Clan-Schießerei in Duisburg ist Wahlkampfballast für die nordrhein-westfälische CDU

Die Gewalteskalation unter kriminellen Gruppen in Duisburg wirft einen Schatten auf den Wahlkampf der (noch?) regierenden nordrhein-westfälischen CDU. Innenminister Herbert Reul sieht den Straßenkampf als Bestätigung seiner Ansichten, doch dass er stattfand, ist nicht gerade ein Erfolg seiner Politik.

IMAGO / Political-Moments
Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, kommentiert die Schießerei im Rocker- und Clan-Milieu in Duisburg-Hamborn, 05.05.2022.

Nach einer regelrechten Straßenschlacht mit Schusswaffeneinsatz zwischen Rockern und einem Nahost-Clan in Duisburg, bei der vier Menschen verletzt wurden, sind die 15 Festgenommenen wieder auf freiem Fuß. Sie durften alle noch am Donnerstag das Polizeigewahrsam nach ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung wieder verlassen, wie die Rheinische Post unter Berufung auf einen Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft berichtet. Die Ermittler hatten laut RP angedeutet, dass die Festgenommenen, die der Rockergruppe Hells Angels, ihrem Umfeld oder einem türkisch-arabischen Clan zugerechnet werden, nicht aussagen wollen. Angeblich war eine Doppelmitgliedschaft der Anlass hinter dem öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen Rockern und einem Nahost-Clan in der nordrhein-westfälischen Stadt.

Der Vorfall mit 80 bis 100 Beteiligten wirft einen Schatten auf den Wahlkampf der regierenden CDU in Nordrhein-Westfalen, wo in neun Tagen am 15. Mai der Landtag gewählt wird. Für Ministerpräsident Hendrik Wüst dürfte es in jedem Fall knapp werden. Seine schwarz-gelbe Mehrheit ist, zumindest in Umfragen, dahin. Die SPD sitzt ihm im Nacken. Insofern ist das Ereignis ein GAU für den CDU-Wahlkampf, der sich im alten SPD-Land immer besonders auf das Thema innere Sicherheit konzentriert hat. Die Galionsfigur dazu ist Innenminister Herbert Reul (CDU), der vor allem mit einem Thema auch bundesweit glänzen wollte: mit einer harten Linie gegen kriminelle „Clans“, die meist ausländische Wurzeln im Nahen Osten haben.

Und so bemühte sich Reul, den Vorfall als Ausnahmeerscheinung darzustellen. „Wenn wir nicht so hart durchgegriffen hätten, gäbe es solche Szenen wie in Duisburg öfter“, sagte Reul in einem Pressestatement. Es gebe keine Anzeichen für weitere Eskalation, trotz der Schießerei am Mittwoch habe sich die Lage insgesamt sogar verbessert, zitiert ihn die RP. Der Eindruck, den die Bilder von der Massenschießerei zwischen verschwiegenen Angehörigen der kriminellen Organisationen und ihrer schnellen Freilassung hinterlassen, ist ein anderer. Der SPD-Bürgermeister der Stadt bat darum, dass die angerückte Polizeihundertschaft weiter im Duisburger Norden verbleibt. Das sei „alternativlos“.

In welchem Ausmaß diese Familienverbände, von denen jeder mehrere tausend Mitglieder haben kann, die deutsche Kriminalitätsstatistik beeinflussen, ist noch weitgehend unbekannt, sozusagen das „Neuland“ der aktuellen Polizeiarbeit und Innenpolitik. Doch in diesen Tagen kann man ein Gespür dafür kriegen, denn erst in Berlin, nun in Duisburg ist die Clan-Welt mit der Welt der normalen Bürger zusammengestoßen. Erst eine Messerstecherei auf einem Volksfest – da konnte man schon fragen: Wo ist der Neuigkeitswert? Aber der hier geschehene Mord an einem Clanmitglied gehörte in eine Serie von Vergeltungstaten, die im öffentlichen Raum ausgetragen wurden, auf einem sich betont „multikulturell“ gebenden Rummel im Brennpunkt-Bezirk Neukölln. 

Nun also Duisburg, Hamborner Altmarkt: Laut Polizei trafen hier am Mittwoch zwei Gruppen gegen 20:40 Uhr aufeinander. Zahllose Schüsse fielen, teils auf Video gebannt und via Twitter veröffentlicht. Mindestens vier Verletzte, allerdings nicht lebensgefährlich, waren die Folge. Auch Scheiben anliegender Läden gingen zu Bruch, wurden anscheinend mutwillig, zielgerichtet zerstört. Gegen 23 Uhr sperrte die Polizei den Platz weiträumig ab.

Insgesamt waren um die 100 Personen auf dem Duisburger Platz zusammengetroffen. Als die Polizei eintraf, flüchteten viele der Beteiligten. Fünfzehn tatverdächtige Personen wurden vorübergehend festgenommen. Die Tatortaufnahme dauerte bis zum Donnerstagmorgen an. Welche Gruppen hier nun aktiv geworden waren, das bleibt bei der Polizei im Vagen. Von der Rockerszene ist die Rede und zugleich von „Clan-Bezug“. „In diesem Bereich“ vermutet die Polizei auch das Tatmotiv.

— ÖRR Blog. (@OERRBlog) May 5, 2022

Tatsächlich überschnitten sich die beiden Gruppen in diesem Fall: Ein Mann „libanesischer Herkunft“ (man weiß, dass das vermutlich nicht ganz stimmt) habe sich nicht gerecht behandelt gefühlt, nachdem ihn die Hells Angels aus dem Duisburger Chapter geworfen hatten, erfuhr die Bild-Zeitung von der Polizei. Angeblich soll der „Libanese“ zuvor einen „Bruder“ bei der Polizei verraten und weitere Mitrocker benannt haben. Das gilt als Geheimnisverrat und führte zum Ausschluss aus dem Rocker-Club.

Das „Treffen“ der beiden Gruppen – also offenbar des Hells-Angels-Chapters und des „libanesischen“ Familienverbands – eskalierte schnell und wurde von arabisch und türkisch sprechenden Personen gefilmt. Doch was wollten die „Libanesen“ eigentlich erreichen? Ihren Verwandten wieder in Frieden in sein Chapter aufgenommen wissen? Das scheint unrealistisch. Ging es also wieder einmal um archaische Begriffe wie Ehre und Vergeltung?

Die Medien schauen oft weg, wenn es um Marxloh geht

Der neue Polizeipräsident von Duisburg, Alexander Dierselhuis, sah die entstandenen Bilder und Eindrücke als „für die organisierte Kriminalität geschäftsschädigend“ an und glaubt schon deshalb an eine Beruhigung wie von selbst. Man werde das „wieder zurückfahren“. Dierselhuis ist angeblich „Experte für Clan-Kriminalität“ – man weiß offenbar in Duisburg, wen man auf diesem Stuhl nötig hat.

In manchen Medien wird, einem Artikel der Nachrichtenagentur dpa folgend, nur von einer Beteiligung der Hells Angels berichtet. Über die genaue Identität der beteiligten Clans erfuhr man bisher nichts. Laut Innenminister Reul handelt es sich aber um einen „türkisch-arabischen Clan“, was auf einige der heute bundesweit bekannten Clans zutrifft, die oft über den Libanon nach Deutschland eingewandert sind und zum Teil einer arabischen Minderheit aus der Südtürkei angehören.

Einige – etwa das Nachrichtenportal Der Westen – ließen die Clans auch einfach ganz weg und sprachen in einer Bilderstrecke von einer „Schießerei im Rockermilieu“. Im folgenden Artikel erinnert sich allerdings auch der Autor des Westens, dass es schon 2018 ähnliche Bilder auf dem Hamborner Altmarkt gegeben habe, als ein Konflikt zwischen „Türken, Libanesen und Kurden“ eskalierte – mit Macheten und Metallrohren. Weil aber „solche Gewalt-Exzesse in der Regel von kriminellen Banden ausgehen“, hielten sich Zeugen häufig bedeckt, stellt Der Westen korrekterweise fest. Polizeipräsident Dierselhuis sagte daneben: „Vorfälle dieser Art, dieser Intensität, hat es in Duisburg lange nicht gegeben.“ Lange, auch das ist relativ – in diesem Fall lagen nur vier Jahre zwischen zwei ähnlich gelagerten Vorfällen.

Reul versucht, eine Wahlkampfpointe draus zu machen

CDU-Innenminister Reul konnte mitten im NRW-Wahlkampf kaum schweigen zu den Vorfällen und beschloss, den unangenehmen Vorfall einfach als Bestätigung seiner Politik aufzufassen. Der Ballast soll so zur Schwungmasse werden. Die Tat sei eindeutig der organisierten Kriminalität in Duisburg-Marxloh zuzuordnen. Der Stadtteil ist vor allem für seinen hohen Ausländeranteil bekannt und schließt sich nordwestlich an Hamborn an: „Die vergangene Nacht hat gezeigt, dass Clan-Kriminalität keine PR-Erfindung ist – auch nicht von mir. Clan-Kriminalität ist ein Riesenproblem, das die Menschen besonders im Ruhrgebiet in Angst und Schrecken versetzt. Totschweigen ist keine Lösung.“

Allerdings bleiben Zweifel, dass das Phänomen die Menschen wirklich massenweise in Angst und Schrecken versetzt, wie Reul meint. Dazu ist diese Kriminalitätsart noch zu wenig bekannt und zu verborgen, auch wenn Reul schon einiges dafür getan hat, diese verborgene Realität etwas öffentlicher zu machen. Aber das ist nicht die letzte und eigentliche Aufgabe eines Politikers. Noch besser wäre es, er würde die aufgezeigten Probleme lösen – um nicht von ihrer Verhinderung zu sprechen. Dazu muss man vermutlich näher an Marxloh heran, um nicht zu sagen: in es hinein. Der Law-and-Order-Wahlkampf der Regierung Wüst hat an diesem Mittwochabend jedenfalls einen Kratzer bekommen.

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