Alle predigen den Abbau der Bürokratie – und füttern das Monster weiter

Die Bürokratie muss abgebaut werden. Das fordern außer den Grünen eigentlich alle Parteien. Doch genau das Gegenteil passiert, wie etwa der Feldzug der Bürokraten gegen die Bauern in Bayern zeigt.

IMAGO/Chris Emil Janßen

Es ist denkbar einfach, herauszufinden, wann ein Thema populär ist: Wenn sich Markus Söder (CSU) auch noch dranhängt, sind eigentlich eh schon alle dafür. Etwa Bürokratieabbau. Für den hat Söder eigens einen Beauftragten eingestellt. Und der bayerische Ministerpräsident sagt in der Bild selbst: „Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Freiheit. Diese ganzen Vorschriften ersticken uns. Wir müssen die Stoppschilder beseitigen und endlich Vorfahrt geben für die, die Leistung bringen.“

Schön gesprochen. Nur: Wie sieht das in der Realität aus? In Bayern laufen gerade die Bauern gegen die „Erosionsschutzverordnung“ Sturm, wie der Merkur berichtet. Der Anstoß dazu kommt – wie so oft, wenn es um mehr Bürokratie geht – aus Brüssel von der EU. Doch es ist den Ländern überlassen, wie sie den Erosionsschutz gestalten. In Bayern läuft das nicht besonders gut.

Grundsätzlich gilt: Wasser und Wind tragen Böden ab. Landwirtschaft kann diese natürliche Entwicklung forcieren. Sind die Verantwortlichen verantwortungslos, kann das zu Katastrophen führen. So löste etwa der exzessive Weizenanbau in den Südstaaten den „Dust Bowl“ aus. Trockenheit und Staubstürme rotteten Ernten aus, vertrieben die Farmer von ihrem Land und verstärkten so die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Bauern haben selbst ein eigenes Interesse am Erosionsschutz und betreiben den grundsätzlich seit tausenden von Jahren – mitunter flankiert von staatlichen Eingriffen.

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Trotzdem empfinden die bayerischen Bauern die Erosionsschutzverordnung als übergriffig, wie der Merkur berichtet. Strenge Auflagen und eine ausufernde Dokumentationspflicht machen ihnen seit Mai das Leben schwer. Denn Bayern hat die Verordnung erst in Kraft gesetzt und dann die Bauern informiert. Da hatten die aber die Bewirtschaftung für dieses Jahr schon längst eingeleitet. „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt…“, wie jeder aus dem Kinderlied weiß – jeder außer Söders Bürokratie.

Jetzt dürfen die Bauern nachträglich in einem neuen Erosionskataster nachlesen, wie es um die Böden bestellt ist, die sie seit Jahrzehnten bestellen. Selbst leichte Hangneigungen behandelt dieses Kataster nun als schwerste Risikofälle. Ein Landwirt aus Dachau berichtet im Merkur, dass auf seinem Grund nun fünfmal mehr Flächen durch Wassererosion betroffen seien als vorher: Der gleiche Boden, der gleiche Hang, der gleiche Wasserlauf wie vorher – aber jetzt sei es ein Problem, sagen die EU, Söder und dessen Bürokraten dem Bauern: „Im Märzen der Söder die Aktenhengste einspannt / Er plant und entscheidet den Irrsinn im Land.“

Die Landwirte müssen nun zusätzliche Grünstreifen anlegen, was wiederum den Ertrag der Ernte mindert. Wann, was und in welcher Reihenfolge er anbaut, entscheidet nicht mehr der Bauer, sondern Söders Bürokrat. Der schreibt zum Beispiel einen festen Zeitpunkt für das Pflügen vor. Egal, ob da die Böden gefroren sind oder nicht. Wenn der Winter seinen Zeitplan ändert, hat er das gefälligst vorher bei Söders Bürokratie zu beantragen. In dreifacher Ausführung. Handschriftlich. Ein ähnliches Prozedere gilt auch für das Säen. Damit der Bauer dem Bürokraten die Arbeit erleichtert und der freitags schon am Donnerstag Wochenende feiern kann, muss der Bauer nun obendrein jeden Arbeitsschritt exakt dokumentieren.

Die Bauernverbände warnen: Das Bewirtschaften der Flächen werde weniger wirtschaftlich. Das könne zu Betriebsaufgaben führen. Obendrein seien Ernteausfälle vorprogrammiert, weil der Bauer jetzt nicht mehr nach seinem Sachverstand – sondern nach Order aus München arbeiten müsse. Obendrein müssten die Bauern jetzt mehr Diesel und Pflanzenschutzmittel einsetzen, um den durch die Bürokratie angerichteten Schäden entgegenzuwirken.

Und Söder? Der lässt seinen Beauftragten für Bürokratieabbau Bürokratieabbau fordern und tourt selbst durchs Land und sagt so schöne Sätze wie: „Wir müssen die Stoppschilder beseitigen und endlich Vorfahrt geben für die, die Leistung bringen.“ Nein, echt, da hat der Marketingmitarbeiter ganze Arbeit geleistet. Jetzt müssen sich allerdings der Marketingmitarbeiter und der Beauftragte für Bürokratieabbau zusammensetzen. Samt Tagesordnung und Protokoll. Denn auch die Forderung nach Bürokratieabbau will verwaltet sein.

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Kommentare ( 47 )

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H. Hoffmeister
1 Jahr her

Wir sind als kleiner Mittelständler in mehreren hoch regulierten Bereichen (Medizintechnik, Arzneimittel, Luftfahrt) und kennen seit der Gründung vor fast 30 Jahren das Lippenbekenntnis der Politik zum Bürokratieabbau. Passiert ist das genaue Gegenteil. Die Bürokratie ist nur noch als strangulierend zu bezeichnen und weitere hübsche Regelungen wie CO2-Zoll, GEG, Meldestellengesetz etc stehen vor der Tür. Es scheint so, als dass die Politik nur eines wirklich verfolgt: nämlich die Verrunmöglichung jedweden Wertschöpfens.

Evero
1 Jahr her

Unbürokratisch zu sein, erforderte von jedem in der Gesellschaft hohe moralische Werte zu haben, damit es einigermaßen funktioniert.
Wenn ich allerdings eine Chaosgesellschaft nur mit Rechten aber ohne Pflichtbewußtsein heranzüchte, dann ist der Bürokrat gefragt und es wird anstrengend für alle. Insofern ist Bürokratie auch ein Gradmesser für Disziplin bzw. für die Zerrissenheit einer Gesellschaft.

Lucius de Geer
1 Jahr her

Leider kommt erschwerend die verbreitete Sklavenmentalität der Deutschen (ich sage nur: „Vater Staat“…) hinzu. Vorschriften zu ignorieren, großzügig auszulegen wie in anderen EU-Ländern, das fällt dem Michel unendlich schwer. Hat man auch wieder bei der Erfassung des Wohnraums für die Grundsteuer gesehen. Anstatt vorhandene Spielräume für sich zu nutzen oder einfach darauf zu setzen, dass niemand die Angaben von Millionen überprüfen wird, solange sie nicht grob unplausibel sind, das hat wohl nur wieder einmal die Minderheit von 10-20 % der Selberdenker geschafft. Nachbarn von mir haben bei der Grundsteuererhebung sogar eine große früher einmal landwirtschaftlich genutzte Halle angegeben, in der… Mehr

Reinhard Peda
1 Jahr her

Die Bauern werden als Wähler nicht mehr gebraucht, oder sehe ich das falsch?

Evero
1 Jahr her
Antworten an  Reinhard Peda

Das sehen Sie richtig. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich seit 1975 von 904.000 auf 256.000 im letzten Jahr verringert. Dementsprechend ist auch die Zahl der Wähler aus landwirtschaftlichen Familien zurückgegangen.
Mussten CDU/CSU in den 70er Jahren noch auf eine Wählerklientel aus der Landwirtschaft Rücksicht nehmen, so ist deren Gewicht für die Union heute nicht mehr bedeutend, zumal heute moderne Landwirte auch anders wählen, da Traditionen zunehmend auch auf dem Land untergehen.

Last edited 1 Jahr her by Evero
JamesBond
1 Jahr her

Aktenhengste – geil – und wie nennt man den, der diese in Bayern anführt?
Lachen ist gesund, arbeiten für so ein Land eher nicht, also Lachen, Lachen und natürlich Fw oder AfD wählen – ansonsten hört das Lachen die nächsten Jahre in Bayern nicht auf ???

Manfred_Hbg
1 Jahr her

Zitat: „Der Anstoß dazu kommt – wie so oft, wenn es um mehr Bürokratie geht – aus Brüssel von der EU“

> Ich kann mich nur wiederholen: EU-Brüssel mit seinen -vor allem grünlinkswoken- Pseudodemokraten ist auch ein dicker Sargnagel Deutschlands.
Es ist höchste Zeit !dieses! Irrenhaus EU-Brüssel schnellstmöglich zu verlassen.

BK
1 Jahr her

Das kann jeder Angestellt in seiner Firma life miterleben, dass die Bürokratie immer mehr wird. Da reicht es nicht, wenn der Mitarbeiter ein neues Auto für den Dienstgebrauch bekommt. Nein, es muss auch noch einer UVV Prüfung unterzogen werden. Das ist die Unfallverhütungsvorschrift, die einmal im Jahr fällig ist. Aber das ist nur eine kleine Schikane.

horrex
1 Jahr her

Seit ich halbwegs denken kann – rechne mal von ca. Abi – wird vom Abbau von Verwaltung (von Kompliziertheiten) geschwafelt. Und was passiert seit X Jahrzehnten??? Die Amis sagen: „KISS“ = keep it stupid and simple In einem „Bild“ gesprochen passierte hier ungefähr Folgendes: Im Betreben allumfassende Gerechtigkeit und Gleichheit zu „creieren“ schuf man sich ein sich selbst replizierendes „Gestrüpp“ von Vorschriften/Gesetzen/Verordnugen, angeblichen „Gerechtigkeiten“. Und verhedderte/verirrte/verlief sich schließlich s e l b s t darin. Grün „perfektioniert“ nun gerade dieses „grandiose“ System „innerer Widersprüchlichkeiten“ (Inkonsistenzen). • Das „Gesundheitssystem“ ist nur EINES von vielen Beispielen. • Wir sind in vielen Bereichen… Mehr

ketzerlehrling
1 Jahr her

Den Kumpels und Kumpelinen muss man Versorgungspöstchen zuschanzen.

Irdifu
1 Jahr her

Bürokratieabbau ? Sollte ich mich verlesen oder geträumt haben , aber mir deucht , die Ampel hat seit regierungsübernahme mehrere Tausend
neue Mitarbeiter in ihren Ministerbüros eingestellt . Auch Söder stellt Leute ein um Bürokratie abzubauen , geht’s denn noch bekloppter ?Man hätte auch jemanden , der schon im Büro sitzt und Däumchen dreht , dazu verpflichten können Hoffentlich wissen die Bayern das die Zukunft Blau sein muss wenn sich was ändern soll , die Hessen genauso, wenn es in 7 Wochen an die Wahlurnen geht .