifikation. Sein argumentatives Brummkreiseln fällt ihm offenbar gar nicht auf: Es mangelt aus Gründen, die er nicht weiter erörtert, an Grundidentifikation vieler Bürger mit der politischen Ordnung. Also sollen die Bürger aktiver werden. Was – ach ja, hier taucht das leidige Problem wieder auf – mehr Grundidentifikation voraussetzt.
Weil der Staat mit tausend Händen nach ihm greift, wendet der Bürger sich ab
Abwehrrecht gegen den Staat, gewiss, das lässt sich passiv als Wunsch des Bürgers formulieren, in Ruhe gelassen zu werden. Auf der aktiven Seite bedeutet es, dass der Staat die Bürger auf dem Gebiet der Meinungsbildung und der allgemeinen Lebensführung im Rahmen der Gesetze auch tatsächlich in Ruhe lässt. Je weniger der Staat über die Stränge schlägt, desto weniger muss ein Bürger seine Zudringlichkeit abwehren. Der Wertschätzung des Staates und seiner Institutionen käme das zugute. Am besten legitimiert sich ein Staat also dadurch, dass er sich um innere und äußere Sicherheit, gute öffentliche Bildung, eine zeitgemäße Infrastruktur, ein funktionierendes Gesundheitswesen und solide Finanzen bemüht, und sich darüber hinaus Ratschläge für das Privatleben seiner Bürger verkneift, erst recht aber nicht Organisationen und Gruppen mit Steuergeld unterstützt, die sich im Meinungskampf tummeln.
Es legitimiert sich derjenige am besten, der sich als Politiker auf das beschränkt, wofür die Bürger ihn bezahlen, und wozu sein Amtseid ihn verpflichtet. Eine Innenministerin sollte sich beispielsweise darum kümmern, illegale Migration auf das Staatsgebiet zu verhindern. Sie sollte den Bürgern dagegen keine Ratschläge geben, wie sie ihr Demonstrationsrecht auszuüben beziehungsweise nicht auszuüben haben. Eine Bundesfamilienministerin sollte beispielsweise darauf achten, dass besonders Familien mit mehreren Kindern nicht von der Steuer- und Abgabenlast und den Energiekosten erdrückt werden. Sie könnte sich auch, obwohl Schulen Ländersache sind, zusammen mit anderen darum kümmern, dass es demnächst in einem Land mit Rekordsteuereinnahmen keine baufälligen Schulen mehr gibt, deren Besuch ein Gesundheitsrisiko für Kinder darstellt. Auf keinen Fall sollte sie aus einem Riesentopf namens „Demokratie leben!“ Vorkämpfer der Identitätspolitik und Organisationen mit Kontakt zum islamistischen Milieu finanzieren. Bekanntlich tut sie aber genau das.
Vor einigen Jahren demonstrierte der damalige Berliner Innensenator Andreas Geisel zusammen mit Vertretern dieser Gruppen, die teils im Verfassungsschutzbericht auftauchen und gleichzeitig von Staatsgeld zumindest mittelbar profitieren. Er meinte damals sinngemäß, er sehe überhaupt kein Problem darin, Seite an Seite mit Verfassungsgegnern zu marschieren, solange das der guten Sache diene. So ähnlich verteidigte auch die Bundesinnenministerin ihren Gastbeitrag in einer linksradikalen Zeitschrift; die gleiche Ressortchefin, die Bürger jetzt dringend warnt, zusammen mit Rechtsradikalen zu demonstrieren. Auch ihr Gastbeitrag diente eben dem Guten, im Gegensatz zu Demonstrationen gegen die Regierungspolitik.
Genau darin liegt das zentrale Problem für die Legitimität der Politik, die ihre Vertreter zwar wahrnehmen, aber nicht ergründen wollen: Vertreter des Staates erklären weit über ihr Zuständigkeitsgebiet hinaus, was die gute Sache für die ganze Gesellschaft sei. Sie haken sich zu diesem Zweck mit steuergeldfinanzierten Organisationen unter, mit Journalisten und Kirchen. Und an den Bürger ergeht der Ruf, sich bitteschön ebenfalls einzuhaken. Dass gerade dieses unentwegte Unterhaken, also die Homogenisierung des öffentlichen Bereichs ein Problem darstellen könnte, weil damit an den Rand gedrängt wird, was eine Bürgergesellschaft ausmacht, nämlich Rede und Gegenrede, Meinungsstreit unter Bürgern – auch dieser Gedanke findet sich bei Harbarth nur ganz indirekt. Man sieht immerhin seine rhetorische Bewegung, mit der er ihn beiseiteschiebt.
Bei der Problemdarstellung, die er gibt, handelt es sich nicht um eine deutsche Spezialität. Auch viele Anhänger der Demokraten in den USA beteuern, sie hätten sich nicht radikalisiert, sondern nur die Trumpisten, so, als hätte es nie Hillary Clintons Satz über den „basket of deplorables“ gegeben, nie die Verharmlosung von Brandstiftungen und anderen Gewalttaten im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung und nie die Forderung der Kongressabgeordneten Ocasio-Cortez nach einer Registrierung von Trump enablers.
Das, was Harbarth bietet, ist mittlerweile zu einer Standarderzählung vieler Politiker, Medien und Institutionenvertreter geronnen: Die von ihnen vertretene Ordnung samt ihrer Ideenwelt ist eigentlich vorzüglich. „Das Grundgesetz hat eine ‚gute Ordnung‘ etabliert“, heißt es bei ihm, „zweifellos die beste, die Deutschland je hatte. Unser Land ist in guter Verfassung. Mit ihr ist Staat zu machen.“ Obwohl alles so gut eingerichtet ist, identifizieren sich aber immer weniger mit dieser Ordnung. Diese Störung kommt allerdings von außen, und hat mit der konkreten Ordnung, wie sie viele Bürger erleben, gar nichts zu tun. Sie kommt also unvermittelt als Teufel aus der Maschine. Und diese Einzelteufel heißen eben Trump, Populisten, AfD, Internet et cetera. Zur Abwendung der Bürger kommt es nur deshalb, weil ein Teil der Gesellschaft nicht über das richtige Bewusstsein verfügt. Folglich geht es gar nicht um Selbstkritik und Korrekturen innerhalb des politischen Apparats, sondern darum, das für diesen Apparat passende Bewusstsein bei den Bürgern zu erzeugen.
Sicherlich lassen sich Freiheitsrechte auch gegen die Verfassung wenden. Dazu gleich mehr. Aber zunächst erstmal: Anders als durch dieses Wagnis entsteht gar kein freies Gemeinwesen. Wieder abgeschafft werden zu können, ist also weniger Risiko eines freiheitlichen Zustandes als vielmehr seine Bedingung. Eben deshalb, um sich zu erhalten, muss sich ein Rechtsstaat ständig neu legitimieren, und zwar nicht durch den Wortlaut von Verfassungsartikeln. Sondern durch die sogenannte Verfassungspraxis. Muss man den Unterschied ausdrücklich erklären? Harbarths Publikum vielleicht schon. Denn ein ganz wesentlicher Teil des Verblendungszusammenhangs, den er benutzt, besteht in der absichtlichen Verwechslung zwischen Normativem und Deskriptivem, vulgo: aus taktischem Dummstellen.
So ungefähr verteidigen die Granden von ARD und ZDF den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und so verteidigte ihn auch das letzte Rundfunkgebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts, an dem Harbarth mitwirkte: „Angesichts dieser Entwicklung“, heißt es dort, „wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden. Dies gilt gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.“
Ausgewogen, authentisch, sorgfältig dargestellt, so heißt es unisono auch von den Intendanten, das biete der Rundfunk ja alles, denn es stehe schließlich genau so in den Rundfunkstaatsverträgen. Nur lesen die Bürger eben nicht allabendlich Rundfunkstaatsverträge. Sie schalten – jedenfalls etliche von ihnen – die öffentlich-rechtlichen Programme ein und nehmen dort etwas entschieden anderes wahr. Beispielsweise einen Redakteur und nebenberuflichen Grünenfunktionär, der auf sie herabnäselt, jetzt sei der Energiepreisschock da, und das sei auch gut so. Oder eine Tagesthemen-Moderatorin, die sich über den grünen Wirtschaftsminister im Stil einer grünen Parteitagsrede äußert. Oder eine Berichterstattung über den afrikanischen Erfinder eines stromerzeugenden Fernsehers, dessen geniale Entwicklung im rassistischen Europa ignoriert wird.
So ähnlich verhält es sich mit dem Widerspruch zwischen dem Grundgesetz mit seinen Abwehrrechten einerseits und dem Treiben von Bundesministern und von ihnen geförderten Agitationsplattformen andererseits. Hier stürzt der Verfassungsstaat, um Harbarths Worte abzuwandeln, auf sehr unproduktive Weise in die Kluft zwischen Grundgesetzwortlaut und Praxis. Da Harbarth es vorzieht, diese Kluft nicht wahrzunehmen beziehungsweise zuzudecken, gilt sein Augenmerk der Abwehr von Angriffen, die sich nach seiner Logik nur von außen gegen den politischen Apparat richten.
Politiker, die zu wissen meinen, wohin die Gesellschaft als Ganzes soll
Und nun kommt ein entscheidender Gedankenschritt: „Und auch die von ihm nicht zu garantierenden Voraussetzungen darf und soll er auf vielfältige Weise ‚stützen und schützen‘. Dazu gehört auch die Vermittlung des Grundgesetzes und seiner Werte über den Schulunterricht hinaus.“
Hier landet er bei exakt der Begründung, mit der schon die vorige Bundesregierung Milliarden an öffentlichen Mitteln für Forschungsverbünde, Organisationen, Plattformen, Kampagnen, und Vereine bis an den Rand der Verfassungsfeindlichkeit und darüber hinaus locker machte: Sie sollen zum einen im Sinn von Politikern, die wissen, was das schlechthin Gute für die Gesellschaft ist, dieses Gute in die Gesellschaft hineintragen und hineintreiben, sie sollen stellvertretend für den Kernstaat einen Meinungskampf führen, nicht selten gegen eine Mehrheit Bürger, finanziert mit ihrem Steuergeld, aber unter dem absurden Etikett der „Zivilgesellschaft“. Zivilgesellschaft war einmal ein anderer Begriff für Bürgertum oder Bürgergesellschaft, also für das, was gerade nicht zu den Staatsgewalten zählte, und vor allem nicht von staatlichem Geld lebte. Diese Begriffsverdrehung entspricht der absichtlichen Verwischung zwischen Verfassungssinn und politischer Wirklichkeit.
Wenn der Staat etwas „stützt und schützt“, dann macht er es auf Dauer auch von sich abhängig. Dann versucht er eben doch, von oben Bewusstsein zu schaffen und im nächsten Schritt das Bekenntnis seiner Bürger dazu zu erzwingen, es ihnen zumindest abzunötigen. Das ist genau der Weg, um das, was Böckenförde meinte, zu unterlaufen. Ein solcher Staat ist dann eben nicht mehr liberal verfasst. Sondern er gibt vertikal vor, was auch außerhalb von Recht und Verfassung als gut, richtig und verbindlich zu gelten hat.
Wenn Harbarth schon eine „Verfassungspädagogik“ will – er verwendet diesen Begriff – sollte er sie dann nicht zuallererst auf die Vorsitzende der Regierungspartei anwenden? Die fordert wie etliche andere Politiker die „Parität“ in den Parlamenten, also eine Geschlechterquotierung von Wahllisten.
Bisher haben zwei Verfassungsgerichtshöfe – Brandenburg und Thüringen – entsprechende Gesetzesvorlagen als verfassungswidrig verworfen. Vorkämpferinnen wie Saskia Esken ficht das nicht an. Sie argumentieren, dahin müsse sich die Gesellschaft eben entwickeln, und das veraltete Verfassungsrecht habe irgendwie nachzukommen, notfalls geändert oder ein bisschen hingebogen. Mit anderen Worten: Jemand wie die SPD-Vorsitzende weiß, wohin die Gesellschaft als Ganzes soll. Vom Grundgesetz lässt sie sich dabei nicht beeindrucken. Ein anderer Adressat für Harbarths verfassungspäd- beziehungsweise andragogischen Eros wäre der Oberbürgermeister von Hannover, der gerade ankündigte, eine Quote für Bewerber mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst der Stadt einzuführen. Im Grundgesetz steht es noch anders. Dort jedenfalls gelten noch gleiche Zugangschancen und das Prinzip der Bestenauslese.
Es kommt noch ein Letztes in seiner Argumentationskette, die er so spannen muss, dass er alle für ihn heiklen Punkte ausspart. Was soll die Gesellschaft jenseits des Verfassungstextes zusammenhalten? Von Religion ist nicht mehr viel zu erwarten. Harbarth fällt auch dazu nur etwas sehr Dünnes ein: „Ohne den Großbegriff des ‚Verfassungspatriotismus‘ oder den schillernden der ‚Zivilreligion‘ in den Mund nehmen zu wollen“, sagt er und nimmt dabei beides in den Mund, „ich hoffe und glaube, dass unsere Verfassungsordnung selbst, das Grundgesetz, ein überaus attraktives Identifikationsangebot macht; im Mindesten aber einen Rahmen, auf den man sich verständigen kann.“
Das ist genau das, was Jürgen Habermas mit „Verfassungspatriotismus“ meinte, weil er sah, dass keine Gesellschaft ganz ohne ein Sinnangebot auskommt. Nur eignet sich erstens die Verfassung nur dann als Identifikationsangebot, wenn sich die Wirklichkeit von dieser Verfassung nicht allzu weit entfernt. Und zweitens, darauf wollte Böckenförde auch hinaus, sollte es schon einen Grundbestand jenseits der Verfassung geben. Denn das meinte er ja: Bevor Bürger der Verfassung mehrheitlich zustimmen, brauchen sie schon einen gemeinsamen Grund, auf dem sie stehen. Dafür bieten sich Kultur und Geschichte an. Nur bemüht sich eine politisch-medial-organisatorische Allianz gerade, auch diesen Boden wegzuziehen.
In einer Zeit, in der Eifrige während des Katholikentags das Denkmal von Wilhelm I. in Stuttgart wegen dessen nichtexistenter Kolonialverbrechen verhüllen, in Berlin 290 Straßennahmen geändert oder „kontextualisiert“ werden sollen, von Richard Wagner über die Brüder Grimm bis Adenauer, wenn der Bundespräsident kontrafaktisch das Kaiserreich als Halbdiktatur zeichnet, in der angeblich Juden verfolgt würden (während ihm eine ähnlich ausladende Verdammung der DDR bisher nicht über die Lippen kam), wenn die Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Bibelinschrift an der Kuppel des wiedererrichteten Berliners Stadtschlosses tilgen will („da will ich ran“) und gar nicht aufhören kann, sich für die Kolonialgeschichte Deutschlands zu entschuldigen (für ihren Part an der antisemitischen Show der Documenta 15 weniger, da ist ihre Scham durchaus enden wollend), wenn mittlerweile auch Kant allerlei staatlich alimentierten Progressiven als Rassist gilt – ja, dann bleibt wenig gemeinsamer Boden übrig.
Auf TE gab es auch schon den Hinweis, dass Roths Furor gegen den Bibelspruch am Schloss das eine ist, sie und ihre Gesinnungskameradschaft aber auch kein anderes Sinnangebot machen können. Das, woran sie arbeiten, ist ein schwarzes Loch, dem großen Krater nicht ganz unähnlich, dem Böckenförde sich damals nach Kriegsende gegenübersah. Seine Schlussfolgerung bestand darin, die Leerstelle nie wieder mit einer anderen Großideologie zu füllen, sondern mit einer Rechtsordnung, die sich ihrer Vorläufigkeit bewusst sein und jede Hybris meiden sollte.
Wahrscheinlich unterscheidet ihn eine bestimmte Qualität mehr als alles andere von Stephan Harbarth: Demut. Für Böckenförde war es nicht Aufgabe des Staates, seinen Bürgern ein Fernziel vorzugeben, ein Telos. Ihm wäre es vermutlich auch nicht eingefallen, mit Berufung auf eine mögliche Klimaentwicklung in der Zukunft den Weg für eine Freiheitsbeschneidung in der Gegenwart zu öffnen. Böckenförde ging es darum, den Bürgern nach der Katastrophe von Diktatur und Krieg etwas Statisches anzubieten, eine haltbare und gleichzeitig immer nur vorläufige Ordnung.
Auf deren Boden sollten dann die Bürger untereinander geordnet streiten – und der Staat bestenfalls über die Regeln wachen. Aus welchem Denken Böckenförde stammt, blitzt bei Harbarth gelegentlich auf. Etwa, wenn er zitiert, wie der dann nicht verwirklichte Entwurf für Artikel 1 des Grundgesetzkonvents von Herrenchiemsee lautete: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“
Auch wenn er keinen Eingang in den Text des Grundgesetzes gefunden habe, so Harbarth, „spiegelt er dessen Geist. Einer der wunderbarsten Sätze der deutschen Verfassungsgeschichte.“ Noch wunderbarer wäre der Satz gewesen, wenn er tatsächlich das Grundgesetz eingeleitet hätte. Er ist sehr viel konkreter als der zur Überdehnung einladende Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Vor allem beschreibt er das Verhältnis von Bürgern und Staat so gut, dass man ihn nur herumdrehen muss, damit er das politische Denken von großen Teilen der heutigen politischen Klasse schildert.
Mit dem, was Stephan Harbarth in Hamburg sagte, kommt er nicht in die Rechtsgeschichte. Wahrscheinlich aber ins Schloss Bellevue.
*Friedrich Kittler erzählt in „Unsterbliche“ (2004), wie jemand Luhmann einmal fragte: „Seit wann denken Sie Kontingenz?“, und Luhmann geantwortet habe: „Herr X, unsere Gymnasialklasse ist 1945 noch zur Wehrmacht einberufen worden. Ich stand mit meinem Banknachbarn an der Brücke, zwei Panzerfäuste in vier Händen. Dann machte es zisch, ich drehte mich um – da war kein Freund und keine Leiche, da war nichts. Seitdem denke ich Kontingenz.“
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Also ich sehe die Aufgabe des Staates darin das Staatsgebiet zu schützen, für Bildung zu sorgen, die Infrastruktur bezüglich Gesundheitsversorgung,Wasser, Elektrizität und Straßen zu garantieren und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Dazu zahle ich auch gerne Steuern. Ansonsten möchte ich vom Staat einfach in Ruhe gelassen werden.
Ein Kommentar etwas vom Gegenstand des obigen Artikels abschweifend:
Ähnlich dürfte die Lage in Italien oder den USA, in Frankreich sowieso, aussehen. Wer fragt sich denn noch ernsthaft, warum „Meloni passieren“ konnte?
Mit dem Habarth Schachzug an die Spitze haben sich die sogenannten Demokratieverteidiger entlarvt und das wahre Ziel in den Fokus gesetzt: Die demokratische Bundesrepublik hat ausgedient.
Und zu einem Staatsapparatschik, der meine Grundwerte nicht teilt, gehe ich auf Distanz.
Das „right to let be alone“ wurde ja bereits vom Kanzler durch „you never walk alone“ ersetzt. Was für mich nicht nach Solidarität, sondern eher wie eine Drohung klingt. Harbarth sieht die Freiheit des Einzelnen als Bedrohung für den Staat, da dieser in seiner Freiheit auch den Staat delegitimieren könnte. Aber ein Staat, der dem Bürger das Recht auf Delegitimierung seines Staatswesens genommen hat, ist eine Diktatur. Der freiheitliche Staat muss diese Freiheit des Bürgers akzeptieren. Und weit schwerwiegender als die Delegitimierung durch die Bürger wiegt für mich die Delegitimierung, die Politiker und der ÖRR tagtäglich vorsätzlich betreiben. Von daher… Mehr
Herr Harbarth ist nicht`s anderes wie ein von der Politik instruiertes U-Boot in unserem höchsten Gericht. Mir der Gnade Merkels in dieses Amt gekommen (CDU-Mann), versteht er somit seinen Auftrag darin, die politischen Entscheidungen durchzusetzen. Dafür sind ihm Gerichtsurteile seines eigenen Hauses sehr willkommene Hilfen. Er bügelt alle Klagen ab und hält der Politik den Rücken frei. Der Bürger erhält keinen Schutz mehr von höchstrichterliche Stelle. Fazit: Wir haben keinen Rechtsstaat mehr! Die Unterwanderung aller entscheidenden Systeme ist abgeschlossen. Medien, Gerichte, Behörden. Der perfekte Staatsstreich. Hatten wir alles schon mal. Aber aus der Geschichte zu lernen scheint nicht das Ding… Mehr
Hervorragende Arbeit, Herr Wendt! Schon in den ersten Absätzen kam mir immer wieder ein Gedanke, er blieb bis zum letzten Satz. Eigentlich müsste es jedem, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, wie unser Harbarth, wie dicke Bretter von den Augen fallen. Was für eine Erleichterung wäre es wohl für jemanden wie ihn mit so viel Holz vorm Hirn und für unsere holzwürmige Landeselite, endlich aus dem ganzen Gehölz herauszufinden und freie Sicht zu haben. Mal ganz ohne Holz vorm Hirn. Man bräuchte nur die Bürger nach dem Weg fragen. Und schon käme man aus dem Bretterwald heraus. Das… Mehr
Die Fragen, womit sich eine Mehrheit der Gesellschaft heute noch identifizieren und was Bürger zum gesellschaftlichen und politischen Engagement motivieren könnte ist ungemein spannend und nicht leicht zu beantworten. Nach guter Problemanalyse verfällt Alexander Wendt dann aber leider wieder in das bekannte Gejammer über Journalisten und Politiker, die in politisch-medial-organisatorischer Allianz (!), durch Arroganz und falsche Entscheidungen den Bürgern Identifikation angeblich unmöglich machen. Schade, das Thema hätte wesentlich mehr hergegeben.
Der Speyerer Verfassungsrechtler Hans-Herbert von Arnim weist in seinen Büchern schon seit Jahrzehnten auf zunehmende Widersprüche zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit hin. Die Bürger nehmen diese Widersprüche immer mehr wahr. Die politisch-mediale Kaste hingegen weigert sich, diese zur Kenntnis zu nehmen und Änderungen in Richtung mehr Übereinstimmung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in die Wege zu leiten. Sie selbst wären es nämlich, die dafür Opfer bringen müssten, vor allem in Form von Verzicht auf Macht, Geld und Privilegien.
In nicht lupenreinen Pseudo-Demokratien bestimmt die Obrigkeit was Recht ist. Was die Dummen ganz oben nicht sehen können ist, dass dieses Verhalten die Grundlage für ganz rächts ist. Uneinigkeit, Unrecht und Unfreiheit sind das Ziel von den aktuellen Akteuren.
Wie immer brillant analysiert von Alexander Wendt. Natürlich beschäftigt man sich normalerweise nicht mit solch komplexen juristischen Theorie – Zusammenhängen in unserer Verfassung. Aber es ist interessant, wie die Verfassung von unseren Eliten heute immer mehr gedeutet wird. Der Staat sind wir und ihr habt das zu tun , was wir vorgeben. Da wir – dort ihr. Sehr gefährlich ….
Und was ich als besonders kritisch empfinde , es gibt keine ernsthaften politischen Bewegungen, welche das Stimmungsbild der politischen Mitte wieder gibt und auffängt.
Da ist leider nichts…
Im Grunde ist die BRD eine halbe DDR, eben nur etwas bunter und erweckt mehr den Anschein etwas anderes zu sein.
In der DDR wusste jeder ungefähr, was gespielt wird.
Hier ist es so, es packt einen das kalte Grausen, wenn man sich umsieht, wie banal und beschränkt die Eliten sind.
Das genau ist eigentlich der Grund, warum Frau Merkel so erfolgreich sein konnte.