Der Rücktritt von Anne Spiegel zehrt am Selbstverständnis der Grünen

Anne Spiegel ist zurückgetreten. Die Bundesfamilienministerin war nicht mehr zu halten - nach ihrem Versagen während der Ahrflut, nach ihren nachweislichen Lügen und nach ihrem bizarren TV-Auftritt. Doch die Schlacht um die Deutungshoheit in Sachen Spiegel haben die Grünen noch nicht aufgegeben.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Erwin Manz ist noch im Amt. Gut. Außerhalb von Rheinland-Pfalz wird kaum einer den Mann kennen. Innerhalb übrigens auch nicht. Müsste man den Biologen klassifizieren, wäre er ein graustichiges Mauerblümchen, das sich im Politapparat hochgedient hat, bis es als Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Umweltministerium ausgewachsen war. Mit 61 Jahren – danach kommt nur noch der Ruhestand.

Das wäre auch so gewesen, wenn er am Tag vor der katastrophalen Flut im Ahrtal nicht so folgenschwer versagt hätte. Manz war es, der erfuhr, dass sein Haus gefährlichen Unsinn verbreitet hatte. Nämlich, dass an der Ahr gar nicht mit einer so schweren Flut zu rechnen sei. Und auch er war es, der entschied, es genüge, diesen gefährlichen Unsinn einen Tag später zu korrigieren. Doch an diesem Tag später hatte die Flut 134 Menschenleben gekostet. Darunter das Leben der Bewohner eines Behindertenheimes. Hilflose Menschen, deren Evakuierung nicht rechtzeitig eingeleitet wurde. Manz ist immer noch im Amt. Wie auch immer die Grünen das erklären mögen.

Doch auch wenn der Fall Anne Spiegel noch ein Thema ist, ist Manz keines. Zum einen ist er als rheinland-pfälzischer Staatssekretär schlicht nicht so wichtig. Zum anderen berührt er nicht annähernd so stark das grüne Selbstverständnis, wie es der politische Untergang seiner ehemaligen Chefin getan hat. Mit Spiegel ist der Partei eine linke Frau weggebrochen – ein Profil, das sie am liebsten zur Bundeskanzlerin machen würden, wenn die Wähler nicht auf so etwas wie Lebensläufe achten würden. Vor allem aber hat Spiegels von medialem Druck erzwungener Rücktritt das grüne Selbstverständnis in Frage gestellt.

Das grüne Selbstverständnis, das da lautet: Wir sind die Guten. Und folgerichtig ist, was die Grünen machen, ist gut und edel und wichtig. So gut und so edel, dass eine Grüne nicht einfach sang- und klanglos abtreten kann. Nach nur vier Monaten im Amt. Nein, ihre Arbeit muss „unglaublich gut“ gewesen sein – auch wenn sie keine 20 Wochen gedauert hat. Und ihr Abgang geprägt sein durch eine „Transparenz und Offenheit, wie sie es sonst nicht gibt“, wie Grünen-Chef Omid Nouripour schwärmte. Eigentlich hatte Spiegel nachweislich Medien und ihre eigene Partei angelogen. Aber in einem Land, in dem Schulden nun Sondervermögen heißen, darf man Lügen gerne auch „Transparenz und Offenheit, wie sie es sonst nicht gibt“ nennen.

Und so hält sich der Hashtag „#AnneSpiegel“ noch in den Trends, obwohl die Namensgeberin schon zwei entscheidende Tage in Richtung Vergessenwerden hinter sich gebracht hat. Wobei es mehrere Argumente in den Verteidigungen gibt. Das eine lautet, Spiegel sei halt überfordert gewesen.

Wobei ihre Kritiker ja auch nichts anderes sagen.

Andere Spiegel-Verteidiger versuchen sich in Whataboutism:

Und wenn gar nichts hilft, muss ihre Arbeit halt überhöht werden. Die Arbeit von gerade mal vier Monaten.

Spannend ist aber, dass sich Medienvertreter vehementer vor Spiegel stellen, als es grüne Parteigänger tun. Denn für sie hängt noch viel mehr vom Selbstverständnis der Grünen als die Guten ab, als es für die Partei der Fall ist. Denn wenn die Grünen eine Partei wie jede andere auch sind, sind sie selbst nur Claquere, die das Gebot zur Unabhängigkiet ignorieren. Nur wenn die Grünen die Guten sind, schreiben auch sie selbst im Auftrag der Weltrettung.

Und so beginnt denn die Verteidigungs-Tortur. Die Zeit sieht in Spiegels Lügen und Pflichtversäumnissen das „Recht auf Atempause“. Für die Kolumnistin Hatice Akyün ist jede Kritik an Spiegel „Gegeifere“, das so tue, „als hätte es Maskendeals und 9999 Euro Spendendinner nie gegeben“. Mit der gleichen Logik könnte der Mörder Freispruch verlangen, weil es ja schließlich schon Doppelmorde gegeben hat. Die Kolumnistin Sibel Schick zieht – endlich – die Frauenkarte: „Es geht um den sexistischen & fortschrittsfeindlichen Doppelstandard, dass konservative Männer immer unschuldig seien und im Amt bleiben dürfen, egal wie korrupt und fehlerhaft sie sind.“ Wobei man – und gerne auch frau – den Grünen in Rheinland-Pfalz Schicks Worte mit auf den Weg geben möchte: Wenn Spiegel zurücktreten musste, sollte Erwin Manz ihr folgen. Schon im Sinne der Geschlechter-Gerechtigkeit.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 50 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

50 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Anton Steiner
2 Jahre her

Mal ’ne Frage in die Runde. Kann mir jemand sagen, warum es die Grünen überhaupt gibt und wozu die gut sein sollen?

Medienfluechtling
2 Jahre her

Das Selbstverständnis ist auf Sieg getrimmt. Es wird kein Nein akzeptiert und wenn schweigend ignoriert der zweite Anlauf genommen. Die Grünen sind gut trainiert. Wer erfolgreich dagegen halten und verdrängen will muss sich aktiv einbringen und eine eigene Story parat haben. Alle Menschen lieben Geschichten und wenn es die vom lieben Gott ist…

ReneKall
2 Jahre her

In einem regulärem Land würde man die ganzen Nichtskönner mit dem Dreschflegel aus den Ämtern jagen, aber hier erfreuen sich die Leute an den Versagern. Die spätrömische Dekadenz wird auch zu unserem Untergang führen.
„Das Einfordern von Privatleben .. überlebenswichtig“ , ja klar während im Ahrtal zur gleichen Zeit die Menschen ertranken. Der sogenannte Burnout wurde auch für solche Versager erfunden.

eschenbach
2 Jahre her

Es wird nichts nützen! Bei linksgrünen Wählern im Allgemeinen und bei den Wählerinnen im Besonderen wird es heißen: Jetzt erst recht!

Peter Gramm
2 Jahre her

Die Frage sei erlaubt. Wer nur hat ein Interesse daran dass solche Leute in Regierungsverantwortung kommen in Deutschland. Die Grünen sind ein Sammelbecken von Leuten die im Leben fast immer gescheitert sind. (ich weiss, es gibt auch Ausnahmen). Ideologien mit Vehemenz zu verfolgen ist ein Qualitätsmerkmal dieser Chaostruppe. Das kann unserem Land nicht gut tun.

a.bayer
2 Jahre her
Antworten an  Peter Gramm

Ich nehme an, sie wollen diesem Land, zumindest der „ekelhaften weißen Mehrheitsgesellschaft“, gar nicht gut tun. Und wenn ich mir den Parteinachwuchs so ansehe, dann ist m. E. deren politische Philosophie mit drei Silben erschöpfend beschrieben: „ich, ich, ich!“

Hueckfried69
2 Jahre her

Eine grüne Frau, die sich nach oben lügt oder durch Lügen dort oben bleibt, kommt bei den Grünen gut an! Sie macht ja, nach grünem Selbstverständnis, nur, was alte weiße Männer auch tun! Wissen Sie was? Gemessen an dieser jüngeren grünen Frauengeneration nebst ihrer Hofschranzinnen und Schmierfinkinnen, bei denen sämtliche Dämme brechen, ist die Alte Garde von denen nur ein Häufchen Marienkinder!

Medienfluechtling
2 Jahre her
Antworten an  Hueckfried69

Das merkt man tatsächlich den ganzen sehr jungen Redakteurinnen an, welche die Demontage ihrer Ikone kaum fassen können und schon wieder neue Forderungen nach „Vereinbarkeit“ aufstellen.

Kontra
2 Jahre her

Sie sind sich was wert, diese Grünen. Unter einem 5* Hotel machen die es nicht. Im Vorgarten des „Alten Gymnasiums“ zu Husum sehen die beiden Parteivorsitzenden eher aus wie zwei gescheiterte Existenzen, beim Versuch Zeitungsabos zu verkaufen.

Orlando M.
2 Jahre her

Der mediale Druck auf Frau Spiegel war mäßig, ihre eigene Partei hat sie zum Rücktritt gezwungen, weil diese Geschichte bei jeder Wahl eine Rolle gespielt hätte. Das lief ab wie üblich: „Anne, du hast zwei Tage deinen Rücktritt zu erklären, sollten die verstreichen schmeißen wir dich mit Krawall raus und eine Anschlussverwendung findet sich auch nicht!“.

Klaus Kabel
2 Jahre her

Ihre Arbeit muss „unglaublich gut“ gewesen – ja das kommt immer auf den Blickwinkel an wenn man zynisch ist. Diese linksgrüne Bande wir das Land nachhaltig zerstören, darin besteht ihre Arbeit. Und ich weiß nicht, ob denen noch mit rechtsstaatlichen Mittel beizukommen ist.

Albert Pflueger
2 Jahre her

Liebe Anne, ich danke Dir von Herzen für die außergewöhnlich enge Zusammenarbeit!
Da fragt man sich unwillkürlich, wie weit die beiden gegangen sind, um ihre Zusammenarbeit so außergewöhnlich eng zu gestalten.