Wie die Bundeswehr Angst vor der Zeitenwende bekam

Eine neue Weisung des Verteidigungsministeriums zum Traditionserlass verkündete kürzlich eine Schwerpunktverschiebung im Traditionsverständnis der Bundeswehr. Nun räumte Generalinspekteur Breuer sie wieder ab. Gaben er und das Ministerium jenen nach, die das neue Papier vorsätzlich falsch lesen wollten?

picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, Berlin, 20. Juli 2023

Ein bisschen hatte man es bereits ahnen können, dass die Bundeswehr einknicken würde. Denn als der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums vor zwei Wochen in der Bundespressekonferenz auf neue interne Hinweise des Ministeriums zum Traditionserlass der Bundeswehr angesprochen wurde, schien er sich fast schon dafür zu schämen: Nein, die Leistungen des erfolgreichsten Wehrmachtsjagdfliegers Erich Hartmann seien „keine traditionsbegründende Tatsache im Sinne des Traditionserlasses“, erklärte er seinerzeit.

In der Weisung, auf die sich der Sprecher an dieser Stelle bezog und die Mitte Juli von Kai Rohrschneider, Generalleutnant und Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium, unterzeichnet worden war, klang das zumindest etwas anders: Darin war Hartmann als „erfolgreichster Jagdflieger der Militärluftfahrt“ gelobt und seine „352 Luftsiege“ genau dokumentiert worden. Auch andere Wehrmachtsoffiziere wurden lobend erwähnt und als potentiell traditionsbegründend für die Bundeswehr angeführt. Gemein war ihnen, dass sie seit den 1950er Jahren die Armee in der jungen Bundesrepublik mit aufbauten – geprägt durch die Einsatzerfahrungen, die sie im Weltkrieg gesammelt hatten.

Neue Schwerpunktsetzung

Dass die Weisung diese Erfahrungen erwähnte, ohne sie direkt moralisierend zu verurteilen, war in der Deutlichkeit überraschend und setzte sich erfreulich von den Säuberungsaktionen vergangener Jahre ab. Zu verstehen war es nur vor dem Hintergrund der Zeitenwende. Mit dieser sei „die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen“, hieß in der Weisung.

Der von Ursula von der Leyen 2018 durchgedrückte Traditionserlass blieb ausdrücklich in Kraft. Er wurde nur insofern leicht neu ausgerichtet und mit ergänzenden Hinweisen versehen, als in seinem Rahmen künftig ein stärkeres Augenmerk auf militärisches Können gelegt werden sollte – etwa eben das Können der notierten Wehrmachtssoldaten und späteren Erbauer der Bundeswehr. Alle Hintergründe hier >>>

Trotz der Wehrmachtsbezüge löste das Papier aus dem Verteidigungsministerium keine größere öffentliche Debatte aus, nicht vergleichbar jedenfalls mit den aufgeregten Diskussionen um die Bundeswehr in vergangenen Jahren. Nur ein paar linke Stimmen empörten sich, vor allem die Tageszeitung (taz). Außerdem schlug die russische Botschaft bei X Alarm, „in Deutschland“ sollten nun wieder „frühere Nazis“ als Helden gefeiert werden. Eine bewusste, um nicht zu sagen: propagandistische Fehlinterpretation.

Ministerium fällt eigenem Abteilungsleiter in den Rücken

Angesichts des ausgebliebenen Drucks ist es umso verstörender, dass die Weisung zum Traditionserlass in der vergangenen Woche wieder abgeräumt wurde – plötzlich und völlig ohne Not. Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, teilte am Mittwoch in einem Rundschreiben mit, die ergänzenden Hinweise hätten „Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen“. Sie seien daher „mit sofortiger Wirkung außer Kraft“ gesetzt.

Breuer führte weiter aus: „Für Traditionswürdigkeit in der Bundeswehr waren, sind und bleiben Wertebindung und das klare Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zwingend.“ Nur auf der Grundlage der Wertebindung, „die sich nicht auf professionelles Können im Gefecht reduziert“, könne ein soldatisches Selbstverständnis traditionsstiftend sein. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sekundierte am selben Tag, „ein Abteilungsleiter“ habe Bezüge hergestellt, „die sich in der Rückschau nicht als förderlich herausgestellt haben“.

Man würde gern wissen, was Breuer und das Ministerium bei diesen Stellungnahmen geritten hat. Ganz offenbar gaben sie hier jenen nach, die das neue Papier vorsätzlich falsch lesen wollten – und fielen damit auch dem eigenen Abteilungsleiter und Generalleutnant in den Rücken. Und das, obwohl der Generalinspekteur nach Ministeriumsangaben die Weisung Rohrschneiders vor Veröffentlichung selbst zu Gesicht bekommen hatte, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Armutszeugnis für Pistorius

Natürlich ging es Rohrschneider mit seinem Papier – anders als ausgerechnet vom höchsten deutschen Soldaten insinuiert – keineswegs darum, die Wehrmacht reinzuwaschen oder auch nur Wehrmachtssoldaten unabhängig von ihrem moralischen Verhalten als traditionsbegründend einzustufen. Ganz im Gegenteil hatte er sogar ausdrücklich festgehalten, dass für die Traditionswürdigkeit eine Abwägung zwischen persönlicher Schuld und individueller Leistung „entscheidend“ bleibe.

Einziges Anliegen war, eine Schwerpunktverschiebung vorzunehmen und die Überbetonung ziviler Tugenden in der Tradition der Bundeswehr zugunsten des militärischen Könnens ein Stück zurückzunehmen. Das lag unbestritten noch auf Linie von von der Leyens Traditionserlass, der selbst die Möglichkeit vorsieht, bestimmte Wehrmachtssoldaten, etwa aus der Gründergeneration der Bundeswehr, in die Tradition der Truppe zu integrieren.

Soll es wirklich die Empörung der taz gewesen sein, die die jetzige Kehrtwende verursachte? Oder gar die der russischen Botschaft? Ein Armutszeugnis für Boris Pistorius ist es in jedem Fall. Er hätte zeigen können, dass es ihm wirklich ernst damit ist, mit den falschen Schwerpunktsetzungen in der Bundeswehr aufzuräumen. Nun ist die geschichtspolitische Zeitwende in der Truppe hingegen abgesagt.

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Kommentare ( 52 )

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Ralf Poehling
4 Monate her

Es wird viel zu viel diskutiert, anstatt einfach still und leise außerhalb des Blickwinkels zu machen…

Konservativer2
4 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Exakt DAS ist das Problem! Scheint nur keiner zu verstehen, am wenigsten die verbalen Aufrüster und die Medienschaffend*Innen…

Last edited 4 Monate her by Konservativer2
Positivsteuerung
4 Monate her

Vielleicht kann ja das letzte Aufgebot der Staatstreuen motiviert werden.
Die Kleber werden zu den Grenzen verbracht und auf die Straßen geklebt, die Antifa positioniert sich, um feindliche PKW und Mülltonnen anzuzünden, die Omas gegen Rechts bilden eine Menschenkette mit Kerzen an der Grenze.
Sollten dann feindliche Kräfte bis zur Hauptstadt vordringen und die Regierungsgebäude erreichen, werden sie beim Treffen mit den dort Politisierenden sehen, dass das Elend noch steigerungsfähig ist.

Jatoh
4 Monate her

Es gibt keine soldatischen Tugenden ohne Bezug zur herrschenden Politik.
Der Auftrag der Wehrmacht war eindeutig, der Herrenrasse zum Sieg in der Welt zu verhelfen.

Konservativer2
4 Monate her
Antworten an  Jatoh

Es bleibt dabei: ich schäme mich für keinen meiner Vorfahren und folge damit nicht der vorgegebenen Linie, die mittlerweile so aussieht, dass die deutsche Bevölkerung von damals in Bausch und Bogen verurteilt wird. Das wird umso krasser, je weniger Menschen leben, die noch jemanden kennen, der Kriegsteilnehmer war.

Hartmann, das hier genannten Beispiel, war ein herausragender Jagdflieger, und das völlig unabhängig vom Kontext.

Ach ja, ich empfehle mal nachzugoogeln, nach wem die neuburger Kaserne (ich erinnere an die unsägliche Mölders-Diskussion) benannt ist… Hat nie jemand darüber berichtet…

Konservativer2
4 Monate her
Antworten an  Jatoh

Trotzdem schäme ich mich keinesfalls für meine Vorfahren, anders, als die Politik dies nun forciert.

Der genannte Hartmann war ein Spitzenpilot, ergo vorbildlich. Er stand halt auf der Verliererseite.

Jatoh
4 Monate her
Antworten an  Konservativer2

Richtig. Er und viele andere wurden politisch missbraucht.

Lesterkwelle
4 Monate her

Sowohl viele der (Berufs-)Soldaten und Offiziere der kaiserlichen Armeee als auch der Wehrmacht verstanden ihr militärisches Handwerk. Dass sie für politische Zwecke auf schändlichste missbraucht worden sind, steht auf einem anderen Blatt. Doch der Streit um die Traditionspflege in der Bundeswehr ist gerade in diesen Zeiten völlig fehl am Platz. Kurzer Blick zurück: Was v. d. Leyen mit ihrem unsäglichen Getue angerichtet hat, muss nocht noch einmal getoppt werden. .

HansKarl70
4 Monate her

Über die weltweite Politik, also auch über Leben und Tod entscheiden doch schon heute irgendwelche Politiker mit Hilfe von Companies und nicht mehr die Politik der Bürger. Der Bürger ist doch nur noch alle paar Jahre gefragt , wenn es gilt die entsprechenden Leute zu bestätigen.

Dieter Rose
4 Monate her

Tichys Neuigkeiten an diesem Morgen bezeugen: Wir leben im Irrenhaus.
Jeder darf für sich entscheiden, ob er sich als Patient oder spnst Beteiligter fühlt.

Axel Fachtan
4 Monate her

Man kann doch nicht dauerhaft kriegstüchtig werden mit dem Grundgesetz unter dem Arm. 🙂 Das ist Kriegsführung für Behinderte. Deutschland braucht eine schlagkräftige Truppe und es bekommt sie nicht. In einem Zweikampf mit Aserbaidschan würde Deutschland sang und klanglos untergehen, weil es nicht auf moderne Drohnenkriege eingestellt ist. Weder eine Verteidigung noch ein Angriff würden mit deutschem Material und mit deutschem Personal funktionieren. Die Bundeswehr ist insgesamt beschämend schlecht aufgestellt und das ist allen geschuldet, die seit 1990 regiert und versagt haben. Die Bundeswehr ist schlecht regiert und gruselig vernachlässigt worden. Panzer, die der Bildschirmrichtlinie entsprechen und für schwangere Bordschützinnen… Mehr

alter weisser Mann
4 Monate her

Unser Schreibstubenmilitär muss es nur noch schaffen, darzustellen dass man nicht von Wehrmachtspersonal aufgebaut wurde und auf soldatisch-militärische Leistungen nie Wert legte. Letzteres erscheint allerdings heutzutage glaubhaft.
Ansonsten ist es ganz drollig, wenn Rußland zwar nicht von seinen Vorbildern aus der Stalinzeit lassen kann, anderen aber „Nazi-Vorbilder“ vorwirft.

GR
4 Monate her

Für welche Ziele sollte ein junger Mann sein Leben riskieren? Lithium im Osten? Unsere Demokratie zu verbreiten? Von Lumpenpazifisten (ich bin gegen Krieg mit Russland, aber die Hardcorepazifisten sind Gesinnungsethiker auf dem hohen Roß, also Lumpen) beschimpft zu werden? Ein Land mit ruinierter Wirtschaft, ruiniertem Rechtsstaat, ruiniertem Selbstbewußtsein, für das man sich schämen muß? Haben die real existierenden Politiker und deren Wähler alles zerstört. Lebt damit und fürchtet euch.

Zum alten Fritz
4 Monate her

Die Bundeswehr ist als Parlaments-Armee keine Nachfolger der Wehrmacht.
Demzufolge startet eine Tradition am Begin ihrer eigenen Existenz. Einen Personenkult bedarf es nicht.