Es war ein fester Termin, den nie jemand ausgemacht hat: Mainz, 12.30 Uhr, am Rheinufer, Höhe Kaisertor. Keiner hatte sich je verabredet, keiner kannte sich vorher. Doch immer mehr waren täglich da. Gegen 12.30 Uhr. Mit den Hunden. Erst zehn Menschen und Minuten, dann 20, 30… Der Herrchen- und Frauchen-Treff wurde zur festen Institution während der Pandemie. „Die Wissenschaft“ hatte gesagt, wir müssen Kontakte reduzieren. Politik und Verwaltung setzten es stur um. Einzuwenden, sozialer Umgang gehöre zum Bedürfnis und zur Gesundheit des Menschen, war verpönt.
Nun ist die Pandemie weg. Die Trümmer liegen da. Die Politiker sind fast immer noch die gleichen, die diese Trümmer verursacht haben – aber beim Wegräumen wollen sie so tun, als ob sie nichts damit zu tun hätten: „Jeder sollte sich fragen, ob er einen einsamen Menschen kennt, den er heute anruft oder besucht. Einsamkeit kann tödlich sein“, schrieb Lauterbach an Weihnachten auf Twitter. Damit hat der Gesundheitsminister einerseits Recht – betreibt aber andererseits eine Heuchelei, die ihresgleichen sucht: Lauterbach gehörte erst zu den Scharfmachern und später zu den Verantwortlichen, die den Deutschen eben das ein Jahr vorher noch verboten haben, nämlich einsame Menschen zu besuchen.
„Einsamkeit kann tödlich sein.“ Lauterbach hat Recht. Aber tödlich war Einsamkeit auch schon 2020 und 2021. Da gehörte Lauterbach zu den Hetzern, die jeden verdammt haben, der vor tödlicher Einsamkeit gewarnt hat. Da gehörte Lauterbach, der schon als Abgeordneter die Aufmerksamkeit der Kanzlerin genoss, zu denen, die Kinos und Gaststätten schließen ließen. Die Familienbesuch unter Strafe stellten. Die Nachbarn aufforderten, „illegale“ Partys und Besucher zu melden. Die dafür sorgten, dass alte Menschen einsam in Heimen und Krankenhäusern starben. Ohne ihre Kinder und Enkel, die draußen bleiben mussten. Alt und einsam, nach tagelanger Isolation verstorben, wie sie ein Rechtsstaat nicht einmal seinen Schwerverbrechern zumuten würde.
Oder der Teil der Presse, der Millionen von der Gates-Stiftung erhält, wie zum Beispiel der Spiegel. In einem Text über die Telefonseelsorge zitiert das Blatt deren Sprecher Ludger Storch: „Während der Lockdowns war das natürlich besonders deutlich.“ Nun hätten die Betroffenen Schwierigkeiten, „mit anderen Menschen wieder in Kontakt zu kommen“. Sie wüssten nicht, wie sie eingeschlafene Beziehungen wieder beleben sollen.
Der Telefonseelsorge geht es so eindringlich um Corona, dass der Spiegel an dem Thema nicht vorbeikommt. In den Überschriften findet sich das böse Wort „Corona“ aber denoch nicht in Verbindung mit tödlicher Einsamkeit. Die lauten: „Die größte Volkskrankheit in Deutschland“ und „Jeder vierte Anruf bei der Telefonseelsorge zum Thema Einsamkeit“. Nicht einmal im Vorspann erwähnt der Spiegel die Pandemie, mit der Pfizer Milliarden Dollar verdient hat und mit Pfizer der Anteilhaber und Spiegel-Geldgeber Gates. Die Pandemie ist vorbei. Kann mal jemand die Trümmer wegräumen? Aber ohne darüber zu reden. Lauterbach und der Spiegel haben sich längst selbst verziehen, was sie während der Pandemie alles angerichtet haben.
300.000 der 1,2 Millionen Anrufe gingen laut Telefonseelsorge auf Einsamkeit zurück. In einem Land, in dem der Bundeskanzler von „You’ll never walk alone“ schwadroniert – und sein Wirtschaftsminister mit seiner Energiepolitik dafür sorgt, dass der Besuch von Kino oder Kneipe so teuer wird, dass sich den kaum noch einer leisten kann. Die 300.000 sind eine Zahl. Manche mögen sie für beeindruckend halten – andere nicht. Aber sie ist ohnehin nur ein Symptom. Nicht jeder, der einsam ist, ruft bei der Telefonseelsorge an.
Lauterbach hat Recht: Einsamkeit kann tödlich sein. Sie lässt sich nur im Privaten lösen. Mit Nachbarn reden oder mit Passanten. Menschen besuchen. Der Staat ist keine Lösung. Nicht nur dann nicht, wenn er Besuche unter Strafe stellt und Nachbarschaften zerstört, indem er erfolgreich zur Denunziation aufruft: Berlin entwickelt gerade ein neues Verkehrskonzept, das zu häufige Besuche in anderen Stadtteilen unterbinden soll. Corona heißt jetzt (wieder) Klimaschutz und ihm ist alles unterzuordnen – fordert „die Wissenschaft“. Freundschaften zerstören und Einsamkeit befördern kann eine solche Politik ja nicht. Falls doch, schreibt man wieder einen Tweet. Einmal im Jahr. An Weihnachten. Das muss dann auch mal reichen an Verantwortung.
Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.