Die EU lässt gegen Polen die Muskeln spielen

Bezeichnend ist, wie die veröffentliche deutsche Meinung mit der Sache umgeht, wie lange man in der Presse suchen muss, um herauszufinden, was die Polen denn eigentlich angestellt haben sollen.

© Dan Kitwood/Getty Images
Prime Minister of Poland Mateusz Morawiecki arrives for the European Union leaders summit at the European Council on December 14, 2017 in Brussels

Die EU-Kommission lässt gegen Polen die Muskeln spielen. Es ist zwar nur fürs Schaufenster, und die Muskeln sind eigentlich bloß Attrappen. Denn der angedrohte Entzug des polnischen Stimmrechts ist nur möglich, wenn alle anderen EU-Mitglieder mitziehen. Das werden aber gerade einige mittel- und osteuropäische EU-Mitglieder nicht tun. Ungarn hat sich bereits in dieser Weise geäußert. „Das ist beispiellos und unfassbar“, erklärte Vize-Ministerpräsident Zsolt Semjen. Und weiter: „Es ist inakzeptabel, dass Brüssel Druck auf einen souveränen Mitgliedsstaat ausübt und eine demokratisch gewählte Regierung willkürlich bestraft.“

Es geht um zwei Gesetze, die der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, verabschiedet hat. Das erste gibt dem Parlament die Vollmacht, die Besetzung des Obersten Gerichtshofs zu beeinflussen. Das zweite ermächtigt die Abgeordneten, die meisten Mitglieder des Landesjustizrats zu bestimmen. Dieses Gremium schlägt in Polen wiederum die Richter vor. Das stößt in der EU auf Kritik. Moniert wird von der EU zudem die Herabsetzung des Rentenalters für die Richter am obersten polnischen Gericht von 70 auf 65. Polens Staatspräsident Andrzej Duda hat diese Gesetze jetzt jedenfalls unterzeichnet; er weist die Kritik der EU zurück und fügt an, dass mit diesen beiden Gesetzen die Unabhängigkeit der Justiz keineswegs gefährdet sei.

Bezeichnend ist, wie die veröffentliche deutsche Meinung mit der Sache umgeht. Es ist in den allermeisten Zeitungen und Sendungen nur die Rede davon, was die EU vorhat. In martialischen Tönen ist gar von einer „Atombombe“ der EU die Rede. Bezeichnend ist auch, wie lange man in der aktuellen Presse suchen muss, um herauszufinden, was die Polen denn eigentlich angestellt haben sollen. Die „Zeit“ kritisiert, dass die beiden neuen Gesetze es der PiS ermöglichen, bei der Ernennung von Richtern mitzubestimmen. Die PiS? Die nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, deutsch: Recht und Gerechtigkeit) stellt nun einmal die (knappe) absolute Mehrheit im polnischen Parlament. Bei den Wahlen vom 25. Oktober 2015 hatte sie 37,6 Prozent erreicht und mit 235 der 460 Mandate eine absolute Mehrheit im Sejm bekommen. Das dürfte das eigentliche Problem für die EU sein.

Nur, geschieht die Besetzung höchster Richterposten in Deutschland so ganz anders? Fragen wir, wie Deutschlands höchstes Gericht, das Bundesverfassungsgericht, besetzt wird. Nun, das Bundesverfassungsgericht besteht aus sechzehn Richtern (davon derzeit sieben Richterinnen). Acht der Richter werden vom Bundestag, acht vom Bundesrat gewählt. Für die Wahl ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Die Amtszeit beträgt zwölf Jahre; Wiederwahl ist nicht möglich. Die Amtszeit endet mit Ablauf des Monats, in dem ein Richter 68 Jahre alt wird.

Im Bundesrat werden die Richter durch das Plenum gewählt. Grundlage ist hierbei ein durch die Ministerpräsidenten eingebrachter Antrag. Gewählt ist, wer eine Zweidrittelmehrheit bekommt, das sind 46 von 69 Stimmen. Auch im Bundestag braucht ein Kandidat eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen; diese muss jedoch mindestens die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages betragen. Vorbereitet wird die Wahl von einem zwölf Mitglieder umfassenden Wahlausschuss, den der Bundestag einsetzt. Die Verteilung der zwölf Mitglieder auf die Fraktionen erfolgt nach dem d’Hondt’schen Verfahren. Der Ausschuss berät vertraulich, die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Für einen Wahlvorschlag sind mindestens acht von zwölf Stimmen erforderlich.

Und wie schaut realiter die Zusammensetzung der 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts aus? Auf das Ticket der CDU/CSU gehen sieben Mitglieder: Ferdinand Kirchhof, zugleich Vizepräsident, Michael Eichberger, Josef Christ, Christine Langenfeld, Peter Huber, Sibylle Kessal-Wulf und Peter Müller (letzterer vormaliger saarländischer Ministerpräsident). Auf Vorschlag der SPD wurden ebenfalls sieben gewählt: Andreas Voßkuhle, zugleich Präsident, Yvonne Ott, Johannes Masing, Gabriele Britz, Monika Hermanns, Doris König und Ulrich Maidowski. Qua Vorschlag der FDP wurde ein Richter gewählt: Andreas Paulus; qua Vorschlag der Bündnis 90/Grüne ebenfalls ein Mitglied: Susanne Baer.

Wir gehen davon aus, dass all diese 16 Damen und Herren in ihrem Amt gleichwohl parteipolitisch unabhängig urteilen. Aber ehe man sich die Polen vorknöpft, sollte man doch in der EU einmal untersuchen, welche Alternativen denn andere EU-Länder bei der Besetzung von höchsten Richterposten praktizieren. Ohne parteipolitischen Proporz wird es nirgends zugehen. In Deutschland dürfte das besonders ausgeprägt der Fall sein, denn hier hat – gottlob – keine Partei im Bundestag oder auch im Bundesrat eine absolute Mehrheit. Im übrigen muss die absolute Mehrheit der PiS keinen Ewigkeitswert haben. Spätestens 2019 wählen die Polen einen neuen Sejm. Wenn die EU mit ihrem Muskelspiel gegen Polen freilich so weitermacht, könnte es wieder zu einer PiS-Mehrheit kommen. Denn die Polen haben in ihrer politisch-kulturellen DNA – wie alle Nationen Mittelosteuropas – eine tief verwurzelte Abneigung gegen Fremdbestimmung.

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Kommentare ( 82 )

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Tomaschewski
6 Jahre her

Die Menschen im Westen haben keine Ahnung wie bei den Polen das Justizsystem „funktioniert“. Es handelt sich um einen Staat im Staat – teilweise noch von alten Kommunisten und Sicherheitsapparat besetzt. Korruption und Vetternwirtschaft überall. 
Richter ist unberührbaren Kaste. Tausende Oppositionelle während des Kriegsstand und danach verurteilten, kleben weiter fest an ihrem Sessel. Huderte Oppositionsaktivisten wurde ermordet und kein Verbrecher wurde bestraft.
Hier ist eine Liste von Hunderten Opfern des Kriegsrechts, die heimlich von den Sicherheitsdiensten ermordet wurden. 
http://www.bialo-czerwona.pl/stan_wojenny/ofiary.htm Hier sind paar Beispiele: 1. Der Oberste Gerichtshof schützt die Richter vor der Volksrepublik Polen. „Ihr“ Mann in der Toga wird ungesühnt… Mehr

Deali
6 Jahre her

Dieser unsägliche Maas wird auch mal als Verfassungsrichter eingesetzt

Pete Ahr
7 Jahre her

Habe gelesen, Sebastian Kurz schlägt sich in der polnischen Frage auf die Seite Merkels. Das darf ihm Strache bzw der freiheitliche Part in der Regierung nicht so einfach durchgehen lassen.

carlo rorini
7 Jahre her

„parteipolitisch unabhaengig“ ist wichtig, aber nicht alles. wie steht es mit der juristischen qualifikation der deutschen verfassungsrichter? zu meiner zeit, seinerzeit mussten diese eine karriere als richter oder juristicher hilfsarbeiter an einem bundesgericht gemacht haben, bevor sie richter am bverfg werden konnten. und jetzt? man kann die vita eines jeden bei google nachlesen und da kommen einem doch gewisse zweifel an den juristischen faehigkeiten von einigen dieser herren und damen.

Silas
7 Jahre her

Das ist allerdings wahr, daß man gar nicht erfahren konnte, was die Polen denn nun ausgefressen haben sollen. Diese Angelegenheit wirft aber nicht nur ein Schlaglicht auf die deutsche Journaille, sondern auch auf den gefährlichen Zustand der EU. Mit denen kann das so nicht weitergehen, die machen Europa kaputt. Ex oriente lux Visegrad, da werden sie geholfen!

Axel Gerold
7 Jahre her

MV-Ministerpräsidentin Schwesig wollte neulich ihren Kanzlei-Leiter loswerden. Also ernennt die Justizministerin ihn zum Vorsitzenden Richter am OLG Rostock, obwohl man die vakante Stelle auch hätte ausschreiben können. Aber das geschah nicht, weil sie wohl ursprünglich wegfallen sollte. So nahtlos sind Parteikarrieren und Justiz verzahnt. Gäbe es in Polen eine rot-grüne Regierung wäre aus Brüssel kein Sterbenswörtchen zu hören.

Dr.Hans-Joachim Radisch
7 Jahre her

Es geht bei meiner Kommentierung, wie der Computer leider verschluckt hat, um eine aktuelle Richtereinsetzung in Mecklenburg-Vorpommern durch Manuela Schwesig, die ehemalige Speerspitze der GroKo im Kampf gegen Rechts und Rechtsstaats- und Demokratiegefährdung…

Dr.Hans-Joachim Radisch
7 Jahre her

Wie pharisäerhaft die Diskussion geführt wird, zeigt der Umstand, daß die hinsichtlich rechtsstaatlicher und demokratischer Gesinnung als SPD-Ministerpräsidentin über jeden offen Zweifel erhaben ist, in Mecklenburg-Vorpommern gerade unter Umgehung des Richterwahlausschusses durch direkte eigene Entscheidung einen Ihrer Vertrauten auf den Posten eines Vorsitzenden Richters eines OLG-SENATES versetzt hat. So dreist und direkt greift keine polnische Reform in die dortige Gewaltenteilung ein. Das zeigt, daß die Kritik an Polen in Europa nichts mit dem nur vorgeschobenen Schutz selbst nicht geteilter rechtstaatlicher Grundsätze zu tun hat: Man muß nachgerade befürchten, daß der Mainstream lediglich Gründe sucht, um angesichts des polnischen Widerstandes gegen… Mehr

ULRICH Salloch
7 Jahre her

Die Polen und Ungarn hatten vergessen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, genauso wie die Deutschen nach der Stunde null, die alte Garde der Richter vom Hof zu jagen. Zum Bedauern der Mehrheit der Polen. Da aber diese Robenträger vom gleichen Fleische wie die der linken Gesinnungskohorten unseres bunten Lande sind, rollen erneut , wenn auch verbal, die Deutschen VdL und Timmermanns EU Panzer gen Budapest und Warschau. Ein weiterer Mosaikstein zur Auflösung der Eu ist gelegt.

Eberhard
7 Jahre her

Die EU ist heute, genauso wie Deutschland, in Ost und West gespalten. Die Schuld liegt bei denen, denen über vierzig Jahre Diktatur mit ihrer versteckten Fremdherrschaft erspart geblieben. Menschen die in der Zeit in Freiheit und Wohlstand gelebt, können oder wollen die von der Jahrzehntelangen Unfreiheit Betroffenen nicht verstehen. Eine Kanzlerin, die verstanden hat aus dieser Unfreiheit doch noch gewisse Privilegien für sich selbst zu ziehen, stellt sich wieder auf die Seite einer Mehrheit. Das sind nun mal diejenigen, die die Fesseln einer Diktatur nicht zu spüren bekamen. Ein durch Diktatur eingeschränktes Leben und das noch mit geringem Wohlstand kann… Mehr